Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Zweiter Teil: Hera die Braut

Erster Gesang
Heimweh und Heilung

                      Tagtäglich an der Meeresküste seufzend saß
Und tränenfeuchten Blicks die Ferne fragend maß
Das junge Göttervolk. Denn ewig heimatwärts
Entführte der Gedanke das verwaiste Herz,
Und reuig wiederholt ihr Wunsch des Uranos
Gebirgumzacktes, lichtdurchblautes Himmelsschloß
Voll Glanz und Seligkeit und seiner sanften Maiden
Weittönenden Gesangesgruß beim letzten Scheiden.
Der Braut, des nahen Wettkampfs um die Weltenmacht
Und der olympischen Herrlichkeiten ungeacht
Kehrten den Rücken sie dem blühenden Gelände,
Und sehnend streckten nach den Wolken sie die Hände.

Da gab sichs eines Tages, daß gewohnterweise
Das Oberhaupt des Kampfgerichts, Themiurg der Greise,
Und Archelaos der Prytan, des Bott und Bann
Beim Volke mehr als selbst der Fürstin Zepter kann,
Dem Felsensträßlein folgend, die Erholungsrunde
Selbander schritten um die kühle Abendstunde.
Und wie sie auf der Höhe bei der Straßenkehr
Ein wenig Atem schöpften und von ungefähr
Im Talgrund ihrer Herrin trotzigen Palast,
Auf hohen Mauern ragend, rings von Wald umfaßt,
Gewahrten, von woher Gelächter, Hörnerschall
Und Feldgeschrei ihr Ohr beleidigte und all
Der kriegerische Lärm der königlichen Drohnen,
Der übermütigen, angriffslustigen Amazonen,
Da schaute seinen Amtsgefährten der Prytan
Mit langem, inhaltvollem Blick bedeutsam an:
«Kein Kleines, einer Königin mit Bott und Bill
Die Heirat aufzuzwingen, wenn sie halt nicht will!»
Der andre nickte, schielte durch die Augenlider
Und gab ihm mit gedämpftem Ton den Reimspruch wieder:
«Und kitzlig, wenn zum Eigensinn die Macht sich häuft!
Ich fürchte, daß es nach dem bösen Hage läuft!»
«Je nun, man tut halt einfach, was man soll und muß»,
Meint Archelaos, «treu und tapfer bis zum Schluß.»
Das schwuren sie mit Handschlag und Verbrüderung.
Drauf bogen sie zusammen um den Straßenschwung.
Da sieh: die Götter unten auf der Seufzerbank
Im Sande liegend, heimatwund und sehnsuchtskrank.
Die Stirne runzelnd, faßte der Prytan den Arm
Des Freundes: «Sieh mir diese Greiner Gotterbarm!
Faulen den lungerlangen Tag am Strand umher
Wie tote Fische, stöhnen Seufzer übers Meer!
Und diese Jammerbolde, diese Schmachtgesellen
Wagt ich der Königin als Freier darzustellen?
Damit ihr Zörnlein vollends Haß im Hafen koch!
Das käme just noch eben recht! das fehlte noch!
Sie nähms für Hohn, sie würd uns niemals das verzeihen.
Themiurg, hilf du! Themiurg, du mußt mir Spürwitz leihen!
Find mir ein Mittel, irgendeins, denk nach gespannt,
Wie man sie aufjagt, sie emporpeitscht, sie ermannt.»
«Hier», sprach Themiurg, «hier endet meine Weisheit all.»
Drauf mit Asklep dem Arzt berieten sie den Fall.

Asklep nach einigem Besinnen schließlich gab
Den beiden Landeshäuptern diese Weisung ab:
«Soll Göttern Mannesmark und Heldenkühnheit gnaden,
So müßt ihr sie im heißen Sprudel Ichor baden.
Denn ähnlich wie des Haferkornes Zaubersaft
Den Pferden plötzlich Geist verleiht und Mut verschafft,
So daß der Gaul, der eben noch den Kopf gehängt,
Betrübt und matt, jetzt wiehernd übers Blachfeld spreng
Und beißt und schlägt umher, berauscht von tollen Launen:
So wirkt das Ichorbad. Versuchts, ihr werdet staunen,
Wie sie zu Helden sich verwandeln handumschnelle.»
«Wohlan, wir führen morgen sie mit dir zur Stelle.»

