Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Neunter Gesang
Hylas und Kaleidusa über Berg und Tal

                      Die Nacht zog ab, verscheucht, verfolgt vom Hahnenschrei.
Geschäftig drängte sich der fleißige Tag herbei;
Indes die Luft, vom Lichtgeflüster halb geweckt,
Verträumt noch schlummerte, im Dämmer hingestreckt.
Da stahl, den Rücken längs der Weinbergmauerwand
Geduckt, das Blattwerk teilend mit gespreizter Hand,
Sich Hermes' Bruder Hylas durch den Pfad der schwanken,
Tauschweren, morgenwindbewegten Rebenranken,
Vom Amselspott geneckt, vom Grillenlärm verschrieen.
Schon war ihm bis zur Erde schier die Flucht gediehen –
Bosheit! Ein Stich, ein Strahl, ein Schwertblitz von Demant,
Von roter Sonnenlohe Ost und Süd entbrannt,
Ein Farbentaumel, der von allen Himmeln quoll:
Und auf dem Flammenwagen stieg empor Apoll.
«Was eilst du, Bruder Hylas, dämmernachtverstohlen
Zu Tal? Wen willst du meiden oder überholen?»
Aufschauend blinzte Hylas dem Verräter zu:
«Eja, ich halt es, lieber Bruder, halt wie du:
Vermeinend, daß zum Wandern, Schlafen, Seligsein
Nicht etliche gehören, sondern zwei allein.
Der Unterschied ist nur: du flüchtest in die Wolke,
Ich aber erdwärts in die Waldschaft vor dem Volke.»

Sprachs und beschleunigte die flüchtgen Schritte. Bald
Langt er auf Erden an und trieb zum nahen Wald.
Dort hielt er still. Ein Kuckuckruf aus seinem Mund,
Gefolgt von Turtelgurren aus dem Eichengrund:
Und morgenmunter tauchte hinterm Waldestor
Die Nymphe Kaleidusa marschbereit hervor.
Ein Koselaut, ein Lächelgruß. Dann eilten sie
Vereinten Wegs waldab mit gleichbeschwingtem Knie.
Und schöpften sich ins Herz den reichen farbigen Tag,
Die Märchen aus der Luft, die Blüten aus dem Hag,
Der Freundschaft Liebesblick aus schönem Wimpernschlag.
Und aller Dinge, aller Wesen Sinnbild war
Ihren gescheiten, weltvertrauten Augen klar.
Der Gräser Säuseln, das Gewölk im Himmelmeer
Verschwieg der klugen Frage kein Geheimnis mehr.
«Hörst du die Bienen summen unterm Wipfeldach?
Und was sie sich von uns erzählen, Freund?» Er sprach:
«Wohl hör und seh ich, Kaleidusa, viel des Schönen,
Doch lieber ist mir deiner treuen Tritte Tönen
Am Wegesrand und deines Busens Seufzerrauschen.
Dies Liedlein möcht ich nicht um Orgelpsalmen tauschen.»
Und also fort im Gleichschritt mit dem rüstigen Tag.
Bis daß des Mittags Wollust in den Büschen lag:
Da mochten sie, vom kühlen Wasserhauch geladen,
Im schattigen Weiher oder Springbach frei sich baden.
Sodann, die Glieder weitgestreut im Nußbaumgrunde,
Genossen sie der Rückenruhe manche Stunde,
Bis frischer Luftzug reizte zu erneutem Lauf:
Da nahm ein jeder Arm und Beine wieder auf.
Und sprangen lustig an und klatschten in die Hände
Und eilten singend durch die Wälder ohne Ende.
Gleichviel wohin. Das Ziel nicht, bloß der Weg verschlug.

