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XLI.
Eine Profeßpredigt

Dann nahte nach einer weiteren kurzen Weile der große Tag heran, der die Erfüllung großer Hoffnungen besiegeln sollte als Vorzeichen des einstigen Veni, sponsa mea! Es ist zweifelhaft, ob es im Leben der Sterblichen einen Augenblick so voll reinen und höchstens Segens gibt wie die Stunde, in der man seine Profeß ablegt. Um das Hochzeitsfest hängt immer noch ein Schatten von Furcht und Besorgnis um die Zukunft, die im besten Falle ungewiß ist; und die Blicke, die dem glücklichen Paare nachschauen, wie es Hand in Hand und in einer so ausschließlichen und verantwortlichen Gemeinschaft ins Leben hinaustritt, sind von Ahnungen und unbestimmter Angst erfüllt, und das Sonnenlicht bricht sich im Prisma der Tränen. Bei einer Profeßfeierlichkeit aber gibt es kein Scheiden, keine Sorge und keine Furcht; nur die ruhige Trunkenheit einer überquellenden Freude, denn die Braut wird keinem Manne, sondern Gott selber anvertraut.

Und deshalb brach auch der Morgen des Tages, an dem Barbara Wilson ihre Profeß ablegen sollte, mit der Verheißung eines glorreichen Tages an. Sogar die Atmosphäre schien von Allelujas widerzutönen, von Allelujas, dem frohen Echo all der Musik, die die Herzen der Schwestern, Priester und Büßerinnen erfüllte. Denn diese kannten jetzt all den idealen Heroismus ihrer früheren Genossin. Und der Gedanke, daß eine reine Seele ihr Los geteilt hatte, milderte ihre Scham und Reue. Barbaras heroische Handlungsweise war eine zweite Vergebung gewesen.

Die kleine Kapelle zur Linken des Hochaltars war daher diesen Morgen gedrängt voll von neugierigen, glücklichen, eifrigen Büßerinnen. Und der bloße Gedanke, daß eine aus ihrer Mitte im Begriffe war, zur Nonne erhöht zu werden und einen Ehrenplatz in den Chorstühlen zu erhalten, erfüllte alle mit einer Art persönlichen Stolzes. Und so flüsterten und schauten sie, bis die große Orgel ertönte und das Anstimmen einer Hymne die Ankunft des Bischofs verkündete. Dann begann nach den einleitenden Zeremonien das Amt; und nach dem Evangelium empfing Lukas kniend den bischöflichen Segen, worauf er die Stufen des Altares hinanschritt.

Er war durchaus nicht nervös. Er hatte sich seit langem eine so vollständige Herrschaft über seine Gedanken und ihren Ausdruck angeeignet, daß er wußte, ein Steckenbleiben sei unmöglich. Er empfand aber doch all die Feierlichkeit des Augenblicks, und er wollte heute den gewöhnlichen Predigtstil verlassen und vom Abstrakten zu den konkreten Tatsachen seines eigenen Lebens und den Aeußerungen seines Gewissens übergehen. Denn obgleich dieses sein Leben unbefleckt gewesen und sein Gewissen rein geblieben war, so fühlte er doch, daß er Gott und seiner eigenen Seele eine Genugtuung schulde für einen Fehler; daß er seinen Beruf, zum Höchsten sich aufzuschwingen, nicht erkannt hatte. Solch eine Enthüllung ist aber stets peinlich, und besonders, da sie seine bisherige Zurückhaltung, die fast hochmütig zu nennen war, durchbrach und der Welt, die ihn nur für einen unnahbaren, kalten Charakter hielt, eine Selbsteinschätzung bewies, die unter dem Licht großer Demut und erhabener Kontraste zu den kleinsten Dimensionen zusammenschrumpfte. Er wählte als Predigttext:

»Zu dieser Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wer zu mir kommen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird um meinetwillen, der wird es finden.«

