Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Zweiter Gesang
Anankes «Halt!»

                      Im Turm der Weltenwerkstatt, wo die tausend Tasten
Und Klappen der verborgnen Drähte niemals rasten,
Die pünktlich Meldung bringen, was in aller Welt
An jedem Orte Stund um Stund ins Dasein fällt,
Und ohne Unterbruch die Schreibenadel schwirrt,
Schriftzeichen stechend, die kein sterblich Aug entwirrt,
Saß, überm Rechentisch die Stirn gebeugt, Ananke,
Und sorgenvollen Fleißes prüfte sein Gedanke
Den Gang des Lebens, der Gestirne Gleichgewicht –
Doch halt! Der Draht, der vom Olymp kam, stimmte nicht.
Kopfschüttelnd stand er auf und trat mit leisem Murren
An einen Spiegeltisch und ließ ein Rädchen schnurren.
Lebendig auf dem Spiegeltische, siehe da,
Erschien in farbigem Bild, was im Olymp geschah:
Der meisterlosen Götter kecker Reiseflug
Täglich in alle Welt, wohin die Laune trug,
Der Schranken nicht gedenk, die Unterordnung höhnend,
Und Zeus daheim, der trägen Liebeswollust frönend.
«Ei sieh doch!» rief sein Zorn. «Wieso geht das vonstatten?
Nicht dafür einzig, denk ich, um sich zu begatten,
Hab ich zum König, will mir scheinen, Zeus ernannt,
Sondern damit er halte Hof im Menschenland.
Ich will doch wahrlich wissen, wer sich unterfängt,
Daß er die Finger in die Weltgeschäfte mengt!»
Zum Schreibepult hinüber schritt sein Unmut jetzt,
Und eine Frage hurtig aufs Papier gesetzt,
Schob er den Zettel einem klugen Eisenmann
Ins Ohrenloch. Geschwind die Kurbel faßt er dann
Am Handgriff, dreht ein paarmal kräftig um, soweit
Es ging, und wartete. Nach einer schwangern Zeit
Begann ein schauerlicher Eingeweidekampf
Im Eisenmann, mit Krämpfen und mit Fußgestampf.
Dann klappt er mit den Kiefern, würgte und gebar
Aus seinen Zähnen einen langen Streifen dar.
Und auf dem Streifen stand, in Kleinschrift aufgeschrieben,
Die Antwort auf Anankes Frage und Belieben:
Wo er der Schicksalsgöttin Eingriff jetzt erfuhr,
Wie Moiras Gnade, ohne anzufragen nur,
Aus Mitleid Hera einen Ferienbund gestiftet,
Solang ein Ehezwist den Frieden nicht vergiftet,
Und zwar dem Göttervolk den Weltraum überhaupt,
Allein das Menschenland ausdrücklich nicht erlaubt,
Und wie zum Zeichen, daß der Ferienbund bestehe,
Die grüne Fahne Olbia überm Firste wehe,
Die aber polternd jenen Tag vom Dache stürze,
Wenn Heras Bosheit sträflich Zank und Zwietracht schürze.
«Wo nimmt sie, möcht ich wissen, die Befugnis her?
Doch falls sie meint, ich laß ihr dessen die Gewähr,
So täuscht sie sich! Wer ist denn schließlich eigentlich
Im Weltall Herr und Meister? Jene oder Ich?»

Und seines Geistes Unruh, seines Ärgers Jast
Trieb ihn vom Turm, und immer weiter ohne Rast,
Bis daß er war gekommen in ein Gartenhaus,
Das lugte mitten gegen den Olymp hinaus.
Dort hinterm Lattengitter, das im Efeu faulte,
Tückisch verborgen, setzt er sich und grollt und maulte.
«Die Lotterwirtschaft», knirscht er, «kann noch lange währen!
Bis an des jüngsten Tages Morgen! Wer solls wehren?
Es sei denn, daß in diese Kartenpfuschermische
Ich selber mit dem Stöcklein etwas Ordnung frische!»
Und während so sein Herrscherunmut schußbereit
Den Willen wog in zweifelndem Gedankenstreit:
«Wart! still! War das ein Windstoß? Oder hört ich recht?
Was soll dies Prahlen, das sich vom Olymp erfrecht?
Trompetenblasen, scheint mir, Glockenschellenläuten
Und Botenruf! Laß sehn, was mag denn das bedeuten?»
Und seine fürchterliche Raubtiermaske schob
Er wildlings durch den Efeu, welche Ingrimm schnob.
Und als sein Blick nun wahrnahm, wie die Botenrunde
Den Götterberg umschritt mit Aphroditens Kunde,
Und ihrer frevlen Meldung Wortlaut traf sein Ohr,
Wasmaßen sich die Übermütige verschwor,
Daß sie die ganze Menschheit aus der Menschenstadt
Samt Priestern und den Obrigkeiten, die sie hat,
Kraft ihrer Schönheit liebebuhlerisch vertolle,
Hernach zur Schau vor den Olymp bewegen wolle,
Zwar ohne Not und Nutzen, ohne Sinn und Zweck, :
Bloß für die windige Kurzweil, nur zum Wipp und Neck,
Sprang er empor. «Jetzt dieses», schäumt er, «dies jetzund,
Dies Stücklein stößt dem Faß den Zapfen aus dem Spund!
Für eines Weibleins Launen ist mir quellend Blut
Und atmend Leben der Geschöpfe doch zu gut!
Ich bin, bewahre, nicht empfindsam, weit entfernt!
Man nennt mich grausam, Mitleid hab ich nie gelernt.
Doch wenn ich würge, würg ich ernsthaft; Possenspiel
Zum Hohn der Kreatur ist nicht Anankes Stil.
Was gilts, o Aphrodite, wetten wir zwei beiden:
Das Erdenschlenkern will ich schleunig dir verleiden.
Ich weiß, kann sein, ein Mittel, daß das Menschenkind
Vor deinen losen Narrenbeinlein Frieden findt!»

