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Viertes Kapitel

Zwei Tage verstrichen. Sie nahm weder Speise noch Trank zu sich, und bloß die Energie eines an Mühseligkeiten und Entbehrungen aller Art, gewöhnten Körpers vermochte sie am Leben zu erhalten. Die Angst, die ihre Seele beherrschte, machte sie unempfindlich gegen körperliche Schwäche.

Am dritten Tage nach dem Weggang ihres Sohnes saß sie, nach Art der Frauen im Hochland, wenn sie körperliche oder seelische Pein leiden, hin- und herrückend auf ihrer Türschwelle, als sich der seltene Umstand ereignete, daß ein Wanderer auf der Straße oberhalb der Hütte in Sicht kam.

Das war zu damaliger Zeit kein häufiges Ereignis.

Elspat warf bloß einen schnellen Blick auf ihn, und sie erkannte, daß es Hamish nicht sein könne, denn der Wanderer führte ein Pferd am Zügel, von dem er abgesprungen war, um es den steilen Hang herunterzuführen.

Da es Hamish nicht war, kümmerte sich Elspat nicht weiter um den Reitersmann. Für andere Menschen besaß sie kein Interesse. Es hätte ihr nicht gelohnt, noch einen zweiten Blick auf ihn zu heften.

Der Fremde aber blieb, als er den beschwerlichen Weg zurückgelegt hatte, vor der Hütte stehen.

»Gott segne Euch, Elspat Mac Tavish!«

Elspat sah den Mann an, der das Wort in ihrer Muttersprache an sie richtete. Ihr Gesicht zeigte den unzufriedenen Ausdruck einer Person, die sich in ihrem Gedankengange gestört sieht.

Der Reitersmann indessen fuhr in seiner Rede fort:

»Elspat Mac Tavish! Ich bringe Euch Kunde von Eurem Sohne Hamish.«

Durch diese Worte gewann die Gestalt des Fremden, bisher für sie ein Gegenstand höchster Gleichgültigkeit, eine Ehrwürdigkeit, als sei es ein Bote vom Himmel, herab zu ihr gestiegen, um ihr Entscheid zu bringen über Leben und Tod. Sie fuhr von ihrem Sitze auf, preßte die Hände auf die Brust, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, hob die Hände zum Himmel auf, heftete die Äugen auf Gesicht und Gestalt des Fremden, schritt auf ihn zu und harrte schweigend der Worte, die er ihr sagen würde, denn ihre stammelnde Zunge war außerstande, die Frage, die ihr auf den Lippen lag, in Redeform zu fügen.

»Euer Sohn schickt Euch pflichtschuldig seinen Gruß und dieses hier!« sprach der Sendbote, indem er Elspat einen kleinen Beutel mit ein paar Schillingen in die Hand legte.

»Er ist fort! Mein Hamish ist fort für immer!« rief Elspat, »er hat sich als Knecht an die Sachsen verkauft! Und ich werde ihn nimmer, nimmer wiedersehen. O, sagt mir, Miles Mac Phadraick, denn jetzt erkenne ich Euch, ist dieses Geld, das Ihr in die Hand seiner Mutter gelegt, das Blutgeld für den Schwur, den mein Sohn geleistet?«

»Gott sei mir vor!« versetzte Mac Phadraick, ein Lehensmann, der ein hübsches Stück Land von dem Grundherrn in Pacht hatte, der an die zwanzig Meilen ab seinen Wohnsitz hatte, »Gott sei mir vor, Elspat Mac Tavish, daß ich Euch oder dem Sohne Mac Tavish Mhors etwas zu unrecht tun oder sagen sollte! Bei der Hand meines Häuptlings schwöre ich Euch, daß es Eurem Sohne gut geht, daß er Euch bald wiederzusehen gedenkt und Euch dann alles weitere selbst erzählen wird.«

Mit diesen Worten eilte Mac Phadraick auf die Landstraße zurück, bestieg seinen Gaul und ritt weiter.


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