Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Sechster Gesang
Poseidon mit dem Donner

                            «Nicht Löwen-», rief Poseidon, «Deinotherionslust
Schüttelt mein zottig Herz in der Titanenbrust,
Bedenk ich, was für prächtige Auerkerle zwei
Wir sind, Apollon und ich selber gleicherlei.
Herrlich ergänzt der eine je des andern Art.
Zu glatt, zu weibisch wäre mir die Sonnenfahrt,
Ich brauche Wettersturmluft mit Ozon und Schwefel,
Und eher als zu zahm ertrüg ich etwas Frevel.»
So sprechend wühlt er unterm Zeug im Waffenhaus.
Und Gigas, einen alten Donner, sah er aus,
Von Minos' Zeiten stammend, zwar zum Wolkenknacken
Noch leidlich gut und Hagelheu und Waldverhacken,
Allein der Knall der Flunkerblitze platzte blind,
Und des gewaltigen Lärmens Endewerk war Wind.
Den Donner rafft er, schleift ihn rasselnd hinterdrein.
So zog er durch den staunenden Olymp feldein.

«Holla!» rief lachend aus dem Fenster Zeus, «wohin?
Was hast du mit dem Feuerkolben im Beginn?»
Großartig sprach Poseidon: «Antwort geb ich keine.»
Und stampfte durch Gemüs und Kraut ins Ungemeine.
Den Gigas wägend, tat er einen Probestreich:
Da heulten tausend Regenwolken Sturm zugleich.
Pang! Blitze prasselten. Hüwih! die Luft zerriß,
Und um die Füße stürzt ihm Höllenfinsternis.
Also von Rauch umquirlt, umqualmt von Schwefelschwärze,
Stieg ihm der Geist, und Ungeheures schwang sein Herze.
Er sprach: «Mein Werk muß einzig sein und würdig meiner!
Daß alle Welt erkenne: Ähnliches kann keiner!
Ein Wunder, daß dem Krokodil der Rachen steht,
Dem Wendekreis der Lauf, dem Wind der Schnauf vergeht.»
Kurz etwas Neues, Unerhörtes, das ist klar.
Doch was? Das war ihm minder deutlich offenbar.

Zwei Bauern, Moros und Idiotokles, die wackern,
Sah er im Rübenfeld mit Karst und Spaten ackern.
«Was ist unmöglich?» schrie Poseidon ihnen zu.
Den Kopf erhebend, stellten sie den Karst zur Ruh,
Berieten sich mit Hydrokephalonios hinten:
Die Zeit verstrich, sie konnten keine Antwort finden.
Ein Züglein Handwerksburschen wanderte die Bahn.
«Was ist unmöglich?» herrschte sie Poseidon an.
Aus seinen wilden Mienen schöpften sie Bedenken,
Kniffen das Bein und zogen vor, ins Korn zu schwenken.
Mit Geißlein trippelte des Wegs ein Ziegenhirt.
«Was ist unmöglich?» kam Poseidons Ruf geschwirrt.
Geschwind begann das Büblein überlaut zu krähen:
«Daß Wasser ob sich läuft.» «Oho! das wollt ich sehen!»
Und über Stein und Stoppeln stürmend eilt er jach
Hinüber nach dem Walde zum Forellenbach.
Dort angekommen, mustert er den Wasserlauf:
Stumpfsinnig lief er immer talwärts, nie bergauf.
«Wer ist hier Bachgott?» heischte seine Stimme, «wer?»
«Hier bin ich, Meister!» rauschte Gargaros daher.
«Was läufst du geistlos abwärts, niemals umgekehrt?»
«Weil mirs die Strudelnymphe Achys oben wehrt,
Die unaufhörlich mit den Beinen nach mir stupft,
Mir Tag und Nacht nicht Ruhe läßt, mich abwärts schupft.»
«Laßt mir sofort die Strudelnymphe Achys kommen!»
Mit ehrerbietigem Eifer kam sie angeschwommen.
«Hier, mein Gebieter! Blick auf deine Dienerin.»
«Was soll das, Achys, rede», warf sein Unmut hin,
«Was soll das, daß du Gargaros und seinen Fluß
Mit Beinen plagst, so daß er abwärts flüchten muß?»
«Ach wehe der Bedrängnis!» ächzte Achys, «ach!
Mich pufft der böse Katarrheus vom Trommelbach.»
«Schafft eilends mir zur Stelle Katarrheus den Wicht!»,
Der schickte den Bescheid: «Poseidon kenn ich nicht.»
Laut lachte da Poseidon: «Ei fürwahr! das wäre!
Wer wagts – der Tropf! – und weigert mir Gehör und Ehre?»
Er sprachs, und zähnebleckend protzt er auf im Nu
Waldauf, die Schlucht hinan, dem Trommelbache zu.