»Die göttliche Bestimmtheit und der scheinbare Widerspruch in diesen Worten,« fuhr Lukas fort, »würden einen neuen Beweis für die Gottheit Christi liefern, wenn ein solcher nötig wäre. ›Noch nie hat jemand so wie dieser gesprochen!‹ Ein irdischer Philosoph, ein griechischer Sophist, würde entweder seinen Anhängern große Dinge versprechen, wie der Widersacher Jesus in der Wüste versuchte; oder wenn er die Wahrheit liebte, würde er sie in Abstraktionen lehren und es der Natur selber überlassen, sich den leichtesten Weg zum Glücke zu bahnen. Aber der große göttliche Lehrmeister legte die geringste Forderung, die er an seine Jünger stellte, in den ernsten Befehl: Verleugne dich selbst, und er knüpfte die unbestimmte und augenscheinlich sich widersprechende Verheißung daran, daß ›jeder, der sein Leben verlieren wird, es finden wird‹. Es ist auffallend, daß sich die Leute an diesen Worten nicht stießen und ärgerten, sondern sie bereitwillig als Glaubenswahrheit und untrügliches Versprechen annahmen; und der halbgebildete Zöllner und der ganz ungebildete Fischer ließen alles liegen und folgten eilig einem Lehrer, der ein so großes Opfer für eine so problematische Belohnung verlangte. Und auffallender ist noch, daß es zu allen Zeiten Seelen gegeben hat, die gerade die Willkür dieses Gebotes begeistert, sich rasch zur hohen Stufe der Heiligkeit emporzuschwingen, die es in sich schließt; die alle Forderungen einer sich weigernden Selbstliebe verachten und die noch gefährlicheren Plattheiten einer nivellierenden Welt überwinden und sich plötzlich in der Einsamkeit sehen, wo die Hand ihres Meisters sie wie Felsenmauern schützt und der Klang seiner Stimme wie das Murmeln rinnender Wasser an ihr Ohr dringt. Ein solches Opfer sehen wir auch heute, ein solches Aufgeben jugendlicher Wünsche und Bestrebungen, ein solch ruhiges Loslösen von Banden, die so fest wie der Lebensfaden binden, solch eine Verzichtleistung und Selbstverleugnung, solche Gelübde des Opfers, die in Gegenwart des höchsten Königs auf Pergament geschrieben und versiegelt, aber noch mehr mit Herzblut geschrieben und besiegelt sind. Aber im Opfer des heutigen Tages liegt ein eigener, individueller Zug, der ihm seine besondere Bedeutung verleiht und einen besonderen Sinn in sich birgt, den abzuleiten man mir gestatten möge, und vielleicht auch noch eine weitere und tiefergreifende Anwendung. Sie werden schon bemerkt haben, daß mein Vorspruch nicht nur die Idee der Selbstverleugnung, sondern auch die des Opfers in sich schließt.

›Verleugne dich selbst! Verliere dich selbst!‹ So lautet der göttliche Befehl. Im allgemeinen wird aber in den religiösen Berufen nur auf das erstere Gebot besonders gedrungen; der letztere Gedanke des Opfers, besonders des stellvertretenden Opfers, begegnet selten. Die Kirche glaubt, daß das erste Gebot in seiner vollen Ausdehnung eben das zweite schon in sich schließe. Aber im gegenwärtigen Augenblick sehen wir das seltsame Schauspiel, daß das Leben stellvertretenden Opfers durch Gelübde der Entsagung beendet wird; und daß diese Gelübde, die gewöhnlich den Anfang eines Lebens der Selbstverleugnung bedeuten, in unserem Falle ein Opfer beenden, das so groß ist, daß es nur, wie den Befehl an den Patriarchen des alten Bundes, der Wille des Höchsten einem seiner geliebtesten Geschöpfe auferlegen konnte. Es geschah folgendermaßen. Die gute Schwester wird mir die Aufzählung der Details verzeihen, weil sie beweisen, wie Gottes Hand beständig und unsichtbar in seiner Schöpfung wirkt.«

