Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elfter Gesang
Pallas und der Pelarg

                          Ein Bündel Sonnenstrahlen, das durchs Fenster fiel,
Vergnügte sich mit Pallas' Helm im Feuerspiel.
Ein Blendgefecht von Funkenblitz und Flammenkerzen
Durchloderte die Luft und tanzte Mut im Herzen.
«Heut gilt die Tat! Heut heißt es Heldenruhm verdienen!»
Sie riefs, schlüpft in die Kleider, in die Panzerschienen,
Hierauf gewappnet und gegürtet, helmbewehrt
Trat sie ins Freie, schritt zum Hof und stieg zu Pferd.
So zog sie in den Morgen, herrisch aufgerichtet,
Im ruhigen Aug des Adlers Blick, der Fernlust dichtet.
Indes von Wald und Flur, wie weit sie schauen konnte,
Der klare Tag ihr Gruß und Heil entgegensonnte.

Gern folgte sie der breiten Völkerstraßenspur,
Die vom Olymp einladend ihre weiße Schnur
Zum Erdenland in schöngeschwungnen Schleifen rollte.
Und hin und wieder bei der Straßenwende zollte
Sie einen Ausblick von der windumwehten Treppe
Des Berges auf den Gau und auf die blumige Steppe.
Nun hielt sie unten vor dem felsumrahmten Tor.
Ehrfürchtig sprangen dienstbereite Wächter vor,
Erschlossen ihr die hochgewölbte Schanzenhalle:
Ins Dunkel donnerte der Huf mit hohlem Schalle.
Dann mit der Brücke durch die Wassergrabenkluft.
Jetzt tritt sie Gräbergrund und atmet Erdenluft.

Ein hungrig Bettlervolk, am Straßenborde kauernd,
Hielt längs dem Weg, geduldig auf Almosen lauernd,
Die, kaum daß sie die Göttin vom Olymp gewahrten,
Sich hilfeflehend haufenweis um Pallas scharten,
Die mit Geplärr und die mit weicher Psalmodie.
Huldvoll das Pferd mit Zaum und Schenkel hemmte sie,
Warnte die Kinder sorglich von den Hufen fort,
Bot diesem ein Bedauern, dem ein gütig Wort
Und warf ihr Perlenhalsband streuend in die Menge.
Doch immer ungebärdiger drückte das Gedränge
Von allen Seiten, Gnade witternd, jetzt herbei.
Bis daß in eiligem Lauf Anankes Polizei,
Voran ihr Meister Tod, laut scheltend durch die Masse
Gewaltsam sich zu Pallas bohrte eine Gasse.
Und während sein Gefolg mit Puff und Knüppelhieb
Das Volk vom Weg rainabwärts in die Wiesen trieb,
Führte der Tod am Zügel durch die Schergenreihe
Die Seufzende und Schlechtzufriedene ins Freie.
Ein Hauderwagen, mit Gerät geladen schwer,
Der Fuhrmann oben, wackelte vor ihnen her.
«Platz da», befahl der Tod, «wenn Götter reiten! Ho!»
«Ich hab die Augen vorn im Kopf, drum nicht so roh!»
«Willst du wohl schweigen, oder muß ich zu dir kommen?»
Der Fuhrmann grölte: «Eja! Komm nur! Unbenommen!»
«Ich komme.» Schnaubend lief der Tod dem Wagen vor
Und schlug den Pferden seinen Säbelgurt ums Ohr.
Nun wich der Wagen, aber übern Straßendamm
Kopfüber. Drunter lag der Fuhrmann in der Klamm,
Erbärmlich schreiend. «Maul zu!» Aber zornentbrannt
Kam Pallas mit erhobnem Lanzenschaft gerannt,
Und mit ergrimmten Schlägen scheuchte sie und jug
Den Tod im Sturmgalopp, wohin die Flucht ihn trug.

Durch Feld und Stoppeln hetzt ihn ihre heiße Jagd.
Dann hielt und trauerte die großgemute Magd.
Vergiftet war ihr Frohsinn, ihr Geblüt vergällt,
Der lustige Sonnenschein vertrieben aus der Welt.
Was freut sie ihre Gottheit, wenn die Erde nötet?
Und spürte peinlich sich von Ohnmachtsscham gerötet.
Darüber fing sie an zu denken und zu deutern,
Gegen die Schöpfung, gegen Unbekannt zu meutern.
Ihr schien, wenn man den Tod zum Polizeivogt wähle,
Daß oben in der Weltregierung etwas fehle.

Inzwischen lief der Tod zur Oberweltamtstatt:
«Da seht und schauet, wie man mich behandelt hat!»
Bedauernd klagte Moira: «Wer hat dich geschlagen?»
«Pallas.» «Wer gab ihr des Erlaub? Wie darf sies wagen?»
Und als der Tod nun alles, wie und was, warum,
Berichtet, samt den Nebenständen dran und drum,
Wasmaßen ledig wegen Amtgeschäftigkeit
Und Eifer er bezichtet ward der Grausamkeit:
«Getrost! Zieh ruhig heim und überlaß das mir»,
Beschied ihn Moira, «traun! Genüge schaff ich dir.
Ich weiß, womit ihr deinen guten Wert beweisen:
Ich will sie zum Pelarg im Berg des Schweigens weisen.»

