Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Vierter Gesang
Aktaion der wilde Jäger

                            «Ajax gefällt mir, Ajax ist ein braver Mann!»
Rief Zeus. «Weißt du, womit ich ihn erfreuen kann,
Asklep? Sein Jähzorn, schade! kam mir zwar zuvor.
Er handelt taub, dem kühnen Schnabel fehlt das Ohr.
Ich hatte den Giganten einen saubern Blitz,
Ihrem Gedächtnisschrein zum erblichen Besitz,
Nebst einem saftigen Donner von gediegner Art,
Hätt er mirs leider nicht verdorben, aufgespart.
Denn daß ich tatenlos mich auf der Lauer hielt,
Geschah nur, weil ich niemals schieße, eh gezielt.
Man liefert trefflichere, giebigere Streiche,
Wenn man den Feind sich häufen läßt im Nahbereiche.
Trotz allem findet meine Überzeugung statt:
's ist nütz und nötig, daß man einen Ajax hat.
Was sagtest du zu einem großen Ajaxfest,
Wo man ihn preist und seine Glanztat leuchten läßt?»
«Ach!» seufzt Asklep, «die Absicht deiner Majestät
Ist gut. Indes, du weißt doch, wies mit Ajax steht.
Er schätzt das nicht. Er lohnt dir Spuck für Ruhm und Ehren.
Und lädst du ihn zum Fest, die Schenkel wird er kehren,
Er kennt nur eine Wonne: an die Gurgel springen
Und dir den Hals umdrehn. An nichts als solchen Dingen
Hat er Gefallen; alles andre ist ihm Dunst.
Will also wirklich deine königliche Gunst
Ihm eine Hochzeit stiften, etwas, was ihn heut
Und ewiglich bis in die kleine Zehe freut,
So laß von einem tüchtigen Hammerschmiedgesellen
Von Eisen oder Stahl ihm einen Popanz stellen,
Mit Gliedern und Gelenken, in den Ohren Federn,
Um ihn zu reizen, wenn sie keck im Luftzug fledern.
Verstehst du? Etwas wie ein künstlicher Gigant.
So hat sein Ingrimm täglich etwas bei der Hand,
Das er nach Herzenslust verhaun, kopfüberschmeißen
Und beuteln kann, doch nicht zerstückeln und zerreißen.
Je mehr der blauen Beulen er dabei sich holt,
Je mehr das sein Gemüt erheitert und erholt.
Denn um so überzeugter kann er Antwort hauen.
Es ist ihm auch gesund: darauf ist auch zu schauen.
Davon zu schweigen, daß die scharfe Tätigkeit
Uns Bürgschaft leistet für die Landessicherheit.»
«Gewährt!» sprach Zeus. «Belohnen heißt mit dem begaben,
Was einer herwünscht. Den Giganten soll er haben,
Und nicht von feilem Eisen oder Stahl allein:
Die Ohren und die Schnauze sollen golden sein.»

