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Ein Kind der Sünde.

Erstes Kapitel.

Gideon Gray führte im Flecken Middlemas in einer Grafschaft des mittleren Schottlands das mühevolle, arbeitsreiche und schlecht lohnende Leben eines schottischen Arztes, ein schlichter derber Mann, abgeneigt jedem Zwang und jeder Förmlichkeit, wie sie in der gebildeten Gesellschaft nun einmal doch im Schwange sind.

Doktor Gray war anspruchslos und hatte sein Auskommen in seiner Praxis, die ihm etwa 200 Pfd. jährlich eintrug. Dafür hatte er im Laufe eines Jahres durchschnittlich 5000 englische Meilen zu Pferde zurückzulegen. So sattsam aber nährte ihn sein Einkommen, daß er sich entschloß, es mit einem Mädchen zu teilen. Er heiratete die rotwangige Tochter eines ehrsamen Pächters, Johanna Watson, die aus einer Familie von zwölf Kindern war und, bei dem kärglichen Einkommen ihres Vaters von 80 Pfd. jährlich an ein bescheidenes Leben gewöhnt, sich nicht gut denken konnte, daß bei zwei Leuten, die das Doppelte zu verzehren hatten, jemals die Armut einkehren könnte. Obwohl nun Gray von der spottlustigen Jugend der alte Doktor genannt wurde, sah das Mädchen ihn doch für eine sehr vorteilhafte Partie an.

Mehrere Jahre hindurch war die Ehe kinderlos, und es hatte auch den Anschein, als ob Doktor Gray, so oft er auch im Dienste der Göttin Lucina tätig gewesen war, in seinem Hause doch niemals die gleiche Tätigkeit entfalten sollte.

Das Schicksal aber wollte es, daß sein Haus unter merkwürdigen, abenteuerlichen Umständen der Schauplatz einer Geburt werden sollte.

Eines Tages kam eine Kutsche mit vier Pferden vor der Haustür vorgefahren. Zwei Personen waren darin. Ein Herr im Reitanzug sprang heraus und eröffnete dem Doktor, daß er eine Dame von hohem Stande bei ihm unterzubringen wünsche, da er den Gasthof zum Schwanen zur Aufnahme einer Frau bei solchem Anlaß nicht für geeignet halte.

Der Doktor gab dem Herrn die Versicherung, daß die Dame in seinem Hause gut aufgehoben sein werde. Der Fremde half dann der Dame zum Wagen heraus und äußerte hohe Zufriedenheit, als er die Dame in einem bequemen Schlafgemach untergebracht und der Obhut des Arztes und seiner Gattin anvertraut sah. Er händigte dem Doktor zwanzig Guineen ein mit dem Ersuchen, er möge keine Kosten scheuen und alles Erforderliche und Wünschenswerte beschaffen. Er erklärte dann, daß er sich in dem Gasthofe einquartieren werde und dort Nachricht über das Befinden der Dame erwarte.

»Sie ist fremd hier und von hohem Stande,« sagte er, »ich bitte daher, es ihr an nichts fehlen zu lassen. Wir wollten bis Edinburgh, aber ein Zufall hat uns genötigt, vom Wege abzubiegen. Noch einmal, spart keine Kosten und behandelt sie recht verständig, daß sie sobald wie möglich weiterreisen kann.«

»Das liegt nicht in meiner Macht,« sagte der Doktor, »bei solchem Anlaß darf nichts übereilt werden, jeder derartige Versuch rächt sich.«

»Die Geschicklichkeit aber vermag viel«, versetzte der Fremde.

Und er reichte dem Arzte eine zweite Börse, die ebenso schwer zu sein schien wie die erste.