Und während Pallas, immer ihren Groll im Sinn,
Das Feld durchschweifte, einerlei woaus, wohin,
Sieh da vor ihr ein Windspiel, auf dem Acker liegend,
Verschüchtert und die Wampen an die Scholle schmiegend.
Mitleidig lockte Pallas: «Ach du armes Tier!
Was fehlt dir? Bist du krank? Komm her! Erzähle mir!»
Stracks kam das Hündlein, hüpft an ihrem Bein empor,
Leckt ihr die Hand und stieß ein Dankgebell hervor,
«Willst du mit mir nach dem Olymp? Gestehe, sag!»
Das Hündlein gab ein widerlich Geheul zutag.
«So sag: was willst du? Sags doch! Ich versteh dich nicht.»
Jetzt zog das Windspiel ein gescheites Blinzgesicht
Und kratzt an ihrem Fuße, bettelnd flehentlich,
Dann trollt es dem Gebirg zu, äugelnd hinter sich.
Und wie es nun die Freundliche ihm folgen sah,
Nahm es Galopp. «Hast gut verstanden», jauchzt es, «ja!»
Kaum aber daß sie zauderte ein kleines Stück,
So wandte sich das Windspiel vorwurfsvoll zurück,
Den Schwanz, den Kopf, die Ohren henkend auf die Erde,
Und wartete, vertrauend, daß sie kommen werde
Und also fort. Wohin das Hündlein immer drehte,
Trieb die barmherzige Reiterin geduldig stete.
Jetzt über Feld und Rain, jetzt durch den finstern Wald.
In des Gebirges Wirrsal mündeten sie bald,
Umringt von Felsentürmen, Zacken, Schluchtengraus,
Umtost, umbrüllt von Wasserdonner und Gebraus.
Plötzlich in einem wilden, schauerlichen Tal
Nieste das Hündlein und verschwand mit einemmal.
Wo stand sie? Ringsum Wüste. Weder Busch noch Baum
Umher zu sehen, Heidegras und Unkraut kaum.
Im Talverschluß ein greiser Kalkberg, grau verwittert,
Mit Schnee bereift, von fahlem Wolkenglast umzittert,
Aus dessen Spalten feiner Sand, dem Wind zum Raub,
Die Nachbarberge pulverte mit weißem Staub.
Doch unten, wo der Berg im Tal die Wurzel hat,
Sieh dort, ein Gräberfeld mit einer Tempelstadt.
Was meint, nach welchem Heiligen zielt der gläubige Wille?
Geheimnis. Nichts als tiefe hundertstimmige Stille.
Indes ein Rätsel, das vom Bergeshaupte lauschte,
Ein Frag- und Antwortschweigen mit den Tempeln tauschte.
Andächtig weilte Pallas in des Berges Bann,
In stummem Sinnen, Seufzer ziehend dann und wann,
Weil des Gedankens ernste Flüsterstimme mahnte,
Daß Welten wohnen, die man im Olymp nicht ahnte.

Horch! Ferne dumpfe Paukenschläge hinter ihr
Und Leidgesänge. Ein Begräbnis, dünkt mich schier.
Zwar noch vom Rank verborgen. Näher kommt es mehr
Und mehr. Und jetzt entsteigt dem Tal ein heilig Heer
Von Trauernden. Voran, um eine schwarze Fahne
Geschart, die Priester. Folgends eine Karawane
Von Mannsvolk; dann ein hochgebauter Blumenwagen.
Wohlmöglich birgt er einen Sarg, doch schwer zu sagen.
Den Zug beschließt ein wimmelnder erregter Streifen
Von Weibern, welche finstere Gebete keifen.
Und alles schlägt sich auf die Brust und schluchzt und weint.
Ein ganzes Volk ist leidgetroffen, wie es scheint.
Jetzt tönte von des Blumenwagens duftigem Grab
Ein angstvoll Flehen auf das Trauervolk herab:
«Grausame! Unerbittlicher als Stahl und Erz,
Härter als Kieselstein! Wo habt ihr euer Herz,
Daß ihr nicht mehr Erbarmen als ein Raubtier spürt?
Da ihr, von einer Jungfrau Tränen ungerührt,
Mich in die Höhle des Pelarg zu schleppen duldet?
Mich, die des Martertodes Strafe niemand schuldet!
O Heimat mein, bist du an Mannheit so verarmt,
Daß keiner, nicht ein einziger, sich mein erbarmt?
Wo seid ihr, sagt, wo seid ihr heut versteckt, ihr vielen,
Zeigt euch, die ihr mit gleisnerischen Mienenspielen
Mich wie die Bienen ihre Königin umflogt,
Ein Lächeln von mir betteltet, mir Liebe logt?
's ist leichter, gelt, ein Beerlein mir vom Strauch zu pflücken,
Ein Bändchen mir zu stehlen und ans Herz zu drücken
Und auf die Knie zu fallen, wenn es niemand sieht,
Als mannhaft mir zu helfen, wenn mir Leid geschieht!
Und ihr, herzliebe Eltern! liebste Mutter mein!
Reut dich Tamyris nicht, die treue Tochter dein?
Was tat ich denn so Unerhörtes euch zuleid,
So Schändliches, das nach der Todesstrafe schreit?
Gewiß, ich weiß mir Fehler: doch wie schlimm sie sind,
War ich nicht allezeit ein liebevolles Kind?
Dem Wink gehorsam und zu jedem Dienste willig?
Die Rüge scheint mir, nicht das Todesurteil billig.
Allein ich will nicht rechten, euern Spruch nicht schelten,
Nur Gnade schrei ich, Gnade, Gnade laßt mir gelten!»

