Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Siebenter Gesang
Verrat

                    Inzwischen standen Heras Haus und Hallen leer.
Und nur des Schicksals Füße schlichen leis umher.
Doch durch den stillen Schloßwald, wo allein das Hämmern
Des Spechtes ward gehört und durch der Tannen Dämmern
Das Licht in goldnen Trauben drang vereinzelt nur,
Zog Zeus gesenkten Hauptes die Gedankenspur.
Sein äußer Ohr vernahm des Spechtes warnend Picken,
Doch tief im Herzen hört er die Versuchung ticken.
Denn um die königliche Burg im Näherkreisen
Trieb ihn die Habgier auf verstohlenen Geleisen.
Den Blick beharrlich heftend auf das blanke Dach,
Schlich er, gedeckt vom Busch, dem Inselgraben nach.
Bis daß er endlich, spähend durch des Laubes Lücke,
Sah überm Abgrund eines schmalen Grates Brücke.
Doch auf des schwindelhaften Grates erstem Sprung
Tobt ein Gigant mit Wutgebrüll und Keulenschwung.
Dann folgends, lauernd auf des Grates zweitem Satze
Lag eine falsche Sphinx, bewegend Schweif und Tatze.
Zum letzten aber aus des Schlosses Gittertor
Lugt eine sanfte Hindin unverwandt hervor.
Mit großen Kinderaugen sah sie einen an:
«Zurück!» enthielt ihr Blick, «das ist nicht wohlgetan.»

Verborgen hinterm Buschwerk unbeweglich stand
Der arge Zeus, den gierigen Blick zum Grat gewandt.
Die Sünde schreckt ihn nicht, der Frevel dünkt ihn tätlich,
Allein des Weges Wagnis schien dem Fuß nicht rätlich.
Und möcht ihm auch des Grates Übergang geschehen,
Den Kinderaugen traut er nicht zu widerstehen.
«Was sinnst du?» raunte flüsternd eines Weibes Stimme,
«Arglistiger Zeus? Und was begehrt dein Herz, das schlimme?
Und auf der Schulter lag ihm eine sichre Hand.
Wer da? Ein Blick, und sieh: an seiner Seite stand,
An einen Baum gelehnt, ein ungewöhnlich Weib.
Wie kalter Schlangenodem kams von ihrem Leib,
Verführung schillerte von ihren straffen Brüsten,
Und durch die Wimpern schrie ein höllisches Gelüsten.
«Hinweg, verruchter Dämon!» stieß sein Mund hervor,
Und seine Stimme zitterte, sein Blut gefror.
«Willst du», betonte sie, «erwäge meine Worte,
Den Grat gewinnen und den Einlaß durch die Pforte?
Willst du, sag an, von Ruhm umstrahlt, in Prunk und Pracht
Die Burg besitzen und die königliche Macht,
Gebietend über den Olymp und über Erden?
Ich harre deiner Antwort. Sprich, so soll dirs werden.»
Gluthitze überfiel ihn, drauf ein eisig Schaudern.
«Greif zu!» jauchzte die Gier. Entsetzen ließ ihn zaudern.
«Willst du, o Zeus», führte das Weib die Frage fort,
«Willst du, merk auf – es ist des Schicksals letztes Wort –
Willst du, die dich gekränkt, die stolze Königin,
Die dir Beschimpfung warf vor allem Volke hin,
Barhaupt, barfuß im Staube vor dir knieen sehn,
Um gnädgen Schutz dich bitten und um Obdach flehn?»
«Fürwahr, das will ich!» braust er heftig auf. Dann leise:
«Doch welches Tauschgeld», zagt er, «setzest du zum Preise?»
Sie sprach: «Dies ist der Preis und dies das Geld zum Tausche:
Daß du mein Buhle seist im blinden Liebesrausche
Und unterwürfiger Knecht, mit Leib und Seel mein eigen,
Und was ich stets belieben mag: gehorchen, schweigen.»
«Ists Wahrheit, was du mir verheißest, sicherlich?
Und was ist deine Macht? Und wie verbürgst du dich?»
«Bürgschaft verlange», sagte sie, «von Gorgo nicht.
Befehle sinds, nicht Gnaden, die mein Mund verspricht.
Hier steh ich. Sieh mich an! Verwirf mich oder glaube!
Nun komm, daß ich dir Ruh und Glück und Frieden raube.»
Sie sprachs. Er stürzt ihr nach, erfaßt vom Ruhmesrausche.
Und Glück und Frieden warf er hin in großem Tausche.

