Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Die vierte Woche nach der Niederkunft der Frau war verflossen und sie war völlig genesen, da sah Gray eines Tages, als er von einem Krankenbesuche heimkehrte, eine Postkutsche vor seiner Tür halten.

»Der Mann wird zurückgekehrt sein,« dachte er bei sich, »und ich habe ihm mit meinem Verdacht unrecht getan.«

Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen, und das treue Tier gehorchte dem Winke seines Herrn um so bereitwilliger, als es ja nach seinem Stalle ging.

Als er aber in seine Wohnung hinaufeilte, fand er seine Frau in heftigem Streit mit zwei Fremden, von denen der eine ein schon älterer Herr von dunkler Gesichtsfarbe und schwarzen stechenden Augen war, während der andere, der in der Hauptsache den Streit zu führen schien, eine beherzte und grausame Miene zeigte und mit ein paar Pistolen renommierte, die er im Gürtel trug.

»Da ist mein Mann«, sagte Frau Gray in siegesgewissem Tone. »Was wollt ihr nun noch?«

»Immer noch dasselbe«, versetzte der Mann, »Meinem Haftbefehl muß Folge geleistet werden, er ist in gesetzmäßiger Form ausgestellt.«

Mit diesen Worten wies er mit dem Zeigefinger auf ein Blatt Papier, das er der Frau Gray mit der linken Hand unter die Nase hielt.

»Wendet Euch gefälligst an mich«, sagte der Arzt. »Ich bin der Herr dieses Hauses und wünsche zu wissen, was Ihr hier zu tun habt.«

»Was ich hier zu tun habe, ist bald gesagt«, antwortete der Mann. Ich bin ein Königsbote – die Frau hier aber behandelt mich, als wäre ich der Häscher eines Schuldgefängnisses.«

»Das tut nichts zur Sache«, erwiderte der Doktor. »Wenn Ihr ein Königsbote seid, so zeigt Euren Haftbefehl vor und sagt, was Ihr tun wollt.«

Gleichzeitig raunte er dem Stubenmädchen zu, den Stadtschreiber, Herrn Lawford, zu holen.

»Hier ist mein Haftbefehl«, sagte der Beamte. »Überzeugt Euch, daß alles seine Richtigkeit hat.«

»Dies ist ein Haftbefehl,« sagte der Doktor, nachdem er das Papier geprüft hatte, »gegen Richard Tresham und Zilia de Moncada wegen Hochverrats. Herr, ich habe im Dienste Seiner Majestät gestanden – und mein Haus ist keine Herberge für Hochverräter. Ich weiß nichts von diesen beiden Personen und habe noch nicht einmal ihre Namen je zuvor gehört.«

»Die Dame, die Ihr aufgenommen habt, ist Zilia de Moncada, und hier steht ihr Vater Matthias de Moncada, der es beeiden wird.«

»Wenn dies auf Wahrheit beruht,« erwiderte Gray, »so habt Ihr einen sonderbaren Dienst auf Euch genommen. Es ist nicht meine Art, etwas abzustreiten, was ich getan habe, oder den Gesetzen dieses Landes den Gehorsam zu verweigern. In diesem Hause befindet sich eine Dame im Zustande langsamer Genesung von ihrer Niederkunft – hier in diesem Hause hat sie einem gesunden Knaben das Leben geschenkt. Wenn sie diejenige ist, die in diesem Haftbefehl genannt ist, und ist sie die Tochter dieses Herrn, so muß ich sie den Gesetzen des Landes entsprechend ausliefern. Ihr Herren, das ist eine schlimme Geschichte. Wegen eines schweren Verbrechens ist hier ein Haftbefehl erlassen worden gegen eine Person, deren Zustand es kaum erlaubt, sie von einem Hause zum andern zu schaffen. Wenn Ihr in der Tat der Vater seid, Herr, so ist es Eure Pflicht, zu bedenken, die Lage der Armen zu verbessern, statt sie aufs äußerste zu verschlimmern.«