Hier berichtete Lukas alle Einzelheiten von Louis' Verirrungen und seiner Schwester Hingebung und fuhr fort: »Da war die Seele des Geliebten in großer Gefahr. Sein Leben war verfallen. Die Gefahr ewiger Verdammung, die nur von ferne gedroht, stieg aufs höchste. Nur die Allmacht stand noch zwischen dieser Seele und der Hölle. In der entsetzlichen Angst der Schwesterseele, die allein nach dem Verlorenen sich zu sehnen schien, dämmerte plötzlich eine Eingebung auf. Diese Seele hatte bei dem unwillkürlichen Zurückbeben reiner Gemüter vor allem Befleckten gerade vor dem Namen zurückgeschaudert, der, wenn er auch ein Symbol der Liebe ist, doch an die vergebene Sünde erinnert. Und in seinem unerforschlichen Ratschluß beschloß der Allerhöchste, daß dies das Opfer sein sollte. Der Preis der Seele des Bruders sollte die sündenlose Schande der Schwester sein; er sollte durch die freiwillige Erniedrigung eines unbefleckten und makellosen Opfers gerettet werden. Das Opfer wurde angenommen und die Seele des Bruders wunderbar dem höllischen Feuer entrissen. Und die Schwester trat aus dem Glanze der Welt in die Verborgenheit dieses Asyls; und hier lebte sie, allem äußeren Anschein nach, mit allen äußeren Merkmalen der Demütigung, als Büßerin, und nur Gott und der gute Priester, der sein Stellvertreter war, kannten ihre Sündenlosigkeit.

Während all dies vor sich ging, ging daneben ein anderes Leben weiter; aber welch eine Welt lag dazwischen! Ein junger Priester hatte einen ähnlichen Ruf zu einem Leben absoluten Opfers, der ihm am Tage seiner Priesterweihe geworden, zurückgewiesen und war vom Heroischen zum Gewöhnlichen hinabgestiegen; und da faszinierten ihn gerade die Schlagwörter auf den Lippen der Welt, die die täglichen Maximen der Heiligen waren. ›Selbstverleugnung‹, ›Opfer‹, ›Aufgeben des Selbst‹, ›Interessen der Rasse‹, ›Forderungen der Menschlichkeit‹, das waren die Worte, die beständig in seinen Ohren klangen und ihn zu einem höheren, mystischen Leben riefen, das weit von egoistischer Behaglichkeit oder ehrgeizigen Regungen entfernt war. Ach! Es brauchte Jahre, bis er einsah, wie hohl das alles war, daß es keinen Gott in der menschlichen Natur gab, außer den, der Mensch wurde, um die Menschennatur fast bis zur Gottheit zu erheben, und daß die erhabenen Lehren der Selbstverleugnung und Entsagung nur von demütigen Jüngern dieses einen Gottmenschen befolgt wurden. Aber so war das ewige Sehnen der Menschenseele, und wie der junge Priester den mühsamen Pfad zur Weisheit entlang schritt, da sah er, wie menschliche Philosophie, mit einer schwachen Laterne in ihrer Hand, sich qualvoll durch alle Irrgänge menschlichen Geistes durcharbeitete, um im vollen Licht des Evangeliums, aber mit geblendeten Augen, wieder emporzutauchen; denn das erhabene Wort ›Selbstverleugnung‹ fand er im letzten Klange der Musik des größten modernen Dichters; und er fand, daß der göttliche Widerspruch: ›Wer sein Leben retten will, der muß es verlieren‹, die letzte Weisheit eines der größten modernen Philosophen war. Aber was haben Ideen, wenn sie auch noch so erhaben sind, mit der Führung modernen Lebens zu tun? Das Handeln, und Männer des Handelns, regieren die moderne Welt. Ideen beherrschten die weiten Gebiete des orientalischen Mystizismus, bis sie in der erhabenen Wirklichkeit des Christentums ihren Höhepunkt fanden; aber der Hang des Abendländers ist auf den Materialismus gerichtet und sein großes Dogma – das ewige Ich. Aber was den Weisen des Altertums so vertraut war, was in Arbeit und so viel Schmerz die großen Modernen finden, das fassen die Kleinen, die Weisheit in Einfalt suchen, gar leicht, und sie folgen gern jenen als Führer, die auf göttlichen Befehl nicht in den künstlichen Worten menschlicher Weisheit, sondern in der offenen Auslegung einfacher Rede mehr lehren, als Philosophie unterscheiden, Gelehrsamkeit ergründen oder die Phantasie erfassen kann.

