Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Zehnter Gesang
Hermes der Erlöser

                          Als Hermes einsam eilte durch den Erdenwald,
Warf sich ein Jüngling ihm zu Füßen, Wohlgestalt:
«Der du auf Siegessohlen durch die Wälder eilst,
Die Erde segnest, ihrer Kinder Kummer heilst,
Hermes, du Freundlicher, hilfreich und hold und gut,
Wohl mir! bei deinem sonnigen Anblick schöpf ich Mut.
Denn nie vergebens, heißt es, schreit zu dir die Klage.»
Huldreich erhob den Jüngling Hermes: «Rede, sage!»
«Unweit von hier», sprach dieser, «im Gebirge Gaja
Wohnt meine Königin, die Nymphenfürstin Maja,
Jung, schön und wohlgetan, an jeder Tugend reich;
Auf tausend Berg und Tälern ruht ihr Königreich.
Das Tal von Fleiß, der Berg von Gold und Silber voll,
Und Dank und Liebe statteten der Herrin Zoll.
Doch ach! in freudenloser Schwermutkrankheit schmachtet
Die Göttin, und von Trauer ist ihr Geist umnachtet,
Seitdem ein jäher Tod den Gatten ihrer Wahl
Ihr roh entriß, Pluton, den mächtigen Gemahl.
Die Zukunft losch, die Gegenwart mit jenem Tage.
Ihr Atem ist das Einst, ihr Dichten Totenklage.
Und würde nicht ihr Leid vom Mitleid überlistet,
Daß Trunk vom Quell Hebagone ihr Leben fristet,
Dem Wunderborn, aus welchem ewige Jugend sprießt
Und den ihr Mund allein, ihr Wille nicht genießt,
So wäre mit dem Frohsinn, mit der mutigen Kraft
Ihr Leben längst, ihr edler Leib dahingerafft.
Das Wort klingt schal, mein Seufzen nimm, mein Flehen hin:
O heile, Hermes, heile meine Königin!»
«Weh meiner Ohnmacht!» klagte Hermes, «lieber Sohn!
Viel Leid auf Erden heilte meine Kenntnis schon.
Doch Trauersiechtum, das aus Gräberschollen schattet,
Das ist ein Weh, dawider Kraut und Kunst ermattet.»

Er sprachs und ging. Doch tausend Schritte kaum gegangen,
Ward er von eines Mannes Ansturm rauh empfangen:
«Hermes, den man den Helfer der Bedrückten heißt,
Nicht Rührung heisch ich, deinen grimmigen Mannesgeist.
Vernimm: Zunächst von hier, im Waldgebirge Gaja,
Wohnt unsre kranke Königin, die Göttin Maja.
Einst unsres Volkes Wonne. Pluton stand ihr bei.
Wir schafften froh, der Blick war hoch, die Handlung frei.
Doch Fluch uns! Seit die Grube Plutons Kraft verschlungen,
Sind Fleiß und Freiheit lahm, der Mut, die Lust verklungen.
Ein Volk von Knechten sind wir, das in Ketten schmachtet,
Der Bauer zählt zum Vieh, der Edle wird verachtet.
Nicht zwar als hätte Majas Güte sich verwandelt:
Von fremden Leichnamspfaffen wird ihr Schmerz verhandelt,
Die, um sich Ämter, Ehren, Ansehn zu erschleicheln,
Dem abergöttischen Witwenleid der Fürstin schmeicheln.
Unnütze, unverschämte, hündische Eunuchen,
Die jeden Spuck und Druck des seligen Herren buchen,
Verehrung und Vergötterung dem Toten heuchelnd
Und immerfort im Staub vor Plutons Spuren bäuchelnd.
Denn wer am ekelsten die Stapfen Plutons leckt,
Der wird von ihr erhoben und mit Gunst bedeckt.
Und all das hält die arme Königin umzwängt,
Die Freunde fern, die treue Ritterschaft verdrängt.
Und statt lebendiger Arbeit, Werktat, Geist und Kunst
Nur Wurmbewegung, Knochendienst und Räucherdunst
Und Litanei und untertänige Orgelmühlen,
Die mit dem Namen Pluton sich die Zunge spülen.
Sag selber, Hermes, soll man nicht, sag ehrlich an,
Komm mit und hilf, die Gleißnerbrut zusammenschlan?»
Hermes erwiderte: «Geschmeiß und Schleimgezüchte
Besteht den Spieß. Spuck um dich, schüttle dich und flüchte.»

