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Dreizehntes Kapitel.

Mit dem ersten Sonnenstrahl fand sie den Weg zur Hütte zurück. Eine Weile blieb sie vor der aus Zweigen geflochtenen Tür stehen, als schäme sie sich, daß ihre törichte Mutterliebe sie wieder an die Stätte zurückgeführt haben sollte, die sie in der Absicht, nie wieder zurückzukehren, verlassen hatte. Aber ihr Zaudern hatte seinen Grund mehr in Furcht und Angst – Furcht, ihrem schöngelockten Hamish mochte der Schlaftrunk von schlimmer Wirkung gewesen sein – Angst, seine Feinde möchten ihn nachts überfallen haben.

Leise drückte sie die Tür der Hütte auf und trat mit geräuschlosem Schritt ein.

Erschöpft von Kummer und Bangigkeit, vielleicht noch immer von dem starken Schlaftrunk benommen, lag Hamish Bean wieder in tiefem Schlafe, ähnlich wie Indianer in den Pausen ihres Martertodes schlafen sollen. Kaum konnte die Mutter die Überzeugung gewinnen, daß sie seine Gesichtszüge vor sich habe; kaum konnte sie den Glauben fassen, daß ihr Ohr seine Atemzüge höre.

Mit klopfendem Herzen trat sie an den Herd, der in der Mitte der Hütte stand; mit einem Stück Torf bedeckt, glimmten dort noch die Kohlen des Feuers, das im schottländischen Hause nicht früher zu verlöschen pflegt, als bis es seine Bewohner für immer verlassen.

»Mattes Feuer« sagte sie, einen Fichtenspan, der das Licht ersetzte, mittels Feuersteins in Brand setzend, »schwaches Feuerchen! Bald wirst du ausgehen auf immer. Gebe bloß der Himmel, daß Elspat Mac Tabishs Leben zugleich mit dir verlösche!«

Also sprechend, trat sie mit dem flackernden Lichtspan an das Bett, auf dem ihr Sohn noch ausgestreckt lag, in einer Stellung, die es ungewiß ließ, ob er schlafe oder in Ohnmacht liege. Da traf das Licht seine Augen, und im Nu war er auf den Beinen, riß den Dolch aus dem Gürtel, zückte ihn und trat ein Paar Schritte vor.

»Hinweg, wenn Euch das Leben lieb ist!« schrie er mit schrecklicher Stimme – »hinweg, hinweg!«

»Dies ist das Wort meines Seligen! Das sind die Gebärden von Mac Tavish Mhor!« rief Elspat. »An dieser Stimme, an dieser Rede, an diesem Schritte erkenne ich den Sohn Mac Tavish Mhors!«

»Mutter,« versetzte Hamish, aus dem durch die Verzweiflung gestählten Tone in den Ton trauriger Wehklage fallend, »Mutter, Mutter! Warum seid Ihr wiedergekehrt?«

»Frage, warum die Hindin zu ihrem Kalbe, warum die Wildkatze zu ihrem Lager und ihren Jungen zurückkehrt,« antwortete Elspat. »Weißt du nicht, Hamish, daß das Herz der Mutter nur im Busen des Kindes lebt?«

»Dann wird es bald aufhören zu schlagen,« sagte Hamish, »es müßte denn in einer Brust wohnen können, die der Nasenhügel deckt. Mutter, Mutter, schilt mich nicht, wenn ich weine; denn nicht um meinetwillen fließen meine Tränen, sondern um Euretwillen, Mutter! Ach, Mutter! Mein Herzeleid ist bald zu Ende, aber Eures, Eures – ach, Mutter! Daß ihm der Himmel doch bald ein Ziel setzen möchte!«

Schaudernd trat Elspat zurück. Aber sogleich gewann sie ihre Ruhe und Unerschrockenheit wieder, und gleich wieder stand sie da, fest und aufrecht.