Und als der junge Priester in sein Heimatland zurückkehrte, da träumte er, er hätte eine Botschaft an sein Volk. Er wollte eine neue Aera inaugurieren; er wollte sein Geschlecht mit allen modernen Fortschrittsideen erfüllen; er wollte eine neue Zivilisation an Stelle des alten und überlebten Systems einführen. Der Gedanke war großherzig, nur beruhte er auf einem falschen Grundsatze. Oder vielmehr suchte er ohne Grundsatz – ohne das zugrunde liegende Prinzip vom Dualismus des Menschen – Idee und Handlung, Sache und Form, Seele und Leib zu erbauen, von denen jedes seine Interessen, jedes sein Geschick hat. Er hatte es sagen hören und wiederholte es fast autoritativ: ›Suchet der Menschen Seelen durch ihre Leiber! Machet ein Volk glücklich, und ihr macht es heilig! Die Heiligkeit folgt der irdischen Behaglichkeit, und im Reichtum kann man die Geheimnisse großer Gnade finden.‹ Er glaubte es kaum, aber er wollte das Experiment machen. Man warnte ihn: Dieses Volk muß sich seine eigene Zivilisation schaffen. Der Appell an rein materielle Grundsätze hat keinen Wert. Und so verwarf das Volk seinen Vorschlag, auf den Bahnen modernen Fortschritts zum Glücke zu kommen, sofort. Auf seine Bitte um Klugheit antwortete es: Vorsehung; an Stelle menschlicher Vorsicht setzte es Gottes Allwissenheit; statt Sparsamkeit pflegte es Nächstenliebe. Statt des Vorwärtsstrebens liebte es die Demut; statt des Eigennutzes die Großmut, bis er zu fühlen begann, daß er Geisterschwingen lähmte und zur Erde Seelen niederzog, die für das Empyreum bestimmt waren. Er befand sich da dem Problem gegenüber: Wie können unsere alte Rasse und ihre althergebrachten Ideale zu gleicher Zeit erhalten werden?