Er sprachs und ging. Doch tausend Schritte kaum voran,
Zupft ihn ein Weib, sah ängstlich um sich und begann:
«Siehst du die Höhe dort im Waldgebirge Gaja?
Dahinter herrscht die Fürstin mein, die Göttin Maja.
Nicht sie: in ihrem Namen eine Heuchelhorde,
Lammsanft von Tritt, doch nicht zu sanft zum Meuchelmorde.
Vernimm, was Eigennutz, mit Frömmigkeit beschuht,
Vermag, wenn das, was keiner täte, jeder tut.
Seit Pluton den Gemahl die Herrin hat verloren,
Ward ihm von ihr ein Knäblein, Mellon, nachgeboren;
Allein, weil krank und irr, gebar sies unbewußt.
Wer kam, wer nahm, wer stahl das Kind ihr von der Brust?
Sie rupften all ein wenig: also raubt es keiner.
Genug, das Kind kam fort. Triumph! Die Luft war reiner,
Ich aber weiß, ich einzig, wo das Kind sie haben:
Weil es unsterblich, haben sies für tot begraben.
Dann überm Grabe türmten sie, die Last zu mehren,
Ein steinern Riesendenkhaus zu des Vaters Ehren.
Und pflanzten sich aufs Dach und predigten von oben
Den Namen Plutons mit frechmäuligem Lobtoben,
Daß man nicht höre aus der Grube das Gewimmer.
Du kannst sie leibhaft sehn, sie hocken dort noch immer.
Und jeder macht sich schwer und drückt mit seinem Teil,
Das Knäblein zu ersticken; ja, das war ihr Heil!
Nun weißt du, wies im Lande Gaja sich verhält.
Ich tat, was mir gehört. Mach du, was dir gefällt.»
«Ja wahr!» rief Hermes. «Ja! Das Knäblein will ich retten,
Die Fürstin heilen, das gezwungne Volk entketten.
Erheb den Finger, daß du mir die Richtung zeigst.»
«Wenn du», gab an das Weib, «auf jene Höhe steigst,
Von dort den Blick hinunter übers Waldtal neigst,
Gewahrst du einen Brunn, genannt Hebagone,
Von dort rechts abwärts mit dem schmalen Waldpfad geh,
Der schließlich nach dem Schloß der Nymphe Maja mündet.
Doch sieh dich vor! glaub mir, die Warnung ist begründet.»
Sie sprachs, enteilend, ob sie unbemerkt entflöhe.

Hermes indes erstieg mit rüstigem Fuß die Höhe.
Und als von dort er unter sich die Waldschaft sah,
Ein ausgestorbenes Geländ erblickt er da,
Getreu der schlimmen Zeitung, die ihm ward geschildert:
Verlassen Feld und Flur, Geschäft und Markt verwildert,
Verstummt des Fleißes Hammerschlag, der Herden Zug
Verschwiegen. Nirgends Vogelsang noch Bienenflug.
Nur Denkelsäulen, dumpf von Litanei umtönt,
Und feierliches Kriechen, geist- und kraftentwöhnt.

Und als er längs dem Waldessaum auf flinker Zeh
Talab sich näherte dem Quell Hebagone,
Erschien ein Mägdlein aus dem Waldverlies, das trug,
Auf ihrer Schulter schwebend, einen Wasserkrug.
Den stellte sie zu Boden vor des Brunnens Sprudel.
Und während ungesäumt der überflüssige Strudel
Mit lustigem Lachen gurgelnd ihn erfüllte, lüpfte
Sie unterdes das Bein und sang und kreist und hüpfte.
Jetzt trat er unerwartet aus dem Busch hervor.
«Gegrüßt, o Mägdlein!» rief er. «Ai!» schrak sie empor.
«Wie heißest du, anmutige Wasserschöpferin?»
«Herse. Gesetzt, es kümmert dich» warf sie ihm hin.
«Willst du den Weg nach Majas Schloß mir freundlich weisen?»
«Fremdling, laß ab! Die Absicht möcht ich dir verweisen.
Denn alles Männliche ist meiner Frau verhaßt.
Nur alterskundige Grübler duldet sie zu Gast
Und ihre Leichenheiligen, wenig zum Erlaben,
Vor denen, wie sie meint, wir sollten Ehrfurcht haben.
Du blinzelst? Nun, ich werde zwecklos doch nicht lügen.
Merk auf und hör, so wirst du dich der Wahrheit fügen:
Außen am Schloßpark, oben an der Mauerpforte
Hängt eine Tafel, wo geschrieben stehn die Worte:
‹Fremdling, wofern du edel bist und bosheitsohne,
Erhöre meine Bitte: meine Trauer schone!
Ein heiliger Todesschatten wandelt durch dies Haus,
Des feierliche Hoheit schließt den Fremdling aus.
O wollest meinen Schmerz verstehn und ihm verzeihen!
Zieh weiter, Freund, und möge deine Fahrt gedeihen!›
So lautet, was du liesest vor dem Park am Tor.
Dringst du, der Inschrift ungeachtet, weiter vor,
So hindert eine zweite Tafel deinen Fuß,
Außen am Hof, mit einem minder hübschen Gruß:
‹Du Ungeschlachter, der du nichts von Großmut weißt,
Eh du mit plumpem Stiefel dieses Haus entweihst,
Magst du, was deiner Keckheit wartet, vorerfahren.
Bedenks, so wirst du mir und dir Verdruß ersparen:
Wenn du an Plutons Herd zu setzen dich erdreistest,
Verlang ich, daß du ebenbürtige Werke leistest.
Ich will dich gründlich prüfen, will dich rundum proben,
Und kann ich ebenbürtigen Wertes dich nicht loben,
Befördr ich dich, vertrau mir, schimpflich aus dem Lande.
So lehr ich einen Unverschämten Scham durch Schande.›
Merk auf, wie selber meine Frau jetzt den empfängt,
Der trotz der Doppelmahnung sich zur Schwelle drängt.
Kaum sieht sie dich, erglüht vor Zorn ihr Angesicht.
‹Schamloser›, schreit sie, ‹eitler, dünkelhafter Wicht!
Hast du mit meinem Schmerz Erbarmen nicht gespürt,
Hat weder Bitte, weder Mahnung dich gerührt,
Mag sein, vielleicht empfindest besser du die Ruten.
Sie sind nicht schlecht von Holz, ich hoffe, daß sie guten!›
So schreiend, klatscht sie mit den Händen. Kaum geschehen,
Siehst du zwei Riesen peitschenschwingend bei dir stehen,
Dann legt sie dir, nach ihrer Laune freier Wahl,
Aufgaben vor, möglichst verzwickte, zwölf an Zahl,
Und hast du einen einzigen Fehler nur verbrochen,
Geschieht dir auf den bloßen Rücken wie versprochen.
So wird in meiner Herrin Haus der Gast begrüßt.
Laß ab! Noch jeder hat den Fürwitz hart gebüßt.»
«Ei nun!» rief Hermes, «ei, was ist dabei vom Bösen?
Man muß die Proben leisten halt, die Rätsel lösen.»
Laut lachte Herse: «Welch ein Neuling», rief sie, «bist,
Ein unerfahrner, du in Weibeshinterlist!
Vielmal unmöglich leistest du der Göttin Proben,
Und wärst du Zeus und kämest vom Olymp hoch oben,
Oder der schlaue Hermes selbst, gefeimt in Tücken:
Es hälf ihm alles nichts, es würd ihm doch mißglücken.
Nimm an, du habest, ob es keinem zwar gelungen,
Die erste Probe, nehm ich an – nicht wahr? – bezwungen,
So weicht sie schief hinüber links aufs Lügenfeld,
Indem sie Vogelfallen dir und Scheren stellt,
Nach zweien Seiten klappend, also daß mit ja
Und nein du gleichwohl zappelst in der Schlinge da.
Doch nun, mit einem Gegendienste mir zu nützen,
Wollest den Wasserkrug mir auf die Schulter stützen.
Hab Dank. Fahr wohl!» Verschwunden unterm Waldesdach
War Herse. Hermes aber folgt ihr heimlich nach.