Und wie er abermals am Inselgraben stand,
Wies sie zum Schloß und Brückengrat mit ruhiger Hand:
«Das Schicksal hat gezielt, die Absicht hat getroffen:
Dem König von Olymp stehn Tor und Türen offen.
Hinan, erhabner Zeus, zum höchsten Weltenturm!»
Da packt ihn Taumel, und in wagetollem Sturm
Ersprang er jetzt des schwindelhaften Grates Kante.
Und siehe da, der keulenschwingende Gigante
Sprang brüllend vor mit einem Riesengegensatz,
Senkte die Keule, schmunzelte und räumte Platz.
Jetzt mit erhobner Tatze züngelte die Sphinx
Und leckte Zeus die Füße, knurrend allerdings.
Doch wie er schon gewonnen schier das Gittertor,
Schob durch das Gitter Aix, die Hindin, sich hervor
Und sah mit ihren Kinderaugen groß ihn an:
«O Zeus, kehr um! kehr um! Das ist nicht wohlgetan.»
Reumütig wandt er sich. Da schreckt ihn mit Geheule
Der Zahn der Sphinx und der Gigantenschwung der Keule.
Verzweifelnd schwankt er, bang gewärtig seines Falls.
Da sieh: ein Täflein, hangend um der Hindin Hals.
Drauf stand mit Flammenschrift geschrieben: «Töte mich.»
Er tats, obgleich mit Grausen, schauend hinter sich.
Und wieder sprach zu ihm die Schrift: «Enthäute mich.»
Unwillig tat ers, doch vollzogs geflissentlich.
«Als Mantel brauche», rief das Täflein, «meine Haut,
So wirst du jeden schrecken, der die Aigis schaut.»
Und als er schließlich diese Vorkehr auch getroffen,
Sprang auf die Tür, und alle Pforten klafften offen.

Und also stieg er blutig jetzt und sündenschwer
Treppan die königliche Burg, verwaist und leer.
Wohin er trat, nur stiller Kammern stumme Grüße,
Und drohend donnerte der Hall der frevlen Füße.
In einem staubigen Saale gähnt ein alter Thron.
«Das also», sann er, «ist des Lebens höchster Lohn.»
Hier schliefen Kron und Mantel, die er gierig faßte.
Und sieh, der Mantel saß ihm, und die Krone paßte.
Das Zepter wog er und behändigte das Siegel.
Doch wie sein Blick durch Zufall traf den Fensterspiegel,
Schwirrte das Erdenleben, wies dem Menschen wird,
Vorüber durch den Spiegel, planlos und verwirrt.
Und also stetig steigend, kam er nach und nach
Durch eine Luke auf des Schlosses Zinnendach.
Da lag vor seinem Aug die unbegrenzte Welt
Tief ihm zu Füßen, seiner Prüfung unterstellt.
Aufmerksam machte sein enttäuschter Blick die Runde,
Und seufzend ging das Urteil endlich ihm vom Munde:
«Wie ists doch auf dem Weltendach so kalt und schaurig!
Und sieh, der Hauch der Erde schmeckt so herb und traurig.»

Doch während er so einsam zwischen Erd und Himmel
Sinnend betrachtete das weltliche Gewimmel,
Das Windessausen und der Wolken weichen Flug
Und Stadt und Länder und der Berg und Flüsse Zug
Und der Geschöpfe Hast, der Menschen Lauf und Kauf,
Zeigte von unten her ein Finger zu ihm auf.
Und an sein grausend Ohr gelangt ein fernes Klagen:
«Was will, o Zeus, was will der Erdenlauf besagen?»
Und lauter immer wälzte sich die Frage fort.
«Halt stand, Gebieter! Stehe den Geschöpfen Wort!»
Ein Wildbach, plötzlich überflutend Wehr und Damm,
Toste der Notschrei um des Götterberges Stamm.
Verzweiflung hetzte, Wut und Jammer liefen Sturm.
Und all das Elend stürzt empor zum Weltenturm.
Bereits erklettern sie die Burg. Die Zinnenwehr
Wird siegreich überstiegen. Auf dem Dach nunmehr
Fällt mit Triumphgeheul das wilde Bettlerheer
Flehend und fluchend um den Weltenkönig her,
Bestrebt, mit heftigem Ärmelzupfen, Griffen, Stößen
Ihm Aufschluß abzutrotzen, Mitleid einzuflößen.
«Wir halten dich, du kannst die Antwort nicht vertagen:
Warum? Wozu? Was will der Erdenlauf besagen?»