«Du dort», begann er, «Deutlichkeit vor allen Dingen!
Willst du gehorchen? Oder muß ich erst dich zwingen?»
Knurrte der Katarrheus: «Wozu willst du mich zwingen?»
Poseidon gab: «Ich will, daß sämtliches Gewässer
Hinfort bachaufwärts fließe. So gefällt mirs besser.»
Und als hohnspöttisch ihm der grobe Katarrheus
Just vor die Nase schoß sein schäumendes Geschneuß,
Schaute Poseidon riesig um sich: «Himmel, merke!
Erde, erheb den Blick! Poseidon geht zu Werke.
Die Wassergötter», herrscht er, «die im Umkreis sind,
Sämtlich herbei mit Nymphen und Gesind und Kind.
Daß sie mit Schöpferkellen, Eimern, Ruderstangen
Das träge Wasser aufwärts scheuchen. Angefangen!»
Und als von tausend Armen nun gepeitscht, geklatscht,
Die Strömung widerwillig kam bachaufgeplatscht,
Entledigte Poseidon sich in Eiferseile
Der hinderlichen Kleider samt dem Donnerkeile,
Stürzt ins Gebäch, lud einen schwappen Wasserturm
Flapp! auf den Arm und lief den Gegner an mit Sturm.
Der Katarrheus fuchszornig ihm zuvor von oben.
Und eine Wasserwut hub an mit Tummeltoben.
Zur Felsenhöhle stieß Poseidons Trotz empor,
Den Feind zurückzuwerfen in sein Ausfallstor.
Doch gleich der Katze, die im Hundeangesicht
Die Augen pflügt und Mund und Nase blutig ficht,
Tanzte der Katarrheus und zischt und faucht und spuckte
Dem blinden Feind ins Antlitz, das sich niesend duckte.
Und Bergdämonen, heimatliche Kampfgenossen,
Nahten mit Kübeln, die sie auf den Fremdling gossen.
Ausgleitend brüllt er: «Schurken, das ist feiges Spiel!»
Als ihn Anankes Knecht Hydraulos überfiel.
Der zerrt ihn an den Füßen, hing sich an sein Knie:
«Abwärts, abwärts, mein Teurer! Aufwärts zwingst dus nie.»
Wie willst dus lieber nennen: Absturz oder Rolle?
Im Graben lag der Deinotheriontatenvolle.

«Ha!» schäumt er. «Zwar der erste Sturm vielleicht mißlang.
Doch euer Fastnachtblecken, Narren, währt nicht lang.
Ich habe da ein Mittelchen im Mordgewehre,
Womit ich euch – was gilts? – das Grinsen leicht verlehre.»
Sprachs und ergriff den Gigas. Klotzigen Rückens starrte
Ein Block im Moos. Den Block erobert er als Warte.
«Jetzt halt dich, Katarrheus!» Ein weiter Keulenschwung,
Und plötzlich knatterte der Blitze Zackensprung.
Aus hundert hohlen Hälsen heult ein einziger Krach:
Zu Staub zerschmettert strich den Schweif der Trommelbach.
«Triumph!» Und also frisch voran mit Donnerschmeißen.
Doch siehe, welche Hinterlist! Was soll das heißen?
Verrat! Statt eines Baches trommeln sieben Bäche.
Und alle schneuzen talwärts ihr Gewässer freche.
«Ech du!» Und ritsch! mit zorneskraftverjüngter Stärke
Oblag sein Riesenarm dem Rachefeuerwerke.
Gleich Schwertgefechten fegten Blitze Strahl auf Strahl,
Und schreiend floh verbrüllte Nacht durchs Höllental.
Da läutets im Gehölz. Geträuf, Geläuf von allen
Gehängen. Von den Halden schwadernd Wasserfallen.
Tümpel, im Grase glucksend, wachsen aus zu Seen,
Die sich umarmen, Quellenwirbelwalzer drehen.
Horch! in den Tannen oben, glaub ich, braust ein Fluß.
«Platz da! Aus Weg!» lärmt eines Wildbachs Flutenschuß.
«Oho», verwehrt ein Bollwerk, spannt den Bauch und dämmt.
Ein Wogenstoß: im Hui gleich Halmen weggeschwemmt.
Sieh dort: ein zweiter Schwall, ein dritter durch die Schlucht!
Und dort! und dort! «Rette, wer kann», kreischt Vogelflucht.
Der Herd bricht auf, die Hügel rutschen schiefe Kreise,
Und alle Welt, leb wohl, begibt sich auf die Reise.
Wohin der Blick sich wendet, eine Flutlawine.
Starräugig staunte, stierverblüfft Poseidons Miene.