Hohl hallte Majas Haus, als Hermes dort erschien.
«Sie weilt», bedeutet ein erschrockner Pförtner ihn,
«Im Park, in Plutons Denkmaltempel beim Gebet
Mit Babo, ihres Oberpriesters Majestät.»
In des verwaisten Hauses Vorsaal trat er ein.
Sieh: Plutons Höllenhaupt, geschnitzt aus Marmorstein,
Die geistdurchblitzte Stirn von Herrlichkeit umstrahlt,
Die Locken schwarz, als ob er lebte, übermalt.
Das Antlitz sah gestrenge, aber blickte milde.
Andächtig sinnend weilte Hermes vor dem Bilde.
Hierauf begann er: «Pluton, höre mein Versprechen:
Dein Zorn ist mein. Dein Weib, dein Knäblein will ich rächen.»
Und sieh, das Bild begann die Lippen zu bewegen:
«Hermes, hab Dank! Glückauf! Gelings mit meinem Segen!»

Horch! Stimmen vor dem Hause, nahend aus dem Garten,
Zwei Frauenfüße pochten, Männerschritte scharrten.
«Wie», krächzte Babo und verwarf die Arme, «wie!
Stehst vor dem Plutonbild und fällst nicht auf die Knie!»
Hermes erwiderte: «Ich habe nicht im Brauch,
Vor irgendwem zu knien und rutschen auf dem Bauch.
Du aber, hündischer Höfling, wage nicht, du Tropf,
Vor Hermes dazulungern mit bedecktem Kopf!»
So sprechend, schlug er mit Gewalt den Wanderstab
Ihm ins Gesicht: «Achtung vor Hermes! Ehrfurcht hab!»
Giftmaulend wich er. Aber bösen Blicks zwei Riesen
Rief Majas Wutschrei. «Nehmet», herrschte sie zu diesen,
«Für den da statt der Ruten diesmal Angelhaken,
Scharfe, dreispitzige, mit krummen Widerzacken!
Nun, Hermes», zischte sie, «nun halte dich gefaßt,
Denn niemals hab ich jemand so wie dich gehaßt.
Zwölf Proben warten dein. Die erste lern erfahren:
Ich werde dich in eine wilde Bergschlucht fahren,
Wo höllisches Orakel aus dem Boden raucht.
Mein Herr und König war gewohnt und hat gebraucht,
Daß er, der Mächtige, mit Zauberkraft Geweihte,
Des künftigen Tages Dinge dort mir prophezeite.
Dasselbe setz ich dir: du sollst mir prophezein,
Was morgen mir vom Schicksal wird beschieden sein;
Doch hoffe ja nicht, mit geschwätzigem Erfinden
Dich zwischen links und rechts geschmeidig durchzuwinden.
Denn wisse: Beim Orakel wächst ein Eibenbaum.
Hast du ein einzig Lüglein bloß entlassen kaum,
So wird die Eibe mit gesträubten Borsten brausen,
Sich abwärts krümmen und dich mit den Zweigen zausen.
Doch prophezeist du wahr, so steht sie schlank und feste:
Und richtet nach dem Himmel bolzgerad die Äste.
Doch Jammer! Als von seinem nahen Tod die Sage
Mein großer Herr mir leise sang, an jenem Tage
Klappte der Baum die Äste, in sich selbst verschrumpft.
Ich gehe nun voran und harre deiner Kunft!»