Sprachs, und den Oberkellermann der Wasserwerke
Hygramp beschied er vor sein Antlitz: «Hör und merke:
Hüpp! ohne Säumen! Laß dichs Fleiß und Eile kosten!
Mit deinen Knechten öffne alle Wasserposten,
Welche den Dampf der erebinischen Sümpfe hemmen.
Mit Regen gilts das Menschenland zu überschwemmen.
Laß regnen, daß das Maul der Erde überläuft!
Laß regnen, regnen, bis der Schmutz im Kot ersäuft!»
Unwirsch vernahms Hygramp, der Mürrische. Verdrossen
Macht er sich auf mit seinen plumpen Werkgenossen
Und öffnete die rostigen Riegel und die Sparren
Der Wasserwerke all. Aufsprangen sie mit Knarren.
Und langsam kletterten die Wolken durch die nassen
Gehäuse, dampfend aus des Hades sumpfigen Gassen;
Durchnebelten die Felder, krochen nach dem Berg
Und hockten fröstelnd aufeinander überzwerch.
Und als sie gähnend nun das Menschenland umzingelt,
Da ward im Plätscherchor das lange Lied geklingelt.
Ein rieselndes Getropf, gespult vom ewigen Seile,
Und alle Welt ertrank in Schmutz und Langeweile.
Hohnspöttisch sahs Ananke, lachend in den Bart:
«Nun, Aphrodite, wohl bekomm die Erdenfahrt!
Fußhoch im Kote platschend deine Siegesbahn,
In Wasserstiefeln, einen Wachstuchmantel an!»
So sprechend, blickt er spöttisch nach dem ewig heitern
Schönfarbigen Olymp und wartete des weitern.

Und als am dritten Morgen nun, bekränzt, geschmückt
Die lose Göttin auf die Straße kam gerückt,
Gefolgt von einem übermütigen Maskenzug
Von Gauklervolke, welches Narrenbanner trug
Und Rasselklappern um das Menschenkind zu foppen,
Und unter stetem Johlen, Springen und Galoppen
Nach einem Stündlein Fahrt die ausgelaßne Schar
Den Wald hinab zum heitern Rank gekommen war,
Wo sonst den freudigen Blick des Wandrers insgewohnt
Die Schau der weiten Erdenländerei belohnt,
Prellte der Vortrab hinter sich, enttäuscht, betroffen,
Der Zug hielt an, und alle Mäuler standen offen.
Denn statt der trauten, farbenfrohen Ländersicht
– O Leid! – lag eine dicke, trübe Wolkenschicht
Dummstumm vor ihren Augen, deren graue Decke
Gebirg und Tal begrub in neidischem Verstecke.
Gleich Kühen krochen sie, mit trägem Wiedermampfen,
Aus deren Schnauzen schnauft ein kochend Nebeldampfen.

Myrmex der Förster ward in Eile herbeschieden,
Zu deuten dieses rätselhafte Wolkensieden.
«Hm!» munkte Myrmex, «sauber ist das Wetter nicht.
Der Wasserwind ist Meister, was für Regen spricht.
Zwar, wenn der Unterwind gewinnt die Oberhand,
Mag sein, so hälts vielleicht bis morgen noch Bestand.»
Neben den Förster trat der Jäger jetzt hervor,
Der tröstlicher erläuterte das Meteor:
«Mich dünkt das Wetter nicht so übel, wie es scheint.
's ist Westerluft mit etwas Südnordost vereint.
Der Hamster ist ins Feld, der Rehbock ist gesprungen,
Die Dächsin und die Füchsin säugen ihre Jungen.»
Ein Hirt mit schlauem Lächeln hörte blinzelnd zu.
«Nun, was ist deine Meinung? Wie verstehst es du?»
Der Hirt sah um den Himmel, schwieg und dachte viel.
«Was mich betrifft», geruht er, «ist der Föhn im Spiel.»
Doch Aphrodite spottete: «Ei was! Ah bah!
Was ist das für ein Ratsherrnschwatzgeplapper da!
Meint ihr, ich hätte nichtsfürnichts die lange Nacht
Außer dem Bett gestanden und mich schön gemacht?
Vorwärts! mir nach! Laßt die gelehrten Stoffel plaudern!
Ich wenigstens, ich geh. Die Weisheit macht mich schaudern.»
Gesagt, stellte die ausgespreizten Arm und Hände
Ins Gleichgewicht, dann flugs bergab gejauchzt behende.
Die ändern lärmend nach. Den ersten Nebelgruß
Empfing man mit Verbeugung, Knix und Hahnenfuß.
Dann niesend in die Wolkensuppe eingetaucht
Und hustend weiter, blind, von Nässedampf umraucht.
Doch unten auf dem freien, weiten Erdenplan
Gings fröhlicher, im Schwarm und Siegestanz voran,
Mit Schellen und Trompeten, Schreien und «Juhu!»,
Stets lustiger und toller, lärmend immerzu.

Ein Schreckruf. «Halt! es tröpfelt!» «Torheit! Was noch gar!
Woher denn?» «Wenn ichs aber spüre, ists denk wahr!»
Mit eins war Jauchzen und Galoppen eingestellt.
Still standen sie, einsam im weiten wüsten Feld;
Ein Wimmelzug von finstern Wolken rings umher,
Die stierig aufeinanderhockten plump und schwer.
Hier klettern sie, dort siehst du sie in Trauben hangen;
Am Himmel nicht: am Boden kommen sie gegangen,
Als wollten sie die Schnauzen in den Acker wühlen.
Und also nah: man konnte sie mit Fingern fühlen.
Eins ist gewiß: wenn Regen kommt, so regnets tüchtig.
Wie da die Narrheit kleinlaut ward und zahm und züchtig!
«Heim oder vorwärts?» «Dumm! Das wird man später sehn.
Einstweilen, mein ich, heißts vor allem unterstehn.»
«Ja; aber wo?» Kein Schutz, kein Schirmdach zu erkennen.
Und ratlos ging es an ein unvernünftig Rennen.
Die im Galopp und die im Trab und Zotteltrott,
Mit Schreckensrufen dort, und hier mit Selberspott.
Jetzt das, da hilft kein Leugnen, das: das nennt man Regen!
Ein Wettlauf beinelte, unsinnig und verwegen.
Platsch! kommt mit einem kieselharten Donnerschlag
Ein Wolkenbruch, der schüttet, was es schütten mag.
Versprengt, verjagt, in Sprüngen durch die Ackerschollen,
Und jeder blieb für alle übrigen verschollen.