«Heda!» Der Block, worauf er stand, begann den Huf
Zu heben. «Still dort unten!» schnob Poseidons Ruf.
Und gab ihm zur Erhärtung einen Fersenstampf.
Da wälzte sich der trotzige Stein im Wasserdampf
Und stiefelte hopp! hopp! zyklopentänzig bocks
Und Stocks den Bach hinab, leichtfüßig wie ein Ochs.
Verschnauft ein Weilchen, Atem schöpfend; plötzlich schlug
Mitsamt dem Reiter, den er nicht um Urlaub frug,
Er halskopfüber. In den Gischt des Strudels fuhr
Der riesige Gott, kein Gott, der Wellen Spielball nur.
Kopfauf, kopfab getaucht, als Eilgut unverpackt
Talab gewürfelt über Fels und Katarakt,
Kam ihm Geruch, Geschmack und Ortgefühl abhanden,
Ein wirbelnd Wassermus, drin Erd und Himmel schwanden.
«Wo ist nun meine Länge?» schmält er, «wo die Breite?
Und was ist meine obre, meine untre Seite?»
Ob diesen Zweifeln lag er plötzlich im Morast.
«Da sitz!» Und weiter wirbelte des Stromes Hast.
«Bist du das?» riet er, «oder bin ichs selber wieder?
Mich wundert bloß, ob alle meine frühern Glieder
Auch mitgekommen sind.» Und als nun seine Hand
Tastend die treuen Freunde sämtlich wiederfand,
Jedes an seinem Platz und, ob auch schmerzend, heil,
Selbst Gigas neben ihm, der traute Donnerkeil,
Ließ er das Wasser meinetwegen abwärts rasen.
«Ich gönn ihms!» Und begann den Gigas anzublasen,
Der etwas qualmt und mottete, vom Bad verkohlt,
Bis daß der Donnerzunder glimmend sich erholt.
«Nach welchem Werk nun weiter mit dem Willen fliegen?
Was meinst, Poseidon?» Mittlerweile blieb er liegen.
«Hier ruht sichs weich, man könnte sich im Bette wähnen.»
Schloß Aug und Ohr und öffnete den Mund zum Gähnen.
Behagen stöhnt aus selbstzufriednem Herzensgrunde,
Und sägend röchelte der Schnarch ihm aus dem Munde.

Im nahen Walde weilt um diese selbe Stunde
Mit ihrer Amme, deren Obhut sie genoß,
Das Töchterchen Elissa des Okeanos,
Des stolzen Meeresfürsten, dem der Ozean
Mit aller Küstenländerei ist untertan.
Halb Kind noch, halber Jüngferlein: geht hin, entscheidet.
Im Wald, am Bache weilte sie, zum Bad entkleidet.
Noch hatte sie, vom kalten Quellenhauch entsetzt,
Die furchtsam vorgestreckte Zehe nicht benetzt,
Da horch! welch seltsam schauerliches Flutentoben
Und Schloßentosen über sich im Schluchtwald oben.
Die Amme zeterte. Die Frist war doch zu kurz:
Im Fliehen überraschte sie der Wogensturz.
«Weh uns!» Die links, die rechts. Elissens Füßefliegen
Trug blitzschnell sie bergauf. «Wo bin ich?» Weh! Verstiegen!
Kein Ruf erreichte die gewohnte Amme mehr.
Und schwarze Waldesaugen lauerten umher.
Verstummt der Wassersturm, und ihre irre Reise
– Wie ging das zu? – bewegte endlos sich im Kreise.
«Führt denn kein Laut, kein Licht aus diesem Grab hervor?»
Schrie sie mit heißen Tränen, spannend Aug und Ohr.
Umsonst. Da hörte sie von ungefähr das Schnarchen
Und Riesentraumgestöhn des schlafenden Hydrarchen.
Erst warf sie rasch den Leib herum, zur Flucht geschnellt.
«Getrost! So selig schnauft kein Raubtier in der Welt.»
Die Neugier zischelt ihr ins Herz. Und auf den Zehen
Schlich sie hinzu, welch Unding wäre wohl zu sehen.
Und siehe da: umschwelt vom Donnermottenfeuer,
Der zottige Gott, das königliche Ungeheuer.
Solch ein erstaunlich Schaustück schien dem Kinde das,
Daß ihre Einfalt Furcht und Schüchternheit vergaß
Und großen Auges gaffend, sachte, Tritt für Tritt,
Dem wunderlichen Riesen nah und näher glitt.
Jetzt stand sie über ihm, nicht ahnend die Gefahr.
Wars Zufall? Oder nahm sein Ohr ein Rascheln wahr?
Er schlug die Augen beide auf. «Hahum! Hahaum!»
Ein Löwensprung, ein Griff. Mit Not entglitt sie kaum.
Sinnlos vor Schrecken, stürzte sie den Wald hinab.
Er nach, mit Nachtigallgeseufz im Bärentrab.
«Was fliehst du mich, du süßes Vögelein? Halt ein!»
Ob seiner Stimme fuhr die Angst ihr durchs Gebein.

