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Sechzehntes Kapitel.

Vier Jahre waren verflossen. Aus Europa waren Schiffe im Hafen von Madras angelangt und hatten ihre gewohnte Ladung von jungen Herren, die Offiziere werden wollten, und von jungen Damen, die nach Indien herüber kamen, um bei einem Bruder oder Oheim oder sonst einem Verwandten die Wirtschaft zu führen, bis sich einmal Gelegenheit zu einer Heirat bieten würde, unter dem gewohnten Zulauf von Zuschauern abgesetzt, Doktor Hartley war gerade mit einigen bekannten Herren im Hafen und sah das bunte Treiben mit an.

Plötzlich hörte er, wie ein Herr leise zu einem andern sagte:

»Engel und Boten Gottes, da ist ja unsre alte Bekannte, die Königin von Saba, als unveräußerliche Ware wird sie uns wohl wieder zurückgeschickt.«

Hartley blickte in derselben Richtung wie die beiden Herren und sah ein Weib, das wie eine Semiramis aussah. Sie war ungewöhnlich groß und fett und trug eine mit Tressen und Schnüren besetzte Reittaille aus karmoisinroter Seide und hellblaue Pluderhosen. Um die riesigen Hüften hatte sie einen scharlachroten Shawl geschlungen, in dem ein reichverzierter Dolch steckte. Hals und Arme waren mit Ketten und Spangen überladen und den roten Turban schmückten eine blaue und eine rote Straußenfeder.

Die Stirn hatte die europäische Färbung und war zu hoch, um schön zu sein, machte aber einen gebieterischen Eindruck, eine energische Adlernase erhöhte den charakteristischen Ausdruck des Gesichtes, das auffallend rot geschminkt war.

Der Kapitän eines eben aus England eingelaufenen Ostindienfahrers machte sich in eifriger Liebenswürdigkeit um sie zu schaffen, und ein paar Hartley bekannte Kaufleute benahmen sich gleichfalls auffallend zuvorkommend gegen sie. »Was ist das für ein Weib?« fragte Hartley.

Aber im selben Augenblick verstummte er und saß wie versteinert. Dann raffte er sich auf, erhob sich von seinem Platze und ging schnurstracks auf die Dame zu, zum nicht geringen Erstaunen seiner Gefährten.

Während er auf die absonderliche Frau geblickt hatte, war ihm eine zierliche Mädchengestalt aufgefallen, die sich so gesetzt hatte, daß sie hinter der massigen Gestalt und den wallenden Gewändern der Frau fast unsichtbar war. Zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen erkannte er in ihr die Freundin seiner Kindheit, die Geliebte seiner Jugend – Marie Gray in eigener Person.

Allein schon, daß er sie hier in Indien sah, mußte ihn in Verwunderung setzen. Aber seine Überraschung wuchs, als er sie in der Begleitung einer so seltsamen Erscheinung erblickte. Nichts war im Drang der auf ihn einstürmenden Empfindungen natürlicher, als daß er aufsprang und auf sie zueilte.

Seinem Ungestüm wurde aber Einhalt geboten. Er sah, wie Marie ihn, der so unmittelbar auf sie zugeschritten kam, ansah ohne das geringste Zeichen, daß sie ihn wiedererkenne. Aber ohne daß ein anderer es hätte merken können, legte sie den Zeigefinger auf die Oberlippe, wie wenn sie sagen wollte: »Ihr dürft jetzt nicht mit mir reden.«

Hartley verstand diesen Wink, nahm ihn an und blieb stehen. Im nächsten Moment hatte er sich wieder zu seinen Bekannten zurückgezogen und setzte das Gespräch mit ihnen fort.

»Wer ist denn die stattliche Dame?« fragte er den einen der Herren.