Sie sprachs. Und vor des Wagens rasselndes Geklirr
Warf sie die beiden Feuerrappen ins Geschirr,
Setzte sich ein, lud ihren Gast zur Linken auf.
Ein Zungenschlag: und nach der Bergschlucht flog der Lauf.
Doch hinter ihnen mit den Angelruten ritten
Die grimmen Riesenbüttel, folgend ihren Schritten.
Und als sie nun mit Hermes bei der Eibe stand,
Begehrt er: «Edle Fürstin, reich mir deine Hand!
Denn singen kann ich anders nicht und prophezeien
Als warm und weh; das Herz muß den Gedanken schreien.»
Er sprachs. Hierauf, nachdem er ihre Hand genommen:
«Vernimm des Tages Dinge, die dir morgen kommen:
Jung, schön und froh, wie froher niemals du gewesen,
Der Krankheit ledig und von Traurigkeit genesen,
Wirst du vom Blumenwagenthron im Festgewande
Den Frühling streuen über auferstandne Lande.
Nicht einsam und allein: an deiner Seite reist
Ein lieblicher Begleiter, der mit Trost dich speist.»
Empört, mit jähem Rucke riß die Hand sie los:
«Gaukler! Du lügst! Den Eibenbaum erwarte bloß!»
Doch siehe: aufrecht wie ein Kriegsmann stand die Eibe
Mit hochgesträußten Zweigen und gestrecktem Leibe,
Betroffen starrte die bestürzte Königin
Ungläubig nach der ungetreuen Eibe hin.
«Mich täuschen meine Augen», hofft ihr Widerwille.
Schließlich mit Hermes schlich sie nach dem Wagen stille
Und sann und sann, sprachlos, in grübelsinnigem Denken.
Und Hermes übernahm die Zügel, heimzulenken.
Endlich begann sie: «Falscher du, in Lug gewitzt,
Wen meinst du, daß er morgen mir zur Seite sitzt?
Möchtest wohl selbst mein schmählicher Begleiter sein?»
Hermes erwiderte: «Mitnichten, Herrin, nein!
Ein Knäblein wird es sein. Und siehe, es ist dein.»
Mit heftigen Sehnsuchtstränen schluchzt ob diesem Wort
Maja und weinte für sich hin in einem fort,
Bis daß das Dach sie überm heimatlichen Schlosse
Entstehen sah und wiehernd zogen aus die Rosse.
Da fuhr sie auf und knirschte mit beherztem Biß
In ihren weißen Armbug einen blutigen Riß.
«Hermes, du Arger», rief sie, «meine Großmut lobe!
Als recht bestanden zähl ich dir die erste Probe.
Ob ich zwar weiß, du lügst, es ist ein schöner Wahn,
So hat er mir mit weicher Wehmut wohlgetan.
Dir aber klemmt getreulich deiner Siege Zahl
Mein Zorn in meinen Arm, zu meiner Schande Mal.»
«Schade für deinen Arm, wenn du das Dutzend Proben»,
Meint er, «einkerben willst von unten bis nach oben.»
«Des hab du keinen Kummer», herrschte sie, «noch Sorgen!
Wolle für deinen eignen Rücken, rat ich, sorgen!»

Zu Babo, dem geliebten, floh sie kläglich hin,
Küßt ihn und herzt und hätschelt und vertändelt ihn:
«Babo, mein süßer Babo, hilf in dieser Not!
Sieh meinen Arm von Blut, die Stirn von Schande rot.
Gefährlich ist der Fremdling, weil er mich begreift,
Mir durch die Augen schaut, mir in die Seele greift.
Schon hat er, wo doch jeder andre ward zuschanden,
Die erste Prüfung, weh uns, siegreich überstanden.
Mir bangt vor seiner seelenkundigen Wissenschaft!»
Babo gab an: «Feingeist geht kaum mit grober Kraft.»