An einem Wiesenhäuschen nahe einem Bach
Hielt endlich Aphrodite unter Schirm und Dach.
Sie wußte selber nicht, wie sie hieher geschah:
So blind und hitzig gings. Genug, sie stand halt da.
Philosophie darüber schien ihr überflüssig.
Zuerst, am Anfang, war sie mit sich selbst nicht schlüssig,
Ob sie sich ärgern oder ob sie lachen sollte.
Ein günstig Zeichen: horch! Gewitterdonner rollte.
Folglich: je greulicher es schüttete vom Zuber,
Um desto bälder ist der Wolkenbruch vorüber.
Wenn also dann und wann es wie aus Kannen platschte,
So rief sie: «Danke schön!» und trällerte und klatschte.
Das kräftige Abenteuer macht ihr schließlich Spaß.
Eins konnte freilich sie nicht leugnen: sie war naß.
Pflotschnaß wie keine Nymphe, die im Brunnen lebte.
Ihr töricht Buhlgewand, das lockre Hemdlein, klebte
An ihrem Leib so eng wie eine Oberhaut,
Jedweden Linienschwung getreu nachzeichnend: schaut!
Im See des Schuhwerks gabs beim kleinsten Sohlenglitschen
Gesang, bald lautes Schmatzen, bald ein schüchtern Quietschen.
Und aus dem Blumenkranz im Haar die Lilienkelche
Hingen ihr auf die Stirn, sogar ums Ohr etwelche.
Sie nahms vom Frohen und vom Freien: «Wenig schade!»
Rief sie. «So komm ich halt dem Mannsvolk als Najade!
Die Augen kanns nicht schmelzen: wenn die bei mir sind,
So fürcht ich weder Göttersohn noch Menschenkind!»
Und schüttelte mit Macht die Mähne wie ein Pudel,
Der aus dem Schwimmbad steigt, so daß ein Wirbelstrudel
Von Tropfenfeuer sie rundum mit lustigen Ringeln
Umsprühte; wärens Glöcklein, hörte man sie klingeln . . .
Drauf duckte sie den Nacken in den Guß der Traufe,
Neugierig, ob er halsab oder rücklings laufe.
Und da's nun einmal also stand: warum nicht besser
Herzhaft ins Freie? Trunkner Schwamm wird niemals nässer.
Ein Schritt mit spitzer Zeh, ein Sprung auf einen Stein,
So stellte sie sich tapfer in den Regen ein;
Den Kopf zurückgebeugt, die Arme ausgestreckt,
Mit halb erschloßnem Mund die Tropfen eingeleckt.
«'s ist frisch, 's ist rein! So sagt: wo liegt denn die Gefahr?»
Lustatmend vor Vergnügen, wenn ihr mächtig Haar,
Das von dem Wasserschlucken immer schwerer wog,
Die Stirn wie ein Gewichtstein sanft nach hinten zog.
Wärs nicht so kühl und lief ein Sträßlein durch den Schmutz,
Sie machte sich den nahen Bach zum Bad zunutz.
Bis daß ihr von dem unablässigen Geklopf
Auf Stirn und Scheitel schließlich taumelte der Kopf.
Da flüchtete sie wieder auf den alten Stand
Und sah das Häuslein an mit Ruhe und Verstand.

Kreuzbalken unten, oben eine Wand von Latten,
Die Zwischenklüfte, Löcher, Altersbresten hatten.
Was wohnt wohl drinnen? Dunkel. «Dem Geruch nach Heu.»
Sie zupft ein Pröbchen an sich. «Richtig, meiner Treu!
Ein Häslein oder Vöglein, würd es drinnen hocken,
Geborgen wärs im weichen Neste, warm und trocken.
Laß sehen, zeig!» Im Rundgang schlich sie auf die Spür,
Ob wo ein Schlupf sich öffne, lieber eine Tür.
Sieh da: ein Pförtchen oben in der Lattenwand,
Ein wenig hoch zwar, doch erreichbar mit der Hand.
«Pfui Leid! der alte Geizhals!» Neidisch abgesperrt!
Mit kindischem Zorn das Türlein angepackt, gezerrt –
O Überraschung! Jupp! Der morsche Pfosten – krach! –
Die Latte, drauf das Schloß genagelt war, gab nach.
Ein Nachdruck noch, und gastlich stand die Haustür offen.
Mit etwas Turnkunst kann man einzusteigen hoffen.
Allein ein spinnenseiden Hemd mit Spitzenbort
Und Blumenstickerei taugt nicht zum Klettersport.
Sie schaute um sich: nichts als Dunst von Regenschauern,
Die Einsamkeit verteidigend mit Wassermauern.
Also die nasse Fischhaut sich vom Leib geschält,
Den Arm durchs Armloch und den Kopf hinausgequält,
Hernach das Hemd zur Wurst gedreht und ausgerungen,
Gezielt, und hupp! das Bündel durch die Tür geschwungen.
Verschwunden. Liegt im Heustock. Gelt, das war geschickt!
Die Schuhe ausgeleert und hinterdreingeschickt.
Und nun, zeig deine Kletterkünste, Aphrodite!
Schön abgemessen, gleichen Abstands von der Mitte
Die Hände angesetzt. – Gut so! Jetzt stemm ein Knie
Fest an die Balken! «Ai! au weh! Das kann ich nie!»
«Zieh an! Es geht! Es muß!» Verzweifelt Füßekrabbeln
Am Holz hinauf mit Rückenfleiß und Schenkelzappeln –
«Brav so! Triumph!» Nachrückenarbeit, Lendenwallen:
Drin lag sie, ob auch mehr gepurzelt als gefallen.
«Ha! Wie sichs warm und wohlig wohnt im Heu hierin!»
Und watet einen Stampfspaziergang her und hin.
Endlich sich frei und offen rücklings hingeschmissen.
«Hei! lustig! Spielball!» Drum des Schaukelns sich beflissen,
Bergauf, bergab mit Hüftenstoß und Waagewiegeln,
Und horchte nach dem Regen, trommelnd auf den Ziegeln.
«Nur zu! Mags Frösche regnen oder Hühner hageln!
Mir gleich!» Und fröhlich schwang ihr friedlich Wiegewaageln.