Da sprach zum Nachmittag der Abend: «Nun genug!»
Er sprachs, und flatternd schwang er die vereinten Flügel,
Und schrägen Schwebens sinkend auf den Maienhügel,
Ließ er den Purpurmantel von den Schultern fallen.
Aus dessen Falten kroch ein wimmelnd Schattenwallen.
Jetzt, eine Bank erspähend, legt er auf die Knie
Die Landschaftsbilderbibel und bemalte sie.
Ihn fragte Kaleidusa: «Darf man? Ists erlaubt?»
Und standen auf die Zehn und sahn ihm übers Haupt.
Heimlich im frischgemähten Mättlein unter ihnen,
Am waldesschattenübertuschten Rain erschienen
Die leisen Töchter Pans: Morpho und Pantaphile,
Das junge Herz vergnügend im Verwandlungsspiele.
In Tier und Vögel ihren schlanken Leib vertauschend,
Bald als beschwingte Reiher in den Lüften rauschend,
Bald sich belustigend als sprunggewandte Rehe.
Ein Wunsch: und schlank und lieblich standen sie wie ehe,
Pans leise Töchter anzuschaun, nicht mehr und minder.
Drüben im Menschendorfe lärmten Menschenkinder,
Verschränkten Arms im Kriegslauf schreitend: «Eins und zwei.»
Doch kaum mit «drei», so war die Kinderzeit vorbei.
Nachdenklich saßen sie als Männer vor dem Haus.
Da sargte Glockenwimmern sie vors Dorf hinaus.
«Wo ist der Unterschied?» raunte der Mühlebach.
«Morpho und Mensch, Verwandlung schmelzt ja alles, ach!
Sie nennen es 'Natur', glaub ich, behaupten sie.
O weh! Anankes unheilbunte Phantasie!»

Also versäumten sich in traulichem Vereine
Hylas und Kaleidusa auf dem Abendraine,
Bis daß vom Tal im nebelduftigen Gelock
Die rotbekappte Dämmrung mit dem Hirtenstock
Der Träume stille Herde weidete heran
Und aus dem Bachgrund, wo er schlief, der leise Pan
Mit weichem Fiederflug gespenstig sich erhob,
Um Hain und Hecken seine Zeichenrätsel wob
Und mit den feinen Fingern dem erfüllten Tage
Aus Fels und Busch entlockte die ergiebige Sage.
Da steuerten sie heimwärts, nächtens unterm Mond,
Erinnerungdurchleuchtet, freundschaftsglückbelohnt.
Und als der Abschied, wartend überm Waldessaum,
Mit strenger Hand sie trennte: es verdroß sie kaum.
Der Wunsch war satt, der Reise süße Frucht geborgen,
Und Küsse flüsterten das frohe Bündnis: «morgen».

Doch Ärgernis erwuchs aus ihrem Glück dem Neide.
Und alle taten sich zusammen gegen beide.
Die Eintracht zu entzwein schien nötig jedenfalls.
Deswegen, wenn am Abend nach der Trennung als
Hylas nach Hause zielte, huschten aus dem Hag
Die Heckennymphen: «Hör doch, Hylas, –warte, sag,
Mit welchem Häftlein, sprich die Wahrheit, oder Leim
Hält Kaleidusa dich gefangen insgeheim,
Daß du an ihrem Röcklein gleich der Klette klebst,
Gleich einem Arbeitsgaul an ihrer Seite träbst?
Es gibt der Nymphen, Lob und Dank! die Überzahl,
Schöner als Kaleidusa. Greif, du hast die Wahl!
's ist schad um dich, so fein, so zierlich! Komm ein klein
Mit uns. Es reut dich nicht. Wir wollen lieblich sein.»
Hylas erwiderte: «Seht, das verhält sich so:
An Kaleidusens kleiner Zehe oder wo
Hat sie ein winzig Sandkorn. Wenn sich dieses dreht,
Geschieht, daß längs dem Wege Farbenglanz entsteht:
Und glaubt mir, vielmal schöner leuchten diese Farben
Als Sonnenschein. Der Farben kann ich halt nicht darben.
Zum zweiten hat sie zwischen Zunge, zwischen Zahn
Ein Singspiel. Hebt sie kaum damit zu singen an,
So singt die ganze Welt dazu, mein Herz damit.
Das also ist der Leim, danach ihr fragt, und Kitt.
Wenn einst das Singspiel schweigt, erlischt das Farbenfeuer,
Wohlan, dann laß ich Kaleidusa, bin ich euer.»
Zu gleicher Zeit im Heimweg zwischen Damm und Graben
Versuchten Kaleidusen arge Satyrknaben:
«Fürwahr, das nenn ich eine sonderbare Lust,
Über Gestein und Stoppeln ohne Rast und Rust
Mit Hylas umzulaufen wie die Mühleräder!
Was siehst du denn an ihm? Was hat er mehr als jeder?
Sind etwa Satyrburschen nicht genug im Lande,
Daß mit Olympiern du dich paarst zu unsrer Schande?
Ich weiß von Münzen, wenn nach Golde du gelüstest
Und köstlichen verborgnen Schätzen, wenn du wüßtest!»
«Seht», sagte Kaleidusa, «seht, wie sichs verhält:
Zehnhundertmal zehntausend Täler hat die Welt.
In jedem Tale wächst ein Beerlein Hadamak,
Das hat nur selben, keinen ähnlichen Geschmack.
Drum will ich täglich wandern, hab ich halt beschlossen,
Bis daß ich jedes Tales Beerlein abgenossen.
Nur Hylas schmeckt, sonst keiner, wo die Beerlein sind.
Nun habt ihr den Bescheid. Jetzt gebt mir Raum geschwind!»
«Geh nur! Du wirst der Reisefron doch schließlich satt.»
«Am jüngsten Morgen, wenn die Welt ein Ende hat.»