Und eine atemlose Jagd erfolgte jetzt.
Gleich einem Reh, vom Bracken durch den Forst gehetzt,
Entschnellte die Behende, pfeilgerecht gradaus
Zumeist, dann plötzlich wendend in ein Nebenhaus.
Es hofft ihr Blick: «Dies Dickicht wird mich decken.» Husch!
Schlüpfte sie schlangengleich behende durch den Busch.
Es schrie ihr klopfend Herz: «Vielleicht, daß List mich rette.»
Und wechselte die Ufer längs dem Bachesbette.
Doch wenig dient ihr Schnelligkeit und List zum Heile,
Denn, weit ausholend mit dem wuchtigen Donnerkeile,
In schwerer Wolkenstürze rollendem Gewitter
Hieb der Verfolger hinter ihr den Wald in Splitter,
So daß er, wo sein Blick die Fliehende erspähte,
Sich kurz und bündig eine Gasse zu ihr mähte.
Sie rief: «Ist keine Höhle denn, worin mich hehlen?
Kein Winkelzug noch Labyrinth, wodurch mich stehlen?»
Doch ihrer Schultern Schein, der Schenkel lichter Schimmer,
Des blonden Vlieses sonniger Schweif verriet sie immer.
Gleich wie den Wohlgeschmack, der ihn der Hundenase
Verzeigt, bitter verwünscht der jagdgehetzte Hase
Und sucht verzweifelt sein unseliges Arom
Im Winde zu verwischen oder Wasserstrom,
Also verschwor sie ihrer Schönheit Glanz, des Funkeln
Dem Feinde leuchtete, ein Stern im Waldesdunkeln,
Umsonst bemüht, zu bergen mit den schmalen Händen,
Der Wangen Rosen jetzt und jetzt den Schnee der Lenden.
Torheit! Mag auch ein Sonnenstrahl sich selbst verhüllen?
Kann wer des Feuers Flammenmund mit Schatten füllen?
Wer, meinst du, siegt zuletzt im Dauerlauf? Die Gier
Oder die Angst? Näher und näher droht er ihr.
Verbraucht ist schon die Kraft der feinen Flechsen fast,
Der Atem ächzt nach Ruh, die Eile flattert Hast.
Vertrauert lischt ihr Auge, draus die Hoffnung schwand –
Da schau: ein Tor im Wald. Durchs Tor der Meeresstrand,
Von Wellenzorn umbrandet. Heimat! Rettung! Mut!
Und lächelnd glitt Elissa durch die salzige Flut.
Der Spott ist billig in der Welt. Wozu ihn schonen?
Von allen Seiten nahten höhnische Tritonen,
Im Reitersitze auf den Wellenpferden schaukelnd
Und spöttische Zeichen vor Poseidons Nase gaukelnd.
Meernymphen, die den Sinn des Vorgangs schnell begriffen,
Ermunterten das Possenspiel mit Muschelpfiffen.
Und als Poseidon, der Bewundrung zwar vertrug,
Doch nicht den Spott, den Donner nach dem Meervolk schlug,
O Fluch der Schande! Welche Überraschung da
Ihm von Okeanos, dem Meeresherrn, geschah!
Ein Gegendonner schnurrt ihm ins Gesicht von drüben,
Zehnmal gewaltger, als er selber mocht ihn üben.
Und auf der Wetterwand mit Blitzesfunkenschrift
Ward flammend ihm der scharfe Warnungsspruch zur Gift:
«Zurück! Unhold! entarteter Titanensproß!
Elissa scheu, die Tochter des Okeanos!»
Verblüfft, mit offnem Munde stand Poseidon. «Was?
Ein andrer wagts und donnert? Kann er? Darf er das?
Da packt ein kräftiger Wasserarm ihn rund ums Bein,
Hob mannshoch ihn empor und schleudert ihn waldein.

