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Sechzehntes Kapitel.

Hamishs Mutter lag lange in Ohnmacht, vielleicht um so länger, weil die Kraft ihres Körpers durch die Überreizung ihres Gemüts während der letzten drei Tage völlig aufgerieben sein mußte. Endlich weckten sie Weiberstimmen aus ihrer Starre. Der Coronach oder die Totenklage, Wehrufe im Verein mit Händeklatschen, schlug an ihr Ohr, und gleich darauf, auf der Sackpfeife geblasen, die Klänge des dem Clan der Camerons eigentümlichen Trauergesanges.

Elspat fuhr erschreckt auf, wie vom Tode erwacht, völlig außerstande, sich der schrecklichen Szene, die sich vor ihren Augen abgespielt hatte, zu erinnern.

Es waren Weiber in der Hütte, beschäftigt, den Leichnam in das blutige Plaid zu wickeln, ehe er von der Unglücksstätte hinweggeschafft würde.

»Sagt mir, ihr Weiber,« lallte sie, aufspringend, »warum singt ihr Mac Dhoneril Dhus Grablied im Hause von Mac Tavish Mhor?«

»Schweige, du Wölfin, mit deinem unheilvollen Gekreisch,« rief eines der Weiber, eine Verwandte des Gemordeten, »und hindere uns nicht in der Ausübung unserer Pflicht gegen unseren geliebten Verwandten. Nie soll ein Klagelied erschallen um dich und deine blutige Wolfsbrut. Die Raben werden ihn vom Galgen fressen, deinen schönlockigen Hamish, und deine Leiche sollen Füchse und Wildkatzen auf den Bergen zerreißen. Verflucht sei, wer deine Gebeine segnet oder einen Stein dir auf das Grab wälzt!«

»Tochter einer törichten Mutter,« versetzte die Witwe van Mac Tavish Mhor, »wisse, daß der Galgen, mit dem du uns drohst, kein Teil unseres Erbes ist! Dreißig Jahre lang gelüstete den schwarzen Gesetzespfahl, an dem statt Äpfel Menschenleichen hängen, nach dem Geliebten meines Herzens, aber er ist als braver Mann mit dem Schwert in der Faust gestorben und hat den schwarzen Pfahl um seine Hoffnung und Frucht betrogen.«

»Mit deinem Kinde aber wird es solches Ende nicht nehmen, du blutige Hexe!« versetzte das Klageweib, dessen Leidenschaftlichkeit um nichts geringer war als die Elspats; »denn ihm werden die Raben die Locken in Strähnen ausreißen und ihre Nester damit füttern, noch ehe die Sonne hinter den Inseln verschwindet.«

Durch diese Worte kamen der unseligen Mutter die Ereignisse der drei letzten gräßlichen Tage in das Gedächtnis zurück. Zuerst stand sie da, starr wie eine Säule, ganz als ob sie der höchste Grad menschlicher Pein in Stein verwandelt hätte. Bald aber erwachten Stolz und Heftigkeit wieder, weil sie meinte, in ihrem eigenen Haus und Hof gelästert worden zu sein, und sie versetzte:

»Ja, du greinende Unholdin! Sterben wird mein schönlockiger Sohn, aber nicht mit weißer Hand, denn er hat sie getaucht in Feindesblut, in bestes Cameron-Blut! Das bedenke, du Unholdin! Und bettet ihr euren Toten ins Grab, so sei seine Grabschrift, daß Mac Tavish Mhors Sohn Hamish Bean ihn erschlug, weil er Hand an ihn an seinem Herde legen wollte. Lebt Wohl! Die Schande der Niederlage bleibt haften an dem Manne, der sie erlitt!«

Die Verwandte des Gemordeten wollte Antwort mit verstärkter Stimme geben. Aber Elspat, die das Wortgefecht nicht weiter führen mochte, die vielleicht auch fühlte, daß der Schmerz sie zu überwältigen und unfähig zu machen drohte, ihren Zorn in Worte zu kleiden, hatte die Hütte verlassen und rannte im Mondschein auf und davon.

Die Weiber, die sich mit der Leiche des Gemordeten befaßten, ließen ihr trauriges Werk im Stiche, um der zwischen den Felsen dahinwankenden hohen Gestalt nachzusehen.