Das Ohr verhielt er und verhüllte das Gesicht.
Der Bettelsturm ward dringender und ließ ihn nicht.
Und als er unversehens jetzt mit jähem Rucke
Sich losriß, treppwärts zu entfliehen durch die Luke,
Prallt er zurück vor eines Anblicks Widerstoß:
Denn aus der Luke tauchte Gorgo streng und groß.
Winselnd vom Dache fiel enttäuscht der Bettlerschwarm.
Doch Gorgo packte harten Griffs des Neulings Arm:
«Man kauft, erhabner Zeus, die Herrschaft nicht im Stück,
Und auf der Weltenhöhe gibt es kein Zurück.
Betrachte die Aigide, merke, welche Last
Du unabschüttelbar auf deinen Schultern hast.»
Er tats. Sieh da, die Aigis blutete und lebte.
Entsetzt schwang er den Arm, sich zu befrein: sie klebte.
«Weh mir!» Verzweifelnd fiel er zu der Göttin Füßen:
«So also», klagt er, «läßt du deine Diener büßen!»
Ein Siegel nahm sie, prägt ein Mal ihm auf die Stirn:
«Hell strahlt, doch nicht erwärmt des Ruhmes frostiger Firn.
Erhabner Zeus, zur Größe bist du nun verdammt.
Dir sprießt kein Glück, es sei, daß es von Ewland stammt.»
Sie sprachs und wandte sich. Doch von des Siegels Macht
Ward eines fremden Mutes Odem ihm entfacht.
Aufspringend, hochgerichtet, seine Arme weit
Ausbreitend, rief er weltwärts: «Jetzt und alle Zeit
Weiß ich von eignen Wünschen nicht und eignem Leid.
Der Welt und ihren Nöten weiß ich mich geweiht.»
Er schwurs, und Wahrheit riefs aus tiefstem Herzensgrunde.

Doch heimlich aus dem Schloßhof floh zur Abendstunde
Der Pfauenvogel Ornis. Übers Dach entweichend,
Durch Busch und Wald mit niederm Schwebefluge streichend,
Rauscht er gesträubten Schopfs zum Feld Agon daher,
Und kreischend kündet er dem Volk die böse Mär:
«Unselge, welch ein Dämon hat euch denn verblendet?
Indes ihr Dankgebete hier zur Unzeit spendet,
Ist in das Schloß der Fürstin, das ihr friedlich glaubt,
Der Wolf gebrochen, dessen Pfote wühlt und raubt,
Hera, kehr um! In deiner Heimat haust der Feind!
Apoll, der Preis, der deiner Tugend war gemeint,
Die Krone, deren Ring den Würdigsten bedeutet,
Sie hat die Hinterlist des argen Zeus erbeutet!»

Ein Aufruhr raste durch den Platz im Wirbelwind.
«Die Waffen reicht mir!»tobt Apoll, «mein Schwert geschwind!»
Geheul entfuhr dem Volk, der Königin ein Schrei.
Und die Prytanen zog ihr zorniger Wink herbei:
«Das also», zischte sie, «ist eurer Weisheit Stärke!
Was gafft ihr stumm? So rühmt doch, rühmt euch eurer Werke!
Heran zu mir, daß ich euch Lob und Dank erweise!
Hier steh ich machtlos, eine heimatlose Waise,
Im öden Feld Agon, gleich einer schlichten Magd,
Betrogen und beraubt, von Haus und Hof verjagt –
Ich, die die Königin der Welt man gestern hieß.
Und wem verdank ich das? Euch einzig schuld ich dies.
Und wagts und zwingt mich zu Gebet und Litanei!
Eure Gerechtigkeit? Lug! Falschheit! Heuchelei!»
So zischt ihr Zorn. Kriegslüstern aber, wie sie war,
Macht ihre Jungfernwache flink zum Streit sich klar.
Da legte plötzlich sich das wilde Meer, denn Stille
Gebot des Archelaos volkverehrter Wille:
«Getrost, Apoll! Gemüt, o Fürstin! Die Prytanen
Sind annoch da, gewillt, die Missetat zu ahnen.
Erschlichne Ämter zählen nicht im Landesbuche.
Der Frevel bloß geschah, das Werk stockt im Versuche.
Ein Recht, ob schwer verletzt, stirbt nie. Drum, Richter, rechtet!
Mit feierlichem Fluch den Kronenräuber ächtet!»