Doch während sie sich so im Bette gütlich tat,
Geschah im Winkel hinten ein geheimer Rat
Von Kleingeziefer, flüchtend aus dem schwanken Schochen.
Die Tagesneuigkeit ward aufgeregt besprochen.
Zitternd hub an ein Käfer: «Nie in meinem Leben
Erlitt ich solch ein katastrophisch Grashaufbeben!
Ein fabelhaftes Ungeheuer, riesengroß,
Stampft mit den fürchterlichen Hüften Stoß auf Stoß.»
Ihm widerhielt ein winziger Mottenschmetterling:
«Wie schlimm schon die Gefahr, es ist ein eigen Ding:
Lacht meinetwegen, heißt mich närrisch, nennt es Wahn –
Ich bleib dabei: das Ungeheuer zieht mich an.
Ein Licht strahlt aus von seiner Haut, so rein, so weiß,
Wie ich von keiner Kerze, keiner Ampel weiß.»
Ein Heuschreck nickte mit den Fühlern: «Seht mich da:
Sie hat ein Bein mir abgedrückt. Es schmerzte. Ja.
Doch also wund und hinkebeinig, wie ich bin,
Und wärs zum Tod, ich hopple wieder zu ihr hin!»
Belehrend kam der Spruch aus einem Fliegenschwarme:
«Ob noch so groß, gefährlich sind allein die Arme.
Wo die nicht reichen, könnt ihr unbekümmert schalten.
Drum immer möglichst unten oder hinten halten!»
«Und das Gesicht!» pfiff eine Mücke, «und die Ohren!
Ich sage: frisch ans Werk! Sofort den Mund anbohren!»
Drob packte tapfre Angriffslust die Kerbgenossen.
Und also ward einstimmig jetzt im Rat beschlossen,
Vereint, nach jedermanns Vermögen und Erfrechen,
Den Findling anzuknuspern oder anzustechen.

«Merkwürdig», meint auf ihrer Schaukel Aphrodite
Und stellte den Betrieb mit heftigem Gegentritte,
«Der Heustock war doch früher, schien mir, nicht so heiß,
Und nicht so spitzig Stroh darin, soviel ich weiß.
Es ist, als ob ich Feuer in den Beinen hätte!»
Und strampelte mit allen Gliedern um die Wette.
Bald auf die Seite warf sie sich, bald auf den Bauch,
Schlug mit den Armen um sich. «Ui! Was ists denn auch?»
«Nichts ist, als dein Gezappel! Nimm dir Ruhe vor!»
«Wenns beißt!» Und schnellte wie ein Fisch im Gras empor.
Plötzlich mit einem Zornschrei sprang sie in die Höhe:
«Ich bitt um Büffel, Wolf und Bären! Aber – Flöhe!
Das also war die Hitze, die mich so geplagt!»
Und da ergebnislos verblieb die Einzeljagd,
Verfügte sie ein allgemeines Strafgericht:
Mit weiten Armen um sich greifend, warf sie schlicht,
Soviel von Heu sie laden konnte, in den Regen.
«Ertrinkt! Geschieht euch recht, der bissigen Bosheit wegen.
Wie das erleichtert! Wie das abkühlt!» Herzerfreut
Setzte das Werk sie fort. Und weiter ward geheut,
Armvoll um armvoll auswärts durch die Tür beschert
Mit emsigem Fleiße, bis der Schochen war geleert.
«Endlich!» So saure Arbeit war ihr nie beschieden.
Auf seufzte sie und pustete, befreit, zufrieden.

Doch weil nun leerer Raum im Hüttchen war enthalten,
Fegte der Durchwind pfeifend durch die Lattenspalten.
Und hier aus einem Loche, dort durch eine Ritze
Erschienen hin und wieder schräge Regenspritze.
Erst zuckte sie dazu die Achseln. Aber bald
Mußte sie zugestehn: es war abscheulich kalt.
«Bewegung wärmt!» Drum nahm sie Wildgebärden vor
Und sprang herum. Half nichts: sie zitterte, sie fror.
Das Hemd anziehn? Vielleicht, es gilt um den Versuch!
«Brr! Nein! Fort mit dem nassen, eisigen Leichentuch! –
Kann sein, daß hinten in der windgeschützten Ecke,
Wenn ich mich kauere, mir Eigenwärme klecke!»
Gesagt, ging hin, verbeugte sich und ließ sich nieder.
«Ai! Sind die eklen Planken hart!» Aufstand sie wieder.
«Vielleicht gehts glimpflicher, mich länglich hinzulegen.»
Auch nicht. Lieg so, lieg anders: Schmerzen allerwegen.
Darob ergriff sie eine sehnsuchtsvolle Reue
Nach dem verschmähten warmen, weichen, molligen Heue.
Zum Fenster eilend, lehnte sie vornüber, fischte
Mit langem Arm, bis eine Handvoll sie erwischte.
Verrat! Knitschknätschig naß vom Platsch der Regenbraut!
Das war kein Heu mehr: eingeweichtes Sauerkraut.
So traf sie die Enttäuschung, daß zum erstenmal
Ihr Frohsinn schwand und Wehmut in ihr Herz sich stahl.
Beiläufig das Gewändlein traurig aufgerafft,
Mit kluger Hand ein vierfach Polster draus geschafft,
Dann in die Ecke sich gesetzt, sich krumm gemacht,
Die Arme auf den Knieen, und an nichts gedacht.