Zwei Kessel schwarzer Kohlen, schwierig von Gewicht,
Drei Männer rückten jeden von der Stelle nicht,
Gebot sie her: «Die sollst du auf den Speicher tragen.»
«Gehorcht!» sprach Hermes. Schrob ein Rad vom nächsten Wagen,
Holt einen Strick und rüstet einen Flaschenzug,
Der flink und glatt die Kessel auf den Speicher trug.
Sie rief: «Das hast du nicht getan mit deiner Kraft.
Der Einfall nur ist dein. Der Hebel hats geschafft.»
«Die Kraft», entgegnet er, «liegt nicht im Keuchen viel
Und Schwitzen, sondern daß man etwas treibt ans Ziel.
Wolle daher ein wenig in den Arm dich beißen
Und wiederum ein ander Werk mich leisten heißen.»
«Du sollst den Stall», beliebte sie, «vom Dünger räumen.»
«Gehorcht!» sprach Hermes, «hohe Herrin, ohne Säumen.»
Und schnell zum Volk herum sich wendend: «Hurtig! Alle!
Und räumet mir den Dünger plötzlich aus dem Stalle!»
Die Fürstin dachte: «Ei, wie soll ich das verstehn?»
Doch als die schmutzige Arbeit vollends war geschehn:
«Der Stall ist nunmehr rein», sprach Hermes, «komm, sieh an!»
«Das hast nicht du, die Knechte haben dirs getan.»
«Das edle Werk dem Herrn, das ruppige dem Knecht.»
«Im Grunde», lachte sie, «im Grunde hast du recht.»
Zu Babo eilte sie, ein Mittel zu verlangen.
«Versuch ihn», riet er, «mit der Rechenkunst zu fangen.»
«Hermes», verlangte sie, «ein trefflicher Verwalter
War Pluton, mein Gemahl, und scharfer Ordnungshalter.
Doch seit der Tod ihn mir entrissen, fehlt der Wirt,
Die Zahlen stimmen nicht, die Bücher sind verwirrt.«
Entdeck den Irrtum und woran und wo es fehlt.»
«Gehorcht», sprach Hermes, «gib! Doch eh ich nachgezählt,
Versammle mir zunächst das sämtliche Gesind,
So die im Acker als im Haus und Hofe sind.»
Als dies geschehen, rief er mit gespieltem Grimme:
«Unselige, vernehmt des Zahlenrichters Stimme!
Aufs Knie, wer einer Fälscherzahl sich hat getraut!
Er melde sich, eh daß ich den Betrug durchschaut.
Zu unsrer Herrin Füßen mög ers frei gestehn.
Verzeihung bürg ich ihm; es gilt für ungeschehn.
Doch wer der Reue sich verstockt, weh ihm, er zittre!
Gar grausam ist die Strafe, die ich für ihn wittre.»
Er riefs. Und kaum daß seine Drohung war gesprochen,
Sah Maja plötzlich sich umkniet, umweint, umkrochen.
Mehr als die Hälfte trafs vom dienenden Gesinde.
Und hundertstimmig scholls: «Sei gnädig, sei gelinde!»
Erstaunt, erschrocken starrte Maja. Endlich: «Dies,
O Hermes», rief sie, «dies verdient den vierten Biß.»
Hermes erklärte: «Freilich, keine Rechnung stimmt,
Ist keine Herrschaft da, die Rechenschaft vernimmt.»

«Babo, so ist denn nichts, was ihm verderblich wird?»
Wehklagte weinend sie, erniedrigt, schamverwirrt.
«Nur eins noch weiß ich», meint er, «was mir rätlich scheint:
Verstand ist selten mit der Tönekunst vereint.
Klarheit und Dunkel ist verschiedner Farbenstil.
Geh hin, Versuchs, verschänd ihn mit dem Saitenspiel.»
Im Haus, mit Wechselreden hielt sie hin den Gast.
Dann, als die Dämmerung der Nacht gewichen fast
Und alter Zeit Erinnrung durch die Fenster schaute,
Entsagte sie der Rede und ergriff die Laute,
Die Töne lenkend, je wie das Gefühl sie trieb,
In düstrer Trauer, dem Gemahl zu Dank und Lieb.
Als sie geendet, hielt sie ihm die Laute zu:
«Jetzt, Hermes», sprach sie, «ich bin müde, spiel jetzt du!»
«Ich höre den Befehl.» Er sprachs, doch übernahm
Die Laute nicht allein, auch ihren Seelengram,
Indem in gleicher Weise, wie sie angefangen,
Die Saiten teilnahmvoll von seiner Hand erklangen.
Doch seine Spielart hatte größre Kraft und Kunst,
Und Form und Maß gestalteten den Stimmungsdunst.
Erst schwieg sie. Dann begann die Wehmut sich zu dehnen,
Und unaufhörlich flossen, flossen ihre Tränen.
Dann plötzlich sprang sie heftig auf: «Was ist denn das?
Kannst du denn alles? Sprich, antworte, sag etwas!»
Hernach sich wieder setzend: «Schwierig zu verstehen
Bist du. Ich kann den Boden deines Blicks nicht sehen.»
Zwei Dutzend Lichte jetzt befahl sie, heiterhelle,
Und einen ausgestopften Fuchs trug sie zur Stelle.
«Was hältst du, Hermes», forschte sie, «antworte mir,
Was hältst du von dem hinterlistigen, falschen Tier?»
«Ich halte», sagt er, «daß es hinter seiner List
Dem Wohl und Weh wie jedes andre pflichtig ist.»
«Das hast du zwar», versetzte sie, «nicht schlecht gesagt.
Doch wisse, daß gespaltner Blick mir nicht behagt.
Was gut und edel ist, das zeigt sich offenbar.
Wer aber mannigdeutig ist, der ist nicht wahr.
Sieh, deine Rede, deine Miene wechselt stündlich,
Und anders bist du außen, anders bist du gründlich.»
«Dann also wär ich, hohe Herrin, gleich wie du.»
«Beweise das», rief sie voll Zorn ihm hitzig zu.
Er sprach: «Mit leichter Mühe mag ich das beweisen.
Denn außen willst du Grausamkeit und Härte weisen,
Doch innen, tief verborgen, keimt ein weicher Kern,
Und schöne Lieb und Güte strahlt der edle Stern.»
Peinlich erglühte sie, von jähem Herzblut rot.
Worauf sie frei, mit großem Blick, die Hand ihm bot:
«Mein Freund, das soll für fünf gelöste Proben zählen.
Ach weh mir! Ach! Was kann ich mehr vor dir verhehlen?»