»Besser tot als geschändet!« erwiderte der finstere Greis in rauhem Ton. »Ihr Staatsbote, tut Eures Amtes und vollzieht den Haftbefehl!«

»Ihr hört,« sagte der Mann, »ich muß augenblicklich Zutritt zu der Dame haben.«

»Es trifft sich glücklich, daß hier gerade Herr Lawford, der Stadtsekretär, kommt. – Seid willkommen, wir bedürfen hier sowohl Eures Urteils als Juristen wie auch Eurer Meinung als eines verständigen und menschlich gesonnenen Mannes.«

In aller Eile stellte er den Fall dar, und der Königsbote wies, als er sah, daß ein Mann der Obrigkeit vor ihm stand, von neuem seinen Haftbefehl vor.

Nach kurzem Bedenken sagte Lawford:

»Der Vater muß die Tochter sehen, wenn auch beide sich veruneinigt haben, und der Diener des Staates muß seinen Haftbefehl vollziehen, wenn auch die Missetäterin an dem Schrecken zugrunde gehen könnte. Ihr habt die Dame auszuliefern, so natürlich auch Eure Bedenken dagegen sind.«

»Läßt sich nicht eine Bürgschaft stellen?« fragte Gray.

»In Fällen des Hochverrats ist das nicht zulässig«, erwiderte der Stadtsekretär.

»Dann folgt mir, meine Herren«, sagte der Arzt ohne weitere Gegenwehr.

Er führte die Herren die kleine Treppe hinauf, öffnete die Tür und sagte zu Moncada, der zunächst hinter ihm ging:

»Hier ist der einzige Ort, wo Eure Tochter Zuflucht gefunden hat und wo sie zu schützen ich, ach, zu schwach bin!«

Der Fremde warf ihm einen mürrischen Blick zu und trat dann mit stolzem Schritt in das Gemach. Lawford und Gray folgten in einiger Entfernung und der Exekutor blieb in der Tür stehen.

Die unglückliche junge Dame hatte den Lärm schon vernommen und die Ursache nur zu richtig erraten. Vielleicht hatte sie auch die Fremden gesehen, als sie aus dem Wagen stiegen.

Als sie in das Zimmer traten, lag sie auf den Knieen, das Gesicht durch ihre seidene Maske verhüllt.

Der Mann, der sich Moncada genannt hatte, sprach nur ein Wort, das niemand verstehen konnte. Die Dame fuhr krampfhaft zusammen, wie ein Soldat, der schon halbtot ist und noch eine zweite Wunde erhält. Moncada kümmerte sich aber nicht um ihre Empfindungen, er faßte sie beim Arme und riß sie empor – sodaß sie schwankend dastand, nur von seiner Faust gehalten.

Die arme Frau suchte das Gesicht zu verbergen, indem sie es mit der linken Hand bedeckte, aber es kostete ihren Vater wenig Mühe, ihr auch diese Hand noch wegzureißen.

Nun zeigte sich ihr schönes, von Schamröte glühendes und von Tränen überströmtes Gesicht.

»Ihr Mann der Obrigkeit und Ihr Arzt,« sagte er mit fremden Akzent zu Lawford und Gray, »diese Frau ist meine Tochter – dieselbe Zilia de Moncada, auf die der Haftbefehl lautet. Gebt Raum, daß ich sie wegführe, damit sie ihre Strafe für ihr Verbrechen finden möge.«

»Seid Ihr die Tochter dieses Mannes?« fragte Lawford die Frau.

»Sie kann nicht Englisch«, sagte Gray und redete die Kranke auf französisch an.

Er beschwor sie zu erklären, ob sie in der Tat die Tochter dieses Mannes sei, wenn es nicht der Fall wäre, könne sie seines Schutzes sicher sein.

Sie gab mit schwacher Stimme Antwort, aber es war deutlich zu verstehen, daß sie sagte, es sei ihr Vater.