Also von der Versucher Hinterlist befreit,
Zog mit der Freundin Hylas aus in Ewigkeit.

Doch eines heißen Tages um die Mittagsstunde,
Als sie zur Ruh sich betteten im Nußbaumgrunde:
«Ei sieh doch», meinte Kaleidusa, «was die Schrift
An jenem Baumstamm wohl besagt und wen betrifft!»
Sprang auf und las. So sprach die Tafel unterm Baum:
«Warnung! Dem Unvorsichtgen, den dahier ein Traum
Im Schlaf beschleicht, dem wird sein künftig Schicksal klar.
Weich aus! Willkommnes reicht die Zukunft keinem dar.»
«Der weisen Warnung», rief sie, «mag ich gern mich fügen!
Die Gegenwart ist süß, sie kann mir baß genügen.»
Mit diesen Worten kam zufrieden sie zurück,
Saß ab, umschlang den lieben Freund und schlief ein Stück.
Desgleichen übte sie verständig sieben Tage.
Am achten aber schafft ihr doch der Fürwitz Plage,
So daß sie, während Mittagsschlaf den Freund umfing,
Sich heimlich unter jenen Baum zu legen ging,
Dämmrigen Geists entschlummernd. Doch entschlummert kaum,
Schluchzte sie auf und jammerte und schrie im Traum.
Die Augen rieb sich Hylas: «Ward mein Ohr betört?»
Versetzt er, «oder hab ich weinen dich gehört?
Und feucht verschleiert blickt dein Auge, wie mir scheint.»
Sie sprach: «Mein Blick ist hell, ich habe nie geweint.»
Dann, als sie weiterzogen die gewohnten Wege:
«Wie ist dein Tritt», rief er verwundert, «heut so träge!
Und müde hängt dein Haupt und schwer wie kummersatt.»
Sie sprach: «Ich selbst bin munter, einzig du bist matt.»

