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X.
»Der verirrte Schwelger«

Doktor Wilson befand sich in seinem Studierzimmer. Er war eben mit einem Patienten beschäftigt. So sagte der Diener zu einigen gelbsüchtigen Klienten, die im Wartezimmer unter einer schwachen Gasflamme saßen und den » Graphic« und den » Jester« lasen oder gegenseitig ihre Krankheitserscheinungen besprachen und das neueste medizinische Wunder erörterten.

Dr. Wilsons Patient war von sonderbarer Art; der Arzt suchte nämlich eifrig nach einem, den er nicht fand, und zwar forschte er nach ihm unter dem Lichtkreis, den ein Reflektor warf. Da schwärmten sie nun unter dem Mikroskop, alle diese unsichtbaren Zerstörer menschlichen Lebens; und Wilson fühlte sich dabei ungefähr so wohl, wie in einem Pulvermagazin oder bei einer Dynamitladung unter seinen Füßen. Aber er wollte ihn finden, ihn, den Mikroben der Hydrophobie, den noch niemand entdeckt hatte; er wollte ihn finden und eine Abhandlung über ihn schreiben, und dann hieße es: Sir Athelstan Wilson.

»Herein!«

»Mrs. Wilson läßt fragen, ob Sie heute Abend ins Theater gehen wollen.«

»Nein!« klang es scharf und lakonisch. Dann: »Senden Sie einen der Patienten herauf; lassen Sie mich nachsehen – Mr. Carnegie.«

Louis Wilson freute sich über seines Vaters Entscheidung und sagte: »Ich werde dich begleiten, Mutter.«

»Danke, mein Lieber! Ich gehe auch nicht.«

Louis Wilson bedauerte das tief, lächelte aber.

Mrs. Wilson vergötterte ihren Sohn. Louis Wilson dagegen verachtete seine Mutter. Ihre Vergötterung war ihm widerlich und auffällig. Seine Verachtung erhöhte aber nur ihre übertriebenen Gefühle für ihn. Er spielte auf ihren krankhaften Empfindungen wie auf einem verstimmten Instrument, verhätschelte sie, lachte über sie, schmeichelte ihr, verachtete sie, machte sie rasend vor Leidenschaft oder halbtrunken vor Liebe, stieß sie wieder zurück, wie erst kürzlich bei einem Diner, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Halte dein Maul und mach dich doch nicht zum Narren,« versöhnte sie aber gleich wieder durch die Schilderung Londoner Festlichkeiten, in denen er eine hervorragende Rolle spielte. Vor seinem Vater hatte er etwas Angst, weil er von ihm pekuniär abhängig war. Es hatte schon verschiedene Szenen seiner Schulden wegen gegeben, und der Vater hatte dabei in seiner Entrüstung härtere Ausdrücke fallen lassen, als man sie in guter Gesellschaft gewohnt ist. Louis hatte ihn immer kalt angesehen und dann bemerkt, solche Ausdrücke seien ganz unfein, und in der vornehmen Gesellschaft, in der er verkehre, habe er so etwas nie gehört; kurz, er machte seinem Vater begreiflich, daß er sich zu schämen habe. Aber selbst für eines Arztes Einkommen gibt es gewisse Grenzen, und Louis mußte sich ein paarmal von anderer Seite Geld beschaffen. Das erhöhte natürlich die kindliche Liebe nicht, im Gegenteil, es gesellten sich jetzt noch Furcht, Haß, Ekel und Abneigung hinzu.

»Ich rauche jetzt eine Zigarette,« sagte Louis zu seiner Mutter. »Zum Souper werde ich schwerlich heimkommen.«

»Dein Vater sieht es nicht gern, wenn du bei Tisch fehlst.«

»Er ist heute Abend in der Loge; da vermißt er mich nicht.«

Der letzte Patient war entlassen, die letzte Guinee eingesackt, der letzte Eintrag gebucht, und der Doktor, ein müder Mann mit frühzeitig von der Sorge gebleichten Haaren und zwinkernden Augen betrat das Wohnzimmer.