Damit schien jedes weitere Recht, sich einzumischen, erloschen, und der Exekutor erklärte die Dame für verhaftet.

Doch noch einmal schritt Gray ein.

»Ihr wollt doch nicht etwa die Mutter von ihrem Kinde trennen?« fragte er.

Zilia de Moncada hörte die Frage, die Gray unbedachterweise in französischer Sprache an den Vater gerichtet hatte. Ein Schrei bittersten Schmerzes entrang sich ihr, und mit dem Ausdruck innigsten Flehens sah sie ihren Vater an.

»Den Bastard mag die Gemeinde aufziehen«, sagte Moncada, während die hilflose Mutter zu Boden sank.

»Ein derartiges Verfahren ist unstatthaft, Herr«, sagte Gray. »Wenn Ihr der Vater dieser Dame seid, so seid Ihr auch der Großvater dieses hilflosen Kindes und habt auf irgend eine Weise für seine Zukunft zu sorgen oder uns an eine Zwischenperson zu verweisen, die diese Sorge auf sich nimmt.«

Moncada sah auf Lawford, der sich dahin aussprach, daß der Doktor recht habe.

»Ich bin bereit, alles zu zahlen,« sagte Moncada, »was für dieses Kind des Unglücks nötig ist; wenn Ihr, Herr,« dabei wandte er sich an Gray, »es annehmen und aufziehen wollt, so sollt Ihr soviel erhalten, daß Euer Einkommen reichlich aufgebessert ist.«

Der Doktor wollte das Anerbieten schon zurückweisen, aber er besann sich und erwiderte:

»Ich werde dieses Anerbieten nur dann annehmen, wenn die Mutter es wünscht.«

Moncada sprach mit seiner Tochter, die gerade aus ihrer Ohnmacht zu sich gekommen war, der Vorschlag, den er ihr machte, schien im höchsten Grade annehmbar, sie trat auf den Doktor zu, küßte ihm die Hand, die sie mit ihren Tränen benetzte. Mit der Notwendigkeit, sich von dem Kinde zu trennen, schien sie sich sogar bei dem Gedanken auszusöhnen, daß es in der Obhut des Doktors bleiben solle.

»Guter, freundlicher Mann,« sagte sie, »Ihr habt Mutter und Kind gerettet.«

Mit kaufmännischer Umsicht überreichte inzwischen der Vater Herrn Lawford Banknoten im Betrage von 1000 Pfd. Diese Summe sollte für die Erziehung des Kindes bestimmt sein und je nach Bedarf sollten die Raten ausgezahlt werden. Er gab außerdem die Adresse eines Londoner Bankiers an, durch den Mitteilungen an ihn zu befördern seien, falls sich einmal in dringenden Angelegenheiten ein besonderer Schriftwechsel erforderlich machen sollte.

Während Lawford ein genaues Protokoll der Verhandlung aufsetzte, durch die sie, er und Gray, zu Vormündern des Kindes bestellt worden waren, wollte der Arzt der Dame den Rest des Betrages zurückgeben, den ihm Tresham – wenn er wirklich so hieß – anvertraut hatte. Sie weigerte sich aufs heftigste, das Geld zu nehmen, und bat den Arzt, es als sein Eigentum zu betrachten. Gleichzeitig drang sie ihm als Geschenk einen mit Brillanten besetzten Ring auf, der einen hohen Wert zu haben schien.

Nachdem dann der Vater in hartem Tone ein paar Worte zu ihr gesprochen hatte, sagte er zu den andern:

»Ich habe ihr noch ein paar Worte vergönnt, von dem elenden Wesen, das ihre Schande besiegelt, Abschied zu nehmen. Wir wollen uns solange zurückziehen, Ihr, Exekutor, bewacht von außen die Tür!«

Gray, Lawford und Moncada zogen sich zurück und warteten in Schweigen, bis nach einer halben Stunde die Meldung kam, daß die Dame zur Abreise bereit sei.


 << zurück weiter >>