Der Mut dahin, der Reise Ziel und Zweck verloren,
Nichts weiter als gebebt, geschlottert und gefroren. .
Und immer waltete der leidige Regen noch!
Wo bleibt die Sonne eigentlich? Was treibt sie doch?
Und endlos kroch der Zug der stummen Wolkenkühe
Über der eingeschwemmten Äcker braune Brühe.
An ihren Schwänzen schleiften sie den Tag vorüber,
Der immer hoffnungsloser ward und immer trüber.
Dies Schmutzgrau will wohl Dämmrung heißen? «Wenn ich wüßte,
Daß ich in diesem Eisschrank übernachten müßte!»

Sie kam, sie blieb, die endlos lange, ewige Nacht.
Des Schlafes bar, mit Zähneklappern zugebracht,
Das Ohr vom Windgeheul beständig wachgestört,
Der trotzige Geist vom Unbehagen zornempört.
«Gebt mir mein Recht zu schlafen!» Schließlich gegen Morgen
Dünkt ihr, der Schlummer woll ein Gnadenstündlein borgen.
Tief hing ihr Haupt herab vom lässigem Genick.
Im Doppelspiel von Wirklichkeit und Traumgeschick
Schwebt ihr, als ob das Menschenvolk mit Haßgegröle
Zur Strafe sie vergrub in eine Gletscherhöhle –
Pam! Heftig schreckend aus dem Gletschergrabe, fuhr
Sie stöhnend in die Wirklichkeit: «Was gibts denn nur?
Wer kommt? Was will man Welcher Frechling darf das wagen?»
Ach so! Nichts als vom Wind das Türlein zugeschlagen . . .
Und weiter quälte sie die hässige Menschenbande,
Die Hexe schleppend vor die Stadt zum Feuerbrande
Auf hohem Scheiterstoß, von Henkershand getürmt – –
«Hu, wie es bläst und windet! Wie der Regen stürmt!»
Unangekündigt packt ein wütender Orkan
Das Hüttlein wie mit hundert Fäusten brüllend an
Und schüttelt es wie einen jungen Apfelbaum.
Zwar hielt es dank dem Gegendrucke, aber kaum.
Nun Todesschweigen. Dann von einem grimmigen Stoß
Im Nu ein Schock von Ziegeln wie zum Spiele bloß
Vom Dach gefegt, der Fensterladen abgeknickt
Und polternd mit der Feldpost über Land geschickt.
Ihr Auge funkelte. «Ists fertig?» Klatsch! ein Schuß
Durchs Fenster, und ein dicker Schwall von Regenguß
Verwandelte den Boden in ein pflotschig Meer.
Heuhäuschen heißt ihr das? Ein Badehäuschen mehr . . .
Jetzt aber, jetzt, jetzt ist das Maß des Ärgers voll!
Tobsüchtig ward sie, schnitt Gesichter, tat wie toll.
«Was ists denn heute? Ist Ananke wassersüchtig?
In welch ein Mausloch ist die feige Sonne flüchtig?
Lacht immerhin! Leert alle Blasen aller Welten:
Die Nacht, die Nacht, die soll das Mannsvolk mir entgelten!»
Dann wieder in den Winkel mit verhaltner Wut
Und rollte sich zum Knäuel, wie die Viper tut,
Die Schultern um die Ohren, um den Hals die Knie,
Und aus dem Knäuel fauchte sie und zischte sie.
«Und keine Charis, um mich Ärmste zu beklagen!
Kein fühlend Herz, nicht Eine Seele, um zu plagen!»
Endlich! «Erlösung!» Endlich fing es an zu tagen.
Jetzt nur ein einziger Gedanke: Fort! Hinaus
Aus dem verwünschten höllensüchtigen Marterhaus!
Zwar regnets Wassersuppen, und der Ackerbrei
Vermengt sich mit dem Grasgemüse. Einerlei!
Und gings durchs Feuer, käms in einen Hühnerstall:
Aus dieser Hölle loszukommen ist der Fall.
Hei, ward ihr diesmal Klettern und Gymnastik leicht!
O Jubel! «Draußen!» Und die Freiheit kaum erreicht,
Erfand sie etwas Schönes: «Weil du mich gepeinigt,
Du Folterhäuslein, dafür wirst du jetzt gesteinigt.»
Und Kieselsteine, sturmgebrochne Äste flogen
Ins Innerste, von ihrem Rächerarm gewogen.

Nun aber auf die Flucht, ins Weite, in den Regen!
«So nackt und barfuß wie ein Graswurm?» «Meinetwegen!»
Also stelzbeinig durch das nasse Kraut gepflutscht
Mit Storchenschritten; oft geglitscht und ausgerutscht.
Stets weicher ward es unter ihrem Fuß und feister.
Vermutlich Ackergrund. Nicht Grund, nicht Acker: Kleister.
Drob stutzte sie. Die Nässe litt sie noch zur Not,
Die Kälte hatte sie gelernt, hingegen – Kot!
Die reine, weiße Schönheitskönigin und Schmutz!
«Seis drum, wenns muß! Zur Wäsche ist der Regen nutz.»
Und seufzend watschelte sie entlings durch den Leim.
Ach! anders gehts im farbigen Olymp daheim!
Und Regenwürmer mehr als schön, und Schnecken, Kröten,
Wo Schwebetanzkunst nötig war, um keins zu töten.