»Geschicklichkeit und Kunst,« antwortete der Doktor, »kann wohl belohnt, doch nicht erkauft werden. Ihr habt mir schon genug gezahlt, so daß ich für alles Sorge tragen kann, wessen die Dame nur irgend bedürfen mag. Wollte ich mehr annehmen, so würde ich damit stillschweigend das Versprechen eingehen, etwas zu leisten, was über meine Kräfte geht. Ich werde Eurer Dame jede nur mögliche Sorgfalt angedeihen lassen, und damit ist die Gewähr gegeben, daß sie in Bälde weiterreisen kann. Und nun, Herr, geht nach dem Gasthof, denn vielleicht ist meine Anwesenheit im Augenblick erforderlich, und wir haben bis jetzt weder eine Wärterin für die Frau noch eine Amme für das Kind besorgt. Beides soll jetzt geschehen.«

»Noch eine Frage, Doktor, welche Sprachen sprecht Ihr?«

»Latein und Französisch, wenigstens so, daß ich mich verständlich machen kann, auch Italienisch kann ich ein bißchen lesen.«

»Also nicht Portugiesisch oder Spanisch?« fragte der Fremde. – »Das trifft sich unglücklich. Dann könnt Ihr Euch eben nur auf französisch verständlich machen. Aber kommt jedem Wunsche nach, den sie ausspricht, und wenn Ihr dazu Geld braucht, so wendet Euch an mich.«

»Darf ich fragen, Herr, mit welchem Namen ich die Dame...«

»Das tut gar nichts zur Sache,« fiel ihm der Fremde ins Wort, – »den werdet Ihr bei Gelegenheit erfahren.«

Mit diesen Worten schlug er den weiten Mantel um sich und ging die Straße hinab zum Gasthof.

Als der Doktor zu seiner Schutzbefohlenen zurückkehrte, fand er seine Frau in einer von Überraschung und Furcht gemischten Stimmung.

»Sie kann kein Wort reden wie eine Christin«, sagte Frau Gray.

»Ich weiß es«, antwortete der Arzt.

»Und sie trägt eine schwarze Maske, die will sie durchaus nicht ablegen.«

»So soll sie sie aufbehalten, was schadet das?«

»Was es schadet? Ist denn jemals ein ehrsames Weib entbunden worden mit einer Maske vor dem Gesicht?«

»In der Regel nicht. Aber, liebe Johanna, wenn sie nicht so ganz ehrsam sind, dann müssen sie eben so entbunden werden. Wir dürfen nicht das Leben des armen Wesens gefährden, indem wir uns jetzt ihren Launen widersetzen.«

Er trat an das Bett der kranken Frau und sah, daß sie in der Tat eine dünne seidene Maske vor dem Gesichte trug. Die Frau des Arztes mochte ihr deshalb wohl zugesetzt haben, denn als der Doktor selber zu ihr trat, legte sie die Hand aufs Gesicht, als fürchte sie, daß er sie zwingen könne, sie abzunehmen. Er aber gab ihr in leidlich gutem Französisch zu verstehen, daß hier ihr Wille Gesetz sei, und daß sie die Maske tragen könne, so lange sie sie nicht selber abzulegen wünsche.

Sie verstand, was er zu ihr sagte, denn sie erwiderte in einem unbeholfenen Versuche, die gleiche Sprache zu reden, und drückte ihm ihre Dankbarkeit aus.

Um ein Uhr morgens erschien der Doktor im Gasthofe zum Schwanen und setzte den fremden Herrn in Kenntnis, daß er ihm als dem Vater eines gesunden Knaben Glück wünschen könne und daß es der Mutter soweit gut gehe.

Der Fremde vernahm die Mitteilung mit scheinbarer Zufriedenheit und sagte:

»Der Knabe soll sogleich getauft werden.«

»Das hat doch keine Eile.«

»Wir denken aber anders«, erwiderte der Fremde, indem er dem Arzte kurz das Wort abschnitt. – »Ich bin Katholik, Doktor, und da ich wahrscheinlich diese Stadt werde verlassen müssen, noch bevor die Dame imstande sein wird, die Reise fortzusetzen, so soll das Kind vorher in den Schoß der Kirche aufgenommen sein. Wie ich höre, ist ein katholischer Prediger am Orte.«

»Es wohnt hier allerdings ein katholischer Herr namens Goodriche.«

»Ich werde morgen mit ihm zu Euch kommen«, sagte der Fremde.

Am folgenden Tage erschien er im Hause des Arztes mit dem genannten Herrn und noch zwei andern. Sie schlossen sich mit dem Kinde ein, und es wurde nun wahrscheinlich die Tauffeierlichkeit an dem kleinen Wesen vollzogen.

Als der Priester und die Zeugen gegangen waren, teilte der Fremde dem Doktor mit, daß er jetzt abreisen müsse, er werde in zehn Tagen wiederkommen und hoffe, daß dann seine Gefährtin reisefähig sei.

