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Achtzehntes Kapitel.

Gleich nach der Hinrichtung verließ der Geistliche Dunbarton. Im Vertrauen auf seine Landeskenntnis verließ er die Hauptstraße und schlug einen jener kürzeren Pfade ein, deren sich Fußgänger oder Leute, die, wie der Geistliche, im Besitz eines der kleinen, aber sicher schreitenden und klugen, als »Poney« bekannten Pferde sind, zu bedienen pflegen. Die Örtlichkeit, durch die der Pfad führte, war an sich düster und öde. Der Aberglaube, hierzulande stark im Schwange, hatte ihm Mären und Sagen angedichtet, die ihm noch schrecklicheren Charakter gaben. So sollte hier ein böser Geist, Cloght-deary oder »Rotmantel«, sein Wesen treiben und zu allen Zeiten und Stunden, hauptsächlich des Mittags und Mitternachts, umhergehen, Menschen und Tieren feind und so böswillig, als es nur irgend in seiner Macht stand. Als der Geistliche sich umsah, mußte er sich sagen, daß die Gegend für den Aufenthalt von Geistern nicht übel gewählt sei, da sie, wie es ja heißt, Öde und Einsamkeit vor allem lieben. Die Talschlucht war steil und schmal, kaum ein paar Strahlen der Mittagssonne fielen auf den finsteren, reißenden Bach, der sich, wild brausend gegen Felsen und Blöcke, mit Mühsal den Weg brach.

Als der Geistliche an dem schmalen Wege anlangte, der zum anderen Bachufer führte, stand er plötzlich still. Eben hatte er bei sich gedacht, daß der wilde Bach schon manches von den Vorgängen bewirkt haben möchte, die dem Gespenst des »Rotmantels« zugeschrieben würden, als er sich von einer weiblichen Stimme in gellenden Tönen angerufen hörte.

»Michael Tyrie! Michael Tyrie!« schallte es durch die Schlucht.

Verdutzt, nicht ohne einen geheimen Schauder, blickte der Geistliche sich um. Einen Moment lang schien es, als ob der böse Geist, dessen Dasein er eben noch bezweifelt hatte, ihm erscheinen wolle, um ihn für seine Ungläubigkeit zu strafen. Aber die Furcht war rasch verflogen, und mit lauter Stimme rief er als Antwort:

»Wer ruft? –und wer bist du?«

»Eine, die im Elend wandert zwischen Leben und Tod,« versetzte die Stimme.

Und eine hohe Gestalt trat vor zwischen den Trümmern von Felsen, die sie bislang vor dem Auge des Pfarrers verborgen hatten.

Sie kam näher. Ihr Mantel aus hellem Tartan, in welchem die rote Farbe hervorstach, ihre Figur, ihr weiter Schritt, die verzerrten Züge, die grimmig blitzenden Augen – das alles war angetan, sie zu einer schicklichen Stellvertreterin des bösen Geistes, dessen Namen das Tal führte, zu machen.

Aber Michael Tyrie erkannte sogleich in ihr die »Elspat vom Baume«, die Witwe Mac Tavish Mhors, die Mutter Hamish Beans, des Delinquenten, von dessen Hinrichtung er kam.

Die Erscheinung des bösen Geistes würde für den Geistlichen nicht so schrecklich gewesen sein wie die Erscheinung dieses Weibes in allem Elend der auf ihr lastenden Mitschuld an dem Verbrechen des Sohnes.

Instinktmäßig ließ er sein Pferd halten und bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln, während sie mit wenigen Schritten die Strecke bis zu seinem Pferde zurückgelegt hatte. »Michael Tyrie,« hub sie an, »das verrückte Weib aus dem Dorfe hält dich für einen Gott. Sei mir ein Gott und sage mir, daß mein Sohn lebt. Sage mir das, und ich will wie du beten zu dem himmlischen Wesen, dessen Namen du kündest, und will meine Kniee beugen an jedem siebenten Tage im Hause deines Gottes, der hinfort auch mein Gott sein soll!«