Im Halbkreis um das Standbild der Gerechtigkeit
Stellten die Richter sich zum finstern Fluch bereit.
Zum grausen Urspruch hoben schrecklich sie die Hände
Doch siehe: ihres stummen Schweigens war kein Ende.
Jetzt ungeduldger schrie und heftiger und geller
Die Königin: «Mein Ohr hat Eile, fluchet schneller!»
Nun öffnen sie den Mund, doch ihre Zunge lallt
Unförmliches Gestammel ohne Geistgehalt.
Zornschnaubend heischte Hera: «Ist ein Fluch so schwer?
Gebt mir die Acht des Räubers, gebt mein Recht mir her!»
Und Archelaos: «Ja, ihr Richter, redet! ja!»
Doch sieh, welch schauerliches Schauspiel jetzt geschah:
Plötzlich vom Wahn befallen, der Vernunft beraubt,
Schüttelt Themiurg in kindischem Tanz sein greises Haupt,
Und gleich dem Hammel, den der Priester zum Altar
Hinaufzerrt, läßt sein Mund ein ängstlich Blöken dar.
Ihm nach die übrigen. Vertiert, verstandverlustig
Hüpfen die Richter auf und nieder, narrenlustig.
Und während noch von dem Ereignis schreckgelähmt
Ein jeder peinlich sich des blöden Anblicks schämt,
Schrillt aus der dämmerschattenschwarzen Waldesschluft
Unheimliches Gelächter dreimal durch die Luft.
«Schützt euer Haupt! Das sind Anankes Wunderzeichen!»
Und alle Welt entflieht, und Halt und Schranken weichen.

Das Zepter dem Themiurg mit schroffer Faust entwürgte
Ingrimmig Archelaos: «Heiliges Kind, ich bürgte
Mit meinem Leben, Macht und Ansehn dir zu hüten.
Die Macht kann ich dir nicht, doch meine Schuld vergüten.
Entwürdigt durch der Richter Abfall und entehrt,
Leg ich dies Zepter, das dem Räuber nicht gewehrt,
In deine Fürstenhand, Gebieterin, zurück.
Auf dir allein beruht nun deines Schicksals Glück.
Kein ander Rechtgesetz im Land gilt fürderhin
Als dein Gebot und dein Belieben, Königin.»
Mit diesem reicht er ihr das Zepter. Aber ehe
Der Fürstin Finger es behändigt hatten – wehe! –
So stieß er mit der dolchbewehrten Linken jach
Den Tod sich in die Brust, daß er zu Boden brach.
Und was ihm recht erschienen, galt den Brüdern gut.
Ihm folgend, wälzten die Prytanen sich im Blut.

Das blutbefleckte Weltenzepter aber schwang
Erlöst die Fürstin, und ihr Machtgebot erklang:
«Ich, fortan frei und unumschränkte Königin,
Entbiete diesen Schwur mit klarem Wort und Sinn:
Apoll, wenn du den Feind aus meinem Hause fegst,
Den Kopf des Kronenräubers mir zu Füßen legst,
Gewähr ich dir zum Lohn den ehelichen Kuß
Und meines keuschen Leibes lieblichen Genuß.»
Frohlockend rief Apoll: «Hie Königtum und Minne!
Gegrüßt! Nur einer einzigen Sorge bin ich inne:
Daß mir der Räuber stehe, daß er nicht entrinne.
Umzingeln wir den Wolf! Und wenn der Morgen tagt,
Sei ihm von mir der Krieg im Zweikampf angesagt!»
Und trotz dem späten Abend ließ er ohne Säumen
Die beiden besten Rosse vor den Wagen zäumen,
Medon und Phronesis, wie Falken leicht gebaut,
Dem Wink gehorchend und der Stimme wohlvertraut,
Dann führt er schnellen Zuges sausend durch die Nacht
Die zornigen Titanen zur gerechten Schlacht.
Mit ihnen ritt das Amazonenheer vereint,
Denn Zwist und Hader heilte der gemeine Feind.

Und als der Wald umzingelt war und alle Wege
Besetzt und das Gehölz versperrt mit Dorngehege
Und stumme Wachen lauernd in den Büschen lagen,
Trat ewig neben seinem kampfbereiten Wagen
Apollons Unrast hin und her, die träge Zeit
Verwünschend und der langen Stunden Klebrigkeit,
Und öfters stampft er mit dem ungeduldigen Fuß.
Da schreckt ihn Heras leiser, unverhoffter Gruß.
Und als ihr Fingerwink den Staunenden gestillt:
«Bist du, Apollon», raunt ihr Schmeicheln, «schlafgewillt?
Verdrießt dich, mir zu folgen, die zu saure Mühe?
Und kommt vielleicht die Brautnacht deinem Wunsch zu frühe?
Wo nicht, wohlan, so reize deine heißen Rosse
Und fahr mich heimlich durch den Wald hinab zum Schlosse,
Auf daß noch heute mir zum Heil und dir zu Lieb,
Falls uns das Schicksal wohlwill, du den Kronendieb,
Den argen Zeus, erlegest und mein Herz ergetzest
Und am gelobten Lohne deine Seele letzest.
Denn sieh, der Friede flieht mich, und der Schlummer meidet
Meinen vertränten Blick, der keine Ruhe leidet,
Eh daß dem Unhold vor der heutigen Nacht Entnachtung
Ins Antlitz ich gespuckt Verwünschung und Verachtung.»