«Halt!» herrschte Pallas, «steht und gebt mir Rechenschaft!
Was hat Tamyris euch getan? welch Leid geschafft,
Daß ihr sie eines Martertodes würdig wertet
Und gegen ihren Jammer euer Herz verhärtet?»
«Du», scholl ein feindlich Murren, «du! Gib Raum! Weich aus!
Zwar ist sie rein von Schuld, doch wills der Hieraus,
Der heilige Pelarg, der Greis im Berge Schweigen.
Herab vom Pferd und wolle deinen Nacken neigen!»
«Dem Hieraus, dem soll mein Fluch ins Antlitz speien!
Erst aber will sein schuldlos Opfer ich befreien.»
Und reizte ihren Renner, stürmend in den Haufen,
Gewillt, der Jungfrau Heil gewaltsam zu erkaufen.
Hu, dieses Wutgebrüll! Ein grimmer Männerknäuel
Eilt ihr zuvor, zu hindern den gewollten Greuel.
Ein Priester schwang die schwarze Fahne. Kaum gesehn,
So war ein höllisch Wunder handkehrum geschehn:
Nicht Trauernde, nicht fromme gläubige Beter mehr,
Viel tausend Teufel fielen über Pallas her.
Und nicht zufrieden, Roß und Reiter von der Bahn
Zu drängen: Pallas zu erschlagen zielt der Wahn.
Erst brauchte schonend sie, und nur zum Schutze, flach
Die Klinge, niemand zu verletzen ängstlich wach,
Dann aber in der Notwehr äußerstem Bedarf
Entsagte sie der Gnade und verbat sichs scharf,
Mit Hieb und Stich den Degen brauchend wirbelweis,
Mit Feindesblut sich fegend Luft und Raum im Kreis.
Doch jetzt erbleichte sie vor Schreck! Wohin entrinnen?
Vor Teufeln bangt ihr nicht, allein vor Teufelinnen!
Der Puls gefriert vor ihrem Heulen und Gekreisch,
Und ihre Nägel, ihre Zähne fordern Fleisch.
Schon haben in des Pferdes Hals sie sich verbissen,
Sie selbst ist wund von manchen Zahn- und Nägelrissen.
Da steigt in seiner Todesangst das Pferd und steht
Auf seinem hintern Hufpaar, das sich schwankend dreht,
Dann wieder auf den Boden prallt sein wuchtiger Stampf,
Plotz! unversehens ohne Widerstand und Kampf
In mörderischen Sätzen durch den Feind hinaus,
Und haltlos über Berg und Täler fliegt sein Saus,
Den Bauch zu Boden und den stieren Blick verglast,
Der blindlings folgt, wohin die Jagd der Beine rast.
Himmel und Erde nur ein einziger Länderschuß
Aus einem Wurfgeschütz, das weiß nicht, was es muß.
Wo wird der Sturz, von welcher Felsfluh wohl geschehen?
Plötzlich mit prallem Rückstoß bleibt es lammfromm stehen.
Und Atem suchend zittern Roß und Reiter beide,
Eins vor Erschöpfung, eins vor Scham und zornigem Leide.

«Hier mangelt Hermes», schnaubte sie empörungsrot
Und nagte ihre Lippen, «Hermes tut hier not!»
Und ließ vom Berge, wo sie stand, nach allen Seiten
Im Kreis umher das Adlerauge forschend gleiten,
Ob sie errate, wo auf Erden Hermes sei.
Zu ihren Füßen lagen Länder mancherlei,
Doch geist- und zwecklos gafften sie zum Himmel, dumm,
Und blieben ihrem dringlichsten Gesuche stumm.
Ei sieh doch: überm letzten Wald, zuhinterst ganz,
Ein seltsam Etwas! Nenn ichs Odem? Seelenglanz?
Etwas wie Heimatgruß und Freundesangesicht.
Du kannst es billig leugnen, zeigen läßt sichs nicht,
Doch fühlt und spürt mans. Prüfend nach dem Glanzschein zielte
Der Göttin Blick, worin ein kluges Lächeln spielte.
Und als sie erst den Winkel, um wie weit entfernt,
Gemessen und des Weges Richtung eingelernt,
Hob sie die Zügel, schwenkt und steuerte die Fahrt
Dorthin, wo sie erhoffte Hermes' Gegenwart.

Nach frischer stundenlanger Reise ohne Rast
Erreichte sie am frühen Abend den Palast
Der Göttin Maja, band das Rößlein an die Mauer
Und stellte sich am Gartengitter auf die Lauer.
Und da sie alle Türen offen sah, so stahl
Sie sich ins stille Haus und in den schattigen Saal.
Ein Frauenbild, der Maja gleich, das Blumen stickte,
Saß dort auf einem Stuhle, lächelte und nickte.
Doch ihrer rätselhaften Augen Blickgespenster
Spielten verstohlen auswärts durch ein Seitenfenster.
Doch Pallas spottete: «Du Lügenbild, vergebens
Äffst du Gestalt und Farbe des beseelten Lebens!
Ich sehe keinen warmen Geist in deinem glatten
Gesicht, und deine Finger spiegeln keinen Schatten.»
Und kehrte um und schwenkte nach der Richtung hin,
Wohin durchs Seitenfenster sah die Lügnerin.

