Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Zweiter Gesang
Die Freier werden der Königin vorgestellt

                      Am Abend vor dem Wettkampf, als der letzte Strahl
Mit flüssigem Golde übergoß Gebirg und Tal,
Bekleidete mit seinem köstlichsten Gewand
Der Theopomp sich, nahm den Heroldstab zur Hand
Und reiste zu den Freiern mit bedächtigem Schritt.
Vertraulich teilt er ihnen diese Botschaft mit:
«Die Ehrerbietung fordert und die Sitte spricht,
Daß ich euch führe vor der Fürstin Angesicht,
Euch vorzuzeigen, eure Namen ihr zu nennen.
Die Braut – das ist gerecht – will ihre Freier kennen.
Noch einmal aber wäge jeder, ob er tauge.
Denn vor dem ganzen Volke, vor der Herrin Auge,
Wenn alle Blicke unverwandt auf dich sich heften,
Den Wettkampf zu versuchen mit geringen Kräften,
Bringt weder Ruhm noch Vorteil; besser sich bescheiden
Als des Gelächters Spott von Tausenden erleiden.
Noch ist es Zeit; allein es ist die letzte Frist.
Wer also zweifelt, wankelt, unentschlossen ist,
Der bleibe, wenn ich führe, unvermerkt zurück;
Er findet leicht auf dem Olymp, Gottlob und Glück,
Viel edle Fräulein, schön vom Kopf bis zu den Füßen,
Die ihm sein Witwertum mit holdem Trost versüßen.
Wer weiß, ob ich nicht lieber wär an seiner Stätte.
Ich möcht es nicht: ein Zepter im Vermählungsbette.»

Nach diesen Worten zog der Theopomp voran
Zu Heras Schloß im dunklen, königlichen Tann.
Jetzt gleich wie wenn zu eines Neubaus Untermauer
Den sandbeladnen Karren der gebückte Bauer
Mit Hü und Hott und Peitschenklatschen ächzend führt
Und merkt nicht, wie, von Schüttelstößen aufgerührt,
Der Sand, der eine Öffnung in der Wand gewinnt,
In langem Streifen stetig auf den Boden rinnt,
Bis daß, am Ziel einfahrend, er im Bogen kehrt –
Und siehe, pfui Betrug! sein Wagen ist entleert:
Also zerrann, soweit der Weg zum Schlosse war,
Allmählich hinterm Theopomp die Freierschar,
So daß er, angekommen vor des Schlosses Schwelle
Und Umschau haltend, wer ihm schließlich sei zur Stelle,
Nur fünf noch vorfand, die getrauten sich allein
Zu stehen in der Fürstin Hoheitssonnenschein:
Der dämonglanzumstrahlte herrliche Apoll,
Hermes der Feine, schlau und heiligen Tiefsinns voll,
Der heldenhafte Knabe Eros ohne Tadel
Und des Poseidon selbstbewußter Herrscheradel.
Zeus aber, der geflohen war ein kleines Stück,
Besann sich, zauderte und kehrte fest zurück.
Das waren die getrosten fünf entschloßnen Helden,
Gewillt, der Königin zum Brautkampf sich zu melden.
Im Halbkreis stellten sie sich ehrerbietig auf
Und sahn erwartungsbange zum Altan hinauf.