Jetzt aber, unglückselig Weltmeer, halte dich!
Okeanos, gedenk ich dein, so schaudert mich.
Siehst du Poseidon nicht mit unheilschwangrem Schweigen
Entschlossen auf die Uferklippe Ketos steigen?
Zum Lagern legt er langsam sich zu Boden hier.
Und ähnlich wie im Alpgebirg der Bullenstier
Mit scheelem Blick beharrlich so bei Tag und Nacht
Das dünne Weidenbäumchen allezeit bewacht,
Darauf der Wandrer, dem die Angst vom Halse schwitzt,
Mühsam mit krummgezognen Beinen zitternd sitzt,
Und läßt nicht ab, vertrauend, daß geduldger Tücke
Schließlich zum Lohn der aufgesparte Hornstoß glücke:
Also belagerte den stolzen Ozean
Poseidons zäher Rachedurst und Liebeswahn.
Seht hin! Die Adern strotzen, rot vor Zorn geschwollen.
Die Augen rädern hin und her, drin Pläne rollen.
Das ist nicht unvernünftigen Wütens Raserei,
Die mit der Stimme lärmt, doch ist kein Mark dabei;
Kein taubes Wortgefuchtel und Gebärdeschwenken:
Hier kocht ein fürchterliches, todgebeiztes Denken.
Schon runzelt krankhaft er die Stirn in Geisteswehen.
Weh mir! Er knirscht, er lacht, er fingert an den Zehen.
Darob verging dem Meeresjungfernvolk der Hohn.
Und in den sandigen Schlamm vergrub sich der Triton.
Unwissend, welchen Rettich der Gewaltige nagte,
War niemand, der sich mehr ans Meeresufer wagte.

Chelonidas den Herold aber rief ins Schloß
Und sandte grimmig gen Olymp Okeanos.
«Sind das nun», schmält er, «schön so! im Olymp dort oben
Der neugebacknen Königswirtschaft erste Proben?
Wo steckt denn Zeus? Ists unter seinem Schutz erlaubt,
Daß, wer da nur begehrt, vom Weg sich Jungfern raubt?
Soll wohl das Kind Okeanos' des Meeresfürsten
Das Opfer sein für jedes Strauchgotts Liebesdürsten?
‹'s ist zart, 's ist jung! Greif zu! Gefällig? Schmeckt der Schmaus?›
Hält man mein Fürstenschloß denn für ein Lotterhaus?,
Sind auf dem schlüpfrigen Olymp, dem Lasterpfuhle,
Nicht Lüstlein überviel für jedermanns Gebuhle?
Was braucht ihr obendrein nach Erden abzuschweifen,
Wüstlinge, die ihr seid, und Fräulein anzugreifen?
Und nicht genug damit: er pflanzt sich vor mein Meer,
Den Handel hindernd und den friedlichen Verkehr,
Daß meilenrund, soweit die Klippe Ketos ragt,
Sich weder Bein noch Kieme mehr ans Ufer wagt!
Geh hin und sage, daß ich bitter mich beschwere,
Von Zeus verlangend, daß er stracks Poseidon wehre.
Wünscht er, wir sollen ihm Gehör und Ehrfurcht zollen,
So muß er selbst Gesetz und Sitte schirmen wollen.»
So schalt Okeanos, der Herr der Meerespforten,
Erregt. Der Herold ging und sprach mit seinen Worten.
Doch Zeus verzog die Lippen: «Flüssige Geschichten!
In Liebeshändel steck ich meine Hand mitnichten.»
«So?» rief Okeanos, die Brauen kneifend, «so?
Gut denn! Hab Dank, o Zeus: im Grunde bin ich froh.
Der Herr fühlt sich zu hoch? Den Herrn geht das nicht an?
Auch gut! So schlicht ich selbst auf eigne Faust den Span.
Was gilts? Ich werde jedem die Versuchung wehren,
Die Tochter Amphitritens lüsternd zu begehren
Oder auch nur mit einem Blicklein anzurühren.
Wer das nicht früher weiß, jenun, der mag es spüren.»

Es riefs der Meeresfürst, Okeanos der Große.
Und einen Käfig, schwimmend über einem Floße,
Von Eisen stark und fest, ein Kerker anzuschauen,
Verwahrt mit Schloß und Riegel, ließ er sputig bauen.
Als dies geschehen, schickt er längs der Meeresküste
Eilboten um: «Spürt einer liebliches Gelüste,
Elissa, meine Tochter, heimzuführen, dreist!
Die einzige Bedingung, die ich stelle, heißt,
Daß er Poseidon mir in diesen Käfig zwinge.
Wie? Das ist seine Kunst. Er sehe, wies gelinge.
Ich trage nämlich nicht das mindeste Bedenken,
Den zottigen Scheuel schlank im Schlamme zu ertränken,
In einen Sack gebunden, zwischen einem Schwein
Und einem Grunzochs, selbst der Unflat mittendrein.»