Im fernen Feld, abseits vom Weg, am Waldessaum
Lag Hermes, träumend einen seherischen Traum.
Dem Schlummernden zur Seite, seinem Antlitz nah,
Saß Maja, welche, was ihr Freund im Traume sah,
In gläubiger Liebesehrfurcht mit dem Malerstift
Auf eine Tafel schilderte in Bilderschrift.
Da nahte Pallas. Stift und Schrift verwerfend schnellte
Vom Sitze Maja. «Weg vom heiligen Glücke!» gellte
Ihr Haß der Kommenden entgegen. «Fluch dir! Feind!
Was suchst du hier? Wie ist dein frevler Gang gemeint?
Wer wagts, den Frieden und der Liebe Recht zu stören?»
«Hermes darf einem Weib», sprach Pallas, «nicht gehören.
Beglücken nicht, Erlösen lautet sein Beruf.
Zum Paradiese haben Helden nicht Behuf.»
«Wen gibt es zu erlösen?» wachte Hermes auf,
Fuhr jach empor und rüstete den Fuß zum Lauf.
«Hier bin ich, Pallas, künde, wo man mein bedarf!
Ich folge! Auf! Führ an!» Aufschreiend aber warf
Sich Maja in den Weg: «Entschiedenem Befehle
Allein gehorch ich. Zwischen mir und jener wähle!»
Hermes entschied: «Ob Dank mich straft und Reue quält:
Gilts zwischen Weib und Tat, so hat ein Mann gewählt.» '
Er sprachs und folgte seiner Führerin von dannen.
Verlassen stand sie da, und ihre Tränen rannen.
Beschämt, vernichtet starrte sie dem Flüchtling nach.
Was tun mit ihrem Leben, wenn der Freund gebrach?
«Doch halt! Was seh ich!» Eilends holte ihre Hast
Die Feindin ein. Sie strengen Griffs am Arm gefaßt
Und vor ihr Richteraug gedreht: «Der Frage steh!»
Und tränenschluckend sprudelte ihr zornig Weh:
«Wenn ichs vermochte, wehrend meinem Schmerz und Hasse,
Daß ich den Liebsten mein der Fremden überlasse,
So ist das mindeste, daß sie mir Bürgschaft gibt:
Sie ist ihm freund, sie will ihm wohl, sie sorgt, sie liebt.
Unweib! Unseliges! Was hast du im Beginn?
Zu welchem Ende führst du meinen Liebling hin?
Der Staub auf deinem Kleid, die Nägelstriemen zeigens:
Leugne, soviel du willst, du kommst vom Berg des Schweigens,
Und deine Führung trachtet in das Höhlenhaus
Des schrecklichen Pelarg, des Mörders Hieraus.
Zum Angebinde schenkst du Hermes die Gefahr.»
«Du sagsts», versetzte Pallas ruhig, «ja, fürwahr!»
«Und sträubt sich nicht dein Herz und stirbt vor Angst und Pein?»
«Warum denn das?» sprach Pallas, «ei, gewiß nicht! Nein!»
Ob diesem Spruch versagte Majas Zorn, gelähmt
Von Ehrerbietung, von Bewunderung beschämt.
Denn ihre Ahnung spürte größre Seelengaben,
Die ihr nicht eigen, über Liebesleid erhaben.
Der Arm entfiel ihr, und in milderm Tone quoll
Ihr aus dem Mund die weiche Klage demutvoll:
«Ihr starken Götter vom Olymp, verzeiht der Armen,
Der Törichten, die hofft' in Liebe zu erwarmen.
Man weiß es ja, doch niemals glaubts das Herz hinlänglich,
Daß Liebe flüchtig ist und Erdenglück vergänglich,
Hab nicht die Kraft zu grollen. Reichet mir die Hände;
Mein Trotz, mein Stolz, sie sind mit meinem Glück zu Ende.
Drum bitt ich euch, statt fremd und frostig zu enteilen,
Als Gäste heute nacht in meinem Haus zu weilen.
Ich will euch vom Pelarg erzählen in der Frist:
Und wird auch leider, fürcht ich, was beschlossen ist,
Die Warnung meiner schlimmen Märe schwerlich hindern,
So kann vielleicht die Kenntnis die Gefahr vermindern.»

Und als sie nun zur Nachtzeit nach genoßnem Mahl
Beisammen saßen in dem lichterhellten Saal,
Begann und schilderte mit manchem Seufzer schwer
Die Göttin Maja vom Pelarg die grause Mär:
«Im Tal des Schweigens steht ein Berg, kein Berg: ein Sarg.
Drin wohnt der Hieraus, der schreckliche Pelarg.
Nicht daß durch Körperstärke zwar, im Gegenteil,
Er jetzt noch furchtbar wäre: Siechtum ist sein Teil.
Und was er einst für Missetaten wohl verübt,
Weiß keine Sage, denn Vergessen hats getrübt,
Heut ists ein Greis, fast eine Leiche von Gestalt,
Des Geist entschwunden, dessen Zunge Torheit lallt:
Der Last von tausend Jahren ist sein Nacken bürdig,
Und längst zu sterben ist sein morscher Leichnam würdig.
Allein mit List und schlauen Vorsichtskünsten wehrt
Dem Tode Hagia, die den Vater göttlich ehrt.
Fürs erste hat sie dieses Hirngespinst gezüchtet:
Ins Kalkgebirg des Schweigens hat sie ihn geflüchtet,
In dessen Höhlen wächst der Bimsstein Athanast,
Dem Tod wie Knoblauch so zuwider und verhaßt.
Fürs zweite schützt sie ihn mit abergöttischer Pflege,
Damit er auch nicht sterbe auf dem Alterswege.
Kein Licht, kein Häuchlein läßt sie an sein Lager dringen,
Kein lauter Ton darf in der Krankengruft erklingen.
Das Schweigen schleicht darin umher in ewigem Dunkel,
Und jede Stimme dämpft ihr Mahnblick zum Gemunkel.
Mit einem Schwarm von Ärzten hat sie ihn umgeben.
Und um den kalten Leichnam künstlich zu beleben,
Ersann ein schaurig Mittel ihre fromme Wut:
Mit Blut ernährt sie ihn, lebendigem Jungfernblut,
Das sie ihm frisch und warm, wies aus den Adern fließt,
Aus einem Becher stündlich durch die Lippen gießt.
O wieviel Jugend ist zum Opfer schon gefallen,
Damit ein blöder Alter möge länger lallen,
Damit ein Kranker leiden dürfe fernre Stunden!»
Hermes ergrimmte: «Dafür ist der Tod erfunden.»
«Du fragst, ob nicht der Opfer bänglich Wehgeschrei
Ihr selbst zur Qual, zum Schauder und Erbarmen sei.
Vernimm: kein Schrei, kein Stöhnen gibt die Qualen kund,
Die sie erdulden, denn verbunden ist ihr Mund,
Damit ihr Flehen nicht das Mitgefühl empöre,
Damit ihr Wimmern nicht des Vaters Ächzen störe.
Und weil sie niemand auftreibt, der zum Mord beständig,
So schlachtet sie die Opfer selber, eigenhändig.
Du fragst: wo sind die Väter denn, die Brüder nur
Und Stammverwandten, daß sie nicht, zum Racheschwur
Vereint, in trotzigem Reisezug mit Heeresmacht
Die Mörderhöhle zwingen in beherzter Schlacht?
Vernimm: der Hagia heilige Kindesfrömmigkeit
Hat einen Glauben angezündet mit der Zeit.
Apostel haben Tempel um den Berg gesetzt,
Der Völker schlicht Gemüt zum Wahnsinn aufgehetzt,
So daß, vor abergöttischem Eifer mitleidlos
Und hart, sie nicht gewaltsam und gezwungen bloß,
Nein, gern und willig ihrer Kinder blühend Leben
Dem Hieraus zur Krankenzehrung übergeben;
Wehklagend zwar, doch heiligen und segnen ihn
Und rutschen vor dem Berg anbetend auf den Knien.
Und niemand wage, daß dem Jungfernraub er wehre.
Sonst wehe ihm, und obs ein Gott und Heiland wäre!»
Pallas rief aus: «Ich setz den Zeigefinger zu.
Erfahrung leiht dir Zeugnis: Wahrheit redest du.
Hab Dank nun, Maja, Dienst ist Gegendienstes wert:
Das übrige erzählt dir Hermes' Faust und Schwert.»