Um aber über dieses dem Olympbefreier
Ein Denkdaran an Stelle der geplanten Feier
Zu stiften, seiner tapferen Heldentat zum Reim,
Verfügte Zeus im königlichen Schloß daheim
Zu Ajax' Ehren einen edlen Abend, leise
Und unauffällig, ohne Pracht, im engsten Kreise.
Nicht mehr der Gäste als geladne Männer sieben
Um Zeus und Hera. Rausch und Reden unterblieben.
Man sprach nicht viel, das wenige hingegen richtig,
Und alle Sprüche galten Ajax' Ruhm, wie pflichtig.
Und als nach vielen klugen Worten hin und her
Des Witzes Vorrat war erschöpft und mehr und mehr
Vom Wege sprangen die Gedanken: «Lasset nun»,
Rief Zeus, «hochedle Gäste, die Verhandlung ruhn
Und lieber etwas Schönes schaun in farbigen Bildern.
Die Wahrheit läßt sich auch im Fabelkleide schildern.
Ist einer etwa, der uns eine Parallele
Aus alter Zeit zu Ajax' jäher Tat erzähle,
Ein Nebenbeispiel, das auf unsern Anlaß paßt,
In andrer Form dieselbe Meinung, oder fast?
Wer mag? Wer macht den Anfang? Lieber Linos, du?»
Aufmunternd winkten alle Blicke Linos zu.
«Gefällts euch, so bericht ich, was die Sage sagt»,
Willfahrte Linos, «von Aktaions wilder Jagd,
Als König von Olymp war Minos der Gerechte,
Des Daumen immer irgendein Bedenken schwächte,
So daß er vor Gesetzen, Redespiel und Rat
Niemals den rechten Finger fand zur kurzen Tat,
Und trotz der alten Zeiten üblichem Gerühm
War damals Meister in der Welt das Ungetüm.
Aktaion aber hat nicht lange überlegt,
Er hat die Drachen mit dem Messer weggefegt.»
«Erzähl uns von Aktaion», lobte Zeus, «heb an!
Gruß dem Befreier, dem beherzten Jägersmann!»
Also gemahnt, erhob sich Linos und begann:

«Zu König Minos wälzte sich das Hilfsgeschrei
Bedrängter Bauern: ‹Gütiger König, steh uns bei!
Des Ungeheuers Übermut im Erdenland
Seit einiger Zeit nimmt unerträglich überhand.
Sie kennen keine Grenzen, keine Schranken mehr.
Auf die olympischen Berge steigen sie daher,
Die Herden zehntend, Kinder aus der Wiege raubend
Und nächtens rudelweise um die Dörfer schnaubend.
Kein Turm ist sicher, keine Mauer schützt vor ihnen.
Dem Daimonsreißzeug muß die Luft zur Reitbahn dienen.›
Minos versprach: ‹Getrost, die Klage will ich buchen.
Zieht ruhig heim, ich werd es gründlich untersuchen.›
Ein halbes Dutzend Sachverständige ließ er kommen,
Von denen ward ein Augenzeugnis aufgenommen.
Sie reisten eines Morgens feierlich zur Stelle.
‹Dies ist ein Tröpflein Blut.› ‹Dies Flaum vom Drachenfelle.›
Flugs nannten sies 'Befund'. Der wurde numeriert,
Nach Haus getragen, überschrieben, registriert,
Und als ein jedes unter seinem Deckel war
Und zugesiegelt, meinte Minos: ‹Jetzt ists wahr.›

Und wieder jammerte das Hilfgeschrei der Bauern:
‹Erbarmen, Herr! Es ist nicht länger zu erdauern.
Am hellen Tage wagt aufs Feld sich niemand mehr,
Es wäre denn zu Hauf, mit Waffen und Gewehr.›
‹Wenns das ist›, sagte Minos, ‹das ist anderlei.
Zunächst geht sittsam ohne Lärmen und Geschrei
Nach Hause, während ich mit einem großen Ting
Erörtern werde, was zu tun in diesem Ding.›
Der große Ting verwies es an den großen Rat,
Der, weil es eilte, ungesäumt das Nötige tat.
Um ja die flüchtige Zeit nicht werklos zu vergießen,
Beschloß er schleunig, einen Ausschuß auszuschießen.
Vom Ausschuß wurde – alle Zettel treu gezählt –
Ein Ausschußvorstand nach dem Stimmenmehr gewählt.
Der Vorstand schuf sich einen Obmann nebst Gevatter,
Von diesem ward bezeichnet ein Berichterstatter.
Als vollends der Berichterstatter namhaft war:
‹Jetzt›, meinte Minos, ‹jetzt ists richtig ganz und gar.›