So lautete der Aufruf. Und vom leckern Preise
Gelockt, erschien aus tausend Grotten scharenweise
Die junge Heldenschaft, auf Muscheln mancherlei
Und Panzerkrebsen, eine stolze Reiterei,
Die Fischerzinken zückend, schwingend Netz und Hamen.
Doch wie sie fuchtelnd nun Poseidon nahe kamen,
Geschah durch Zufall, daß der Schreckliche ums Ohr,
Allwo ihn juckte, schnellen Griffs die Finger schor.
Jetzt gleich wie wenn um Mittag, frei der Wächtersorgen,
Der treue Hund, die Schnauze unterm Knie verborgen,
Harmlosen Schlummers sich erfreut der Sonnenwärme
Und seinen Leib umsurren schwarze Fliegenschwärme,
Lüstern nach einer Blöße spähend oder Ritze,
Darein zu bohren ihres Rüssels Stachelspitze,
Doch kaum daß sich den Hals zu kratzen ihm beliebt,
Als auch der ganze Mückenchor von dannen stiebt:
Also die Meereshelden. Kaum Bewegung brauchte
Der Arm des Schrecklichen, als alles untertauchte.

Da warst es du, Okeanos, des Heldenmut
Beglaubigte das königliche Fürstenblut.
«Langt mir den Panzer! Schnell den Helm, den Schild gereicht!»
Und fest, von Amphitritens Tränen unerweicht
Und Bitten, schritt, ein Held, den Blitzstrahl in der Hand,
Er von der Marmortreppe nach dem heftigen Strand.
Woselbst, als sie den Herrn des Ozeans zum Streit
Gerüstet sahn und seinen Blitzstrahl schußbereit,
Die aufgeregten Wellen, wedelnd mit den Schwänzen,
Ihm nach dem Munde sprangen in verwegnen Tänzen,
Gleich gierigen Rüden, wenn den Anbeginn der Jagd
Des Jägers blank Gewehr den Winselnden besagt.
Die Völker hemmten ihn, umschlangen seine Knie;
«Schone dein unersetzlich Leben!» flehten sie.
Von Mahnungen betäubt, mit Weisheit übergossen,
Stand er ohnmächtig da, gefangen, eingeschlossen.

Sieh, da erschien Proteus als Helfer in der Not,
Der Meergreis, der dem König diesen Rat entbot:
«Je mehr, Okeanos, ich blick Poseidon an,
Wird mir gewiß: er leidet am Icheinzigwahn.
Ein solcher ist ein Riese zwar an Blast zumeist,
Doch minder als der Schwulst belästigt ihn der Geist.
Freiwillig, hoff ich, schlüpft er in des Käfigs Falle.
Indes ich selbst zum Werke schreite, wollet alle
Zum Austernteich der höchsten Göttin Dummheit treten
Und um Gelingen meines frommen Anschlags beten.»
Und während alle Welt zum Austernteiche trat
Und vor der höchsten Göttin Dummheit Buße tat,
Ließ Proteus, rittlings auf das Käfigdach gesetzt,
Sich hurtig nach der Klippe Ketos rudern jetzt,
Schwang eine Küchenglocke, schrill von Ton und gell,
Und krähte unter unaufhörlichem Geschell:
«Ob einer noch so stark sich fühlt und kräftig einer,
In diesen Käfig kann er nicht. Nein, das kann keiner!»
Kaum daß Poseidon hörte das vermeßne Wort,
So sprang er von der Klippe, platsch, ins Meer sofort:
«Wer wagts? Wer sagts? Wie? Wo? Was könnt ich nicht, du Wicht?»
«In diesen Käfig», sprach der Schlaue, «kannst du nicht.»
«Das wäre! Ha! die Wette sollst du, Lump, verlieren.»
Und schnaubend in den Käfig kroch er auf den vieren.
Proteus mit schnellem Griffe schnepperte die Falle.
«Ich hab ihn!» lärmt er mit vergnügtem Glockenschalle.
Und ob auch gleich dem Tiger, dem ein Rasselblech,
Im Schweif verknotet, ewig trommelt ums Gemäch,
Der schnöd Gefangne brüllend längs den Wänden tobte,
Dem Weltall Krieg, dem Feinde blutgen Haß gelobte,
Beteuernd, daß er alle Götter, Krebs und Fische
Des Meers auffressen werde, wenn er sie erwische,
Und mit dem Gigas, den er durch das Gitter hieb,
Die Enten tötete und Sturm und Unfug trieb,
So wagte nun das Meervolk mit Triumphgeschrei
In hellen Haufen nach dem Floße sich herbei,
Tritonen, Nymphen, Nereiden um die Wette.
Und der am Stricke ziehend, jener eine Kette
Ergreifend, schleppten sie, stets munterer voran,
Quer übers Wasser durch den breiten Ozean
Das Fahrzeug jenseits nach des Hafens Wasserturm,
Wo sie verankerten den tollen Käfigsturm.
Dann aber flohen sie geschwind und gaben Raum,
Weil jetzt der Wütende der Brandung Wellenschaum
Unsinnig brüllend braute mit dem Gigasblitze,
Daß das Gewoge tanzte bis zur Turmesspitze.
Doch um den Fischplatz wandelt ein Trompeterchor,
Der spielte dem Erbosten Siegesmärsche vor.