Doch Maja schüttelte die Locken, stumm verneinend,
Und eine Weile schwieg sie, still nach innen weinend.
Dann fuhr sie fort: «Nimm an, ein Wunder fände statt:
Er wäre durch die Volkswut, durch die Tempelstadt
Mit ihren Priestern bis zum Berge vorgedrungen
– Unmöglich ists, allein nimm an, es sei gelungen –
Was hülf es ihm? Kein unbefugtes Auge findet
Den Gang, der zum Pelarg sich durch den Bergbauch windet.
Denn eine glatte Felsenmauerwand verschweigt
Das Tor, des Stelle kein erkennbar Merkmal zeigt.
Hätt ers durch Zufall auch erspürt, nimm ferner noch,
So ist der Gang ein moderdunstig Kellerloch,
Wo nicht des schwächsten Lichtes Schimmer Führung spendet.
Und während sich der Weg in jähen Winkeln wendet
Ohne Geländer, klaffen in den Winkeln allen
Abgründige Schachte; soviel Winkel, soviel Fallen.
Und nicht genug: Sturzbäche täuschen deine Schritte.
Auf halbem Weg zur Höhe, in des Berges Mitte,
Hält sich ein Riese namens Olim dort versteckt,
Der, eh vermutet, mit dem Schwert dich niederstreckt:
Der Kampfgefährte einst, in seinem jungen Leben,
Des Hieraus, dem Kranken annoch treu ergeben.
Ihm schadet nicht das Feuer, schaden keine Waffen,
Denn unverwundbar hat ihn die Natur geschaffen.
Und also sicher ist er, also sieggewöhnt,
Daß er im hitzigsten Gefecht den Gegner höhnt:
Er bietet ihm zum Amboß seinen breiten Rücken
Und läßt sich alle Hieb und Stiche schmunzelnd glücken.
Zeig mir die Möglichkeit, wie tapfer du schon bist,
Einen zu meistern, welcher unverwundbar ist!
Doch meinetwegen! Denken wir den Riesen weg,
Dann kreuzt ein schlimmer Scheusal noch des Fremdlings Weg:
Zuoberst vor des Mörders eignem Wohngemache
Die Schlange Hypokrisis. Also heißt ein Drache,
Der tödlich Gift aus hundert Vipernrachen zischt
Und dessen Leben unter keinem Streich erlischt,
Es wäre denn, daß einer die drei Worte wüßte,
Ihm so verhaßt, daß er davon verenden müßte.
Und noch nicht alles. Noch ein letztes bleibt zu sagen:
Es heißt, des Mörders Anblick kann kein Mann ertragen,
Weil seine Runzelstirn Erinnerung entriegelt,
Weil sich in seinem blöden Blick die Urwelt spiegelt.
Und während Haß mit Andacht staunend sich vereint,
Bleibst du mit lahmem Racheschwert vergafft, versteint.
Indessen Hagias Messer dir zur Seite schleicht
Und, was die Bosheit ihr befiehlt, vollendet leicht.
Des Weibes Auge einzig ist davor geschützt,
Weil ihr das Unverständnis übers Staunen nützt.
Das also sind im Berg des Schweigens die Gefahren.
Ihr seid gewarnt. Die Mahnung mag ich euch ersparen.
Jedwedem Willen seinen Lauf und seine Strafe.»

Dann trennten sich die drei und legten sich zum Schlafe.
Von stolzen Tatenträumen eingewiegt, entschlief
Das herbe Haupt der Pallas, atmend gleich und tief.
Mit Tränen schluckte Maja leis ihr Maß des Kummers;
Nicht fand sie, noch begehrte sie den Trost des Schlummers.
Doch Hermes, als der letzte Ton im Haus entschwieg,
Entglitt dem Lager, stahl sich nach dem Felde, stieg
Durch des Orakels finsteren Geheimnisschlund
Die Stufen abwärts in den unterirdischen Grund.
Und in der Höllenfürstin Isis Feuerbronnen,
Der heller strahlt und schöner als die Tagessonnen,
Dreht er im Sprudel seine Lanze, daß die Flammen
Als Fahne flatterten vom Schaft, im Schweif zusammen.
Dann in die Lohe taucht er seines Schwertes Spitze,
Bis daß sie Sternenräder sprüht und Stachelblitze.
Also bewaffnet kehrt er wiederum verborgen
Durchs Feld nach Hause und erwartete den Morgen.