»Wo ist Louis?« fragte er streng.

»Er holt sich eine Zigarette,« erwiderte seine Frau.

»Zum Teufel mit dem Bengel! Ich glaube, der haßt sein Heim und verachtet uns alle.«

»Nein, wirklich, Athelstan, du bist ungerecht gegen den Jungen. Du stößt ihn ab, und da er nun einmal häuslich veranlagt ist, treibst du ihn dahin, wo man ihn besser zu würdigen weiß.«

»Besser zu würdigen?« echote der Doktor und zog seine Augenbrauen in die Höhe.

»Jawohl, besser zu würdigen!« gab die Mutter zurück. »Du kennst den armen Jungen nicht, und er fürchtet sich vor dir. Letzthin erst sagte noch Lady Alfroth, unser Junge sei ein wahrer Adonis. Was ist das, Athelstan, ein Adonis?«

»Das war eine elende Puppe, die ihrer Bewunderin nicht mehr Ehre machte als sie ihm. Spielt sie die Venus von Euplöa oder die Venus des Apelles, Bessie?«

»Ich kenne die Damen nicht, von denen du sprichst,« sagte die arme Mutter. »Ich weiß nur, daß die vornehmsten Damen im ganzen Land unsern Jungen bewundern, daß du ihn aber noch ins Unglück treibst!«

»Pah! Leider ist er auf dem Weg schon hübsch weit gekommen. Wo ist Barbara?«

»Weiß nicht. Wahrscheinlich mit einem Armkorb und einer Kapuze in den Slums, wie diese frechen Leute von der Heilsarmee.«

»Das solltest du nicht leiden! Wie ist es nur möglich, daß du sie mit ihrem ausgesprochenen Hang zur stillen Häuslichkeit ins Verderben treibst?«

»Ich tu' doch alles, was in meiner Macht steht, um sie in anständige Gesellschaft zu bringen. Ich habe schon alle möglichen Einladungen zu Bällen und Tennispartien für sie erhalten; aber sie hat nun einmal gewöhnliche Neigungen, es tut mir leid, das konstatieren zu müssen, aber –«

»Von wem hat sie denn das geerbt?«

»Von mir sicherlich nicht. Du verhöhnst ja immer meinen Hang zu geselligem Verkehr!«

»Hm! Horch mal, Bessie, wir wollen einen Kompromiß schließen. Lade du deinen Bruder, den Kanonikus, zu uns ein, und ich gebe dann ein Diner. Wer weiß, vielleicht findet sich da eine passende Partie für Barbara.«

»Sie würde lieber einem Bettelmönch zu Füßen liegen;« aber bei dem Gedanken einer Heirat schlug schon ihr Herz schneller.

»Na, das wäre armselig genug!« erwiderte der Doktor lachend.

»Wen sollen wir aber dazu einladen?« fragte Mrs. Wilson.

»Das ist ja ganz gleich. Der Kanonikus stellt doch jeden in Schatten. Uebrigens – ist nicht kürzlich ein berühmter englischer Prediger hierher gekommen?«

»Gewiß,« gab Mrs. Wilson zurück. Ihre Pläne reiften über alles Erwarten. »Er ist ein naher Verwandter des Herzogs von B–.«

»Bessy, die Götter lächeln dir zu. Wenn du dich je noch um den Himmel scherst, sobald du des Herzogs Vetter zur Seite hast, dann will ich ein Apotheker sein! Aber beim Zeus, das wird ein Spaß werden! Wir spielen den Kanonikus gegen die Berühmtheit aus; das kommt einem Preisfechten in Arizona gleich.«

»Auf welchen Tag sollen wir einladen?« fragte Mrs. Wilson, die über ihren Triumph den Spott ihres Gatten leicht hinnahm.