»Mir ist es recht, daß sie weg ist,« sprach eine jüngere, »denn lieber schon hülle ich eine Leiche in ihre Tücher und stände, Gott sei bei uns! der Böse selber sichtbar vor uns, als daß ich die »Elspat vom Baume« in unserer Mitte sehe. Ja, ja! Mit dem bösen Feind hat die im Leben schon viel Verkehr gehabt!«

»Törin!« erwiderte das Weib, das mit Elspat das Wortgefecht geführt hatte, »meinst du, es gebe einen schlimmeren Feind auf oder unter der Erde, als den Stolz und Grimm eines in seinem Herzen getroffenen Weibes, wie der blutdürstigen Hexe dort? Laß dir sagen, ihr war Blut so alltäglich wie der Tau den Blumen im Gebirge. Sie ist Ursache gewesen zu manches braven Mannes Tod um geringfügigen Unrechts willen, das er ihr oder den Ihrigen zugefügt hatte. Jetzt sind ihr die Sehnen aber zerschnitten, denn ihre Wolfsbrut muß, da sie mordete, den Mördertod leiden!«

Während die Weiber sich also unterhielten, setzte die Unselige, die unmittelbare Urheberin von Allan Breack Camerons Ermordung, ihren Weg über das Gebirge fort. So lange sie noch in Sicht der Hütte war, tat sie sich Zwang an, um ihren Feindinnen nicht Ursache zum Frohlocken zu geben, daß körperliche Schwäche sie befallen oder maßlose Verzweiflung sie am gewohnten Gange verhindere. Sie ging deshalb eher langsamen als schnellen Schrittes, in aufrechter Haltung, zum Zeichen, daß sie das über sie gekommene Unglück mit Festigkeit trage und allem drohenden Unglück mit Trotz entgegensähe. Sobald sie aber außerhalb des Sehbereichs war, verließ sie die Kraft, ihren Schmerz zu bändigen. Den Mantel mit wilder Gebärde zurückschlagend, kletterte sie einen Hügel hinauf und reckte die Hände Zum Monde empor, Himmel und Erde anklagend wegen des Unglücks, das über ihr Haupt gekommen, mit schrecklichem Wehgeschrei, dem Adler gleichend, dem die Jungen aus dem Neste geraubt wurden.

Nachdem sie ihrem wilden Schmerze eine Zeitlang auf solchem Wege Luft gemacht hatte, eilte sie ungleichen Schrittes weiter, in der vergeblichen Hoffnung, das Kommando einzuholen, das ihren Sohn, ihren Hamish, gefesselt nach Dunbarton führte.

Allein so übermenschlich auch ihre Kraft zu sein schien, so versagte sie schließlich doch, und selbst mit äußerster Anstrengung wollte ihr die Durchführung ihres Vorhabens nicht gelingen. Nichtsdestoweniger schleppte sie sich, so schnell es ihre erschöpften Glieder ihr gestatteten, weiter. Wenn sie vor Hunger nicht weiter konnte, schlich sie in das nächste Dorf und bettelte:

»Gebt mir zu essen! Ich bin die Witwe von Mac Tavish Mhor, bin die Mutter von Hamish Mac Tavish Bean. Gebt mir zu essen, daß ich meinen schönlockigen Hamish noch einmal sehe.«

Niemals wurde ihre Bitte ihr abgeschlagen, wenngleich bei manchen, an die sie sich wendete, sich neben Mitleid auch Abscheu regte, manche sogar Grauen anwandelte. Wieviel von der Schuld an dem Tode Allan Breack Camerons, der den Tod ihres eigenen Sohnes nach sich ziehen mußte, auf ihre Person kam, wußte freilich niemand genau. Weil man aber die Leidenschaftlichkeit ihres Wesens kannte und weil jedermann im Lande wußte, welche Lebensweise sie früher geführt hatte, so war es für niemand zweifelhaft, daß sie bis zu gewissem und wahrscheinlich nicht geringem Grade die Verantwortlichkeit für das schwere Verbrechen traf, und alles war geneigt, in Hamish Bean mehr das Werkzeug, als den eigentlichen Urheber des Mordes zu sehen.

Indessen konnte solche Meinung seiner Landsleute, so große Verbreitung sie auch gewann, dem unglücklichen Jüngling wenig oder nichts helfen. Seinem Hauptmann, der die Sitten und Gebräuche des Hochlandes gut kannte, war es ein leichtes, von Hamish die Einzelumstände herauszubekommen, die dessen vermeintliche Desertion und den Tod des Sergeanten betrafen. Er fühlte mit dem Jüngling, der so unseligerweise das Opfer einer übermäßigen, törichten Mutterliebe geworden war, das größte Mitleid, wußte aber keinen Ausweg, ihn von der Strafe zu retten, welche auf Grund der Kriegsgesetze das Kriegsgericht, wegen des von ihm begangenen Mordes über ihn verhängen mußte.