»Unglückliches Weib,« antwortete ihr der Geistliche, »mit dem ewigen Schöpfer schließt kein sterblicher Mensch einen Vertrag, wie mit einem Wesen aus Ton, gebrechlich gleich uns! Denkst du zu feilschen mit Ihm, der die Erde geschaffen und die Himmelsbogen gespannt hat, oder meinst du, du dürfest Ihm ein Sandkorn Verehrung und Anbetung bieten, das Ihm wohlgefällig wäre? Dürfest es Ihm bieten im Tausch gegen einen Zentner von Wohltat und Segen? Gott der Herr will gehorsame Gläubige haben und keine Opfer! Er will, daß die Prüfungen, die Er über uns verhängt, mit Geduld getragen werden, und verabscheut Geschenke, wie sie für unsere Nebenmenschen am Platze sind, wenn wir wünschen, sie von gefaßtem Vorsatz abzubringen.«

»Schweig, Priester!« entgegnete das rasende Weib. »Bete nicht mir die Worte deines weisen Buches vor. Elspats Verwandte gehören zu denen, die sich bekreuzigen und niederknien, wenn die heilige Glocke klingt, und sie weiß, daß man für Taten, die man im Felde verübt, Sühnopfer am Altar darbringen kann.

»Elspat hatte dereinst auch Schafe und Ziegen auf der Alm und Vieh im Stalle. Gold trug sie um den Hals und dicke Perlen im Haar, wie die Helden der Vorzeit. All dies hätte sie dem Priester gegeben, all dies! Und hatte er den Schmuck eines Edelfräuleins oder den Sporran eines hohen Häuptlings verlangt, Mac Tavish Mhor hätte auch das beschafft und es Elspat zugesagt.

»Nun ist Elspat arm und kann nichts mehr geben. Aber hätte sie den schwarzen Abt von Inchaffray um eine Geißel für ihren Rücken gebeten und hätte sie sich den Fuß auf Pilgerfahrten wund gelaufen, er hätte ihr Vergebung gewährt beim Anblick ihres rinnenden Blutes, ihres zerrissenen Fleisches. Da waren die Priester, die auch über die Mächtigsten Macht besaßen; mit dem Wort ihres Mundes, mit dem Text ihres Buches, mit der Flamme ihrer Fackel, mit dem Klange ihrer heiligen Glocke hielten sie im Zaume die Gewaltigen der Erde.

»Der Mächtige beugte den Nacken ihrem Willen, und ewig der Freiheit beraubt waren die, die sie in ihrem Grimm geknechtet hatten. Die hatten wohl Einfluß und Gewalt, und vor ihnen, deren Macht den Stolzen erniedrigte, fiel auch der Arme in die Knie.

»Doch ihr! Gegen wen seid ihr streng als gegen Weiber, die den Verstand verlieren, und gegen Männer, die kein Schwert mehr führen? Die alten Priester waren wie der Regenschwall, der sein enges Tal füllt und die gewaltigen Steinblöcke gegeneinander schleudert, als wären sie so leicht wie, ein Ball, mit dem ein Knabe spielt!

»Doch ihr! Ihr seid wie der Bach, den die glühende Hitze des Sommers ausgetrocknet hat, der den Binsen aus dem Wege geht und von einem Busch Riedgras in seinem Lauf gehemmt wird. Ihr seid wert, daß man Wehe schreit über euch, denn von euch kömmt keine Hilfe!«

Der Geistliche merkte Wohl, daß Elspat ihrem römisch-katholischen Glauben untreu geworden war, ohne einem anderen sich hinzugeben. Von Mitleid ergriffen mit ihrer Not, und um sie von ihren Irrtümern zu bekehren und in ihrer Unwissenheit zu belehren, erwiderte er in mildem, liebevollem Tone:

»Unglückliche Frau! Stünde auch Rom selber und sein ganzes Priestertum Euch zu Gebote, um ein Geschenk oder eine Buße könnte Euch auch von dorther in Eurem Jammer weder Trost noch Hilfe kommen. Elspat Mac Tavish, ich muß Euch leider etwas recht Trauriges mitteilen.«

»Ich weiß es ohnedem,« antwortete die Unglückliche. »Mein Sohn ist zum Tode verurteilt worden.«

»Elspat,« sagte der Geistliche, »er war verurteilt worden – und das Urteil ist bereits vollzogen worden.«

Die arme Mutter schlug die Augen zum Himmel empor und schrie laut auf. Ihre Stimme hatte einen allem Menschlichen so unähnlichen Klang, daß der Adler, der hoch oben in den Lüften schwebte, darauf Antwort gab, als hätte einer seinesgleichen ihm zugerufen.