Und als der Morgen langsam nun gegangen kam,
Des Aufbruchs mannigfach Geschäft den Anfang nahm,
Da führte Maja durch den Hof mit eigner Hand
Den Feuerrappen Plutons als Erinnrungspfand
Und Gastgeschenk dem Hermes vor, reicht ihm die Zügel
Behutsam dar. Ein Schwung, und Hermes stand im Bügel.
Dann trat sie ihm zur Seite ohne Wort und Gruß,
Koste das Pferd, doch küßte heimlich Hermes' Fuß.
Drauf ritten die Olympier in den jungen Morgen.
«Hei Schicksalsglück! Ein Siegessinnbild sollst uns borgen!»
Sieh da: in eines hohlen Weidenstrunkes Fäule
Glotzte, den Schnabel wetzend, eine alte Eule.
Zwei mutige Falken aber kamen und vertrieben
Den Uhu aus dem Nest mit kräftigen Schnabelhieben.
«Dies Bild ergreif ich», jauchzte Hermes durch den Wald.
Und auf die ebne Straße bogen beide bald.
Doch hinter ihnen, ferne zwar und scheu seitab,
Folgte der Tod auf einem Gaul im Klappertrab.
Wie hinterm Löwen, wenn er längs der Wüstenlehne
Zum Jagdgrund schreitet, hinkt die trippelnde Hyäne.

Und als sie nun nach unablässigem Dauerlauf
Durchs Tal des Schweigens zogen nach dem Berg hinauf
Und des erbosten Volkes frommes Teufelstoben
Die Fäuste wies und von dem höchsten Tempel oben
Der Hohepriester seine schwarze Fahne schwang
Und Aufruhr heulte wider sie und Fluchgesang,
Da zeigte in der Luft mit mächtigem Armesstoß
Hermes dem Feind die höllische Standarte bloß,
Von deren Spieß ein rotgeschwänztes Flammenmeer
Über die tausend Köpfe sprang im Flug daher
Und fraß die Lügenfahne, daß sie hing in Fetzen.
Und alles Volk entfloh in schreiendem Entsetzen.
Und als er erst sein weithin leuchtend Freiheitszeichen
Gebieterisch gepflanzt in eines Hügels Weichen,
Ritt er mit Pallas um den Berg, der Wand entlang,
Die Tür zu finden nach dem unterirdischen Gang.
Und wie der Dachshund, wenn er einen Maulwurf wittert,
Die gierige Nase, die vor Jagdlust fiebrisch zittert,
Mit aufgeregten Sprüngen hier- und dorthin führt,
Dann plötzlich, wenn er das ersehnte Mausloch spürt,
Steckt er sein Maul hinein mit Schneuzen und mit Schmatzen,
Und jetzt beginnt ein emsig zappelnd Pfotenkratzen:
So schnupperte des Hermes Rappen längs der Wand
Und pochte mit den Hufen, bis er Echo fand.
Hier bäumt er hochaufspringend sich am Fels empor
Und schlug den Hammer. Knarrend tat sich auf das Tor.
Jetzt beide in den finstern Kellerzug hinein,
Erhellt von Hermes' Degenblitz im Widerschein
Und von des Feuerrappen goldnem Nüsternschnauf.
Durch alle Winkel zündet ihnen Licht vorauf.
Indes von hinten durch das Tor die windbewegte
Lebendige Himmelsluft die Moderdüfte fegte.

«Heda, ihr zwei! Was will die Feuerreiterreise?»
Hermes bekannte: «Tod dem mörderischen Greise.»
«Das will ich», wetterte der Riese, «dir verleiden.»
«Darüber wird das Schwert und nicht dein Maul entscheiden.»
Schon wetzten kreischend aneinander sich die Klingen,
Und Stahl auf Stahl begann den Zwiegesang zu singen.
Des Hermes Arm und Augen hielten treue Wacht,
Die ungeschlachten Hiebe, die ihm zugedacht,
Blitzschnell nach außen werfend rechtshin oder links,
Die Stiche aufwärts oder abwärts weisend flinks.
Und hin und wieder lobt er spöttisch seinen Feind:
«Nicht übel! Gelt, das war auf meinen Kopf gemeint?»
Dann rief er: «Bist du fertig und gefällt es dir,
So hab nun ich das Wort. Obacht! Jetzt ists an mir.»
Zuerst mit kühlem Blute, ohne Leidenschaft
Und ohne groß zu denken, nahm ers mit der Kraft,
Ob durch den Degenkorb er ihm die Handgelenke
Verstauchen möge oder ihm den Arm verrenke
Oder mit einem Hauptschlag auf die Weisheitskammer
Das Schädeldach zerschmettre mit dem wuchtigen Hammer.
Umsonst; zwar jeder dritte seiner Hiebe saß,
Und jedem andern wärs genug im Übermaß:
Der Olim aber kratzte sich und lachte bloß.
Da wurde Hermes mählich heiß und legte los.
Den Rappen reizend, daß sein steiler Angriffssprung
Des Riesen Nacken herzte mit Umklammerung,
Begann er ihm mit schnellgeführten Paukenschlägen
Den Scheitel auszustauben und den Kopf zu fegen
Und gab ihms durch das Maul auf dies und jenes Ohr:
Der Unhold zahnte nur und wies die Zunge vor.
Danach versucht ers mit dem abgefeimten Witze,
Heimtückisch ihm die Nase mit der Degenspitze
Umstichelnd, gleich als ob er nach den Augen zielte,
Wozu er hässig nach der rechten Schulter schielte,
Bis daß er unversehens wie der Biswind jach
Ihm um den Bauch schlug und nach seiner Leber stach.
Der Olim rief: «Das dient der Mahlzeit zum Vertrieb.
Hab Dank!» Wonach er blinzelnd sich den Magen rieb.
«Ist denn auf Erden nirgendwo ein Mittel gut
Für diesen Vorweltrüpel?» schäumte Hermes' Wut.
Doch eine neue Überraschung jetzt bescherte
Dem Schäumenden der Ungefüge. Schmunzelnd kehrte
Er ihm den ungeschlachten Rücken: «Nach Belieben!»
Und stellte sich zum Amboß friedlich seinen Hieben.
Da starb Verstand und Glauben in des Hermes Hirn,
Und ratlos wischt er sich die schweißbedeckte Stirn.
Der Riese höhnte: «Gelt, dein Winkelmaß entschwebt?
Das hast du, kleiner Schäker, niemals noch erlebt?
Es geht halt in der Welt nicht alles nach der Regel.»
Und setzte sich und kaute seine Zehennägel.
Der Freundin aber, die von hinten unbeachtet
Dem Kampfe zugeschaut und alles wohl betrachtet,
So daß kein Vorfall, selbst der kleinste nicht von allen,
Ihr dunkel blieb, war wiederholt schon aufgefallen,
Wie ab und zu der Olim, auch im schärfsten Streit,
Geschwinde mit dem linken Arm in Heimlichkeit
Aus einer Nische langte einen Henkelkrug
Und ihn zum Munde führte, schluckend einen Zug;
Worauf er sich verjüngt den borstigen Schnurrbart leckte,
Den Krug sofort dann ängstlich wiederum versteckte,
Und als der Höhnische, von Dünkel trunken ganz,
Nun aufsprang und nach einem täppischen Waffentanz
Nochmals zum Kampfe brüllte und zum Vorbegriff
Sein Schwert zweihändig auf- und abschwang, Saus und Pfiff,
Und Hermes gnädig überließ, sich auszubitten,
Wie er sich wünsche, querdurch oder längs zerschnitten,
Und ob er lieber gar gekocht in Öl und Schmalz-
Gefressen werden wolle oder roh mit Salz:
Da stach sie mit der Lanze an des Freundes Seite
Vorüber nach dem Krug und stieß ihn in die Weite,
So daß er hintenüber an die Mauer prellte,
Von dort zu Boden, wo in Scherben er zerschellte.
Wehklagend rief der Riese: «Jammer! Meine Lungen,
Mein Schnaufgestell, mein Atemhäuslein ist zersprungen!
Pelarg, mit deinem treuen Olim ist es aus!
Nicht länger schützt dich seine Kraft vor Feindesgraus.
Pfui Scham! Durch einer Weiberschürze Hinterlist
Den Tod zu finden, wenn man unverwundbar ist!»
Nach diesem tat der Olim einen Schnapp und knickte
Machtlos zu Boden, keuchte, röchelt und erstickte.
Und halber über seine Leiche, halb vorbei
Verfolgten weiter ihren Lauf die Freunde zwei.