Freudig vernahms Apoll, und vor dem Wagen bald
Schnaubten die Rosse prustend durch den finstern Wald,
Wo Hera, weg- und stegbewandert, heimatkund
Dem klugen Führer Rat erwies mit weisem Mund.
Und also lenkt er richtig die verständigen Rosse
Auf einen freien Felsenvorsprung nächst dem Schlosse.
Verwundert aber sprach und staunend und entsetzt
Die bange Königin zu dem Gefährten jetzt:
«Ists Wahrheit? Oder täuscht das Dunkel meine Sinne?!
Welch Großer steht dort oben auf des Schlosses Zinne?
Ein Neuling, wie ich solchen niemals noch geschaut.
Von schwarzem Blute scheint die finstre Stirn betaut,
Das Joch der Augen weist des Willens Herrschersiegel,
Und seine Feuerblicke sind der Hölle Spiegel.»
«Er ists! der Feind! der Dieb!» erläuterte mit Hast
Apoll, «nun spei ihm, was du ihm zu speien hast.»
Doch stummen Schauders sah zum großen Zeus hinan
Die Jungfrau, bis sie flüsternd wiederum begann:
«Welch Ungeheuer aber», frug sie bebend, «sprich!
Welch ungewöhnlich Weib hat jener hinter sich?
Nicht eine Göttin, keinen Dämon nenn ich dies,
Das ist von Ewland her ein Geist der Finsternis,
Den ihm zum Hort und mir zum Leid Ananke schickte.»

Doch immerwährend nach dem Feind inzwischen blickte
Apoll, und gleich wie wenn beim lauten Männermahle
Zum Rundgesange kreist des dunklen Weines Schale,
Bis unversehens aus dem tückischen Erisbecher
Der Streit entspringt und würgt die zornentbrannten Zecher,
Und gleich der Löwin, die, der Mordlust zu genügen,
Den Ochsen schlägt und trinkt sein Blut in durstigen Zügen,
Doch desto mehr sie schlürft des Opfers dampfend Blut,
Um desto wilder schäumt des grimmen Leuen Wut:
So sog Apoll aus seines Feindes Angesicht
Den Zorn, und länger zähmt er seine Zunge nicht:
«O Zeus, Arglistiger, du Schlechtester der Schlechten!
Zu schlaff, zu feig, im mutigen Männerkampf zu fechten,
Zu falsch, um offnen Blicks dem Gegner festzustehn,
Doch gleich dem tückischen Wolfe, der auf Diebeszehn
Den Stall umkreist und holt sich plötzlich aus der Hürde
Ein Lamm und flieht zum Wald mit seines Raubes Bürde,
So brichst du, nur nach Beute, nicht nach Siegesruhm
Verlangend, in ein unbewachtes Eigentum,
Und was dein Unwert nicht verdient, nimmst du im Raube.
Doch glaube meinen Worten, du Verruchter, glaube:
Die schlau ersprungne Herrschaft bringt dir keinen Segen,
Gleich einem Raubtier soll dich jetzt mein Pfeil erlegen.»
Mit diesen Worten griff er flugs den Bogen auf,
Pflanzte den flinken Federbolzen in den Lauf,
Spannte danach mit mächtigem Zug den Draht der Sehne,
Die starke Faust gebrauchend und den Ring der Zähne;
Drauf zielt er mit des Blickes angestrengter Schärfe,
Und singend schoß zur Ruh die schnelle Saitennerve.