Auf der Suche, es zu lösen, geriet er in einen Irrtum. Er sah die Bestärkung seiner eigenen Ansicht unter seinen Augen, in seinem eigenen Geburtsort – das Irland, von dem Dichter geträumt haben und für das Patrioten starben. Unter dem belebenden Einflusse einer großen Persönlichkeit erhob sich das Volk und nutzte alle Möglichkeiten aus, die in seinem Bereich lagen, und indem es im geistlichen Leben große Fortschritte machte, ergriff es ebenfalls jede Gelegenheit, auch materiell vorwärts zu kommen. Und die Leute hatten Erfolg. Während alles ringsumher Wüste blieb, war hier ein Land, das von Milch und Honig floß, und die Bewohner der öden Berge blickten mit Neid auf die lachenden Gefilde Arkadiens hinab. Aber ach! Das Element der Beständigkeit fehlte, und eines Tages stürzte all die Schönheit, all das Glück, in Flammen und Rauch zusammen. Und wie die zwei Illusionen – daß Irland aus seinem Verfall auf rein materiellen und egoistischen Grundsätzen wieder aufgerichtet werden könne, und die, daß Irland ohne die Grundlage der Unabhängigkeit und Sicherheit wieder aufgebaut werden könne – dahinschwanden, da erwachte unser junger Priester plötzlich zu der Ueberzeugung, daß sein Vaterland unter neuen und bleibenden Verhältnissen seine traditionellen Ideale entwickeln könne, daß es im Angesichte einer falschen und unstäten Zivilisation ein neuer Staat Christi werden könne. Die Möglichkeit eines solchen Ereignisses ist schon öfters von Priestern angedeutet worden, die sich augenscheinlich bemühten, zusammenhängende Ideen aus einer Masse von Instinkten und Gefühlen zu entwickeln. Es war schon in der Art, mit der das Volk, obwohl ungebildet und ungeübt, die höchsten Grundsätze christlicher Zivilisation erfaßte, enthalten; die Energie, mit der die Leute die bloße Erwerbung von Reichtümern verachteten und sich ihres Besitzes schämten, deutete schon darauf hin, und es war schon personifiziert in dem Beispiele eines bescheidenen und verborgenen Priesters, der sich lange vorher um Christi willen von allem entblößt und das, was für die menschliche Natur schwer und demütigend war, dem, was gefällig und anziehend war, vorgezogen hatte, und in dem noch anziehenderen Beispiele eines jungen Mädchens, das freiwillig Demütigung und Leiden auf sich nahm und in ihrem Kreuze die Erfüllung aller irdischen Wünsche, die Vollendung aller irdischen Glückseligkeit, fand.

Es kann keine Frage sein, daß ein solches Leben des Heroismus und der Selbstaufopferung unser eigenes geliebtes Vaterland symbolisiert. Die Annahme, unser siebenhundertjähriges Martyrium sei nur der Zufall menschlicher Ereignisse, wäre ein Mißtrauen in die göttliche Weisheit. Daß diese lange Leidenszeit jetzt ihrem Ende nahe ist, ist ebenso sicher, wie daß diese junge Postulantin jetzt die Kleider der Buße und Demütigung ablegt und die Gewänder der Freude angezogen hat. Ihre Zukunft ist leicht auszumalen. Sie wird das Tal des Lebens hinunterschreiten mit einem ewigen Sang der Liebe und der Dankbarkeit in ihrem Herzen, von Stunde zu Stunde, von Gedanke zu Gedanke, von Tat zu Tat weitergehend und aus jedem Süßigkeit schöpfend, die in den Kelch der Bitterkeit fallen wird, den einige noch zu trinken haben. Ebenso leicht ist es, die Zukunft Irlands zu übersehen. Es wird sich nie die moderne Anschauung aneignen, daß alles menschliche Glück auf rein materiellem Glanz beruht und daher niemals zu einer Nation von Geldmäklern und Genußmenschen herabsinken. Es wird seine eigene Zivilisation entwickeln, indem es seine Ideale beibehält und sie wirken läßt. Denn die Traditionen, die Gedanken, die Instinkte, die Wünsche und selbst die Leidenschaften unseres Volkes neigen dem Uebernatürlichen zu. Und das muß die Grundidee, der erste Grundsatz in seiner künftigen Entwicklung und der Eckstein des mächtigen Gebäudes sein, das die Hände seiner Kinder errichten wollen, der Grundstein in dem Triumphbogen, unter dem seine gekrönten und sieggeschmückten Helden unter dem Jubel seiner Auferstehung hinwandeln werden.