‹Mir kommen keine Klagen mehr von Raub und Morden.
Die Drachen sind vernünftig, scheints, und sanft geworden›,
Rief Minos freudig. Und vergnügt ins Bauernland
Schickt er zwei Diener, wie es stehe dort umhand.
Vor Minos' Throne hielten diese fahl und bleich.
‹Nun was? Wie stehts? Was sagen sie im Bauernreich?›
‹Sie sagen nichts, erlauchter Herr, sie sind indessen
Allmählich von den Ungeheuern aufgefressen.
Die aber sind gesund und wohl und werkbeflissen:
Schau her, sie haben unterwegs uns angebissen.›
Ob dieser Nachricht fiel dem Könige vor Schreck
Das Zepter auf die Zeh, die Krone ins Genäck.
Hernach ermannt er sich, die Stirn von Zorne rot:
‹Hier hilft jetzt bloß Gewalt! Hier tut ein Beispiel not!›
Ein fürchterlicher Rachefeldzug ward gerüstet,
Mit Waffen sich bewehrt, mit Panzern sich gebrüstet.
O weh! da greint aus allen Grüften, allen Triften
Ein weinerliches Bittgeflenn und Friedensstiften:
‹Nur ja kein Blutvergießen! Alles! Nur kein Krieg!
Beidseitig sich vergleichen ist der schönste Sieg.›
Die Königin Arete selbst bekehrten sie:
Die warf sich für die armen Tierlein auf die Knie.
Bis Minos schließlich nicht mehr wußte, wo und wer,
Und in den Thron versinkend: ‹Ach! mein Amt ist schwer.›

Aktaion aber sprach zu sich, der Jägersmann:
‹Jetzt auf! jetzt drauf! Jetzt gehts mein Metzgermesser an.
Ich habs genug, Langmut zu schäumen, Milch zu knirschen.
Wozu das Mächelmach? Das Raubzeug muß man pirschen.›
Nach Hause eilt er, riß mit grimmgeballter Hand
Sein langes Metzgermesser Ophis von der Wand,
Das wundengierige, dessen ewig durstiger Stahl
Gelächter jubelt, wenn es säuft den blutigen Strahl.
Die mörderischen Riesendoggen aus dem Bette
Zerrt er danach hervor und nahm sie von der Kette:
Lyssa, die blindlings alles, was sie einholt, reißt,
Und Orthos, dessen Würgen sich gradaus befleißt,
Mit diesen schritt er zu der Stute Pephredo,
Der rotgescheckten, die von Fleische blutig roh
Sich nährt, und ihres Maules Möken gleicht dem Stier.
Vorsichtig ihre Bisse meidend, naht er ihr.
Ein Schwung, und ehe sies vermutet, saß er oben.
Da hämmerten die Hufe, daß die Funken stoben.