Doch abends spät im finstern Forste unterm Mond,
Nachdem zum heimischen Olympos wie gewohnt
Hylas fernhin verzogen war und rund umher
Einsame Höhle klaffte, licht- und freundschaftsleer,
Brach sie zu Boden mit unbändgem Tränenschwall,
Und weithin hörbar, wie der Ruf der Nachtigall
Im Maienhain, erfüllte sie die Nacht mit schönen,
Von Herzeleid durchwühlten Liebesklagetönen.
Erbarmungsvoll erschienen aus dem Waldrevier
Die Schwestern, nahmen ihr die Hand und kosten ihr
Zärtlich die Locken: «Rede, Schwester, was dir fehlt!
Hat Hylas dich mit einem harten Wort gequält,
Das Herz verwundend ungewollt und unbedacht,
Daß du die Augen schüttest in die schwarze Nacht?»
«Ach Jammer, liebe Schwestern», klagte sie, «ach nein!
Nicht Hylas, nur mein Fürwitz strafte mich allein.
Ach weh mir, daß ich träumte unterm Schicksalsbaum
Denn diese Zukunft offenbarte mir der Traum:
Ich sah den Herzensfreund an mir vorübergehn,
Den Gruß mir nicht erwidern und beiseite sehn.»
«Schade! Doch ists getan. Du kannsts nicht rückwärts tun.»
«Drum will ich sterben. Eja, sterben will ich nun.»
«Wie sprichst du töricht, liebe Schwester, da du weißt:
Unsterblich ist der luftigen Waldesnymphen Geist.
Wir mögen nicht wie Sterbliche den Tod erhandeln.
In Duft und Dinge können höchstens wir uns wandeln.»
«Deshalb», rief Kaleidusa, «will ich mich verwandeln.
Ich will nicht warten, bis er selber mich vergißt.
Ich muß ihm schmerzlich mangeln, daß er mich vermißt.»
Und blieb dabei. Kein Schmälen und kein Tränenguß
Erweichten ihren unabänderlichen Schluß.

Und als nach schwerem Scheidegruß mit Grabgesängen
Die Schwestern sich verloren in den Waldesgängen,
Bedachte sie die lange Nacht im Schmerzensrausche,
In welch ein duftig Ding sie wohl die Seele tausche,
Daß sie in Hylas' Herz sich und Gedächtnis schiebe
Und, wo er immer weile, ihm vor Augen bliebe.
Warf der Gedanken tausend auf und Pläne viel:
Umsonst, denn nie gewann ihr müder Geist ein Ziel,
Der Wille war zu krank, er konnte nichts beschließen,
Und all ihr Denken taugte, Tränen zu vergießen,
Bis daß der blaue Tag den Himmel überzog
Und lustige Farben auf den Erdenjammer log.
«Ach», seufzte sie, «jetzt naht die wehmutvolle Stunde,
Wo sonst mein Freund mich suchen kam im Eichengrunde.
Wer weiß, schon eilt er vom Olymp in Freud und Frieden,
Nicht ahnend, welche herbe Täuschung ihm beschieden.
Ich fühls, mein Vorsatz wankt, mein kleiner Stolz entweicht.
Auf! ehe seine traute Stimme mich erreicht!»
Schnell stieg sie auf die Blöße überm Tannenhain.
«Mut, Kaleidusa!» mahnte sie, «es muß ja sein!»
Wohl sprach sie das und schöpft ins Herz sich handvoll Mut,
Allein zum Leben. Ach, das schmeckte heut so gut!

Da rauschte überm morgenroten Wipfelmeer
Der Feuervogel Phönix durch die Luft daher.
Auf eine Tanne nebst der Blöße schwebt er nieder,
Äugt um sich, glättete das schimmernde Gefieder,
Dann öffnet er den Schnabel, schloß den Blick und sang
Sein Morgenlied, volltönend gleich wie Glockenklang.
So lautete das bilderschwere Morgenlied,
Das Phönix mit dem Glockenmund der Welt beschied:
«Wes ist die Seele, fragst du, die aus Feld und Au
Mit sinnigen Augen dich bespricht im Morgentau?
Vernimm: das ist des Gottessohnes Zeichenschrift,
In finstrer Nacht gegossen über Tal und Trift,
Wenn er, in weltenferner Wüstenei gefangen,
Die Hände streckt durch das Gebiß der Kerkerstangen,
Verstohlne Botschaft streuend auf die dunkle Erde,
Damit von seinem Dasein täglich Meldung werde.
Aurosa, der entfernten Freundin, gilt der Brief.
Der sagt von Troste hoch und singt von Schwermut tief.
Am frühsten Morgen naht vom Wald die Gottesbraut
Und aus dem Felde silbertropfenübertaut
Versammelt sie mit emsigem Fingerfleiß behende
Die Zeichen, die gestiftet des Geliebten Hände.
Geheim zwar ist die Schrift, undeutlich andern Wesen.
Aurosa einzig kann die heiligen Runen lesen
Kraft ihres Diadems mit Namen Horizont.
Sobald des Tages Strahl das Diadem besonnt,
Erscheint der Runen richtige Zusammenkunft,
Der Sinn keimt auf, die Liebe zeitigt die Vernunft.
Dann schwelgt sie überm Briefe in den Winkelnissen.
Sie mag nichts von der Welt, nur vom Geliebten wissen.»