Ja was! Was kommt denn da für Neues! Sieh doch! He!
Rundum, soweit das Auge reicht, ein gelber See.
«In dieses Weltmeer, glaubt ihr, bringt man mich hinein?»
«Es ist doch wenigstens verhältnismäßig rein.»
«Und ob ich drin ertrinke, scheint dir nebensächlich?»
«Kunststück! Im Regenwasser, seicht und oberflächlich!»
«Wenn aber Gruben oder Gräben drunter wären?»
«Jetzt bitte, sag, wie lange soll das Feilschen währen?
Zwar, wenn vielleicht die Rolle besser dir gefällt,
Als Regenpilz zu schimmeln auf dem freien Feld,
Oder zurück ins Hüttchen –» «Wehe!» Das entschloß.
«Nur das nicht!» Also mutig – «Hilf, Okeanos!» –
Die Zehe vor, und in das gelbe Meer getastet,
Mißtrauisch, und nach jedem Siegesschritt gerastet.
Allmählich ward sie sichrer und begann zu schwadern.
Bald kitzelte der Übermut in allen Adern,
So daß sie Wellen mit den Füßen wogte. – Pflumpf!
– Wie kams? – Bis an die Hüfte steckte sie im Sumpf.
«Ach!» greinte sie, «ich habs ja immer prophezeit:
Das gelbe Meer ist voller tückischer Teufelkeit!
Und wer verbürgt mir, daß nicht später – unbenommen –
Noch zehnmal schlimmere und tiefre Gruben kommen?
Ach, wär ich wieder auf der Schneckenwiese doch!»
Und wagte sich nicht vor-, nicht rückwärts aus dem Loch.
«Vorsicht! Sich lieber gar nicht rühren!» riet ihr Wille.
Sie lauschte – und erschrak vor ihrer eignen Stille.
Die öde, weite Wasserfläche schafft ihr Grausen.
Dämonen sah sie im Gewölk. Im Regenbrausen,
Im Sturmgeheul vermeinte sie Getier zu wittern.
Ein Krähenruf, ein Busch im Winde ließ sie zittern.
«Wenn nur nicht etwa Molche, fürcht ich, drinnen sind!
Dort kräuselt es verdächtig.» Täuschung, bloß der Wind.

«Jetzt aber! jetzt! o weh! kein Trug! Ganz deutlich schlingelt
Etwas durchs Wasser! Seht nur, wie es Kreise ringelt!
Gibts krumme Fische?» Schaudernd fing sie an zu stöhnen
Und wimmern in gesungnen leisen Klagetönen.
«Und just ein Aal! Das einzige Tier, vor dem ich bange!
Beißt eigentlich ein Aal? – Hilf!! Eine Wasserschlange!»
So jäh, so blitzschnell, wie sie aus der Grube fuhr
Und durch die Flut flog, das ist Zauber, nicht Natur!
Und kaum auf Schneckenboden, gings mit lautem Schrein
In toller Flucht gradaus. «Sie ist mir hinterdrein!
Ich spüre sie! So helft doch, liebe Leute! eilt!»
Gestürzt und wiederaufgeflitzt und fortgepfeilt.
«Ist denn kein Hort, kein Schirm noch Zuflucht auf der Welt?
Ein Hüttchen! Wohl mir! Hoffnung!» Wild drauflosgeschnellt,
Ein Sprung aufs Heu, ein kühner Schwung. «Gerettet! binnen!»
Da stak sie wieder in dem Marterhäuslein drinnen.

«Laß währen», rief Ananke, «o Hygramp! Laß währen!
Besinn dich nicht, den ganzen Hades auszuleeren!
Du kannst ja, um den Regen etwas aufzufrischen,
Von Zeit zu Zeit ein wenig Schnee daruntermischen!»

Ein Fuhrwerk klingelte gemächlich mit Bedacht,
Tripp, trapp, von Erden gen Olymp um Mitternacht.
Was drin ist? Ein Geheimnis, mit Geknurr gefüllt.
Ein Rätsel, dick in Pelz und Decken eingehüllt.
Ob lang, ob breit, ob Mann, ob Weiblein, merkst du nicht.
's ist alles kuglig eingemummt. Selbst vom Gesicht
Erkennt man hinter einem Büschel tschupper Haare,
Von Heu durchstrubelt und dergleichen Wiesenware,
Einzig ein Paar fuchszornige Augen, die im Dunkeln
Bös und gefährlich wie zwei heiße Kohlen funkeln.
Doch Charis, rückwärts predigend vom Kutschersitze,
Versetzte der Erbosten sanfte Geistesblitze,
Erinnernd, daß ihr doch kein Knochenbruch begegnet,
Und tröstend, daß halt niemand Gott ist, wenn es regnet.
Und also lehrreich fort im Weisen und im Frommen . . .
Schließlich, vor Aphroditens Hause angekommen,
Bewegten sich die Pelze. Zischen kam vom Mumm,
Und husch! vom Wagen, rollt er durch die Haustür stumm.

Zwei Wochen blieben drauf die Fensterläden all
Lichtscheu geschlossen wie bei einem Trauerfall.
Und stille wars, als ob kein Schnauf im Hause wäre.
Doch eine solche wutgeladne Atmosphäre
Von Racheklima, solch ein heißer Zorneshauch
Blies durch die Mauern, ob granitgepanzert auch,
Daß, wer auf hundert Schritt am Haus vorüberzog,
Vor Schrecken schleunig in die Büsche seitwärts bog.
Indes im Dachstuhlkämmerlein der Hinterwand
Charis am Fenster heimlich Wacheposten stand,
Den Finger – pst! – am Mund, verdreht die Augensterne,
Mit Angstgebärden heftig mahnend in die Ferne.