So ausgerüstet trieb er eigenmächtger Weise
Zum Erdenland hinab die todesschwangre Reise.
Und jedermanns Gedanken seufzten: ‹Gnad und Heil,
Wenn jemand diesem zu begegnen wird zuteil!›
Und als, auf Erden angelangt, die Völkerscharen
Sich an ihn hängten mit frohlockendem Gebaren
Und küßten segnend ihm die Hände, wer zuerst,
Und jauchzten: ‹Heil dir, der du in die Drachen fährst!›
‹Erst will ich›, kündet er, ‹mit einem guten Pfropfen
Den Quell der Drachensippe, die Natur verstopfen.›
‹Such! such!› Schon winselten die Doggen auf der Spur,
Und bald verbellten sie die Höhle der Natur.
‹Beigt Holz herum und Reiser›, heischt er, ‹räuchert, heizt!›
Jetzt, von dem Feuerbrand umher und Qualm gebeizt,
Keift es von innen: ‹Wer da! der sich unterfängt,
Daß der Natur ehrwürdgen Schöpferschoß er sengt?
Ananke, hilf!› Und siehe, schauerliche Zeichen
Geschahn am Himmel: weh! die Sonne tat erbleichen,
Aus finstern Wetterstürmen fegte Blitz um Blitz,
Der Hagel pfiff, die Erde schwankt auf ihrem Sitz,
Ein blutig Meteor durchflog die Atmosphäre,
Und: ‹Fluch und Tod dem Frevler!› brüllten Flammenmeere.
Doch spöttisch lacht Aktaion: ‹Eitel Wind und Wunder!
Was kümmert einen Jäger solcher Klimaplunder?
Wirst du nicht gleich, du Ur-, du Miß-, du Unnatur,
Dich mir vertragen mittels einem heiligen Schwur,
Daß du der Zeugerei von Drachenscheußlichkeit
Und Ungetüm entsagst in alle Ewigkeit,
So wirst du erstens – sei versichert und getröstet –
Zur Strafe deiner Teufelskunst im Rauch geröstet,
Hernach von meiner guten Doggen Zahngewalt
Herausgezerrt aus deiner Mißgebäranstalt,
Endlich verstöpselt, zugebüßt und zugenäht,
Daß dir die kleinste Spinne nimmermehr gerät.
Nunmehr entscheide, was du meinst, daß besser ist.
Doch schnell; ich hab zu tun, ich gebe keine Frist.›
Er riefs. Und widerstrebend fügte dem Vertrag
Sich die Natur, daß fürder alle Jahr und Tag
Von jedem Fische zwar und Vogel und Getier
Sie munter schieße, was sie wolle, wegen mir,
Das Untier aber und das Riesenvieh dagegen,
Das lasse sie auf ewige Zeiten unterwegen.

‹Dies›, sprach er, sich die Hände reibend, ‹wäre gut.
Wir sind behütet vor erneuter Drachenbrut.
Jetzt vorwärts, Freunde! Trottet! Auf! Zur Schlacht geschwind,
Die Ekel auszurotten, die vorhanden sind.›

Nach diesen Worten setzt er eine Kesseljagd,
Wo jedem ward sein Stand und Werkziel angesagt.
‹Vor jeder rechten Arbeit›, meint er, ‹hockt ein Plan.
Ein kopflos Handwerk heißt gehauen, nicht getan.
Jetzt Achtung! Tapfer! Keiner hintendrein geblieben!›
‹Hurra!› Die Hunde hetzten, und die Treiber trieben.