»Wann du willst, aber nur möglichst bald nach der Pferdeausstellung. Calthrop kommt herüber, und er soll auch was Ordentliches sehen.«

»Ist das der schreckliche Mensch von Cambridge, der über Keime und dergleichen Dinge schreibt?«

»Genau derselbe. Er ist der größte Germinologist heutzutage mit Ausnahme von Weisman.«

»Er wird doch seine Schürze nicht anhaben? Das geht doch nicht an, weißt du, wenn Geistliche da sind.«

»Natürlich wird er sie anhaben! So, und jetzt hole ich mir eine Zigarre. Wenn das Junge Zigaretten raucht, dann wird wohl der alte Bär sich eine Zigarre gönnen dürfen.«

Einige Minuten war Frau Wilson allein mit ihren Plänen und Gedanken. Dann hörte man einen leichten Tritt auf der Treppe, und bleich und müde trat Barbara ein. Sie warf ihren Hut in die Sofaecke, glättete ihr Haar und fragte ihre Mutter, ob sie eine Tasse Tee haben könne.

»Gewiß kannst du eine haben,« erwiderte die Mutter verdrießlich. »Uebrigens, Barbara, möchte ich dir sagen, du tätest besser, deinen Umgang mehr in den Kreisen der eleganten Gesellschaft zu suchen.«

Barbara antwortete nichts.

Nachdem sie Tee getrunken, zog sie einen Stuhl herbei und schlug eine Zeitschrift auf. Dann fragte sie ängstlich: »Wo ist Louis, Mutter?«

»Was kümmerst du dich denn um Louis oder deine Familie? Wenn du ein Interesse an deiner Familie hättest, würdest du nicht den Leuten aus dem Wege gehen, die uns nützen können, um die gemeinen und verrufenen Slums aufzusuchen.«

Barbara war aber diese Reden schon gewöhnt und antwortete gar nicht darauf.

Da fing die Mutter wieder an: »Was ich sagen wollte: Dein Vater ist endlich meinen Wünschen entgegengekommen und will eine Gesellschaft geben. Willst du mir die Liste aufsetzen helfen?«

»Gewiß, Mutter; es ist aber doch kein Ball?«

»Nein! Gelt, das ist ein Trost für dich, nicht wahr? Wir wollen einige vornehme Gäste zur Gesellschaft für den Kanonikus einladen.«

»Onkel Kanonikus?«

»Ja! Ueberrascht dich das?«

»Und welche Leute sollen den Onkel unterhalten?«

»Meinst du vielleicht, der Vater werde eine unpassende Wahl treffen?«

»O nein! Aber wenn ich dir beim Aufstellen der Liste helfen soll, so muß ich doch wissen, ob es Mediziner, Priester oder Juristen sein sollen.«

»Du wirst sarkastisch, Barbara, eine gefährliche Eigenschaft an einem jungen Mädchen.«

»Ach, Mutter, laß uns doch die Worte nicht so abwägen! Wen möchtest du eigentlich einladen?«

»Ja, das möchte ich eben selber wissen. Mr. Calthrop wird herkommen.«

Barbara legte die Feder aus der Hand und sah in peinlicher Ueberraschung ihre Mutter an.

»Dann darf man aber keinen einzigen Priester einladen!«

»Du mußt doch wissen,« bemerkte Mrs. Wilson ärgerlich, »daß mein Bruder auch zu Gast ist. Wenn er da ist, kann kein anderer Geistlicher daran Anstoß nehmen.«

Barbara schwieg.

»Wir wollen Monsignore Dalton und Monsignore Williams bitten. Weißt du vielleicht noch einen?«

»Vielleicht Vater Elton; er ist ein sehr feiner Mann.«

»Es tut mir leid, aber es wird kaum angehen, daß wir jemand einladen, der nicht im Range meines Bruders steht. Man muß doch die Etikette in solchen Fällen wahren.«

»Aber Vater Elton ist Mitglied der Royal Society und war schon im königlichen Schloß zum Frühstück geladen.«