Doch hinterm Vorhang im verhüllten schlummerischen,
Vom Dämmerlicht durchträumten Saale saß inzwischen
Gramvoll die Jungfrau Hera; ihr zu Füßen liegend
Zunächst Rhodope, an der Fürstin Knie sich schmiegend,
Und Rhodos neben ihr, das treue Zwillingspaar,
Das ihrer Herrin Lust und Herzeweide war.
Und als Geräusch von Männerschritten sie nunmehr,
Dem Hause näherkommend aus dem Wald daher,
Und unterdrückter Stimmen Murmellaut vernahm,
Da schrie sie auf vor Leid, und weinend schluchzt ihr Gram:
«Ach wehe, Rhodos! ach, Rhodope! meine linden
Geliebten Tauben, meine sanften süßen Hinden,
Wo ist sie – gebt sie mir zurück – die selige Zeit,
Da wir, von lästigem Throngezänk und Männerstreit
Noch unbehelligt, still in Fried und Einsamkeit
Ein kindlich Glück genossen, durch die Wiesen hüpfend
Und in des Baches buschiger Bucht nach Veilchen schlüpfend.
Was schiert der Wettkampf mich und wer der Sieger sei?
Verhaßt sind sie mir sämtlich gleich und einerlei.
Frag doch den Opferfarren, ob er möge besser
Geschlachtet sein mit diesem oder jenem Messer!
O welche Kränkung: mir, der edelsten der Frauen,
Der Erdenkönigin, die Schande zuzutrauen,
Gleich einem feilen Rind bekränzt und schmuckbehangen
Als stumme Siegesbeute vor dem Volk zu prangen,
Der frechen Neugier ausgesetzt als Wundertier,
Ein Schönheitsköder, lockend der Bewerber Gier,
Um schließlich, eine Sklavin, in des Stärksten Hände –
O Schmach! Mein Finger krallt, auch Langmut hat ein Ende!»
So zürnte sie. Und als mit Kuß und Koselaut
Das Schwesternpaar beschwichtigte die spröde Braut,
Die eignen Tränen in der Herrin Tränen mischend
Und mit verständigem Zuspruch ihren Mut erfrischend:
«So seis denn», stöhnte sie und stand gewaltsam auf,
«Komm her, Verdammnis! nimm denn, Schicksal, deinen Lauf!
Ich will versuchen, ob ichs kann, den Haß zu stillen,
Doch nur, weil ihr es wünscht, um eurer Bitten willen;
Vorausgesetzt, ihr bleibet allerorten, hier
Und wo ich immer weile, alle Zeit bei mir.
Denn müßt ich jemals eure Gegenwart entbehren –
Wo fänd ich Trost? wie könnt ich der Verzweiflung wehren?
Ihr also müßt den Bund der Treue mir geloben,
Hernach, wenns sein muß, will ich meine Kraft erproben.»
Nach diesen Worten schlossen einen ewigen Bund
Die drei, mit stürmischer Umarmung Mund auf Mund.
Hierauf mit einem tiefen Abschiedsseufzer hob
Hera den wuchtigen Vorhang, den sie seitwärts schob,
Und trat ins Freie auf den luftigen Altan.
Doch grüßte nicht und sah die Freier auch nicht an,
Sondern mit finsterm Groll, der keine Gnade räumt,
Gleich einem starren Steinbild steif und hochgebäumt
Wandte das Antlitz fremd und feindlich sie zur Seite
Und schaute über Wald und Wolken in die Weite.

Und während nun mit klarem Ruf der Reihe nach
Der Theopomp der Freier Namen deutlich sprach,
Bewegte sich, was für ein Name schon erklang,
Kein Wink noch Wank an ihr die ganze Rede lang
Und keine Miene. Als der Vortrag war beendet,
Bog sie verächtlich um und rief zurückgewendet:
«O Theopomp, du Schändlicher voll List und Trug,
Was soll der freche Scherz? Genug des Spiels, genug!
Warum der schlechten Knechte Vortrab hergeleiten?
Die Freier selber laß vor meine Augen schreiten.»
Ein grimmig Murren strafte dieses schnöde Wort,
Das pflanzte sich von Mund zu Munde grollend fort.
Dann sprach der Theopomp, die Arme auf der Brust
Ehrfürchtig kreuzend: «Freilich bin ich mir bewußt,
Erhabne Königin, daß niemand deiner würdig,
Denn Sterblichen und Göttern bist du überbürtig.
Und würde dir der Gatte nach Verdienst gewählt,
Maß deinem Wert, du bliebest ewig unvermählt.
Doch da einmal des Schicksals wie dein eigner Schluß
Bestimmt, daß deine Hoheit abwärts steigen muß,
Vernimm: von allen Männern, die im Weltall wesen,
Sind diese als der Besten Beste auserlesen.
Drum wolle, Herrin, huldvoll deine Blicke neigen,
Die Gnade sprechen lassen und die Würde schweigen.»
Er sprach es ehrerbietig. Anders sprach Apoll,
Dem ob dem schnöden Schimpf der Unmut überquoll.
«Mit welchem Recht, o Fürstin, und aus welchem Grund
Verschmäht und kränkt uns», rief er, «dein vermeßner Mund?
Anankes Diener heißen wir und deine Gäste,
Bestrebt, im Kampfspiel dir zu huldigen aufs beste.
Weswegen, rede, darf uns solcher Schimpf geschehen?
Ich bin Apoll, ich kann vor deinem Blick bestehen.»
Doch drohend gegen den Verwegenen jetzt schnellte
Die Fürstin, dem sie zornig diese Antwort gellte:
«Spott euch zum Gruße, ihr Betörtesten der Toren!
War jemals ein Gedanke buckliger geboren
Und krummer, als um Liebe bei dem Haß zu werben?
Geht hin, Wahnwitzige, fordert Leben von dem Sterben
Und bettelt von der Viper Honig. Zwar ich muß,
Weil mich Ananke nötigt und des Schicksals Schluß,
Ich muß euch dulden, muß euch Huld und Willkomm lügen,
Und dem Erwählten werd ich mich gezwungen fügen.
Doch Liebe von der Königin der Amazonen
Heischt nicht, denn Mannesliebe kann bei mir nicht wohnen.
Von Herzen haß ich das gewaltige Geschlecht,
Das uns den Gürtel löst und unsre Unschuld schwächt.
Was sucht bei mir, was will mir zwischen Herz und Hemde
Das bärtige Ungetüm, der unverschämte Fremde?
Auf denn, zieht hin, wenn meine Warnung euch nicht dämpft,
Glück zu! spornt euren Ehrgeiz, eifert, neidet, kämpft!
Lobpreist, umjauchzt, bekränzt das rohe Haupt des Siegers!
Ich aber sag euch: nicht des Löwen, nicht des Tigers
Gereizte Rachsucht, keine Bosheit auf der Erde
Haßt so unsäglich, wie ich jenen hassen werde,
Den sie als Bittersten erlesen mir zur Qual,
Ihn, meinen schmerzlichen, unleidlichen Gemahl.»