So zogen morgens mit den Göttern diese drei
Zum Ichorquell hinaus, zur stärkenden Arznei.
Obschon die Strecke kaum ein Stündlein Weg betrug,
So schleppte sich die Reise wie ein Leichenzug.
Verdrossene Gebeine, Stöhnen und Geweine,
Und alle schmachteten gen Himmel im Vereine.
Mit Mühe daß der Führer unablässig Trösten
Vermochte, daß sie wenigstens vom Fleck sich lösten.
Der trieb die Nachhut vorwärts, jener lockte vorn,
Allein es mangelte der Nerv, der innre Sporn.
Still! horch! was hör ich brüllen? Gießbachdonnerstampf!
Und überm Busch dort seht den Wirbelwolkendampf!
«Ichor!» Tripp trapp begannen – he, was soll das heißen? –
Die Götter haufenweise haltlos auszureißen.
Gleich Böcklein, wenn sie nach des Hirten salziger Hand
In Wirbelsprüngen kommen meckernd angerannt,
Oder gescheckten Kälblein, wenn beim Jodelrufen
Sie heimwärts hüpfen, närrisch wippend mit den Hufen.
Und hui! die Kleider abgeworfen, blank und nackt,
Die aufrecht, die kopfüber in den Katarakt.
Dort, wo am heftigsten der Brunnensprudelrauch
Sich wölkte, sogen mit der Nase erst den Hauch,
Dann mit dem Munde sie den Quell in vollen Zügen.
Sie konnten wohl dem Durste, nie der Gier genügen.
Und als der Mund nicht länger mochte – leider! schade! –
So gönnten sies der Haut und wandten sich zum Bade,
Bachabwärts tauchend in den großgemuten Teich.
Ein Bad ist wenig, darum mit dem Bad zugleich
Geschah in jauchzender beglückter Atemklemme
Ein Wassertanz, daß überflutete die Schwemme.
Gleich einem Morgenchor erschreckter Papageien
Durchzeterte den Wald der Frauen nötlich Schreien.
Doch stummen Mundes mit gewaltigen Armen braute
Den Teich die Mannschaft, daß der Gegenschwall sich staute.
Mutwill allüberall, Frohsinn und Lachen blitzte,
Und jeder troff von Gischt, der rundum klatscht und spritzte.

Bedenklich blickend aber warnte den Prytanen
Nach eines Viertelstündchens Frist des Arztes Mahnen:
«Doch jetzt genug! 's ist Zeit, 's ist Zeit, 's ist hohe Zeit!
Vom Übermut zum Frevel ist der Weg nicht weit.»
Darob Geschrei vom Bade, Widerwort und Flehen:
«Warum?» «Weshalb?» «Torheit! Was kann denn da geschehen?»
Zum letzten krochen unter stetem Weh und Ach
Zögernd und maulend sie aufs Ufer allgemach.
Doch wie sie nunmehr tappend durch den weichen Rasen
Bücklings das Schuhzeug und Gewand zusammenlasen
Und, auf den Boden kauernd, das erhobne Bein
Mit spitzen Zehen zielten in den Strumpf hinein,
Sieh, da erwies sich von des Ichors Machenschaft
Ihr Leichnam so vermehrt an Wuchs, Gewicht und Kraft,
Daß ihrem größern Umfang, ihrer höhern Länge
Zu knapp die Kleider waren und der Gurt zu enge.
«Ach!» klagte Pallas, «hilf mir, lieber Hermes du!
Ich bringe diese Daimonsschnalle nimmer zu.»
«Ich weiß nicht, was mein Busen heut sich unterfängt»,
Schmält Aphrodite, «daß er alle Spangen sprengt.»
Ein jeder war verstärkt nach außen wie nach innen
Vom Ichor, den sie spürten in den Adern rinnen.
Und als sie jetzt den Hain hinab mit Chorgesang,
Das Auge mutdurchblitzt, in taktbeschwingtem Gang,
Auf keck erhobner Stirn die lustigen Hüte quer,
Den Feldweg stampften – «Platz da!» – Arm in Arm daher,
Da flüsterte das Volk bewundernd sich ins Ohr:
«Das sind dieselben Götter nicht mehr wie zuvor.»


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