»O!« rief Mrs. Wilson freudig überrascht, »ist's möglich! Um's Himmelswillen schreib sofort Vater Elton auf! Ich konnte nicht ahnen, daß er ein so hervorragender Mann ist. Dann vermerke Sir Archibald Thompson von der Akademie der Wissenschaften und Algy Redvers, der dich neulich bei Denisons so ausgezeichnet hat, und –«

»Aber Mutter!«

»Nun?«

»Werden sie denn auch kommen? Das wäre aber schrecklich, wenn sie nicht annähmen!«

»Aber Barbara!« rief Mrs. Wilson in stotterndem Tone, »wie kannst du nur so etwas voraussetzen! Werden sie kommen? Ha! Ich meine schon!«

»Mutter, muß denn das sein?«

»Es muß sein, Kind,« erwiderte weinerlich die Mutter, »aber ich wünschte, es wäre vorbei.«

* * *

Dr. Wilson wohnte der Versammlung der Loge in der Moultonstraße 8 bei, und war sehr befriedigt davon. Er hatte es schon längst erfahren, daß er nur durch eifrige und ergebene Aufmerksamkeit gegenüber den Allmächtigen, welche die Logen und auch alles andere im Lande regierten, auf Beförderung in seinem Berufe hoffen konnte. Er besaß zwar einen ausgezeichneten und stets wachsenden Ruf als Arzt und infolgedessen eine ausgezeichnete, stets wachsende und einträgliche Praxis; denn wenn man krank ist, so ist es einem sehr gleichgültig, ob katholische Pillen, die ein katholischer Arzt verordnet hat, einem helfen oder andere. Das bestreitet man nun manchmal in den Freimaurerlogen und ist der Ansicht, daß sogar auf Arzneiflaschen und Pillen Zirkel und Winkelmaß vermerkt oder eingraviert sein müßten. Aber ein gewisser Rest wünschenswerter Patienten tropfte in das Studierzimmer Dr. Wilsons, und dieser Rest weckte einen Appetit nach mehr. Sodann gab es gewisse Ehrenstellen und Einkünfte, die nur von den Logen vergeben wurden; und solche Sachen sind recht wünschenswerte Dinge für alle Leute, die nicht zu einer gewissen Klasse von Fanatikern zählen, welche wie orientalische Fakire Armut und Zurückgezogenheit vorziehen. Manchmal freilich wirft man auch den Katholiken einen Brocken hin, wenn die Tafel gar zu reichlich besetzt und kein protestantischer Mund zum füttern vorhanden ist. Und es ist christlich und tröstlich, die tiefe und rührende Dankbarkeit wahrzunehmen, mit der die Bissen in Empfang genommen und mit Freudetränen begossen werden. Doch wie konnte Dr. Wilson wissen, daß er dabei sein würde, wenn die Brosamen vom Tische fielen, und daß kein kühnerer und hungrigerer Papist den begehrten Bissen wegschnappen konnte? Doch darüber ist kein Zweifel möglich. Bruder Wilson, von der Loge Nr. 8, kann nicht übersehen werden.

Die Versammlung war vorbei, die Nacht mondhell, und Dr. Wilson schlenderte langsam heim. An der Ecke von Dentonstreet wurde er angesprochen:

»Freund, ich bin dir etwas schuldig, und möchte nun bezahlen.«

»O! Ein andermal, Mr. Pyne!« erwiderte der Doktor, der einen vornehmen Quäker aus der City erkannte.

»Ich schulde dir kein Geld, Freund! Ich habe alles bezahlt, was ich schuldig war. Aber ich bin dir Dank schuldig.«

»Eine seltsame und unverständliche Schuld,« dachte der Arzt.

»Ich hatte eine Leber,« fuhr der Quäker fort, »und mir war zu mute wie dem heiligen Mann, der, von der heidnischen Obrigkeit bedroht: ›Wir werden dir die Leber ausreißen,‹ mit christlicher Gelassenheit antwortete: ›Wenn Gott will, so tuet es‹! Nun sieh, du hast mir geholfen, diesen rebellischen und kranken Körperteil in bessere Verfassung zu bringen, und ich bin dankbar dafür, und ich möchte dich bezahlen.«

Es entstand eine Pause, und der Doktor lächelte über des Quäkers drollige Art.