Danach verharrte sie geraume Zeit im Sinnen
Und blickte bald nach ihm und schaute bald nach innen.
Dann sprach sie leise: «Fern im tiefen Grabeshaus
Hat Pluton ein Gewichtiges vor dir voraus:
Vernimmst du seine heilige, feierliche Stille?»
Er sprach: «Die Stille zu entweihn ist nicht mein Wille.»
Schon ward allmählich ihre stolze Stimme weicher,
Die Rede freundlicher, das Auge gnadenreicher.
Plötzlich begehrte sie: «Was hältst du von der Treue?»
«Armut und Kleinmut», sprach er, «klammern sich an Treue,
Doch großen Mutes Sehnsucht glaubt ans Ewigneue.»
Da schnellte sie, von Ärger überrascht, empor:
«Geht auch, bekenn, aus deinem schnöden Spruch hervor,
Daß je ein Mann ein liebend Weib mit Fug verlasse?
Antworte schnell, damit ich dich gebührend hasse!»
Hermes erwiderte: «Aus meinem Spruch erhellt,
Was wahr ist, obs gefalle oder nicht gefällt.»
«Das war ein Nagel in mein Fleisch! ein giftiger Dorn!
Die Freundschaft ist entzwei, mein Haß beginnt von vorn.
Weh dir und Schmach! Noch bleibt mir eine Doppelprobe,
Mit der ich sicher dich zu fällen kühn mich lobe.
Rück her: zum Halmawettkampf fordr ich dich zuletzt!»
Dann, als sie gegenüber sich zum Tisch gesetzt:
«Nun Obacht, welche Rettung diesmal du ersinnst!
Zum ersten trachte, daß beim Wettspiel du gewinnst,
Dann melde morgen, wo ich diese Nacht gewesen.
Aus dieser Not, Verschmitzter, wirst du nicht genesen.»
Er sprach: «Wer vor der Probe redet, spricht zuviel.»

Nach diesem unternahmen sie das Halmaspiel.
Unredlich spielte Maja und betrügerisch,
Bestritt ihm Zug für Zug und zürnt und zankte frisch.
Doch ungeachtet ihrer falschen Sprüng und Gänge
Schlug er sie aus dem Felde, stetig und gestrenge.
Gezwungen lachte sie, erbittert: «Immerhin!
Ob du beim Spiele siegst, was hast du des Gewinn?
Willst meinen Rat du hören: deine Augen reibe,
Damit du sehest, wo ich heute nacht verbleibe.»
Und als nach stillen Stunden, steif beim Spiel verbracht,
Auf leisen Socken zog herbei die Mitternacht,
Da nickte sie mit beiden Wimpern und entwich
Dem Körper, dank der Seele, die von dannen schlich;
Indes sie mit dem äußern Leibe wie zuvor
Am Tische saß und fingernd Zug um Zug erkor.
Doch Hermes, weil gewarnt von Vorsicht und Verdacht,
Nahm ihrer Wimpern seltsam Nicken wohl in acht,
Und selber mit der Seele aus dem Körper weichend,
Folgt er ihr unvermerkt, auf ihren Spuren schleichend,
Indes er mit dem Körper blieb am Tische dort.