Bestürzt vernahm den Spruch die kleine Heldenschar.
Die Antwort bracht im Namen aller Hermes dar:
«Weh, daß doch eines Dinges äußeres Gesicht
Nicht jederzeit dem Inhalt ebenfalls entspricht!
Denn käme deinem Anblick die Gesinnung gleich,
Kein Engel wäre so gelind und gnadenreich.
Doch da nun einmal dieses deine Gabe ist,
Daß du von Herzen spröd und hart und hässig bist,
Was tun? Wir können eins vom andern ja nicht lösen,
Darum sei uns gesegnet denn, ob auch im Bösen.
Vielleicht, wer weiß, sprach Genesis: wenn dieser Hülle
Ich überdies gewährte eine schöne Fülle,
Das wäre ja das Glück mit Seligkeit gepaart,
Für solche Wonne hat der Raum nicht Gegenwart.
Doch hoffe nicht, mit bissigem Spott und scharfem Necken,
Erhabne Fürstin, uns vom Wettkampf abzuschrecken:
Schön ist der heilige Himmel, auch wenn blitzentflammt.
Nicht wem du zürnst, nur wem du fern bleibst, ist verdammt.
Möglich, wohlleicht, bevor mein Auge dich vernommen,
Kann sein, vermochte deine Warnung mir zu frommen;
Doch wer dich einmal sah, dem wirst dus nicht mehr wehren:
Ich muß dich ehrfurchtsvoll, doch muß dich heiß begehren.»
Er sprachs. Mit Beifall aber dankt ihm männiglich:
«Das hast nicht du geredet, Hermes, sondern ich.»

Stumm kehrte sich die Fürstin höhnisch und verschwand.

Drauf sprach der Theopomp, zum Göttertrupp gewandt:
«Hochedle Helden, ihr beherzten, mutigen Freier!
Vor einer folgenschweren Tat und ernsten Feier
Empfiehlt es sich, statt träg und faul mit Daumenspiel
Die Zeit zu ziehn, den Geist zu richten auf das Ziel,
Andächtig und bekümmert eure Kräfte wägend,
Den Willen sammelnd und den Leib mit Ruhe pflegend.
Drum haben wir am Kampfplatz oben auf dem Feld
Ein häuslich Zelt zu eurer Unterkunft bestellt,
Darinnen all die Tage, da der Wettstreit währt,
Ihr wohnt, gesondert, doch bedient, besorgt, geehrt.
Nun folget mir. Euch zu empfangen wartet schon
Themiurg, der Richter Obmann, auf dem Feld Agon.»