Schmunzelnd zum Könige die eiligen Schritte trieb
Proteus: «Mit deinem Urteil nimmt er jetzt vorlieb.
Beschließe frei! Poseidon ist in deiner Hand.»
Des zum Beweise führt er ihn hinab zum Strand.
Schon waren sie dem Wasserturme gänzlich nah –
O dieser Schreck, der jetzt Okeanos geschah!
Den Proteus an der Achsel packend, schrie er: «Du!
So sieh doch hin! Der Käfig ist ja gar nicht zu!
Wenn er, statt an den Wänden blindlings und verrückt
Herumzutoben, einfach nur ans Pförtchen drückt,
So ist er frei! Zehn Sprünge dann, und im Palast
Hab ich das nackte zottige Ungetüm zu Gast!
Nicht daß vor ihm mir bangte. Weit entfernt, bewahr!
Den wollt ich kurzerhand bemeistern, leichtlich gar.
Doch seines Anblicks Greuel! Ach mein schuldlos Kind,
Des Augen reiner als das Blau des Himmels sind!
Und des Gefühle ängstlicher als Tauben beben!
Es würde dieses Schauspiel niemals überleben.
Dein ist die Torentat, du schuldest deine Hilfe.
Wetz deinen Witz, schaff eine Rettung aus dem Schilfe!»
Stumm nach dem Käfig stierte Proteus schreckerstarrt
Und kratzte sich im Haar und zupfte seinen Bart.
«Willst du, erhabner Herr, mir nur die Hand nicht lähmen»,
Begann er endlich, «mag ich die Gefahr bezähmen.
Zwar wird es unsern Ruf im Weltall schwerlich adeln.
Ein Sittenrichter, fürcht ich, würde hart mich tadeln.
Weißt du: was dem Poseidon Leid und Nöte schafft
Und ihm den Zorn entzündet, ist die Überkraft.
Gönn ihm der Liebe Balsamtrost, so wird der Wilde
– Verlaß dich drauf! – urplötzlich wundersanft und milde.
Obs just Elissa oder eine andre sei,
Ist ihm im Grund, vermut ich, ziemlich einerlei.
Darum gewähr ihm, rat ich, an Elissens Statt
Eine der Nymphen, deren es die Menge hat,
Auf daß sie lieblich heile den Gesundheitskranken.
Versöhnt und friedlich wird er alsdann heimwärts wanken.»
Verlegen schwieg Okeanos, der seitwärts blickte,
Worauf sich Proteus ungesäumt zum Werke schickte.