»Ist es möglich, daß Ihr noch nie von der Königin von Saba, von der Mama Montreville gehört habt?«

»Ihr wißt, ich war lange von Madras weg.«

»Nun denn,« fuhr der Gefragte fort, »diese Dame ist die Witwe eines schweizerischen Offiziers in der französischen Armee, der nach der Einnahme von Pondichery ins Innere flüchtete und auf eigene Faust Soldat wurde. Er wußte sich in den Besitz eines Forts zu setzen, indem er einem Pinsel von einem Radschah vorschwindelte, er wolle es in seinem Dienste befehligen. Dann sammelte er eine Horde verzweifelter Landstreicher von jeder Farbe des Regenbogens, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, und erklärte sich für unabhängig. Aber Haidar Ali verstand keinen Spaß, zog mit seinem Heer herbei und eroberte das Fort. Es wird aber auch behauptet, die Frau des Schweizers, eben dieses Weib da, habe es an den Indier verraten. Sei dem, wie ihm wolle, der arme Schweizer fand den Tod auf den Wällen. Das Weib dort, das den Haidar Ali gewöhnlich den Salomo des Orients nennt, führt infolgedessen den Titel Königin von Saba. Sie verläßt ihren Hof, wann es ihr paßt, treibt überhaupt, wozu sie gerade Lust hat.« »Eine seltsame Geschichte«, erwiderte Hartley, während er bei sich selber die Frage erwog, auf welche Weise wohl die schlichte herzensgute Marie in die Gesellschaft einer solchen Abenteurerin geraten sei.

»Das beste aber hat mein Freund ganz vergessen«, setzte ein anderer Herr hinzu. »Es geht nämlich die Rede, daß Euer alter Bekannter, Richard Middlemas, sehr hoch in Gunst bei dieser Amazone stände. Er ist vor einiger Zeit aus Madras ins Innere geflüchtet und in die Dienste Haidar Alis getreten. Er hat dort ein Kommando über einen größeren Truppenteil bekommen, das er wohl auch jetzt noch inne hat. Ihm sind auch die englischen Gefangenen anvertraut worden, und ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, daß der Teufel selber von ihm noch lernen kann, was Grausamkeit heißt. Er soll dann mit diesem Weibe in intime Beziehungen getreten sein.«

Hartley vermochte nicht länger zuzuhören. Die plötzliche Erkenntnis, daß Marie Gray sich in der Gewalt eines solchen Mannes und einer solchen Frau befinde, drang sich seinem Geiste in der Gestalt einer furchtbaren Gefahr auf. Eben wollte er aus dem Gedränge heraus, um sich an einen einsamen Ort zu begeben, wo er sich in Ruhe sammeln und zu gefaßter Überlegung gelangen konnte, da berührte ein farbiger Diener seinen Arm und reichte ihm eine Karte, auf der geschrieben stand:

Miß Gray bei Madame Montreville im Hause des Ram Sing Cottah in der schwarzen Stadt.

Sein Herz schlug hoch bei dem Gedanken, daß er seine Geliebte noch einmal wiedersehen solle. Und noch höher schlug es, als er sich sagte, daß er ihr vielleicht doch noch einmal eine Hilfe erweisen sollte.

Wenn ihr Gefahr droht, sagte er zu sich selber, so will ich ihr zur Seite stehen mit Rat und Tat und im Notfall mein Leben für sie hingeben.

Auf dem Heimwege sann er darüber nach, inwieweit wohl den Erzählungen der beiden Herren Glauben zuzumessen sei, über solchen Gedanken begegnete ihm ein andrer Bekannter – auch ein Arzt – mit Namen Esdale, der selber das Unglück gehabt hatte, in Haidar Alis Gefangenschaft zu geraten, bei dem letzten Friedensschluß aber wieder freigegeben worden war.

Der Mann galt im allgemeinen für ruhig, befähigt in seinem Berufe und vernünftig und besonnen in seinen Ansichten und Urteilen.

Hartley kam mit ihm ins Gespräch und konnte unschwer die Rede auf die sogenannte Königin von Saba bringen, indem er ihn fragte, ob er bei dem Nadscha Haidair Ali nicht ein abenteuerliches Weib kennen gelernt habe.