Es sprachs der Theopomp. Nach seinem Wort geschah:
Zum Feld Agon begaben sich die Freier da,
Allwo Themiurg, der Richter Obmann, sie empfing,
Den königlichen Purpur ihnen überhing
Und mit dem Fürstendiadem die Stirn bekränzte,
Mit warmem Freundschaftsblick, darin Bewundrung glänzte:
«Ihr edlen Freier», sprach er, «stolz und hochgemut,
Den Willen, der zum Gipfel aufschaut, heiß ich gut.
Die hohe Absicht adelt, wenn auch unerreicht.
Schmach dem, des Demut in den Sumpf bescheiden schleicht!
Einstweilen eurem Heldensinn zum ersten Lohn
Vernehmt ein köstliches Mysterion heute schon:
Einsiedlerisch im Walde lebt seit manchem Jahr,
Mit Obst sich kärglich fristend, still ein Greisenpaar.
Weitab in selige Fernen ist entrückt ihr Sinn,
Und lächelnd stieren ihre Blicke vor sich hin.
Unfähig, die Gedanken gegenwärts zu sammeln,
Vermag ihr kindliches Gemüt ein glückhaft Stammeln.
Der ist der Pfleger, jene ist die Pflegerin,
Die aus der Wiege hoben einst die Königin.
Die schlichte Einfalt jenes Mannes, dieses Weibes
Ertrug das Wunder nicht des offenbarten Leibes.
Doch fragst du, welcher Art das Wunder sei beschaffen,
Merk auf: Gleich wie im Erdenland den pelzigen Affen
Der Mensch beschämt und wiederum den Menschensohn
Stößt seinerseits des Gottes Elfenbein vom Thron,
So meldet das Gerücht und lautet eine Märe
Von Heras heiligem Körper eine neue Ehre:
Da wo die Frauen schmückt des Gürtels Goldgestein,
Erblüht ihr zum Geschmeid lebendiger Edelschein.
Es ist kein Fleck, kein Mal, es ist nicht eine Narbe.
Von Licht und Klarheit ist es eine wonnige Farbe.
So jubelt das Gerücht, so jauchzt olympische Sage.
Es zu erwähren ist des Siegers selige Frage.
Doch schaut, schon lenkt der Mond das Heute nach dem Morgen.
Gruß euch! ich überlaß euch euren stolzen Sorgen.
Benützt die Frist, des Herzens allzeit muntre Mücken
Gebieterisch mit strenger Faust zu unterdrücken.
Die guten Mäuslein aber schafft mit Fleiß nach oben.
Denn morgen wird sich eines jeden Wert erproben.»

Er schied. Sie aber griffen jetzt beim Mondenschein
Mit beiden Händen in das arge Herz hinein,
Manches nach hinten schiebend, manches vorwärtsrückend
Und die geschäftigen Mücken kräftig unterdrückend;
Die guten Mäuslein aber schafften sie nach oben.
Darauf entschliefen sie, geläutert und gehoben.

Doch in Anankes todumwachte Höhle trat
Mit scheuen Schritten Moira, räusperte und bat:
«Den künftigen Erdenkönig, Vater, gilts zu weihen.
Den schwarzen Kosmolith erfrag ich, mir zu leihen
Aus deiner Krone, und die fürchterliche Rute,
Die Weltbezwingerin, gesalbt mit Drachenblute.»
Und gnädig seiner Tochter weisem Wunsch willfahrte
Der Vater und behändigt ihr die eisenharte
Grausame Weltenrute und zugleich damit
Den schwarzen Höllenedelstein, den Kosmolith,
Der aus des Chaos Schlunde, wo er lag gebettet,
Als einziger Überrest der Urzeit ward gerettet,
Von außen fühlbar wie ein steinerner Basalt,
Inwendig aber wechselnd Dichtheit und Gestalt,
Bald fest wie Erde, wie zerfließend Wasser bald,
Jetzt gleich dem flüchtigen Äther schwankend in der Schwebe.
Und eine feine Stimme sagte, daß er lebe.