Am Anfang freilich war der Ungeheuerschar
Die bittre Meinung der Vertilgungsschlacht nicht klar,
So daß manch einer mit erbostem Zornesschnauben
Den Wunsch verriet, sich einen Imbiß zu erlauben.
Bis daß aus Hundehilfsmacht, Waffenhebelkraft,
Der Einigkeit, wo alles nach der Mitte schafft,
Sie witterten die überlegne Geistesspur
Und wandten sich zur Kehre, auf Verteidgung nur
Bedacht. Wem nun gebührt der Ruhm des Sieges besser?
Aktaions Machtwort? Ophis, seinem grimmen Messer?
Oder den wilden Doggen, des Gemetzels froh?
Oder der fleischbegierigen Stute Pephredo?
Lyssas und Orthos' Schnauzen merkten sich zum Zeichen
Des Feindes Eingeweid; sie knirschten in die Weichen.
Wogegen Pephredos unschlächtig Roßgebiß
Die Schultern knackte und die Köpfe niederriß.
Doch selbst Aktaion, wenn er kaum ein Untier sah,
Solch eine Blindwut, solch ein Haß ergriff ihn da,
Daß er, die Pein des Überzornes abzukürzen,
Sich mit dem Messer mocht in hundert Rachen stürzen.
Was galt ihm die Gefahr? Was achtet er sein Leben?
Die Drachenfratzen sah sein Jähzorn, nichts daneben.
Wär ihm im Streit vielleicht sein scharfes Schwert entschliffen,
Gewiß, mit Faust und Zähnen hätt er eingegriffen.
Plötzlich ein Wank im Feindeshaufen, eine Bucht,
Und heulend raste durchs Gefild des Untiers Flucht.
Von allen Seiten scholls: ‹Erbarmen! Schonung! Gnade!›
Wie schlimm schon einer war, er meint, um ihn wärs schade.
Ein weißes Fähnchen schwankte zaghaft durch die Schlacht,
Und ein Gesandter nahte, stark durch Redemacht.
‹Wieso, Aktaion, hat das männliche Geschlecht
Mehr als wir Drachen auf der Erde Daseinsrecht?›
‹Ich bin in Rechtsgelehrtheit leider nicht geübt;
Mit euch hingegen, weiß ich, Drachen, stehts betrübt.›
‹Wenn wir halt Drachen sind, so zwingt uns die Natur.›
‹Ich tadl euch ja auch nicht, bewahr, ich schlacht euch nur.›
‹Wie darfst dus, daß du uns zu schlachten nicht errötest,
Der du doch selbst ein Jäger bist und raubst und tötest?
Sieh, von demselben Hasen dort in meinem Schlund
Guckt ja ein Hasenbein aus deinem eignen Mund.›
‹Ja›, sprach Aktaion, ‹zugegeben, das kann sein,
Doch köstlich schmeckt in meinem Mund das Hasenbein,
Wogegen mich der Has in deinem Magen grämt,
Weil er abscheulich schmeckt und frech und unverschämt.
Genug. Geht nun zunächst und schweigt und streckt die Glieder!
Vor allem würg ich euch. Dann kommt und redet wieder.›
So tönte der Bescheid, der dem Gesandten worden.
Und weiter wütete des wilden Jägers Morden.
Das war der Urweltungeheuer letzter Tag,
Wo Schicht auf Schicht das Opfer auf der Strecke lag.
Stöhnen von überall. Von Berg zu Tal Geröchel.
Und tief im Blutstrom wateten der Jäger Knöchel.

Da schrie zum Tod das Mitleid: ‹Weh der Metzelbank!
Die Zukunft seh ich siechen, fluch- und wahnsinnskrank.›
‹Komm›, sprach der Tod,‹komm, kannst du rechnen? Setz dich her.
Ein mindrer Wolf, wieviel gibt das der Lämmer mehr?›
Kaum war das Wort gesprochen, schritt auf spitzer Zeh
Das Leben schüchtern über das verstummte Weh.
Ein Lächeln blühte durch die blutige Leichenschicht.
‹Hier Geist!› – und in den Urwald wagte sich das Licht.
Wo gestern noch der Bosheit Stirn sich frech empört
Mit giftigen Blicken, wurde jetzt Schalmei gehört.
Wo winselnd einst umsonst mit zögerndem Gefieder
Die Angst ein Obdach suchte, saß der Friede nieder.
Geschäftig kam der Fleiß daher, der Mut gewann.
Und freudig rief der Stolz: ‹Auf Erden herrscht der Mann.›»

«Das also war», brach Linos die Erzählung ab,
«Die Sage von Aktaion.» Beifallsmurmeln gab
Ihm freudig Dank. Dann herrschte Schweigen, andachttief.
Zeus aber, heftig sich vom Stuhl erhebend, rief:
«Nicht einzig bloß die Ohren des Giganten, nein,
Und seine Schnauze sollen lötig golden sein:
Die Nase und die beiden großen Zehen auch.
Und ein Karfunkel, faustgroß, vorn als Knopf im Bauch!»