Schwester Barbara, ich entschuldige mich nicht, daß ich Ihr Leben zu einem Symbol des Geschickes Ihres Vaterlandes gemacht habe und nicht bloß zum Gegenstand einer trockenen Predigt. Ich will aber die Parallele auch zu Ende führen. Ich gebe Ihre Gedanken nur schwach wieder, wenn ich nicht auch sage, daß diese dann und wann, während sie sich dem Willen des Höchsten freudig unterwerfen, zu den Stunden zurückkehren, die Sie bei Ihrer Kreuzigung durchmachten, und liebend dabei verweilen. Ich zweifelte nie daran, daß selbst am sonnengoldigen Auferstehungsmorgen solch große Seelen, wie Johannes und Magdalena, mit zartem Sehnen an die Dunkelheit, das Düster und den Schmerz Calvarias zurückdachten und an die Liebe, die sie für den Gekreuzigten empfanden, und die in einem Strome der Heiligkeit wieder in ihre Herzen zurückfloß. Vielleicht haben Sie manchmal sich erträumt, daß es größer und edler gewesen wäre, wenn Sie Ihre Erniedrigung bis ans Tor der Ewigkeit mit sich getragen und nur Christi Händen allein gestattet hätten, Ihnen die Dornenkrone vom Haupte zu nehmen und den Goldreif seiner Liebe darauf zu setzen. Solche Gedanken sind das Erbteil Ihres Volkes. Auch ich teilte sie einstens. Aber von utilitaristischen Ideen geleitet, überhörte ich den Ruf zum Heroismus und stieg zum Gewöhnlichen herab. Weise Lehrer aber mögen sich hüten, den Geist der ganzen Nation auf ein gleiches Niveau rein natürlichen Ehrgeizes und rein materialistischen Erfolges herabzudrücken. Wie notwendig für die Massen solche Bemühungen auch sein mögen, um die Rasse vor dem Untergange zu retten, es ist nicht der spezifische Genius unseres Volkes. Der steht höher, und materieller Wohlstand darf nie das letzte Ziel unserer Rasse werden, sondern nur die Basis des höheren Lebens. Noch nie hat die Welt Denker und Heilige so notwendig gebraucht, wie heutzutage. Noch nie hat sie es so nötig gehabt, die Verkörperung der positiven Lehre Christi vor Augen zu sehen, nicht aber den nebelhaften Reflex dieser Lehre in der Weisheit späterer Philosophie, wie gerade heute. Ein solches Beispiel, wie wir es heute vor uns gesehen haben, würde ein mächtiger Hebel sein, um die Anschauungen der Welt aus dem Geleise zu heben, in das sie eingesunken sind; und man könnte tausende solcher Beispiele unter einem so glorreichen Volk erleben, wenn das höhere Leben, mit seinen Kämpfen und seiner Glorie, ihm vor Augen gestellt würde. Ich zweifle nicht im geringsten, daß ebenso, wie die sanfte Erinnerung an ihr Kreuz, die sich mit glücklicheren Gefühlen im Herzen der Schwester Barbara vereint, wenn der Auferstehungstag Irlands heraufgedämmert ist, wenn seine Täler von Musik wiedertönen und seine verbannten Kinder zurückgekehrt sind mit den vielen schönen Garben in den Händen, die sie in den Ernten der Welt sich gesammelt haben, daß dann manche erwählte Seelen bedauernden Blickes zurückschauen werden auf die Tage des Düsters und des Martyriums; und von den Hosiannas und Palmen des Triumphes weg werden sie ihre hohen Berge erklimmen und da noch einmal Golgathas stellvertretenden Leidens für die ganze Rasse errichten. Denn bis zu der Zeiten Ende wird es Sünde geben, und Sünde verlangt Buße und Genugtuung, die nicht der Sünder, sondern der Heilige erstattet. Und bis zu der Zeiten Ende werden Menschen von selbstischen Begierden verzehrt werden, und Selbstsucht muß ihr beständiges Korrektiv in Selbstverleugnung finden. Und wo in aller Welt kann diese erhabene Philosophie Christi verwirklicht werden, wenn nicht hier? Und wo soll der göttliche Widerspruch: Verliere, damit du gewinnst; gib, damit du erhältst; stirb, damit alle leben –, wahr gemacht werden, wenn nicht unter dem Volke, das seine Hände schon sieben Jahrhunderte lang in seinem Martyrium zum Himmel erhoben hat? Wo soll die verderbliche Sünde der Selbstsucht ausgerottet werden, wenn nicht unter der Rasse, die der Welt in ihren Aposteln und Märtyrern die erhabensten Beispiele göttlichen Altruismus' gegeben hat? Und wo soll das höchste Gesetz der Liebe aufgestellt werden, wenn nicht da, wo alles, was heilig und rein ist, sich zu allem, was schmutzig und befleckt ist, herabneigt, und in der Zaubermacht der Nächstenliebe, Sünde und Reinheit, Schande und Mitleid, so vollkommen vereint, daß die Menschen, wie man es an dem heutigen Beispiel sehen kann, unter den äußeren Lebensformen den Sünder und den Heiligen, den Gefallenen und den Unbefleckten, die Lämmer, die nie den Schafstall verließen und die Schafe, die in der Finsternis und Oede der Sünde und des Todes herumirrten, nicht mehr unterscheiden können?«