»Ich war der Meinung, du seiest ein Mann geworden,« sagte sie, »und schon bist du wieder ein Kind. So folge mir doch weg von diesem Orte! Habe ich dir unrecht oder Leids getan? Und wenn dies der Fall ist, dann räche dich nicht so grausam! Sieh, Elspat Mac Tavish, die noch vor keinem gekniet hat, selbst nicht vor dem Priester, wirft sich vor ihrem Sohne nieder und fleht um Verzeihung.«

Und plötzlich warf sie sich vor dem Jüngling auf die Knie nieder, nahm seine Hand und küßte sie und wiederholte mehrmals in herzzerreißendem Tone ihre Bitte.

»Verzeih mir,« rief sie, »verzeih mir um der Asche deines Vaters willen! Verzeih mir um der Schmerzen willen, mit denen ich dich gebar, um der Treue und Liebe willen, mit der ich dich auferzog! O Himmel, vernimm es! Ach, Erde, sieh her! Eine Mutter bittet ihr Kind um Verzeihung, und das Kind verzeiht der Mutter nicht!«

Umsonst bemühte sich Hamish, den Ausbruch ihres Zornes zu hemmen, indem er ihr mit den feierlichsten Worten beteuerte, er habe ihr den Betrug völlig verziehen, den sie ihm gespielt habe.

»Leere Reden,« rief sie, »eitle Zusicherungen, hinter denen du deinen Groll zu verbergen suchst. Sofern ich dir glauben soll, so verlaß noch im Augenblick diese Hütte und flieh aus einer Gegend, deren Gefahr stündlich wächst. Tu das, und ich will dir glauben, daß du mir verziehen hast. Tust du es nicht, so rufe ich wieder Mond und Sterne, Himmel und Erde zu Zeugen an, daß du unerbittlich bist in deinem Groll gegen deine Mutter um einer Handlung willen, die, wenn sie ein Vergehen ist, aus ihrer Liebe zu dir entsprang.«

»Mutter,« erwiderte Hamish, »hierzu kannst du mich nimmer bewegen. Ich fliehe vor keinem Manne. Barcaldine mag jeden Gälen unter seinem Banner senden, und ich bleibe. Und wenn du mich bittest, daß ich fliehe, so magst du eher zu den Bergen dort sprechen, daß sie sich aus ihren Gründen heben. Hätte ich den Weg gewußt, auf dem sie hierher ziehen, so hätte ich ihnen die Mühe des Suchens erspart. Aber ich könnte über das Gebirge wandern, während sie vielleicht vom See herüberkämen. Hier will ich mein Geschick erwarten. Keine Stimme in Schottland ist so gewaltig, daß sie mich bestimmen könnte, von hinnen zu gehen, und daß ich ihr gehorchen sollte.«

»So bleibe auch ich hier«, sprach mit erzwungener Ruhe Elspat und stand auf; »meinen Mann sah ich sterben, also werden auch meiner Augen Lider nicht schmerzen, wenn ich den Sohn fallen sehe. Aber Mac Tavish Mhor starb, wie es sich für einen tapferen Mann geziemt, mit seinem guten Schwert in der Faust. Mein Sohn aber fällt wie der Stier, den die Sachsen, nachdem sie ihn um Geld kauften, zur Schlachtbank führen.«

»Mutter,« versetzte der unglückliche Jüngling, »Ihr nahmt mir das Leben und hattet ein Recht dazu, weil Ihr es mir gabt. Aber meine Ehre, Mutter, tastet nicht an! Von einer Reihe wackerer Ahnen wurde sie auf mich vererbt, und sie soll nicht befleckt werden, weder durch eines Mannes Tat noch durch eines Weibes Reden. Was ich tun soll, weiß ich selbst vielleicht nicht. Aber setzet mich nicht ferner in Versuchung durch Vorwürfe! Ihr habt mir bereits tiefere Wunden geschlagen, als Ihr je würdet heilen können, wenn Heilung noch in Betracht kommen kann.«

»Wohlan denn, mein Sohn«, antwortete Elspat. »Erwarte von mir nicht Klagen und Vorwürfe mehr; erwarte auch nicht länger Vorstellungen von mir! Schweigen wir und warten wir ab, was der Himmel über uns verhängt.«


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