»Du hast einen Sohn?« sagte der Quäker schließlich. Das Lächeln erstarb auf des Arztes Gesicht.

»Er ist jung und unerfahren, und er besitzt eine verhängnisvolle Eigenschaft.«

»Drücken Sie sich doch deutlicher aus! Sie meinen etwas Ernstes. Sprechen Sie!«

»Sehen ist besser als hören,« gab der Quäker in seiner feierlichen Weise zurück, »sogar besser noch als glauben. Komm mit!«

Er rief eine Droschke herbei, und die Zwei fuhren schweigend durch eine Reihe von Straßen, bis sie in einem vornehmen Stadtviertel anlangten. Hier hielt der Wagen an, und die beiden stiegen aus. Rasch schritten sie einem großen Gebäude zu, dessen Einfahrt und Fenster unbeleuchtet waren, und über dem Grabesstille lagerte.

»Du mußt mir versprechen, dich durch nichts zu erkennen zu geben,« sagte der Quäker. »Das ist wichtig.«

»Ich verspreche es,« erwiderte der Arzt, seltsam verwirrt.

Langsam stiegen sie die Treppe empor. Die Glocke schlug an, und ein Diener erschien.

»Sind die Gäste versammelt?« fragte der Quäker.

»Ja, Sir!« gab der Mann unterwürfig zurück.

»Und das Bankett bereit?«

»Ja, Sir!«

»Das genügt. Ich finde den Weg allein.«

Rasch eilten sie die breite Stiege hinauf, die nur von ein paar farbigen Lampen matt erleuchtet war. Ihre Tritte versanken in dem weichen Stiegenteppich und störten das tiefe Schweigen nicht. Etwas abseits von der Stiege war eine Tür durch eine schwere Portière verhängt. Der Quäker schob sie zur Seite, und sie traten in einen großen Speisesaal, der zu einem Theaterraum umgewandelt war. Alle Lichter waren herunter gedreht, sodaß der ganze Saal im Dämmer lag, mit Ausnahme der Bühne, die durch elektrische Lampen strahlend erleuchtet war. Die Zuschauer, eine Reihe von Damen und Herren in eleganter Abendtoilette, waren so sehr mit dem beschäftigt, was sie auf der Bühne sahen, daß sie die beiden Ankömmlinge gar nicht bemerkten. Auch diese hatten nur Augen für die Bühne, wo Louis Wilson, scheinbar stark betrunken, als »verirrter Schwelger« zu sehen war. Er war in ein Tierfell gekleidet, hielt in einer Hand den Thyrsusstab, in der andern einen Becher Wein. Er lehnte auf einem Lager von Moos und Farren; das Fell war von seiner Schulter herabgeglitten, die wie Marmor leuchtete; und die schwarzen Locken ringelten sich um seinen Hals, als er den Kopf hob und wie verzückt zu Circe, der Zauberin von Cypern, aufsah. Sie trug ein griechisches Gewand, ihre Haare wurden durch goldene Spangen gehalten, die mit kostbaren Steinen geschmückt waren, und ihre Füße waren nackt. Neben ihr stand Ulyxes mit grimmem, wetterhartem Gesichte, in dem doch ein sieghafter Zug lag, wie bei einem, der eben dem Schiffbruch entronnen. Sein Ausdruck verriet auch, daß er sich nicht in die Netze der Zauberin würde locken lassen. Circe wiederholte eben die Worte:

Was zitterst du, töriger Knabe?
Du trinkst ihn gern doch, meinen Wein?
Verlangst du mehr? Sieh, wie er glüht
Selbst durch die rosigen Marmorschalen,
Der schäumend rote Saft,
Bestreut mit seltenen Gewürzen!
O trink ihn aus! Ich schelte nicht,
Verweigere dir den Becher nimmer!
Komm', fasse kühn ihn mit der Hand
Und trinke, trinke wieder!