Doch siehe: Zeus beschirmend, vor dem Ziele stand
Das ungeheure Weib und hob zur Wehr die Hand.
Kraftlos zu Boden rollte klirrend das Geschoß,
Und schmerzlich traf des Schützen Brust der Widerstoß.
Ingrimmig aber zu Apoll nunmehr begann
Das Weib und hub die scharfe Antwort drohend an:
«Woher, Apollon, nimmst du die Befugnis, rede,
Dem Schicksalsauserwählten zu entbieten Fehde?
Welch einen Frevel meinst du, daß dein Finger rächt?
Ist etwa Zeus' des Großen Anspruch nicht gerecht?
Belehrung schenk ich dir, sag Dank und preis und lobe:
Wie lautete des Wettkampfs letzte, höchste Probe,
Vom Richtermund gesetzt zum schließlichen Entscheid?
Das Regiment – nicht wahr? – die Herrschertüchtigkeit.
Nun wohl! Die zeigt sich nicht durch noch so viele Gaben.
Die erste Herrschertugend heißt: die Herrschaft haben.
Gleichviel, mit welchen Mitteln sie erworben sei,
Und wärs durch Hinterlist und Frevel: einerlei.
Der taugt nicht auf den Thron, den ein Bedenken bindet,
Wer nicht, wenns sein muß, auch den Mut zum Bösen findet.
Drum fiel auf Zeus die Wahl, erwogen und bedacht,
Weil ihm den Blick entzündete der Blick der Macht,
Weil er verrucht, gewissenstaub, gefahrenblind
Die Herrschaft an sich raffte, einfach und geschwind.
Du aber bau auf deinen Dämon nicht zu viel!
Ein Sonntagsdämon ists, geschickt zum Friedensspiel.
Zurück! Komm mir nicht kreuz in meinen Weg gegangen,
Sonst möge dir, Apoll, vor meiner Strafe bangen.
Behalte das, und wolle deinen Eifer zügeln.»
Bei diesen Worten schlug sie mit den Drachenflügeln,
Daß schaurig klang des Fittichs rauschendes Geflitter,
Draus zuckte Blitz um Blitz. Ein blendend Ungewitter
Brüllt auf. Und mit dem widerstrebenden Genossen
Entfloh die Königin, enttragen von den Rossen.
«Die tückische Nacht ist dein, o Gorgo», rief im Wagen
Zurückgewandt Apoll, «doch laß den Morgen tagen,
Des Klarheit deiner finstern Künste Trug erhellt
Und, was da falsch und was wahrhaftig, richtig stellt!
Mag sein, mein Dämon, dem dein Hochmut Lachen beut,
Mein Dämon, der des Tages reines Licht nicht scheut,
Mag sein, daß seine Hand, gerechtigkeitsbewehrt,
Dich Höllenfürstin seine Obmacht spüren lehrt,
Auf daß du nicht zum zweitenmal vor meinen Pfeilen,
Den frommen, mögest den verruchten Räuber heilen.»

Er riefs. Doch in den Tann, unfern dem Königsschlosse,
Entführten ihn, dann standen plötzlich still die Rosse.
Jetzt auf den Boden sprang er, und als Ruhestätte
Bereitet er den Wagenthron zum weichen Bette:
«Getrost, sei ohne Furcht! Du lagerst sicher hier,
O Königin», begann er ehrfurchtsvoll zu ihr,
«Denn dich behütet deiner Hoheit Heiligkeit
Und schützt Apoll, dein treuer Diener, kampfbereit.»
Hierauf entzügelt er das zitternde Gespann,
Ins Waldesdickicht leitet er die Rosse dann,
Band sie an eine Buche, und mit Strick und Leine
Hemmt er, zwar schonend, ihre allzuflüchtigen Beine.
Doch als er ihnen sorgsam ebenfalls die Nüstern
Verband, erhoben sie ein vorwurfsvolles Flüstern:
«Genug, Apoll», begannen sie betrübt, «genug,
Daß du die Knie uns fesselst. Ist denn solches Fug
Und Brauch, daß man des Mundes Atem uns verbinde?
Dies scheint mir hart; und du bist gütig und gelinde.»
«Geduld, o Phronesis, und Medon du, Geduld!
Denn morgen schenkt euch jede Freiheit meine Huld.
Heut aber denk ich meiner Herrin», sprach Apoll,
«Daß etwa euer Wiehern sie nie wecken soll.»
Dann legt er neben Heras Lager sich zur Hut
Und lauschte durch das Dunkel, wie der Wächter tut.