»Mit welchem Namen sollen wir Kind und Mutter nennen?«

»Das Kind heißt Richard.«

»Es muß aber auch einen Familiennamen haben und die Dame auch, ohne Namen kann sie in meinem Hause nicht bleiben.«

»So gebt ihr den Namen Eures Städtchens – Middlemas, nicht wahr?« sagte der Fremde. – »Wohlan denn, sie soll Frau Middlemas heißen und der Junge Richard Middlemas, und ich selber bin Matthias Middlemas, zu Diensten.«

Darauf legte er dem Doktor 100 Pfd. in die Hand.

»Die Frau wird sich hiervon alles, was sie haben will, kaufen können«, setzte er hinzu. Gray trug Bedenken, die Summe anzunehmen.

»Ich glaube,« sagte er, »die Dame kann ihre Börse selber verwahren.«

»Beileibe nicht!« versetzte der Fremde. »Wenn sie zum Beispiel hier die Papiernote einwechseln sollte, so wüßte sie nicht, wie viel Guineen sie dafür zu bekommen hat. Nein, Herr Gray, sie ist in weltlichen Dingen völlig unerfahren. Ihr müßt einstweilen ihr Vermögensverwalter sein.«

Zur Verwunderung des Doktors sagte der Fremde dies in stolzem, hochfahrendem Tone, wie einer, der an Widerspruch nicht gewöhnt war. Dies bestärkte den Arzt in seinem Verdacht, daß er es hier mit einer Entführung oder mit einer heimlichen Ehe zwischen Personen höchsten Ranges zu tun habe. Das ganze Wesen der Dame wie des Herrn bestätigte diese Vermutung.

Zudringlichkeit oder Neugierde war nicht Grays Art. Es konnte ihm aber nicht verborgen bleiben, daß die Dame keinen Ehering trug. Da sie tiefbetrübt war und in beständiger Angst schwebte, so kam er auf den Gedanken, sie sei ein unglückliches Mädchen, das sich den Schutz der Eltern verscherzt und auf den Schutz eines Gatten noch keinen rechtmäßigen Anspruch habe.

Er war daher in lebhafter Besorgnis, als der sogenannte Herr Middlemas nach einer langwierigen Unterredung mit der Dame sich von ihm verabschiedete. Allerdings versicherte er abermals, daß er in zehn Tagen wiederkommen werde.

Kurz nach der Abreise des Herrn Middlemas besuchte der Arzt seine Patientin. Er fand sie in heftigster Aufregung. Gray war erfahren genug, das sicherste Mittel zur Beruhigung sofort anzuwenden. Er ließ ihr das Kind bringen. Sie weinte lange, aber unter der Einwirkung der mütterlichen Gefühle legte sich ihre Erregung. Sie erschien noch so blutjung, daß man mit Gewißheit annehmen konnte, sie habe das Gefühl, Mutter geworden zu sein, zum erstenmal kennen gelernt.

Der Arzt erkannte nach diesem heftigen Anfall sogleich, daß alles Sinnen und Denken der Kranken sich auf die Zeit konzentrierte, zu welcher die Rückkehr ihres Gatten – sofern es ihr Gatte war – erwartet werden konnte.

Aber dieser Zeitraum ging vorüber, und der Mann blieb fern. Die vereitelte Hoffnung versetzte die Wöchnerin in heftige Unruhe und in eine halb ärgerliche, halb von Zweifel und Angst erfüllte Stimmung.

Als einige Tage verstrichen waren, ohne daß eine Nachricht oder ein Brief von dem Manne eingetroffen wäre, wurde Gray selber um seinet- wie um der Dame willen besorgt, und fürchtete nun alles Ernstes, der Fremde habe in der Tat die Absicht gehabt, das schutzlose und wahrscheinlich schwer hintergangene Weib zu verlassen. Er wollte sie selber sprechen und von ihr zu erfahren suchen, nach welcher Richtung man am besten Erkundigungen einziehen könne, oder ob sich sonst irgend etwas tun lasse. Aber entweder verstand die Unglückliche nur unvollkommen die französische Sprache oder sie war entschlossen, über ihre Lage nicht das mindeste zu verraten, so daß jeder derartige Versuch erfolglos blieb.


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