«Zum Wohlsein!» schmunzelte Ananke. «Mögs bekommen!
Die Menschheit, denk ich, lässest du hinfort im Frommen!
Das Nächste, Dringendste, das wäre nun getan.
Jetzt setzen wir den Hebel an den Hauptklotz an!
Wir wollen einmal, diesen Schlendrian zu heilen,
Dem faulen Zeus ein kleines Rüttlemich erteilen,
Dem, scheints, der Liebesspeck den Nerv des Willens frißt.
Dir gehts zu wohl? es mangelt dir der Ehezwist?
Getrost! Du sollst der Liebsten Hörnlein sputig spüren!
Ein Drache kohlt in jedem Weib: den will ich schüren.»

Gesagt, ging hin, und aus dem Geierkäfig nahm
Sein Griff, was ihm an Bosheit in die Finger kam;
Drehte sie prüfend um, und was da männlich war,
Verwarf er flugs ins Nest zurück, verächtlich gar.
Doch mit den Weibchen stopft er sich die Taschen voll,
Daß rundlich ihm der Rock und Mantelbusen schwoll.
Und welche Bosheit allzu gierig keift und boste,
Besänftigt er, indem er schmeichelnd sie liebkoste:
«Ruhig, ihr Kätzchen! Ruhig, ruhig in der Welt!
Gar schönen Taglohn kriegt ihr heute zum Entgelt:
Der Erdenfürstin Hera heimlich Herzenshaus
– Wie schmeckt das? – liefr ich euch zum Tummelplatze aus.
Darinnen dürft ihr alle Sprüng und Tänze stäuben
Und jede Teufelsdaimonsweibesbosheit täuben!»

Nach diesen Worten nahm er Hut und Wanderstab
Und reiste gen Olymp hinunter weltbergab,
Wo er am Gartenhag hinan zum Schlosse schlich.
Nacht wars, und kein Geräusch im Hause regte sich.
Entlang der Mauer streichend zwischen Tür und Dach,
Gelangt er um die Ecke vor das Schlafgemach
Des königlichen Paars. Dort griff er in die Taschen,
So viele Bosheit fassend, als er mocht erhaschen.
Also zum Schuß gerüstet, lugt er auf den Zehen
Durchs offne Fenster, ob er Hera möcht erspähen.
Und siehe da: im blassen Schein des Mondenstrahls
Die arglos Schlummernde zur Seite des Gemahls.
Von schönem Doppelfrieden ein vereinter Traum
Durchatmete den sorgenlosen, ruhigen Raum.
Doch wie er nun so lauernd vor dem Fenster stand,
Die Bosheitsgeier wägend in der hohlen Hand,
Geschah es, daß sein schwarzer Schatten durch den Schlaf
Der Königin den Urgrund ihrer Seele traf,
So daß die Träume, die vor ihre Augen zogen,
Nun ernst gerieten, schwer, von Trauer vollgesogen.
Ihr träumt, als thronte sie, von vielem Volk umgeben,
Mit ihren Frauen und der Götterschar daneben
In eines dunklen Tempels heiliger Finsternis.
War nichts zu schauen als der düstre Linienriß
Eines Altars zuhinterst in des Schiffes Bauch,
Wo eines kleinen Feuers glanzdurchglühter Rauch
Das weite Haus durchflutete mit harzigem Hauch.
Und während in des Tempels Grüften kellertief
Ein Grabgesang beständig unterm Boden lief,
Gab jetzt das Rauchorakel, qualmend vom Altar,
Vor einem Vorhang Farbenbilder offenbar,
Dem Feuerherd entsteigend, flüchtig wie Gedanken,
Indem sie, kaum entstanden, wiederum versanken:
Beispiele des geschaffnen Lebens allerlei,
Von jeder Kreatur ein treues Konterfei.
Doch blindlings nicht und wahllos hingeworfen nur
Erschien der Beispielzug. Die tierische Natur
Nahm zu an Rang, auf stetig höhern Formenstufen,
Als wie von einer zielenden Vernunft gerufen.
Schon war der Fische stumm Geschlecht, der Molch und Unken
Und Schlangen schleimige Brut erschienen und versunken,
Hernach der Vögel Schwärme und, unzählbar schier,
Das mannigfaltige Heer von wandelndem Getier.
Der Affe ging, der Mensch verschwand . . . Willkommen! ah!
Der Herr der Welt, der göttliche Titan, steht da.
Nach diesem Beispiel ruhte das Orakel aus,
Und Neugier und Erwartung flüsterten durchs Haus.
Horch! Demutmurmeln, gottesfürchtig wie Gebet.
Und leuchtend vor des Vorhangs samtnem Grund entsteht
Das Gleichbild Heras, königlich und groß und hehr;
Ihr strenges Antlitz straft die niedre Welt umher.
Fürwahr: des Lebens Krönung! Innig lächelnd grüßte
Ihr Blick das Schwesterantlitz, das ihr Herz versüßte.
Und während, ihr zur Huldigung, mit Preis und Lob
Einmütig die Versammlung rauschend sich erhob,
Gewährte sie vom Thron herab mit gnädigen Händen
Leutselige Küsse unters Volk nach allen Enden.