Durch einen staatlichen Gesandten, den er rief,
Erließ er an die Meeresvölker diesen Brief:
«Erlauchte Meeresnymphen, edle Nereiden!
Ist eine unter euch, die für den Landesfrieden
Und für Elissens Heil es über sich vermag,
Daß sie dem Feinde sich in Liebe opfern mag,
Die finde sich am Morgen früh am Hafen ein.
Der Dankeslohn des Königs wird ihr sicher sein.»
Als diese Botschaft durch das Meervolk kam gegangen,
Ward mit Erstaunen und Entrüstung sie empfangen.
Die lange Nacht geschah ein Murren in der Runde,
Und Tadel und Verwünschung flog aus manchem Munde.
Indes die Nymphen selber und die jungen Frauen
Die Hände rangen überm Kopf vor Scham und Grauen.
Doch als am Hafen morgens nach dem Wehgeschrei
Proteus erwahren ging, ob eine willens sei,
Sieh, welch ein heilig Wunder, andachtvoll zu schauen:
In edlem Wettstreit standen Hunderte von Frauen
Bereit zum frommen Opfer, schluchzend bitterlich,
Und stürzten ihm zu Füßen: «Mich, o Proteus! mich!»
Erschüttert sprach der Greis: «An solche Seelenleiden
Wag ich mich nicht. Hier darf allein das Los entscheiden.»
Und welche Jungfer durch das Los erkoren war,
Die führt am Abend spät er dem Poseidon dar.
Und pünktlich, wie er vorgesehen, so geschah.
Urplötzlich war gestillt Poseidons Tobsucht da.
Und auch am nächsten Morgen, als die Nacht entwich
Und aus dem Käfig sich die Nymphe dannen schlich,
Kam jenen Tag nichts andres aus Poseidons Arche
Als eines seligen Schlummers friedliches Geschnarche.
Und also bis zum Abend. Abends aber schrie
Und wütete der Wilde greulicher als nie.
Proteus beruhigte den König: «Nun, ei nun,
Um eine zweite Nymphe ist es halt zu tun!»
Hochherzig fügte sich zum vaterländischen Schritte
Die zweite; an die zweite reihte sich die dritte.
Und also weiter, wie das Los entschied: die vierte,
Hernach die fünfte; keine, die sich sträubt und zierte.

Doch Titis sprach zu sich, die greise Meeresmuhme:
«Ei wie! Gehört denn Heldensinn zum Eigentume
Der Jugend? Ist der Tatendurst ihr vorbehalten?
Kann Adel je verjähren? Tugend je veralten?»
So meinte sie. Und als sie festlich sich geschmückt:
«Hier bin ich, Proteus», rief sie opfermutbeglückt.
Ehrfürchtig wehrte Proteus: «Niemals, Titis! Nicht!
Bei deinem Rang! bei deinem fürstlichen Gewicht!
Zu kostbar, zu erhaben giltst du mir für ihn.»
Sie fügte sich. Doch hat sies Proteus nie verziehn.

An fünfzig Nereiden waren schon verbraucht,
Poseidons Liebesfeuer war noch nicht verraucht.
Und staunend schauten Proteus sich und Okean
Mit hochgezognen Augenbrauen fragend an.
Zur selben Zeit im keuschen Schlafgemach indessen
Hielt hinterm Fenstersims Elissa traumvergessen.
Ein wundersames Rätsel, schier unglaublich gar,
Bot ihrem Blick sich von Poseidons Zwinger dar:
Wehklagend tauchten Nacht für Nacht die Nereiden
Durchs Pförtlein. Morgens, wenn sie aus dem Käfig schieden,
So guckten sie vergnügt und schnalzten mit den Zungen
Wie die Forellen, wenn der Käferfang gelungen.
«Wie soll ich das erklären?» Wißgier wurde wach.
Und unaufhörlich diesem Rätsel sinnend nach,
Erschien sie eines Tages um des Morgens Mitte
Gesenkten Blicks vor ihrer Mutter Amphitrite.
Verschämt, mit rosigen Wangen stand sie züchtig da.
«Poseidon wünsch ich zum Gemahle. Eja! Na!»
Drob kreischt am Hof Okeanos' ein gell Entsetzen.
Und alles lief, dem Kinde den Verstand zu wetzen.
Man schrie, man schalt, verschwor, verstieß die Ungefüge.
Das Mägdlein sagte 'na' – sie meinte, das genüge.
Was nützen Strafen, helfen Bitten, Bott und Bill,
Wenn einmal stotz und trotz ein Maidlein einen will?
Sie gab sich nicht auf Gründe, sagte einfach 'na'.
Die Eltern tobten 'nein' und seufzten schließlich 'ja'.
«Doch bangt dir vor dem Unhold nicht, du Feine, Schlanke?»
Elissa lachte: «O bewahre, kein Gedanke!»

So ward Poseidon denn zum Eidam angenommen,
Und huldvoll hieß die Meeresgottschaft ihn willkommen.
Verschwägert und versippt, veronkelt und vervettert,
Hatte sein Übermut bald gründlich ausgewettert.
Denn schuppenweise nahten ihm die Anverwandten,
Die plötzlich – weh mir! – ihren Lehrberuf erkannten,
Ihn weisend, wie man schwimmt, wie man sich hält und blickt,
Kurz alles, wie sichs für den Meereseidam schickt.
Der sprach: «Nicht also!» Jener sagte: «Also nicht!»
Doch einfach lacht ihn aus Elissens Blondgesicht.
Bis endlich mit Ergebung sich beschied der Kühne,
In jedem Ding zu halten Maß und Sophrosyne.
Sein Donner aber ward versteckt in eine Truhe.
So kam Poseidons Auertatentum zur Ruhe.


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