Und Louis wiederholte:

Nimm tausend Dank, du reizvoll Gütige!
Schon wieder faßt mich süßer Rausch!
Viel süßer, wonniger noch
Und heimlich mich umstrickend
Als süßes Flötenspiel des Pan.
Weh mir! Es schwinden meine Sinne –
Und still umspinnt mich schwerer Schlaf.

»Lieber möchte ich ihn tot zu meinen Füßen sehen, als so!« rief da entrüstet der Doktor.

»Still, still!« sagte der Quäker. »Komm fort!«

»Nein, laß mich das verdammte Schauspiel bis zu Ende sehen!« zischte der Arzt. Und so blieben sie. Nach der Vorstellung trat der Quäker mit seinem Freund wieder ins Freie.

»Was ist denn das für eine verteufelte Geschichte?« fragte hier der Doktor. »Wie heißt denn das miserable Stück?«

»Rege dich doch nicht so unvernünftig auf, mein Freund! Die Dichtung ist ganz harmlos und stammt von einem vortrefflichen Mann. Nur ist sie da etwas degradiert zu dem, was sie ›Klassische Tableaux‹ nennen. Wenn du erst deinen famosen Sohn als Perseus sehen könntest, wie er diese schöne Dame, die Andromeda, befreit –«

»Und wer ist denn diese heruntergekommene Dirne?«

»Eine ganz vorzügliche Frau und Mutter. Hast du noch nie etwas von der schönen Mrs. Wenham gehört, der Frau des Adjutanten von Lord –?«

»Aber natürlich,« gab der Doktor zurück. Er war durch diesen Namen etwas beruhigter, wenn er die Erniedrigung seines Sohnes auch schwer empfand.

»Und wer ist denn der alte Silen?«

»Das ist kein Geringerer, als der ehrenwerte und fromme Crawford, dessen Name an der Börse so guten Klang hat.«

»Was, der alte Heuchler? Ich glaubte, der schimpfte nur immer über die Börse und sänge Psalmen mit alten Betschwestern!«

»Aber höre, lieber Freund, deine Erregung macht dich ungerecht. Gerade die Guten und Frommen müssen ihr erlaubtes Vergnügen haben; und dann mußt du wissen, es ist ja nur zu einem wohltätigen Zweck.«

»Na, sollte mich sehr wundern, wenn mein Bengel jemals etwas zu einem wohltätigen Zweck täte!«

»Gewiß, mein Freund! Und da darfst du dich nicht sträuben. Ist es nicht eine der Satzungen deiner Kirche: Der Zweck heiligt die Mittel? Und was kann löblicher sein, als junge Papisten ihrem Aberglauben und ihrer Finsternis zu entreißen und dem Sonnenlicht des freien Evangeliums zuzuführen? Gute Nacht, lieber Freund!«

Mit diesen Worten ging der gute, aber sarkastische Quäker seines Weges. Am nächsten Morgen hatten die Mikroben ihre Ruhe. Es gab eine heftige Szene in des Doktors Studierzimmer, wo das erste Mal des Vaters ehrliche Entrüstung den Sieg über des Sohnes frechen Spott davontrug, während Mutter und Tochter mit bleichen Gesichtern im Wohnzimmer saßen. Am Abend des gleichen Tages befand sich an Bord des Postdampfers von Kingstown ein vornehmer Passagier, dessen Auftreten und Allüren an einen Fürsten gemahnten. Und dann mußte Louis Wilson während der langen Ferienzeit in seiner Londoner Wohnung bleiben, während die ganze vornehme Welt die Metropole verlassen hatte. Er würde es da kaum ausgehalten haben, wenn er nicht zwei Tröster gehabt hätte: die Sorge um sein Aeußeres und ein gewisses, kleines Fläschchen, das er stets bei sich trug und von dessen Inhalt einige Tropfen genügten, ihn in den siebten Himmel zu versetzen.


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