»Unmöglich!« schrie sie, »Unmöglich! – Wird denn an einem Tage verdammt und gemordet! – Du lügst! Dich nennt das Volk einen heiligen Mann – und du hast doch das Herz, einer Mutter zu sagen, sie habe ihr einziges Kind ermordet?« –

»Gott weiß es« – antwortete der Priester mit Tränen in den Augen, »gerne hätte ich dir eine bessere Nachricht gebracht, sofern ich gekonnt hätte. Aber die ich dir gebracht habe, ist ebenso gewiß, als sie eine Todesnachricht ist. Mit eigenen Ohren habe ich die Salve gehört, und mit eigenen Augen sah ich deinen Sohn sterben, sah ich deines Sohnes Leiche. – Meine Zunge bezeugt nur, was meine Ohren vernahmen und meine Augen erschauten.«

Die Unglückliche rang die Hände und reckte sie zum Himmel empor wie eine Wahrsagerin, die Krieg und Verwüstung prophezeit. Dabei stieß sie in ebenso ohnmächtiger wie gräßlicher Wut einen Strom fürchterlicher Verwünschungen aus:

»Gemeiner sächsischer Bube!« rief sie. »Erbärmlicher gleißnerischer Betrüger! Daß doch deine Augen, die den Tod meines schöngelockten Knaben erschauten, zerfließen möchten in ihren Höhlen, verzehrt durch nie versiegende Tränen, die du weinen mögest um alle deinem Herzen Liebsten und Teuersten! Daß doch deine Ohren, die den tödlichen, mörderischen Knall vernahmen, tot und taub sein möchten für jeden anderen Laut als das Krächzen der Raben und das Zischen der Schlangen! Daß doch die Zunge, die mir seinen Tod berichtet und mir mein eigenes Verbrechen kündet, verdorren möchte in deinem Munde, oder besser, sobald du mit deinem Volke Gebete sprechen willst, möchte der Teufel in deine Zunge fahren, daß sie Schmähungen und Lästerungen lalle statt Gebete, daß die Leute vor dir fliehen voller Grausen! Daß doch der Donner des Himmels niederprassle auf dein Haupt, und deine fluchende und verfluchte Stimme verstumme auf ewig! Hinweg! Geh, beladen mit diesem Fluche! Nie mehr, nie mehr wird Elspat so viele Worte reden über einen Lebenden!« –

Sie hat Wort gehalten.

Von diesem Tage an war die Welt für sie eine Ödenei, in der sie gedankenlos und interesselos vegetierte, nur ihrem Schmerze nachhängend und apathisch gegen alles andere.

über ihre Lebensweise oder vielmehr ihre Art, das Leben zu fristen, ist der Leser unterrichtet, so gut ich selber ihm darüber Mitteilung habe machen können. Wie sie geendet hat, kann ich nicht sagen. Es wurde vermutet, daß sie ein paar Jahre, nachdem meine vortreffliche Freundin, Mrs. Bethune Baliol, auf sie aufmerksam geworden war, gestorben sei. Diese brave Frau, die nicht bloß Tränen des Mitleids vergoß, wo eine gute Tat verrichtet werden konnte, hat mehrmals versucht, der Unglücklichen Erleichterung in ihrer Not zu verschaffen. Aber so oft sie auch versuchte, eine Person, die für die Bedauernswerte sorgen sollte, in die Hütte hineinzubringen, so oft scheiterte der Versuch an dem Widerstand, den die Einsame allem, was ihre Einsamkeit stören könnte, entgegensetzte, oder an der Angst und Furchtsamkeit derer, die mit dem entsetzlichen Weibe unter ein und demselben Dache leben sollten. Endlich, als es der Armen (wenigstens dem Anscheine nach) gänzlich unmöglich war, sich auf der elenden Schütte, die ihr zum Lager diente, auch nur noch zu bewegen, sandte ihr der menschenfreundliche Mr. Tyrie zwei Frauen, die der Einsamen in den letzten Augenblicken behilflich sein sollten. Der Tod konnte ja freilich nicht mehr fern sein; doch sollte verhütet werden, daß sie aus Mangel an Beistand oder Nahrung zugrunde gehen könnte, ehe sie dem hohen Alter oder einer tödlichen Krankheit erlag.


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