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Zwölftes Kapitel.

Ehe der neue Leutnant die Reise antrat, wurde er von dem Kammerdiener Winter aufgefordert, ihm zum General zu folgen, um dem hohen Herrn vorgestellt zu werden.

Während beide den Weg zurücklegten, harrten ihrer der General und seine Frau in banger Spannung. Sie saßen in einem luxuriös ausgestatteten Empfangszimmer. Der General hatte sich hinter einen großen Leuchter gesetzt, so daß er im Schatten des Schirmes saß, von wo aus er den Besuch beobachten konnte, ohne selber genauer Beobachtung ausgesetzt zu sein.

Seine Gattin saß auf einem Berg von Kissen – eine Dame, die die volle Blüte der Schönheit schon überschritten hatte, deren Äußeres aber noch deutlich die Kennzeichen ihrer frühern wundersamen Schönheit zeigte. Sie erschien jetzt in tiefster Erregung.

»Zilia,« sagte ihr Gemahl, »du bist es nicht imstande – du hast dir zu viel zugetraut – hör auf meinen Rat und geh hinaus – ich will dir alles mitteilen, was vor sich geht – nur geh jetzt! Weshalb hältst du so hartnäckig an dem Verlangen fest, ein Wesen auf einen Augenblick zu sehen, mit dem du doch niemals wieder zusammenkommen darfst?«

»Ach, mein Gemahl!« entgegnete die Dame. »Ist nicht deine Erklärung, daß ich ihn nie wieder sehen soll, Grund genug für mich, ihn wenigstens jetzt zu sehen? – Soll ich nicht einmal den Wunsch hegen, das Angesicht und die Gestalt, die ich doch zeit meines Lebens nicht mehr schauen darf, meinem Gedächtnis einzuprägen? Liebster Richard, sei nicht grausamer als mein armer Vater selbst im ärgsten Zorn gewesen ist. Er hat mich das Antlitz des Kindes sehen lassen, und diese Erinnerung war mir ein Trost in den Jahren bittern Grames, der meine Jugend verzehrt hat.«

»Genug, Zilia, ich habe es dir versprochen – und mein Versprechen will ich halten, was auch geschehen mag. Nur denke dran, was von diesem verhängnisvollen Geheimnis alles abhängt – dein Rang und deine gesellschaftliche Stellung und meine Ehre. Jammervolles Elend und Blutvergießen wäre die Folge, wenn irgendwer das Geheimnis erführe.«

Gleich darauf öffnete sich die Tür – der Kammerdiener meldete den jungen Leutnant an – und Richard Middlemas stand, ohne es zu wissen, vor seinen Eltern.

Witherington fuhr auf, zwang sich jedoch wieder zu jener Ruhe und Würde, mit der ein Vorgesetzter einen Untergebenen empfängt. Die Mutter vermochte sich weniger zu beherrschen. Sie sprang auf, als wollte sie sich ihrem Sohne, um den sie Unglück und Kummer erduldet hatte, um den Hals werfen, aber ein warnender Blick ihres Gatten hielt sie zurück, und sie blieb stehen mit vorgebeugtem Kopf und ineinandergepreßten Händen, regungslos wie eine Statue.

»Ich schätze mich glücklich,« begann Middlemas, da der General das Gespräch nicht eröffnen zu wollen schien, »Euer Exzellenz meinen Dank aussprechen zu können, den ich nie zur Genüge abzustatten imstande sein werde.«

Obgleich er so gleichgültige Worte sprach, schien doch der Klang seiner Stimme den Zauber zu lösen, der die Mutter in regungsloser Spannung hielt. Sie seufzte tief und sank in die Kissen zurück. Middlemas sah nach ihr hin, und der General sagte rasch: »Meine Frau, Herr Middlemas, ist leidend – Euer Freund, Herr Hartley, wird wohl davon gesprochen haben – es ist ein Nervenleiden,««

Herr Middlemas sprach ein paar Worte der Teilnahme.

»Euer Patent habt Ihr wohl erhalten? – Habt Ihr noch einen besonderen Wunsch betreffs Eures Reisezieles?«

»Nein, Euer Exzellenz,« antwortete Middlemas. »Ich glaube, mein Freund Hartley hat Euer Exzellenz gesagt, wie es mit mir bestellt ist, daß ich eine arme Waise bin, die von den Eltern im Stich gelassen und in die weite Welt hinausgestoßen worden ist – ich bin ein Ausgesetzter, den niemand kennt und um den niemand sich kümmert, und dessen Eltern nur den einen Wunsch hegen, daß er möglichst weit weg und ungenannt leben möge, damit er ihnen nicht zum Schimpfe werde!«

Zilia rang die Hände und zog den Schleier dicht über das Gesicht, um ihr Schluchzen zu unterdrücken.

»Herr Hartley,« versetzte der General, »hat mir nichts Näheres über Eure Verhältnisse mitgeteilt und ich will Euch auch den Kummer ersparen, den es bereiten muß, näher darauf einzugehen. Ich möchte nur wissen, ob es Euch recht ist, wenn ich Euch nach Madras gehen lasse.«

»Gewiß, Euer Exzellenz, mir ist jeder Ort genehm, nur mit dem Schurken Hillary möchte ich nicht wieder zusammentreffen.«

»Dafür ist gesorgt, damit Ihr übrigens seht, daß der Schuft weiß, was sich gehört, so sind hier die Banknoten wieder, die er Euch gestohlen hat.« Richard Middlemas sank aufs Knie und küßte die Hand, die ihm sein verlornes Vermögen zurückgab.

