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Neunzehntes Kapitel.

Ein Novemberabend war es, als die beiden Weiber, die für die trübselige Arbeit bestimmt waren, in die bereits geschilderte jammervolle Hütte kamen.

Die darin wohnende Unglückliche lag auf ihrem Bette hingestreckt, anscheinend schon eine Tote. Noch aber schweiften ihre wilden schwarzen Augen, schrecklich in ihren Höhlen rollend, unstät umher. Mit Verwunderung und Ingrimm schien sie die Bewegungen der Fremden zu beobachten, die sie nicht erwartet hatte und die ihr unwillkommen waren.

Den fremden Weibern ward unter den Blicken dieser Augen angst und bange; aber da sie zu zweit waren, faßten sie sich ein Herz, machten Feuer und trafen allerlei Vorbereitungen, des ihnen erteilten Amtes zu walten.

Sie hatten miteinander abgemacht, daß sie abwechselnd bei der Kranken wachen wollten; aber da sie, seit dem Morgen schon auf den Beinen gewesen waren, überwältigte sie gegen Mitternacht die Müdigkeit, und beide schliefen fest ein.

Als sie ein paar Stunden später erwachten, war die Hütte leer und die Kranke verschwunden.

Bestürzt sprangen sie auf und eilten nach der Tür, die aber, wie in der vorigen Nacht, noch verschlossen war. Sie starrten in die Finsternis hinaus und riefen die Kranke beim Namen.

Vor der alten Eiche krächzten die Nachtraben, oben auf dem Hügel winselte der Fuchs, laut rauschend dröhnte der Wasserfall – aber keine menschliche Stimme gab Antwort.

In ihrem Entsetzen dachten die Weiber nicht daran, vor Anbruch des Morgens weiter nachzuforschen; denn daß eine so schwächliche Kranke, wie Elspat – die obendrein noch so Furchtbares erlebt hatte – so spurlos verschwunden war, kam ihnen so grausig vor, daß sie keinen Schritt aus der Hütte hinaus wagen mochten. Sie blieben in heller Angst drinnen. Bisweilen vermeinten sie die Stimme der Kranken draußen zu hören; bisweilen war ihnen, als tönten sonderbare Laute aus dem Klagen des Nachtwindes und dem Rauschen des Wasserfalles seltsam hervor.

Oft auch knarrte die Klinke an der Tür, wie wenn eine schwache, kraftlose Hand vergebens sie zu öffnen versuchte; und stetig waren die beiden darauf gefaßt, die entsetzliche Kranke eintreten zu sehen, beseelt von übernatürlicher Kraft, in ihrem Gefolge überirdische Wesen, die vielleicht noch schrecklicher wären als sie selber.

Endlich brach der Morgen an. Sie durchsuchten das Gebüsch, die Felsen, das Dickicht – doch vergebens.

Zwei Stunden nach Tagesanbruch kam der Geistliche selber. Als die Wärterinnen ihm mitteilten, was geschehen war, brachte er alles Volk in der Runde auf die Beine und ließ die ganze Gegend um die Hütte und den Eichbaum her durchsuchen.

Aber alle Nachforschungen blieben erfolglos.

Elspat Mac Tavish wurde nicht wieder gefunden – ob sie nun schon tot sein oder noch leben mochte. Keine Menschenseele erfuhr, was aus ihr geworden war.

Ihr rätselhaftes Verschwinden wurde von den Leuten der Gegend verschiedentlich erklärt. Die Abergläubischen meinten, der böse Geist, der Gewalt über sie gehabt hätte, habe sie geholt, und manch einer vermied es, wenn unheimliches Wetter war, an der Eiche vorüberzugehen, weil sie dort, wie es hieß, noch immer säße, wie sie einst gepflegt.

Andere, die nicht von Aberglauben beherrscht waren, meinten, wenn man die Tiefe des Corrie Dhu, den Boden des Sees oder die Strudel des Stromes absuchen könnte, würde man vielleicht Elspats Leiche finden. Bei ihrer körperlichen Schwäche und ihrem geistigen Verfall sei es ja nur natürlich, daß sie verunglückt wäre oder sich mit der Absicht, den Tod zu finden, ins Wasser gestürzt habe.

Der Geistliche hatte seine Auslegung für sich. Er meinte, die Unglückliche habe der ihr lästigen Aufsicht entkommen wollen, geleitet von dem Instinkt, den man an manchen Haustieren beobachtet, dem Anblick ihres Geschlechts sich zu entziehen, und sie sei in irgend einer verborgenen Schlucht umgekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach keines Menschen Auge je ihre Leiche zu sehen bekommen würde. Er war der Ansicht, daß ein solcher instinktartiger Trieb über ihrem ganzen Leben gewaltet und seinen genügenden Einfluß bis zu ihrem

Ende.

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