Und über Feld und Anger eilte Maja fort;
Sicher, mit festem Tritt, von Zweifeln unberührt,
Wie wen da Übung leitet und Gewohnheit führt.
Endlich auf einem wilden, schauerlichen Feld,
Von finsterm Wald umgähnt, vom Mondenschein erhellt,
Fiel schluchzend sie zu Boden, schlug sich schuldbewußt,
Mit lauter Stimme sich verklagend, Stirn und Brust:
«O mein Gebieter, den der Räuber Tod mir stahl,
Pluton, mein großer, unvergleichlicher Gemahl,
Ach steh mir bei! Verlaß mich nicht in meinen Nöten!
Hilf mir den Feind in meiner Brust, den schlimmen, töten!
Wisse: ein Fremdling ist an unsern Herd gekommen,
Des schlaue Arglist hat mich Ärmste übernommen,
Daß meine Treue, die ich ewig dir geweiht,
Mich schnöd verrät, da sie nach diesem Fremdling schreit.
Mitleid! Mit deinem Antlitz, Pluton, stärke mich!
Erscheine mir, Erlauchter, offenbare dich!»
Und da er nicht erschien und ringsum Schweigen höhnte,
So tat sie ungebärdig, krümmte sich und stöhnte
Und raufte sich das Haar, verzweifelt, trostberaubt.
Die Segenshände legte Hermes ihr aufs Haupt:
«Die Toten», sagt er, «müssen ihre Wege gehn.
Sie können nicht zu unsern Gunsten auferstehn.
Doch ihre weltentfernte Stimme darfst du hören,
Wenn dus vermagst, die Höllenquellen zu beschwören.»
Und als nun Maja hob ihr Tränenangesicht
Zu ihm empor, erkannte sie sein Antlitz nicht;
Denn jeder Maske bar, vom Körper nicht begrenzt,
Stand Hermes göttlich da, von schönem Licht umglänzt.
«Wer bist du», fragte sie, «des Stimme meinen Wunden
Den Stachel nimmt und läßt vom Giftbrand sie gesunden?»
«Ich heiße Lysios», sagt er, «Liebe leiht mir Kraft.
Mit herzlichem Erbarmen lindr ich Leidenschaft.»
Nach diesen Worten stieß er mit dem Zauberstab
Die Erde. «Lysios meldet sich», rief er hinab.
«Zum Zeichen dessen, daß du Lysios bist», beschied
Von unten eine Stimme, «sing das Totenlied!»
Da öffnet er die Lippen, hob die Brust und schwang
Durch Nacht und Einsamkeit mit dröhnendem Gesang
Ein Lied, das man mit keinem irdischen Maße mißt
Und das, wer einmal es vernommen, nie vergißt.
Und horch! Von abertausend Seelen allzumal
Gab, aus der Tiefe hallend, Antwort ein Choral.
Und Maja, ihren Arm um Lysios' Schulter schlingend,
Sang mit den übrigen, die Tränen niederzwingend.
Und kräftig aus dem abgeklärten Totenchor
Tönt ihrer Herzensstimme gläubiger Ruf hervor.
Jetzt löste sich vom Totenchor ein Mannesmund,
Mächtig und ernst, und tat erstaunt die Frage kund:
«Ich kenne diese Stimme, die den Tod durchdringt:
Maja, die treue Gattin ist es, die da singt.
Warum doch lautet ihre Stimme tränenschwer?
Welch einen Kummer trägt im Busen sie einher?»
Zur Erde stürzte, Plutons Namen schreiend, sie.
Doch Hermes, sie erhebend: «Pluton», rief er, «sieh
Dein edles treues Weib von finsterm Kummer krank,
Denn täglich, stündlich ist sie dein gedenk und dank,
Daß sie zum Leben nicht erstarkt und seinen Sorgen.
Woll einen Trost ihr, eine milde Mahnung borgen!»
Da sprach den milden Segen Pluton wahr und schlicht:
«Du fängst und fesselst doch, geliebte Gattin, nicht
Geschwundne Schatten. Laß den mörderischen Harm!
Du jammerst nimmer meinen kalten Leichnam warm,
Denn Tod und Leben pilgern auf getrennten Pfaden,
Und jedes ist mit seiner eignen Müh beladen.
Soll ich zu meiner, willst dus, deine Last noch tragen?
Kehr um, Geliebte, laß den mutigen Frohsinn tagen
In deinem Herzen und die alten Tränen stille!
Tu also, teures Weib, denn also ist mein Wille.»
Maja vernahms. «Will das dein heilger Wille: ja!
Weh mir! Nimm hin! Sieh mich in Demut folgsam da.»
Worauf sie leisen Fußes schnell nach Hause glitt.
Doch nicht allein, denn Hermes folgt ihr heimlich mit.

Und wieder in den Körper schlüpfend, der indessen
Ruhig daheim am Halmatische dagesessen,
Betrieben sie, als wäre nichts geschehn, das Spiel.
Und immer führte Hermes seine Schar ans Ziel.
Dann aber, als die Tageshelle allgemach
Die Kerzen löschte und die Sonne das Gemach
Freundlich durchstrahlte, reizte spöttisch ihren Gegner
Maja: «Ob auch im Brettspiel schon mein Überlegner,
Weißt du trotz deiner Schlauheit nimmer doch fürwahr,
Was ich getan verwichne Nacht und wo ich war.»
«Erhabne Herrin», sagt er mit gelaßnen Worten,
«Du warst verwichne Nacht an zwei verschiednen Orten.
Zwar außen mit dem Körper bliebst du immer hier,
Wie jetzt am Tische sitzend, gegenüber mir.
Doch selber mit der Seele warst du anderswo.»
Erbleichend sprang sie auf: «Wo war ich, Gauner? Wo?»
Jetzt vor sie tretend: «Sieh mir», heischt er, «ins Gesicht.
Erkennst du Lysios, deinen Freund und Tröster, nicht?»
Sie taumelte, verblitzt, vernichtet. Plötzlich spie
Sie heftig ihm entgegen: «Neinmal nein und nie!
Du bist nur Hermes, mein verruchter Widerpart,
Versteckt und tückisch. Lysios ist von edler Art.»
Da sieh: zum Gotte wuchs jetzt Hermes hoch empor,
Und drohend stieß sein Mund das strenge Wort hervor:
«Er, der in allen Proben ehrlich dich bezwang,
Er, der mit dir das Totenlied im Felde sang,
Der Plutons Höllenstimme vor dein Ohr beschieden,
Der dich vom Trauerleid erlöst und gab dir Frieden,
Er, Hermes-Lysios selber, siehe, steht allhier,
Und ihm zu huldigen befiehlt er, Maja, dir.»
Da starrte sie ihn an. Und wilden Zweikampf stritt
Die Liebe, die sie zog, der Zweifel, den sie litt.
Endlich, ihn klar erkennend, stürzte schreiend sie
Zu seinen Füßen und umarmte seine Knie:
«Lysios, ich segne dich! Hermes, du hast gesiegt!
Sieh deine Magd, die reuig dir zu Füßen liegt;
Die, schuldig, schuldigen Gehorsam dir entbietet,
Mit Land und Leuten, allsoweit ihr Wort gebietet.»
Spießruten holte sie, entblößte ihren Rücken:
«Ach, wollest gnädig meiner Bosheit Strafe zücken!»
Doch Hermes rief: «Die Bosheit, die im Schmerzenswahn
Ein Kranker zeugt, acht ich gelitten, nicht getan.
Die Tränen hab ich, deine Schluchzer gramdurchwühlt,
Die Bisse deines Zornes hab ich nicht gefühlt!»