So sang der Vogel Phönix überm Tannenhorst,
Über der Blöße auf dem morgenroten Forst.
Horch: Hylas' Stimme, fernher von den Bergesstufen,
Und Kaleidusens Namen forderte sein Rufen.
Jäh schnellte sie empor. Und ob der Eile Drang
Geriet ihr der Entschluß, den Tatkraft nicht erzwang.
Rasch sich vornüberbeugend auf den nächsten Strauch
Am Waldesrande, rief sie, ihres Atems Hauch
Durch die gehöhlten Hände sendend: «Vater Pan,
In ihrer Not die Waldesnymphe ruft dich an!»
Pan stellte sich: «Was soll ich dir? Was tut dir not?»
«Ich heische», sprach sie zagend, «den Verwandlungstod.»
«Vom Tode hilft kein Wunsch zurück und keine Macht.»
«Bewußt, o Vater Pan, gewollt und überdacht.»
«In welch ein Ding willst du die liebe Seele wenden?»
«In einen schönen Lichtstrahl, daß von allen Enden
Hylas den Trauten unablässig grüßt mein Schein:
So werd ich sein Gefährte, seine Sehnsucht sein.»
«Ists also, Kaleidusa, so umarme mich!»
«Ach Vater, lieber Vater Pan, ich fürchte dich.»
«Es ist kein Tod, er muß erst mit dem Leben ringen.
Den Körper tauschen rechnet zu den ernsten Dingen.»

Nachdem sie peinlich mit dem starken Pan gerungen
Und aus dem Leib die liebe Seele war entzwungen,
Da dehnte Kaleidusens Geist mit weitem Schwall
Sich frei und unbehindert durch das luftige All.
Sie war nicht hier, nicht da, sie war an allen Orten.
Und flugs sich stellend in die blauen Waldespforten,
Schwang sie zum Gruße ihren neuen Strahlenkranz.
«Hylas, hier bin ich!» jubelt ihres Blickes Glanz.
Und als nun Hylas in Verzweiflungspein und -plage
Um die verschwundne Freundin schrie die Trauerklage,
Da nahten aus dem Busch, entsandt vom Vater Pan,
Morpho und Pantaphile hilf bereit heran:
«Willst du, o Hylas, unsrer Kunst dich anvertrauen,
So halte still, wir lehren dich die Freundin schauen.»
Nach diesen Worten hielt mit zarten Fingerzangen
Morpho die Hände hinterm Rücken ihm gefangen.
«Jetzt schließ die Augen beide», heischte Pantaphile
Und haucht ihm auf die Augenlider Küsse viele.
«Schau auf!» Sieh da, im Strahl mit herzlichem Erwarmen
Erkannt er Kaleidusen. Und mit Sehnsuchtsarmen
Stürzt er zum Gruß ihr schnell entgegen. Wehe da!
Nie kam er Kaleidusens schönem Scheine nah.
Weil allsooft er sie zu fassen schon gehofft,
Sie über Tal und Hügel ihm entsprang so oft.

Also geschah nun alle Stunden aller Tage
Dem flüchtigen Hylas wonniger Sehnsucht süße Plage,
Da er der Freundin folgte über Berg und Tal.
Doch immer wich vor seinem Griff ihr neckischer Strahl,
Ob auch vor seinen Augen schalkhaft Willkomm fächelnd.
Doch Kaleidusa rief, im Gaukelspiele lächelnd:
«O Wonne! Sieh! Jetzt ist das Bündnis enger schier,
Als da wir wegten durch die Wälder, er mit mir.»


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