Freundlich ihr königliches Antlitz aber wandte
Hera zu Linos, und mit holdem Lächeln sandte
Sie ihm die gnädige Antwort: «Doch Aktaions Ende,
O Linos, bleibst du unserm Wunsch noch schuldig. Spende
Uns auch die Schilderung, was von dem wackern Helden
Und seinem Schicksal weiter weiß die Mär zu melden.»
«O laß bewenden», mahnte Linos, «laß bewenden!
Laß nicht den Siegtrompetenton im Klaglied enden!
Denn von Aktaions Tod die Sage ist zum Schauern;
Und deine klaren Augen, Fürstin, würden trauern.»
«An meiner Bitte, lieber Linos, halt ich fest»,
Warf ihm die Königin entgegen. «Man verläßt
Nicht einen Braven, dessen Sieg man mitgenossen,
Am Tag der Not. Das Herz hat einen Bund geschlossen.
Laß hören drum, wie schaurig schon das Ende sei.
Wem Hera zugejubelt, weint sie willig bei.»
«Der Bitte beug ich mich.» Und abermals das Wort
Ergreifend, setzte Linos die Erzählung fort.

«Nachdem in der gewaltgen Ungeheuerschlacht
Der große Haufen auf die Strecke war gebracht,
Ward der versprengte Rest, der etwa noch geblieben,
Einzeln gehetzt und vor der Jäger Dolch getrieben.
Oft vom geduldgen Eifer ward nach manchen Stunden
Noch hie und da ein Untier im Versteck gefunden.
‹Jetzt glaub ich›, meint Aktaion endlich, ‹jetzt sinds alle›.
Und rings im Chor bestätigte das Echo: ‹alle!›
Horch! Jagdgetümmel. ‹Fangt sie! Schnell, Aktaion! Nach!
Die Flügelschlange Hydra, die den Zaun durchbrach!›
Ja wahr! Dort flitzt der Flügel grüner Widerschein
Von Busch zu Busch, den Berg hinan, den Wald hinein.
‹Zurück, Aktaion! Unnütz! Du erreichst sie nimmer.›
‹Das will ich erst erproben›, knirscht er. Und vom Schimmer
Der Flüchtenden geleitet, folgt er stets und jäh
Auf seinem schnellen Roß, wohin sie schwenkte je.
In atemloser Hetze, jetzt durch Tal und Schlucht,
Jetzt über Bergeskuppen hastete die Flucht.
Schon war, vom vorgebeugten Arm geschwind geschwungen,
Ihm dann und wann ein Zwick, ein Hieb, ein Stich gelungen,
Und mit gelähmtem Fittich schob die schwere Schlange
Den wunden Leib in immer müderm Schmerzensgange
Voran. Indes durch der gespaltnen Zunge Zischen
Die Todesangst begann den Klageton zu mischen.

Da plötzlich eines steilen Haines Hindernis.
Zu oberst eines Tempels frommer Giebelriß.
Horch! Glockenklang. Und eines Frauenchores Mund
Sang ein Gebet den Wald herab zum Talesgrund:
‹Hier ist der Berg des Friedens, hier der Hain Asyl.
Du, der von Hasse heiß, von Leidenschaften schwül,
Mit zornigen Tritten nahst, halt ein, den Nacken bück!
Bet an und wende reuig deinen Fuß zurück!
Denn dieser heiligen Stätte Hoheit rein und keusch
Verabscheut Waffenlärm und kriegerisch Geräusch.
Doch du herbei, Bedrängter, wenn dir Feindes Not,
Den Tod nach deinen flüchtigen Fersen schleudernd, droht.
Wirf ab des Herzens Unruh, hebe Blick und Hoffen!
Denn Liebe lädt dich ein, Erbarmen steht dir offen.
Ob unverdiente Rachsucht du von Bösen duldest,
Ob du gerechte Sühne dem Verfolger schuldest,
Ob schlecht, ob edel, ob dich holde Anmut ziert,
Ob du mit eklem Felle garstig seist vertiert,
Wir fragens nicht. Des Herzens Aufschrei ist dein Paß.
Wer immer Drangsal leidet, findet hier Gelaß.
Gnade mit dir! Willkommen! Tritt durch unsre Pforte!
Dies Haus dient dir zum Hut und zuverlässigen Horte.›