»Ihr seid mir mehr als ein Vater!« rief er überschwenglich. »Ich stehe bei Euch in größerer Schuld als bei meinen unnatürlichen Eltern, die mich in Sünde zur Welt brachten und mich in Grausamkeit verließen!«

Als Zilia diese Worte hörte, warf sie den Schleier zurück und hob die Arme, dann seufzte sie laut und fiel in Ohnmacht.

Der General stieß Middlemas heftig zurück, eilte seiner Gattin zu Hilfe und trug sie wie ein Kind auf den Armen in das Zimmer nebenan.

Man kann sich sein Entsetzen denken, als alle Versuche und Bemühungen, sie zum Bewußtsein zurückzurufen, vergeblich blieben. Diener wurden nach Ärzten geschickt, nach Hartley und jedem andern, der zu finden war.

Der General stürzte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, das er soeben verlassen hatte, und sah sich hier wieder Middlemas gegenüber, der, über das Geschrei bestürzt, der Tür sich genähert hatte.

Der Anblick des unglücklichen jungen Mannes steigerte die Verzweiflung des Generals zum Wahnsinn. Er schien in seinem Sohn den Mörder seiner Frau zu erblicken, er packte ihn am Kragen und schleppte ihn in das Gemach, wo die Tote lag.

»Komm her,« schrie er, »du, dem ein Leben in stiller Verborgenheit ein so elendes Schicksal war – komm her und sieh die Eltern, die du so sehr beneidet hast – die du so oft verflucht hast! – Sieh diesen bleichen hagern Leichnam, eher eine Gestalt von Wachs als von Fleisch und Blut – das ist deine Mutter – das ist die unglückliche Zilia von Moncada, für die deine Geburt eine Quelle des Jammers und der Schande war, und die deine unheilvolle Anwesenheit schließlich noch in den Tod gejagt hat! Und sieh auf mich! Siehst du nicht Schwefelflammen um mein Haupt lodern und Blitze von meiner Stirn ausgehen? – Ich bin der Vater, den du suchst – ich bin der verruchte Tresham, der Verführer Zilias und der Vater ihres Mörders.«

In diesem Augenblick trat Hartley ein, er erkannte sofort, daß die Verstorbene aller menschlichen Hilfe entrückt sei, und da er teils aus den Mitteilungen des Kammerdieners, teils aus den wirren Reden des Generals entnehmen konnte, was für eine Enthüllung hier stattgefunden hatte, beeilte er sich, dem peinlichen Auftritt ein Ende zu machen. Aber Witherington schien in seiner Raserei gütigen Vorstellungen nicht zugänglich.

»Was kümmert's mich!« rief er, »Mag die ganze Welt meine Sünde und Strafe erfahren! Ich fürchtete mich davor nur, solange Zilia noch lebte, und Zilia ist tot!«

»Aber ihr Andenken habt Ihr zu schonen und den Ruf Eurer Kinder!« rief Hartley.

»Gewiß!« stimmte Middlemas ungestüm bei, »und auch ich bin Euer Sohn – ein Sohn von der Euch angetrauten Gemahlin! Ich fordere von Euch, daß Ihr meine Rechte anerkennt und rufe alle hier Anwesenden zu Zeugen auf!«

»Elender!« rief der wahnsinnige Vater. »Wie kannst du inmitten des Todes und der Tollheit an deine schmutzigen Rechte denken? Du bist der Teufel, der mein Unglück in dieser Welt veranlaßt hat und meine Verdammnis in der andern Welt teilen wird. Mir aus den Augen und mein Fluch mit dir!«

Middlemas stützte aus dem Zimmer, eilte in den Stall, ergriff das erste beste Pferd und sprengte davon. Hartley stand im Begriff, ihm zu folgen, allein die Dienerschaft umringte ihn und flehte ihn an, doch ihren Herrn nicht in dieser Not zu verlassen. Er blieb und es gelang ihren vereinten Kräften, ihn zu Bett zu schaffen. Der Tobsuchtsanfall ließ nach, der Arzt gab eine niederschlagende Medizin, und der Unglückliche verfiel in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst gegen Morgen wieder zu sich kam.

Er erwachte zu vollem Bewußtsein des Vorgefallenen und brach in Schluchzen und Tränen aus. Als Hartley, der die Nacht über bei ihm gewacht hatte, zu ihm trat, erkannte er ihn sofort und sagte zu ihm:

»Fürchtet Euch nicht vor mir, der Anfall ist vorüber. Geht und sorgt dafür, daß jener Unglückliche England sobald als möglich verläßt und nach dem Lande reist, wohin ihn sein Schicksal ruft und wo wir uns nie wieder sehen können. Mein Kammerdiener kennt mich und wird inzwischen für mich sorgen.«

»Tut das«, setzte der Kammerdiener flüsternd hinzu. »Vor allen Dingen sorgt dafür, daß mein Herr nie wieder mit diesem abscheulichen Menschen zusammentrifft.«


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