Und als vom Vater beide Lehen sie empfangen,
Kam sie zu Gorgo, ihrer Schwester, jetzt gegangen.
«Gorgo», begann sie, «deinen Beistand mögest leihen.
Den künftigen Erdenkönig, Schwester, sollst du weihen:
Nimm hier die Rute, nimm zugleich den Kosmolith
Und eile gen Olymp zum Feld Agon damit,
Wo du im Schlafe finden wirst die edlen Helden,
Gewillt, zum Wettkampf um die Krone sich zu melden.
Dort siehe zu, wen du vor allen auserwählest.
Doch, daß du ja den Tauglichsten mir nicht verfehlest,
Brauch diese Probe: Zieh den Kosmolith hervor
Und halt ihn heimlich jedem Schlafenden ans Ohr.
Die, welche friedlich weiterschlafen, brauch ich nicht.
Doch jener, dem der Kosmolith zu Herzen spricht,
Daß er im Traume stöhnt und sich verwirft und schreit,
Der ists: der sei zum Erdenkönig mir geweiht.
Versetze mit der Rute diesem einen Schlag,
Auf daß er nimmer Ruh und Frieden finden mag.
Dies also, liebe Schwester, mögest freundlich tun:
Auf deine stets bewährte Weisheit zähl ich nun.»

Sie sprachs. Gorgo willfahrte gern der Schwester Bitte
Und auf dem Feld Agon schlich sie mit leisem Tritte
Ins Zelt der Freier, nahm den Kosmolith hervor
Und hielt ihn je und je den Schlafenden ans Ohr.
Doch alle schliefen friedlich weiter unentwegt,
Von keinem Ton getroffen, keinem Schmerz erregt.
Außer dem letzten, Zeus. Als sie ihm nahte kaum,
Warf er sich hin und her und stöhnt und ächzt im Traum,
Und auf des Kosmolithes feine leise Sage
Erwidert er Geschrei und laute Jammerklage.
Die Weltenrute zuckte Gorgo jetzt und traf
Die Brust dem Träumenden und zeichnet ihn im Schlaf.
Hierauf zur Schwester eilte sie: «Es ist geschehn:
Zeus ists, den ich zum Erdenkönig ausersehn.»

Allein nicht Schlaf gedieh noch Ruh und Friede sproß
Der königlichen Braut im waldumkränzten Schloß,
Weil sich der Freier Bild vor ihr Gedächtnis stahl.
«Wer war wohl», riet sie sorgenbang, «in dieser Zahl
Mein nächster schlimmster Feind, mein künftiger Gemahl?»
Doch während aller übrigen Gestalt verblich,
Behauptete Apollons leuchtend Scheinbild sich
Vor ihren Blicken unverscheuchbar, unvermeidlich,
Und seiner Augen Feuer brannte sie unleidlich.
Verächtlich lachte sie: «Was will der eitle Wicht
Mit seinem schnöden selbstzufriednen Angesicht?»
Kraft grellem Fackelschein, kraft Leuchtern und kraft Kerzen
Gedachte sie das lästige Irrlicht auszumerzen.
Hell flammte durchs Gemach der rote Glanz und Glast:
Allein des Gegners Bild beharrte unverblaßt.
Nun löschte sie die Flammen allesamt: im Dunkeln
Sah sie Apollons zorndurchglühte Augen funkeln.
Sie stampfte mit dem Fuß: «Zuviel zuletzt, zuviel!»
Die Laute holend, setzte sie sich ab zum Spiel.
Sie konnte mit den Saiten heute nicht hantieren,
Denn seine Finger mengten ewig sich mit ihren.
«Im Schlafe», rief sie, «muß der Unhold schließlich schweigen.»
Sie spürt ihn – Schmach und Scham! – mit ihr zu Bette steigen.
Darob geschah ihr, daß sie einen Abscheu faßte,
Die andern übersah, Apollon tödlich haßte.
Aufspringend schrie sie einen maßvergeßnen Schwur:
«Zu früh, Apoll, frohlockst du! Glänze, gleiße nur
Und wiege dich in eitler Selbstzufriedenheit:
Trotz deinem Dämon, der dir heimlich Beistand leiht,
Und deinem Heldenwuchs und deiner Gliederzier
Erbeutest du mich nicht! Apoll, ich schwöre dir:
Eh daß ich meinen Stolz vor deinem Hochmut beuge,
Eh daß ich Unterwerfung dir und Huld bezeuge,
Eh will ich einen Satyrbock mit zottigem Rücken,
Einen Zentaurenhengst mit meiner Gunst beglücken.
Ein jedes Mannsbild bin zu dulden ich bereit,
Wofern er nur von dir, du Gleisner, mich befreit!»
Drauf legte sie sich nieder, jauchzend Haß und Hohn,
Da strahlt Apoll ihr wieder vor den Augen schon.


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