So sang vom Hain Asyl der Frauen Gnadenchor.
Entgeistert stand er, starrend nach dem Schall empor;
Indes die Hydra, von der Botschaft mutgestärkt,
Die letzten Lebenskräfte spannend, unvermerkt
Durchs Waldesdickicht nach der Tempelhöhle glitt.
Darob erwacht Aktaion. Wilden Fluches ritt
Er mit verwegnem Klettern durch Gehölz und Stein.
Ein Pförtchen tat sich auf, das ließ die Hydra ein.
Dann knarrend Riegelrammeln, Schlüsselklirren. Halt!
Der Mauer hohe Schutzwehr höhnte die Gewalt.
Und siehe, jetzt erschienen, wandelnd auf dem Walle,
Mit feierlichem Schritt die Priesterinnen alle.
Bendis voran, die königliche, kranzgekrönt,
Iphigeneiens Herrscherhoheit auch, verschönt
Von Jugendanmut, mild umstrahlt von sanfter Güte,
Nebst Tauro, ihrer Zwillingsschwester an Gemüte.
‹Laß ab›, sang Bendis, ‹rückwärts, wilder Jägersmann!
Denn der ist heilig, wer den Hain Asyl gewann.›
Aktaion schäumte: ‹Wie! ein mörderischer Drache,
Und ihr versuchts und hütet ihn vor meiner Rache?›
‹Ein wunder Mörder, lerne, ist kein Mörder mehr,
Ein krank Geschöpf, erbarmenswert und jammerschwer.›
‹Ich aber will dem Lindwurm, euch zum Hohn und Leid,
Mein Messer tauchen in sein giftiges Geweid!›
So sprechend, trabt er spähend längs dem Mauerringe,
Wo ihm am glimpflichsten der Übersprung gelinge.
Hussa! Empfangen vom Geschrei der Priesterinnen,
Die mit den Fäusten ihn verfluchten, stand er drinnen,
Ritt trotzig durch der Marmorbilder Säulenwald
Den Gang empor und kam dem Tempel nahe bald.