»Das kann ich wahrhaftig nicht sagen«, erwiderte Esdale. »In Indien sind wir ja alle mehr oder weniger Abenteurer, ich wüßte nicht, daß die Begum Montreville größeren Anspruch auf diese Bezeichnung hätte.«

»Die Frau kleidet und benimmt sich aber geradezu wie eine Amazone«, sagte Hartley, »Sie hat etwas Schwindelhaftes an sich.«

»Ihr dürft freilich,« entgegnete Esdale, »von einer Frau, die Soldaten kommandiert hat und vielleicht noch einmal kommandieren wird, nicht erwarten, daß sie wie andre gewöhnliche Frauenzimmer aussehe und sich kleide. Ich gebe Euch aber die Versicherung, daß sie noch heute eine sehr gute Partie machen könnte, wenn sie nur Lust hätte, sich zu verheiraten.«

»Ich habe gehört, sie hätte die Festung ihres Mannes an Haidar Ali verraten?«

»Das ist so eine treffliche Probe der in Madras grassierenden Klatscherei. In der Tat verhält die Sache sich folgendermaßen. Noch lange, nachdem ihr Mann gefallen war, hat sie die Festung verteidigt und erst dann mit Haidar Ali kapituliert. Haidar Ali, der viel darauf hält, daß der Gerechtigkeit alle Ehre erwiesen wird, stände sonst vielleicht nicht in so nahen Beziehungen zu ihr.«

»Ich habe gehört, sie sollen sehr intim miteinander sein.«

»Abermals eine Verleumdung oder wenn Ihr wollt, Klatscherei«, versetzte Esdale.»Haidar ist ein viel zu strenggläubiger Mohammedaner, als daß er sich mit einer Christin in ein Liebesverhältnis einlassen sollte. Wenn sie außerdem nicht ihre einflußreiche Stellung und den Rang, der ihr eingeräumt worden ist, verlieren will, so muß sie sich nach außen hin jedes Anscheins eines intimen Liebesverhältnisses enthalten. Man hat auch dieser Frau – im Grunde tut sie mir Leid – nachgesagt, sie stünde in intimem Verkehr mit Eurem alten Bekannten Middlemas.«

»Das war also auch ein falsches Gerede?« fragte Hartley in größter Spannung.

»Meiner Treu, ich glaube nicht daran!« antwortete Esdale. »Da sie beide Europäer waren, sind sie an dem indischen Hofe einander näher getreten, aber weiter ist es wohl nichts gewesen. Nebenbei – Ihr hattet ja wohl mal so einen kleinen Zwist mit Middlemas – es wird Euch gewiß interessieren, daß der arme Kerl jetzt die beste Aussicht hat, sich in unsern Kreisen wieder zu rehabilitieren.«

»Wirklich!« war das einzige Wort, das Hartley zu antworten vermochte.

»In der Tat!« erwiderte Esdale, »Das Duell ist jetzt vergessen, und es ist Gras darüber gewachsen. Es muß ja auch zugegeben werden, daß Middlemas bei diesem Anlaß, obwohl er äußerst jähzornig gehandelt hat, doch auch gereizt worden ist.«

»Aber seine Fahnenflucht – und daß er eine Befehlshaberstelle in Haidars Heer angenommen hat – und wie er unsere Gefangenen behandelt hat – kann das alles für nichts angesehen werden?«

»Es ist eben gar nicht ausgeschlossen – ich rede zu Euch im Vertrauen und als Mann, der auf der Hut ist, es ist gar nicht ausgeschlossen, daß er uns in Haidars Hauptstadt oder in Tippus Lager bessere Dienste erweisen kann, als in seinem eigenen Regiment. Was seine Behandlung der Gefangenen anbetrifft, so kann ich ihm aus eigener Erfahrung nur Gutes nachsagen. Es blieb ihm gar nichts andres übrig, als das Amt zu übernehmen, denn bei allen, die Haidar Ali dienen, heißt es entweder gehorchen oder sterben. Er hat mir aber selber gesagt, und das glaube ich auch, daß er das Kommando in Haidar Alis Heer nur deshalb angenommen habe, um insgeheim den Engländern dienen zu können, öffentlich mußte er natürlich den Hindus gegenüber hart mit uns verfahren, wenn auch meistens nur in Worten. Das konnten nun einige nicht begreifen, und sie überhäuften ihn mit Schmähungen. Die mußte er natürlich dann bestrafen, um keinen Verdacht zu erwecken. Ich aber und noch manche andern können beweisen, daß er uns sehr gern Gefälligkeiten erwies, wenn man ihn nach seiner Weise verfahren ließ. Ich hoffe, ich werde bald in Madras ihm persönlich meinen Dank abstatten können. Das alles habe ich Ihnen im Vertrauen gesagt. – Guten Morgen!«


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