Und als nach mancherlei Geduld- und Vorsichtsproben
Sie glücklich kamen an des Ganges Ende oben
Vors Wohngemach, zu dem statt Riegeltür und Schloß
Ein Vorhang bloß den Eintritt wehrte, nicht verschloß,
Vernahm ihr lauschend Ohr aus einem fernen Zimmer
Ein lautes Lallen neben Krankheitsnotgewimmer,
Indes ein Fäulnis- und Verwesungspestgeruch
Die Mörderhöhle meldete mit grausem Spruch.
Still standen sie und hielten bang den Atem an.
Da schoß der Drache Hypokrisis auf den Plan,
Ein einziger Teufelswurm, geflickt aus hundert Schlangen.
Und ringsum schießend, hatte sie der Wurm gefangen.
«Ach weh mir Armen» klagte Pallas, «wie viel Gift!
Mach, daß dein Mund durch Zufall die drei Worte trifft!»
Doch Hermes tröstete: «Das Scheusal faucht vergebens,
Ich spuck ihm in sein Giftgezisch den Hauch des Lebens.»
Kaum daß das Wörtlein 'Leben' rief des Hermes Eifer,
Ergriff der Wurm bestürzt die Flucht, und blutiger Geifer
Entquoll mit gräßlichem Geheul aus seinem Rachen.
Auflachend strafte Hermes' Hohn den flüchtigen Drachen:
«Ei, was das Wörtlein 'Leben' über dich vermag,
Du Teufelsbrut, du Nachtgezücht, das flieht den Tag!»
Kaum 'Tag' gesprochen, überzog den Wurm ein Krampf,
Und Kreisel ringelnd wälzt er sich im Todeskampf.
Zu Pallas lachte Hermes: «Daß man Wunder tut
Und Rätsel löst, brauchts Schlauheit nicht, es reicht der Mut!»
Beim Wörtlein 'Mut' vollzog der Drache einen Schnauf
Und Schnarch und löste sich in Schleim und Unrat auf.
Ein Spritz noch, und verendet; gleich der Weinbergschnecke,
Wenn ihr ein Bub des feuchten Leibes Unterdecke
Mit Salz vergiftet, ihr zum tödlichen Geschwür.