Doch leise flügelten aus Moiras stillem Haus
Zwei Vöglein: eine Fliege, eine Fledermaus,
Die Luft durchschaukelnd auf der flaumigen Federwiege.
Und es begann und sprach die Fledermaus zur Fliege:
«Wohin die Reise, Kleine? und zu welchem Ende?»
«Zur Königin, daß ich den Schlummer ihr entwende.
Doch du, weswegen, rede? und zu welchem Zwecke?»
«Daß ich Apollens Wächtergeist mit Schlaf bedecke.»
«Ists also, komm, so laß uns miteinander ziehn.»
Und also reisten sie vereint zur Schloßhardt hin.
Dort flog die Fliege immer um der Fürstin Ohr,
Reizt ihren Ärger, bohrt ihr Stachellieder vor.
Doch samtnen Flügels zu Apoll gesellte sich
Die Fledermaus, die seine Stirn mit Schlaf umstrich,
Bis daß ihm Sinn und Geist und Willenskraft entsanken
Und in das Traumland flohn die flüchtigen Gedanken.
Und einen goldnen Traum von Glück und Glanze voll,
Zu Heras Füßen schlummernd, träumte da Apoll:
Daß er ob allem Volk, gekrönt mit Ruhm und Ehre,
Der König von Olymp und Heras Gatte wäre.
Sein eigen war die Welt, wohin der Blick sich wandte,
Und fern von Erden nahten dienende Gesandte.
Er aber sprach: «Dem Menschenvolke gebt zu wissen:
Bekümmert ist mein Herz mit ihren Kümmernissen,
Und keine Sorge wächst auf Erden und kein Leid,
Sie sind mein Dornenkranz und heilig Marterkleid.
Doch wahrlich, liebe Leute, will ich euch beschwören,
Der Menschen Lobgesänge will ich preisen hören:
‹Das war vor alters einst Apollens Königstum,
Da ging im Erdenlande Heil und Segen um,
Da herrschte Güte mit Gerechtigkeit zugleich,
Und Fried und Wohlfahrt zeitigten der Schönheit Reich›.»
So träumt Apoll, und seines Traumes Glanz entfachte
Die Sonne seines Mutes, daß er freudig lachte.

Ins Ohr der Königin inzwischen eifrig zischte
Die Fliege Stachelreden, die mit Gift sie mischte.
Und manches sagte sie, und dieses überdies:
«Sieh da Apoll, den Schönling, deiner so gewiß,
So unbekümmert, selbstzufrieden, selbstbeneidet,
Daß er in faulem Schlafe sein Genügen weidet!
Er glänzt, er gleißt vor heitrer Minnezuversicht,
Kein Wölklein ahnt er, einen Zweifel kennt er nicht.
Ich bin gewiß kein Freund von hinterlistigen Taten,
Doch deine Würde fordert, diesen zu verraten.»
«Ach weh mir!» klagte Hera, «weh, mich hemmt mein Schwur.»
Verächtlich flügelnd wippt empor die Fliege: «Nur?»
«Wohin denn aber, vor Apoll entweichend, wandern?»
Die Fliege schob den Stachel ihr ins Ohr: «Zum andern.
Zu jenem, dem die Sünde aus den Augen sieht,
Zu ihm, zu dem ein heimliches Gelüst dich zieht.»
Wild tobt ein Zweifelsturm in Heras Herzensgrunde.
Da horch! Ein Lachen aus Apollons Träumermunde.
Aufsprang sie und verriet den Herrlichen zur Stunde,

Des Schläfers Leichnam hinderte der Flucht den Weg.
Mit sachter Zehe schritt sie über ihn hinweg.
Gleich wie am Bergeshang, gehemmt von einer Quelle,
Die Hirtin zaudernd stillesteht und prüft die Stelle,
Wo auf den trocknen Stein den Tritt sie sicher setze
Und wägt den Fuß, damit das Wasser ihn nicht netze:
Also getraute sich die Zeh der Königin
Behutsam über den verhaßten Leichnam hin.
Doch bei dem Schläfer hielt sein Dämon, der nicht schlief,
Der strafend der Verräterin entgegenrief:
«Wohin, o Ungetreue, treibt dein lüstern Blut?
Ist fliehen fürstlich? Freunde täuschen Edelmut?
Wie hat Apoll um dich verschuldet solchen Hohn,
Daß du ihm zahlst Skorpionendank und Spinnenlohn?
Halt ein, Unselige, und wende deine Füße!»
Da lispelte das Weib: «Verraten schmeckt so süße.»
Verlegen sprach sies, froh der Schande, wirr vor Scham.
Doch als sie mit dem Fußpfad an der Buche kam
Vorüber und begegnete den treuen Rossen,
Die dort gefesselt standen, von Apoll geschlossen,
Da schäumten sie empor vor heftiger Ärgernis,
Bewegten wild die Schenkel, fletschten das Gebiß,
Und mächtig preßten sie die Stimme durch den Rachen
Die Flucht mit warnendem Gewieher kundzumachen.
Doch wehe! von den Fesseln, drin ihr Fuß verstrickt,
War ihrer Hufe Kraft zur Abwehr ungeschickt,
Und nicht Apollons schlafumhängtes Ohr berührte
Der Mund der Warnungsstimme, die er selbst umschnürte.