Da öffnete das Haus das Doppelflügeltor:
Sie selbst, die große Britomartis, trat hervor
Im Schönheitsblendeglanz, gleich Sonnenblitz im Schnee.
Was hält sie Zitterndes im Arm? Ein jährig Reh.
Als kaum Aktaion Britomartis ward gewahr,
Verstört ihn süßer Wahnsinn, daß er geistesbar
Zu Gruß und Rede mochte nicht die Worte sammeln,
Und was die Stimme stöhnte, war ein Liebesstammeln.
‹Was stammelst du von Liebe›, sprach die heilige Frau,
‹Und triefst von schwarzem Blut, du wilder Mörder? Schau!
Und meiner Priesterinnen Fäuste fluchen dir.
Willst du mir huldigen, so wende dich von hier.›
Er schrie: ‹Anbetend will ich deine Knie umfassen.
Ich will hinfort um dich mein blutig Handwerk lassen.
Ich will der gläubige Schüler deines Mundes sein,
Wenn du dich mir ergibst und wirst in Liebe mein.›
Sie sprach: ‹Der Britomartis frauliche Gestalt
Dient keines Mannes Liebe schimpflich zum Gehalt.
Erbarmen nur, dem leidenden Geschöpf geweiht,
Nicht Weibeswünsche deckt dies priesterliche Kleid,
Enthebe dich, mein Freund, belohnt mit meinem Segen.›
Aktaion rief: ‹Weil dus befiehlst, um deinetwegen.›
Mit diesen Worten grüßten Abschied seine Hände,
Dann griff er in die Zügel, daß er rückwärts wende.
Da horch, vom Talgrund aus der Tiefe Stimmen, Leute,
Getümmel, Jagdruf, Rossewiehern, Hundemeute!
Und Pephredo, die Falsche, witternd Hörnergruß,
Gehorchte nicht dem Zügel, sperrte Maul und Fuß.
‹Entflieh, o Britomartis! Wehe der, Gefahr!
Ich meistre meine schlimme Stute nicht, fürwahr.
Hörst du der Lyssa Schnauben? Orthos' Wutgeheul?
Sie kennen kein Gehör, sie folgen dem Gemäul.
Erwarte kein Erbarmen, keine Ehrfurcht heisch!
Ob Göttin oder Wurm, gleichviel, sie nennens Fleisch.›
Doch Britomartis sprach: ‹Ich steh an meiner Stelle.
Mit meinem Leib und Leben deck ich diese Schwelle.›
Schon stob die Jagd heran. Die Priesterinnen irrten
Kreischend umher, und Lanzen flogen, Pfeile schwirrten,
Indessen Britomartis, fest das Reh umschlingend,
Gen Himmel betete, die Todesklage singend.
Des Unheils erster Gruß: vom Mörderstein getroffen,
Verschied das Reh. Und Britomartis' Tränen troffen.
Schande! Was seh ich? Ist Aktaion geistentsetzt?
Ist er geblendet? Ist vom Wahnsinn er gehetzt?
Daß gegen jene, die als Herrin er bekennt,
Er jetzt in zügellosem Ansturm feindlich rennt?
Nicht er: die Stute Pephredo, die ungehemmt
Von seinen starken Knien, die er verzweifelt klemmt,
Von seiner Faust, die auf den Hals den Hammer schlägt,
Ihn wider Willen gegen die Geliebte trägt.
Sein Messer Ophis zückt er in der höchsten Not,
Stößt mit dem Stahl dem Pferd ins Herz den kalten Tod.
Vergebens. Der erworbenen Bewegung Schwung
Leiht noch dem toten Roß den mörderischen Sprung.
Geworfen von der Wucht, getreten von den Hufen,
Sinkt Britomartis stöhnend auf die Tempelstufen;
Indes, sich überschlagend, Pephredo entlebt
Mitsamt dem Reiter hinstürzt, den ihr Bauch begräbt.
Weh! Orthos naht mit Lyssa. ‹Rettet!› Mord und Graus!
Im Fleisch der Britomartis wühlt ihr viehischer Schmaus!
Aktaion kennt das ekle Schmatzen, ahnt den Fraß,
Zwängt sich, die Fäuste stemmend, mühsam unterm Aas
Hervor. Doch steht nicht auf. Geduckt, ein wölfisch Tier,
Springt er, von blinder Wut geschnellt und Rachegier,
Dem Hundepaar entgegen. Waffenstoßgewalt
Verschmäht er. Statt des willenlosen Werkzeugs krallt
Sein Haß die Fingernägel in die Augen ihnen.
Sein Wahnsinn heult und bellt. Mit wildverzerrten Mienen,
Schlägt er unsinnig seinen schwachen Manneszahn
In ihre Raubtierschnauzen. Und ein Kampf hebt an.
Denn die vordem von seiner Herrscherfaust die klugen
Verdienten Peitschenstreiche winselnd oft vertrugen,
Sind jetzt vom Biß empört, getäuscht. Den Herrn kennt keiner.
Und fallen über ihn, als wär er ihrer einer.
Und als sie plötzlich sich besannen, jach den Rücken
Nach hinten juckend, lag er tot, zerfleischt, in Stücken.

So endete Aktaion, der Olymp und Erde
Befreite von des Untiers lästiger Beschwerde.»

Hier schwieg der Sänger. Als er seinen Spruch geendet,
War jedes Antlitz dem Erzähler abgewendet,
Den starren Blick durchs Fenster, das Gefühl nach innen,
Der Sage nachgedenk in traumgeschäftigem Sinnen.
Zeus aber meinte: «Noch ein übriges zu sprechen
Nach dem, was wir vernommen, schiene mir Verbrechen.»
Worauf die Gäste leisen Trittes sich erhoben,
Zumal erschüttert und geläutert und gehoben.


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