Doch halt! Verrat! Täuscht mich mein Auge? Seh ich recht?
Der Schein verblaßt. Ein neues Frauenbild erfrecht,
Ein fremdes, sich an die verwaiste Ehrenstelle,
Höher als sie, in noch vermehrter Strahlenhelle.
Und die noch eben – die Verräter! – demutsvoll
Ihr Huldigung erwiesen und Verehrungszoll,
Begrüßen jetzt, die Schamvergeßnen, Würdelosen,
Das neue Weib mit Jubelsturm und Beifallstosen.
Die Galle quoll ihr in den Mund. Mit wildem Schreien
Gedachte sie den Haß des Herzens zu befreien.
Allein kein Laut, kein Wörtlein wollte ihr gedeihen.
Da sprang sie zum Altar, und mit dem Zepter hieb
Sie feindlich nach dem Unweib. Doch das Unweib blieb;
Ob schwankend zwar und unbestimmt und unbegrenzt,
Doch klar von Farbe, siegessonnenlichtdurchglänzt.
Geh! Wider Trug- und Traumgespinste kämpft sichs schlecht!
Kann gegen Nebelwolken fruchten ein Gefecht?
Und schaurig aus des Tempels Kellerhöhlen tönte
Ein Spottgelächter, welches ihre Ohnmacht höhnte:
«Laß ab! Dein brüchig Königsstöcklein hat nicht Macht
Wider Ananke, welcher deines Zornes lacht.
Glaubst du vielleicht, weil du für eine kurze Frist
Zuoberst auf der Schaukel, daß du wichtiger bist
Als der geringste Wurm, als der gemeinste Schneck?
Törin! Was immer lebt, ist Mittel bloß zum Zweck,
Ein Stein im Brett, ein Punkt im ungeheuren Plan.
Auch du vergehst, und eine andere tritt an.»
So höhnte das Gelächter. «Gnade! Schweig! Zuviel!»
Und während sie bewußtlos auf die Fliesen fiel,
Stürzten mit polterndem Gekrach in Rauch und Flammen
Des Tempelhauses Wände über ihr zusammen.
Mit Bergen zentnerschwerer Quadern überdacht,
Lag sie für tot; wohin sie sah, Verzweiflungsnacht.

Das war das Traumspiel, welches durch den Mondenschein
Anankes Schatten schwärzt in ihr Gemüt hinein.
Und von des Traumgesichtes fürchterlichem Alp
So stöhnt und ächzte sie im Schlaf, erstickend halb.
Beharrlich aber lauerte durchs Fenster steif
Ananke. «Auf! Laß uns beginnen! Sie ist reif.»
Ein Wurf, mit sichrem Blick und treuem Arm gewogen:
Da war die Bosheit in ihr armes Herz gezogen.
Ob schlafend schon, so wehrte sie und sträubte sich
Und schlug den Kopf aufs Kissen, weinend bitterlich,
Dem Kranken gleich, der, ob bewußtlos, klagt und wimmert,
Dieweil der Arzt an ihm mit Beil und Säge zimmert,
Darum daß jenen Feind, den der betäubte Geist
Nicht merkt, der Schmerz den klügern Körper fühlen heißt.

Doch als sie endlich nun von Bosheit ganz und gar
Erfüllt, allseits durchdrungen und gesättigt war,
Da lag sie eine lange Zeit in Leichnamsruh,
Den Atem angehalten und die Augen zu.
Dann sperrte sie die Lider auf und hob sich, wach,
Zum Sitz, umklammert ihre Knie und dachte nach.
Zu Tode traurig war das Herz der Bosheitskranken,
Und Hader suchten ihre blutenden Gedanken.
Dieweil sie aber nicht erspürte, was ihr fehlte,
So wars ihr Freund und Gatte, den ihr Groll erwählte.
«Ach», klagte sie, «wie ist das Los, das mir beschieden,
Von jenem, das ich mir geträumt, so ganz verschieden!
Was hab ich armes Kind im Ehestand gefunden?
Ein dürstend Herz, Entbehrung, Frost, Enttäuschungswunden!
Und wenn ich überdenke, was in meinem Leben
Ich diesem Einen da zum Opfer hingegeben!
Den Stolz der Amazonin, mühsam nur bezwungen,
Den Eheschwur, dem Widerwillen abgerungen,
Das königliche Zepter mit dem Weltenruhme,
Der jüngferlichen Keuschheit unberührte Blume.
Wer hieß mich denn die andern allesamt verschmähen,
Um diesen mit Umgehung Beßrer zu ersehen?
Daß ihn mein Herz erhob, war meine freie Gnade.
Und daß ichs tat, erscheint mir Torheit heut und Schade.
Denn wenn er wenigstens die vielen Opfer schätzte!
Mit schuldigem Dienstfleiß, was an Wert ihm fehlt, ersetzte!
Das mindeste für jemand, der auf Würde hält
Und Takt und Adel, wäre, daß er zum Entgelt
– Nicht wahr? – mausklein, demütig und bewußtseinsmürbe
Tagtäglich neu um meine Liebe ängstlich würbe,
Damit am Abend ihm vielleicht die Huld gediehe,
Daß seine lästige Gegenwart ich ihm verziehe.
Bewahre! Meint ihr, solches kam ihm in den Sinn?
Nimmt meinen Liebessold für selbstverständlich hin.
Was brauchts denn da noch Werbung, Furcht und Geisteswitz?
Ich bin ja sein, ich bin sein rechtlicher Besitz.
Gefällts dem Herrn, mit seines Weibes Leib zu spassen:
Ich bin die Magd, ich muß es mir gefallen lassen.
Und hat er nur sein Stündlein Wollust schnell geborgen,
So schafft ihm das Gemüt der Gattin keine Sorgen:
Betrügt die Zeit mit Unkram, Tindeltand und Kunst,
Und was den langen Tag ich fühle, ist ihm Dunst.
Zum Spielzeug höchstens taug ich, zur Belustigung.
Das nenn ich Schmach, das zähl ich für Erniedrigung.»
Und also weiter, klagend ohne Unterlaß,
Und aus dem wunden Herzen jammerte der Haß.

Ananke hörte zu. Ein Lächeln, falsch und fein,
Verglänzte sein Gesicht mit hämischem Höllenschein:
«Wenn eine Gattin einmal säuselt ‹unverstanden›,
So ist der Teufel schon im Unterrock vorhanden.
Der Spalt ist da, die Zwietracht nah, der Zank nicht weit,
Gekocht und angerichtet ist der Ehestreit.
Sie wird die Wonne länger nicht, ich riechs, vertagen,
Den Krebs ihm auf der Schüssel zierlich aufzutragen.»

Sprachs und verzog, ein Liedlein zwitschernd vor Behagen.


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