Dann, durch der Marmorsäule königliche Hallen
Ließ er gebieterisch die Heldenstimme schallen:
«Schmückt eure Herrin mit dem schönsten Feierkleide,
Fröhlich und lieblich, hell von farbenprächtiger Seide!
Mit duftigen Blumen überstreut sie ganz und gar,
Die Königskrone heftet ihr ins Lockenhaar!»
Und jeder staunt und jauchzte, der sie also sah:
«Maja! die Frühlingsgöttin Maja schau ich! Ja!»
Zum andern Male rief er: «Hört, denn ich befehle:
Öffnet die Fenster sämtlich! Lüftet alle Säle!»
Und siehe da: auf jungen Morgenflügeln flogen
Die Jahreszeiten aus, von Lebensmut gewogen;
In allen Gauen grünt und blühte das Erwachen,
Umjubelt von Gesang, umglänzt von frohem Lachen,
Und jauchzend taumelte das Volk auf allen Wegen.
«Nun wollen wir», rief Hermes, «noch den Unrat fegen.»
Bewehren und bewaffnen ließ er alle Mannen,
Die Panzerrosse vor den Königswagen spannen:
«Tritt ein, erhabne Frau, geruh und nimm Besitz.»
Sich selbst als Feldherrn stellt er neben ihren Sitz.
Und nach dem Plutondenkhaus zu den Pfaffenscharen
Ließ er geschwind im kriegerischen Zuge fahren.
Die Pfaffen heulten, hockend auf dem Giebelstein:
«Greuel! Wollt diese heilige Stätte nicht entweihn!»
«Es ist nicht ums Entweihn, ihr Gleisner», rief mit Hohn
Hermes, «es ist um eurer Freveltaten Lohn.»
«Die Heuchelhochburg», rief er harsch zum Volk, «zerschmettert!»
Da ward von 'Roheit' viel gejammert und gezetert.
Und als das Denkhaus war in Trümmer hingestreckt:
«Die Zwinger brechet auf! den Untergrund entdeckt!»
Horch! Eines Kindes Wimmern. Majas Sehnsuchtschrei.
Und Mellon, Plutons Knäblein, zogen sie herbei.
Da ward des Küssens viel und selige Augenweid.
Im Mutterglück genas der Witwe Herzeleid.
Dann Babos und der Pfaffen Folterstrafe heischte
Der Fürstin Mund, der nach gerechter Rache kreischte.
Hermes entgegnete: «Es ist nicht um die Brut.
Doch Foltern schmeckt olympischem Geschmack nicht gut.
Laß jedem zum Gedächtnis schenken einen Tritt
Und jag sie schimpflich aus dem Gau. Genug damit!
Du magst, um nicht zu tief in ihrer Schuld zu bleiben,
Zuvor die Nase ihnen um das Denkmal reiben.»
Also geschah. Und als es war gebracht zu Ende,
Nahm Hermes, heimlich kehrend, nach dem Schloß die Wende.

Und vor das Antlitz Plutons dort, aus Stein errichtet,
Sich stellend: «Rede, Pluton, hab ich recht gerichtet?»
Und mächtig donnerte die Stimme durch den Stein:
«Haja! Welch herrlich Festspiel zum Gedächtnis mein!»
Die Sohlen schnallte Hermes um, ergriff den Stab
Und stahl sich weg. Doch kaum gelangt zum Hof hinab,
Sieh: Maja mit dem Knäblein. «Hermes, eh du scheidest,
Ertrage, daß du noch ein letztes Rätsel leidest:
Was tut, aus tiefster Seelentraurigkeit entkrankt,
Ein Weib dem Manne, dem sie die Erlösung dankt?»
Er lächelte: «Der Wunsch soll mir die Antwort lenken:
Sie mag wohl hin und wieder freundlich sein gedenken.»
«O nein! Sie heißt den Stolz, die Scham, die Würde schweigen
Und gibt mit Lieb und Leib sich selbstlos ihm zu eigen.
Jetzt, wenn du meinen Dank verschmähst, entferne dich!
Du aber, Mellon, heb die Händlein, bitt für mich!»

So sagte sie. Da kehrt er um. Und schön und reich
Erblüht ein junges Glück in Majas Königreich.


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