Dann stießen beide Reiter durch die Vorhangtür,
Die Hand am Schwert, den Atem hemmend mit der Seele,
Neugierig, welch ein häßlich Schauspiel sie verhehle.
Kein Zimmer, nein, ein Schlachthof, eine Henkerstätte
Empfing sie, ähnlich eines Geiers Luderbette.
Gerippe, Knochen, halb entfleischte Frauenschädel,
An denen noch des sanften Haares Lockenwedel
Herunterwallten oder Zöpfe lang und schwer,
Deckten den Boden – ein gefroren Knochenmeer.
Und Fleischerhaken längs der Wand und Metzgerschragen,
Wo blutige Rumpfe hingen, bleiche Glieder lagen.
Ungern nur tastete der Pferde Kniegezappel
Sich Bahn durch klapperndes Geripp und Knochenrappel.
Ein zweiter Vorhang. Jenseits hinter seiner Schwelle
Kam ein Altar. Auf des Altares Opferstelle
Lag – siehe da! – Tamyris nackend überm Stein,
Der Mund verstopft und schnöd gefesselt Arm und Bein.
Zornschreiend glitt vom Pferderücken Pallas da
Und sprang eins zwei der Jungfrau hilfsgeschäftig nah.
Indessen Hermes durch den letzten Zwischenhang
Ins eigne innerste Gelaß des Mörders drang,
Das Schwert gezückt, das Roß gerafft zum Angriffssprunge,.
Die Rache in der Faust, Verwünschung auf der Zunge.
Doch vor dem heiligen Anblick, welcher seiner harrte,
Erschauerte sein Herz, und Aug und Hand erstarrte:
In einem Schwarm von Ärzten, die Entrüstung glotzten,
Gelehrte Mützen auf dem Kopf, die Weisheit protzten,
Von tausend Tiegeln, Gläslein, Töpfchen rings umstellt,
Der Arzenei gesamte Apothekenwelt,
Daraus ein widerspruchvermengter Würzebrodem
Die Luft verbrenselte mit sauersüßem Odem,
Saß der Pelarg, der greise kranke Hieraus,
Im Bett und stierte geistlos aus den Augen aus;
Vom eignen Arme nicht, dem keine Muskel nützt,
Von seiner Tochter Hagia Händen unterstützt,
Die jetzt ein Schüsselchen mit schmeichlerischem Blick
Ihm vorhielt, jetzt das Kissen unter dem Genick
Zurechtschob, kosend und des harten Dienstes froh.
Ungnädig litts der Alte. Widerwirsch und roh
Schlug er nach ihr, ob kraftlos und vergeblich immer.
Da, seis vor Leibes-, seis vor Seelenleid: Gewimmer
Und Lallen kam aus seinem Mund und ächzend Stöhnen,
Gemischt mit leisen langgezognen Klagetönen.
Den trüben Greisenblick verklärten Widerlichter
Von einstiger Jugend und Erinnerungsgesichter
Vergangner Dinge. Eine Ahnenwelt genas,
Darin des Hermes Seherauge brünstig las,
Heißdurstig, einer fremden Vorzeit Urgeschichten
Zu schlürfen, die ihm eine zweite Schöpfung dichten.
Doch horch! Vom Vorraum Stimmen: Pallas' Adlerschrei
Mit der erlösten Jungfrau Weinen zwischenbei.
Darob erwachte Hermes und besann sich. Sporn
Und Zügelruck, und vorwärts fliegt des Rappen Zorn.
Doch Hagia, drohend ihren Arm als Schild erhoben,
Wirft sich ins Mittel: ihres Busens Stürme toben,
Ihr Blick schreit Angst, dem Mund entfährt ein Stoßgebet.
Von fremden Reden, deren Schmerz man nur versteht.
Er schwankt. Wer hat das Vorrecht auf den ersten Stoß?
Die Wahl ist schwer, und die Gewissensnot ist groß.
Ihm zielt der vorgestreckte Stahl mit Doppellust
Bald nach des Mörders Hals, bald nach der Mördrin Brust,
Da krampft sich hinterrücks – wer ist, wer darf das? halt! –
Um seine Rechte einer fremden Hand Gewalt
Und stößt sie samt dem Schwert, ihm selber ungewollt,
Nach Hagias Busen, die im Blut zu Boden rollt.
Wild sah er um sich. Pallas trotzt ihm ins Gesicht:
«Ich wars, ich tats. Und nenn es billiges Gericht.
Auf jetzt, zum Hieraus! Und nichts von Schonung! Scharf!»
Zu spät. Der hat des Richters fürder nicht Bedarf.
Denn, weil nicht länger unterstützt, vom Sitz gebrochen,
Wie ein Gespenst als Häuflein in sich selbst gekrochen,
Raubt ihm der Schreck des tausendjährigen Atems Rest.
So feierte die Strafe das Vergeltungsfest.
Nun noch die Ärzte teils mit flachen Klingenhieben,
Teils mit der Spitze in den Gang vorausgetrieben,
Tamyris hinter Pallas übers Pferd gesetzt,
Und nun zurück, den Berg hinab, zum Ausgang jetzt.

Da wo sein Flammenzeichen Hermes eingerammt,
Dort knieten nun die gläubigen Völker insgesamt.
Und dankbegeistert wurden von den Andersfrommen
Pallas und Hermes mit Tamyris aufgenommen.
Allein wer ist, zuoberst auf dem Gipfelstock,
Der Mann mit Ehrenzeichen am Beamtenrock?
Das ist der Meister Tod. Das Maul von Spott umglänzt,
Der Kappenschirm mit einem Lorbeerzweig bekränzt,
Steht er spreizbeinig grätschend auf zwei Flühen oben,
Des Berges Gleichgewicht und Tanzkunst zu erproben.
Von seiner Schenkel immer stärkerm Schaukelschwanken
Gerät der First, bald auch des Berges Rumpf ins Wanken.
Gefahr! Noch schnell mit aller Kraft ein letzter Schwung,
Dann flink abseits aus dem Bereich, mit Satz und Sprung.
Und jetzt beginnt der Berg und hebt die Füße! «Uch!
Entflieht!» – «Hast du gehört? Das war Gewölbebruch.
Ich denk: im Mördergang.» «Hu, wie das Dach sich neigt
Und Fels auf Fels sich türmt! Und alles Treppen steigt!»
Mit einemmal ein himmelhoher Weltensturz
Mit höllischem Gepolter. Fertig. Das war kurz.
Kein Berg mehr, nichts als eine Wolkenflut von Staub.
Hast dus begriffen? Nein? Allein du siehsts, so glaub!
Und während jedes Auge nach der Bresche staunte,
So tänzelte der Tod an Pallas' Ohr und raunte:
«Vielleicht dient dieses Beispiel, Herrin, dir zur Stütze:
Bin ich nicht lieblich, bin ich nötig doch und nütze.»
«Und ob du noch so nötig seist und nütze noch»,
Versetzte Pallas harsch, «ein Schurke bleibst du doch!
Nie daß du meines Hasses Abgrundtiefe lernst!»

Dann ritten beide nach der Heimat, froh und ernst.


 << zurück weiter >>