Es ging alles rasch von statten. Zwischen dem Spruch und Vollzug des Urteils blieb nur geringe Frist. Der Oberst hielt an seinem Entschlusse fest, an dem ersten Deserteur, der wieder eingebracht würde, ein strenges Exempel zu statuieren, und hier handelte es sich nun gar um einen Deserteur, der sich mit der Waffe verteidigt und den nach ihm ausgesandten Unteroffizier erschossen hatte. Solche Gelegenheit zur Sanktionierung seines Entschlusses fand sich so leicht für den strengen Kommandeur nicht wieder.

Hamish wurde also zum Tode durch den Strang, wie der Spruch lautete, als gemeiner Mörder verurteilt. Die Exekution sollte auf der Stelle stattfinden. Das einzige, was sein Hauptmann für ihn auswirken konnte, war die Begnadigung zum Tode durch Pulver und Blei.

Um diese Zeit befand sich zufälligerweise gerade der würdige Pfarrer von Glenorquhy in Dunbarton. Er machte seinem unglücklichen Pfarrkind im Militärarrest seinen Besuch. Wenn er auch in ihm einen Menschen ohne alle Schulweisheit fand, so fand er doch keinen verstockten Christen in ihm, und die Antworten auf religiöse Fragen, die er von ihm erhielt, machten es ihm doppelt schmerzlich, in dem Jüngling eine von Natur so reine und edle Seele in solch verwildertem Zustande anzutreffen.

Bittere Vorwürfe machte sich der Geistliche, nachdem er diese Meinung von dem Charakter und dem Gemüt des Jünglings gewonnen hatte, daß er sich durch die Scheu vor dem schlechten Rufe, welcher der Witwe des einstigen Räubers anhaftete, an jenem Morgen, als ihn Hamish nach Zeit und Stunde fragte, hatte bestimmen lassen, die von dem liebreichen Bestreben, dies verlorene Schaf seiner Herde zurückzugewinnen, diktierte Absicht eines Besuchs in der Hütte von Hamishs Mutter fallen zu lassen. Der wackere Pfarrer tat nun sein möglichstes, für sein Pfarrkind, wenn nicht Begnadigung, so doch Aufschub zu erlangen, denn die Empfänglichkeit der edlen, schönen Seele des jugendlichen Mörders rührte ihn tief. Er sprach bei dem Hauptmann vor. Düstere Trauer lag auf dessen Stirn. Sie vergrößerte sich noch erheblich, als er Namen und Wohnort des Pfarrers erfahren hatte und über Grund und Zweck des Besuchs aufgeklärt worden war.

»Es ist gar nicht möglich, hochwürdiger Herr,« erklärte der hochländische Offizier, »daß Sie mir mehr Gutes von dem Jünglinge melden, als ich selbst von ihm glaube. Auch bedarf es gar keiner Bitte von Ihrer Seite, mich für den unseligen Menschen zu verwenden, denn so weit mir dies irgend möglich war, ist es ja bereits geschehen. Aber es ist alles umsonst und kann ja nach Art des Vorganges auch gar nicht anders sein. Zudem ist unser Oberst halb Niederländer, halb Engländer, dem es an jeglichem Verständnis für den hohen, enthusiastischen Sinn fehlt, der in diesem Gebirgslande so häufig die hehrsten Tugenden in Konnex bringt mit schweren Verbrechen und Lastern, die in der Regel mehr Herzenssünden sind als Verstandesirrungen. Ich bin so weit gegangen, ihm zu bemerken, daß in diesem jungen Menschen von dem im Grunde durchweg tüchtigen Mannschaftstande meiner Kompagnie der tüchtigste durch das Kriegsgericht verurteilt worden sei. Ich habe ihm den ungeheuerlichen Betrug auseinandergesetzt, der dieser scheinbaren Fahnenflucht des Jünglings zugrunde liegt, und wie wenig sein Herz Anteil an einem Verbrechen habe, das unglücklicherweise durch seine Hand begangen worden sei. Was mir der Oberst darauf erwidert hat, lautet: Ich kann an dem Spruche nichts ändern, Kamerad; das Exempel muß statuiert werden, und fällt das Los nun zufälligerweise auf einen Mann, der sonst ein guter Rekrut ist, so wird es nur desto bessere Wirkung üben.« Lassen Sie es also lieber Ihre Sorge sein, ehrwürdiger Herr, Ihren bußfertigen Sünder auf eine Reise vorzubereiten, die er morgen mit Tagesanbruch antreten muß und gegen die es schließlich für uns alle kein Rezept gibt.«

»Und auf die uns alle,« setzte der Geistliche hinzu, »der gütige Gott vorbereiten möge, gleichwie ich nicht wanken will in meiner Pflicht für diesen armen Jüngling.«


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