Als die Zeremonie vorüber war, suchte Lukas die Einsamkeit des Klostergartens auf, um die Bewegung zu meistern, die ihn erfaßt hatte. Er kümmerte sich wenig darum, welches Urteil über die Predigt gefällt würde. Er wußte nur, daß er sich selbst enthüllen und klar und offen seine eigenen Fehler bekennen wollte; und er fühlte, daß ihm das nur halb gelungen war. Er wußte wohl, daß er sich nicht noch deutlicher hätte ausdrücken dürfen, um ja niemand zu verletzen; er fühlte aber auch, daß er seine Gedanken so gut in eine bergende Flut von Worten gehüllt hatte, daß seine Gefühle nur halb zum Ausdruck kamen.

Und das war auch wirklich der Fall. Denn beim Dejeuner wurden die verschiedensten Ansichten über die Predigt geäußert. Einer meinte, es sei alles »Rhetorik« gewesen, ein Wort, das unaussprechliche Dinge in Irland bedeutet. Vater Tracey, der in seinem neugefärbten Rock ganz schmuck ausschaute, rief Schwester Eulalia herbei, deren Augen vom Weinen rot waren, und fragte sie flüsternd: »Das war eine herrliche Predigt, meine Liebe! Aber mein armes Hirn konnte nicht folgen. Wovon handelte sie nur? Was, mein Kind, Sie haben ja geweint! Gott sei mir gnädig, weinen, und an solch einem Tag!«

Schwester Eulalia antwortete nicht, sondern entfernte sich nur noch mehr weinend.

Mathäus O'Shaughnessy, der als ein großer Wohltäter des Klosters stets das Privilegium genoß, zu derartigen Feierlichkeiten eingeladen zu werden, bemerkte zu einem Priester, der ihm gegenübersaß:

»Das war die großartigste Predigt, die ich je von meinem Freund, Vater Lukas, hörte.«

»Von was handelte sie denn?« fragte der Geistliche, ohne zu lächeln.

»He? Von was?« erwiderte Mathäus verlegen. »Sage ihm, Marie, von was sie handelte. Ich höre etwas schlecht.«

Aber Marie besaß die rasche Fassungsgabe der Frauen und ahnte, wie die Sachen standen. Würdevoll entgegnete sie daher:

»Von was sollte sie denn handeln als von der Profeß der jungen Dame?«

»Natürlich,« stimmte Mathäus bei, der beim Eintritte des Bischofs sich in einer verehrungsvollen Haltung erhob und auf die bescheidenste, bittendste Art das Auge des Bischofs auf sich zu lenken suchte.