Und also mochte jene freien Durchlaß haben.
Und ohne Aufenthalt bis an des Schlosses Graben
Trieb sie die Flucht. Und Ornis, ihren treuen Pfauen,
Beschied ihr leiser Ruf herüber im Vertrauen.
«Ornis», begann sie, «flieg hinan zu Zeus und münde
Die Botschaft ihm ins Ohr, die ich hiermit dir künde:
Wach auf! Denn Thron und Zepter winken vor dem Tor.
Die Fürstin des Olympos schaut zu dir empor.
Den Räuber will als Gatten gnädig sie umfangen.
Willst du sie ehrerbietig, wie sichs ziemt, empfangen?»
Ornis entfernte sich, verzog ein kleines Stück,
Und diese Antwort bracht er ihr sodann zurück:
«Zeus meldet Hera: Dieses wisse zum Bescheid:
Der Schimpf, damit du jüngst mich kränktest, schuf mir Leid.
Genugtat heisch ich, eher bin ich nicht versöhnt,
Als bis ich dir mein schuldig Gegengelt gelöhnt.
Beidseitig muß das Unrecht sein, so wirds verziehn.
Hinunter in den Staub, so lernst du vor mir knien.»
Die Fäuste warf empor die stolze Königin
Und schickte dieses Wort dem Unverschämten hin:
«Was auch geschehe, Zeus, und was ich tu und lasse,
Die Antwort lohn ich dir mit meinem ewigen Hasse.»
Der Drohung wurde der Bescheid: «Der König spricht:
Gib her den Haß, um deine Liebe werb ich nicht.
Dich zu zerreiben ists, was einzig ich begehre.
Jetzt wähle und entscheide, kniee oder kehre!»
Der König sprachs, die Königin vernahms nicht gerne.
Befehlen lag ihr nah, allein gehorchen ferne.
Da plötzlich dachte sie des lachenden Apoll,
Und Schimpf von jedem andern schien ihr ehrenvoll.
«Fürwahr, jetzt will ich knien, Apoll zu Leid und Pein!»
Und bald dem linken sprach sie, bald dem rechten Bein,
Jetzt bittend, jetzt befehlend, Trost und Mahnspruch zu.
Doch jedes flüsterte zum andern: «Tu es du!»
Und wie nun ewig keins zu knieen sich entschloß,
Sandt eine letzte Botschaft sie zum Schluß ins Schloß:
«Grausamer Zeus, zum letzten Male laß dich fragen,
Ein ehrlich Wort sollst du mir klar und bündig sagen:
Wirst du mit deinem frevlen Arm die Gattin stützen?
Vor jeder Ungebühr die Fürstin blutig schützen?»
Sie frugs, und Antwort kam von Zeus ihr allsofort:
«Also gelob ich redlich dir mit bündigem Wort:
Ich will dir Schild und Panzer sein, dein Schwert dir werden.
Wer immer je mit Blicken, Worten und Gebärden
Dem Weib des Zeus versagt die ziemende Gebühr,
Mit meinem roten Zorne juck ich jach herfür.
Es bringt ihm selbst, nicht deinem Ansehn Schaden.
Im Blut der Schuldigen will ich deine Hoheit baden.
Fällt ein Unschuldiger mit, ich nehms nicht so genau.
Denn gilts den Dienst der Gattin, bin ich scharf und rauh.»
Da sprach das linke Knie: «Man siehts nicht bei der Nacht.»
Das rechte sprach: «Am Tage wird mirs eingebracht.»
Mit diesem bogen sie die königlichen Glieder.

Und eine Brücke ließ sich jetzt vom Schloßtor nieder,
Sich langsam senkend, ruhend über Schlucht und Graben,
Drauf Zeus erschien mit ehrerbietigem Gehaben.
«Gruß deiner Hoheit», sprach er, «mehr noch dem Verstande!
Getrost, vor Zeus gekniet zu haben, bringt nicht Schande.
Tritt ein, erhabne Königin, tritt fröhlich ein!
Ich will dein strenger Schirmvogt und Gebieter sein.»
Er sprachs. Und als sie kaum ins Schloß getreten war,
Stieg sie aufs Dach und gab der Amazonenschar
Über den Wald hinüber mittels Feuerzeichen
Den heimlichen Befehl, sich in die Burg zu schleichen.
Und so geschahs. Doch als sie sämtlich Unterschlauf
Im Schloß gefunden, stieg die Brücke wieder auf.


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