Dann trat Barbara in Begleitung der Novizenmeisterin ein und schritt die Reihen der Gäste entlang, um den bischöflichen Ring zu küssen und noch einmal den bischöflichen Segen zu erhalten. Als sie sich sodann rasch umwandte, sah sie zum ersten Male seit zwölf Jahren das Antlitz ihres Vaters wieder. Es war jetzt von weißen Haaren umrahmt und tief von Sorge und den Mühen, die der Ehrgeiz fordert, durchfurcht. Auch finster blickte es drein; denn all die Erklärungen, die die Mutter Provinzialin und die Priester ihm gaben, konnten den Weltmann nicht überzeugen, daß an seinem Kinde keine schreckliche Grausamkeit und Ungerechtigkeit verübt worden war. Aber etwas, das Rauschen ihres weißen Habits, das Klappern ihrer Rosenkranzperlen, die schnelle Grazie ihrer Bewegungen oder die Freude, die aus ihrem Antlitz strahlte, stimmte ihn um; und mit einem leisen Freudenseufzer drückte er sein Kind an sein Herz und küßte es vor allem Volke. Lady Wilson war konventioneller und zurückhaltender. Sie fühlte, daß sie gekränkt worden war; aber in einem Geiste christlicher Milde war sie zur Vergebung bereit. Jeder Priester erhob sich, als Barbara vorbeischritt, und berührte ehrfürchtig ihre Hand. Sie setzte sich lange neben Vater Tracey, der über diese Ehre sehr verlegen war und wiederholt »Gott segne mich!« murmelte.

Als sich die Gäste draußen in der großen Halle zerstreuten, fragte der Bischof laut: »Wo ist denn Vater Delmege? Ich vermißte ihn!« Nach einigem Suchen entdeckte man Lukas, der nun hereintrat.

»Das war aber eine herrliche Predigt, Lukas,« sagte der Bischof.

»Danke Ihnen, Mylord,« erwiderte Lukas. Dann fuhr er etwas malitiös fort: »Hoffentlich war keine verborgene Häresie darin?«

»Nein! Aber lassen Sie sie nicht drucken; sonst kommt Ihnen irgend ein Schnüffler daher und konstruiert mit Hilfe eines Wörterbuches etwas Heterodoxes hinein. Uebrigens, hier habe ich einen Brief für Sie. Sie brauchen ihn nicht aufzumachen, bis Sie zu Hause sind. Guten Tag! Besuchen Sie mich, so oft Sie in die Stadt kommen!«

Als Lukas zu Hause angelangt war, fand er, daß er zum Pfarrer einer hübschen, zusammenhängenden kleinen Pfarrei ernannt worden war. Hier verbrachte er die paar letzten Jahre seines Lebens. Er machte sich von allem los und lebte das Leben eines Einsiedlers: ein ernster, sanfter, liebreicher Mann, der glücklich war, daß er nichts hatte und alles besaß. Seine Pfarrkinder liebten und verehrten ihn über die Maßen; nur bei seinen Mitbrüdern kam er in den Ruf, etwas exzentrisch zu sein, was uns nicht überraschen darf. Aber das beachtete er gar nicht. Er hatte dadurch den Frieden gefunden, daß er sich von den vergänglichen und irdischen Dingen losmachte und seine Gedanken auf das Unvergängliche und Ewige richtete.

Nur ein kleines Vergnügen gönnte er sich noch. Er liebte es, als unbeteiligter, wenn auch von der Erscheinungen Flut überwältigter Zuschauer das »Narrenhaus dieser Welt« zu überschauen und

Der Menschen Weh zu überdenken,
Des Schicksals Pfade und der Bücher Weisheit,
Die Lehren all der Kreaturen auf dem Felde,
Des Schweigens Rätsel, dem wir all entstammen,
Des Düsters Rätsel, das uns all verschlingt,
Das Leben, das dazwischen liegt,
Dem Regenbogen gleich, der schillernd,
Die Farben aller Edelsteine spiegelnd, sein luftig Haus
Von einem Himmelsrand zum andern spannt
Und dann – in nichts zerrinnt.


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