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Viertes Kapitel.

Solche Empfindungen beseelten den jungen Mann, als eines Tages der Doktor nach Tisch die große lederne Brieftasche hervorholte, in welcher er seine wichtigen Dokumente aufbewahrte. Er nahm das Schreiben Moncadas heraus und bat Richard, ihm aufmerksam zuzuhören, denn er habe ihm betreffs seiner eigenen Person mehreres mitzuteilen, was von größter Bedeutung für ihn sei.

Richards Augen funkelten, endlich war die Stunde der Erklärung gekommen. Auf seiner breiten, gut geformten Stirn füllten die Adern sich mit Blut – er horchte hoch auf, als Gideon Gray ihm alles erzählte, wobei freilich das phantastische Beiwerk gänzlich fehlte, mit dem die Amme die Vorgänge ausgeschmückt hatte.

Der Bericht war ferner seinem Inhalt nach auf das, was die Geschäftsmänner das Wesentlichste nennen, zusammengedrängt und enthielt somit nichts weiter als die Geschichte eines Kindes der Schande eines von Vater und Mutter verlassenen Kindes, das von den nur widerwillig gegebenen Almosen eines entfernten Verwandten aufgezogen worden war – eines Großvaters, der das Kind als den leibhaftigen Beweis für die Schande seiner Familie ansah und weit lieber die Kosten seiner Beerdigung als die seiner Erziehung getragen hätte.

Alle Tempel und Burgen und lieblichen Luftschlösser, die Richard in kindlicher Einbildungskraft gebaut hatte, fielen jäh in sich zusammen, und der Schmerz, sie einstürzen zu sehen, war um so bitterer, als noch die Scham hinzukam, sich solchen Träumereien hingegeben zu haben.

Während Gideon weitererzählte, stand er wie zu Boden geschmettert, die Augen hafteten auf der Erde, auf der Stirn waren im Kampfe der Leidenschaften die Adern geschwollen.

»Und nun, lieber Richard,« sagte der Arzt, »mußt du dir überlegen, was du tun willst, da dir dein Großvater die Wahl zwischen drei ehrenwerten Berufen freistellt. In jedem kannst du, wenn du die eingeschlagene Bahn rechtschaffen und vernünftig verfolgst, ein unabhängiger, allerdings kein reicher, ein achtbarer, wenn auch kein vornehmer Mann werden. Nun wirst du natürlich eine kurze Bedenkzeit haben wollen.«

Der junge Mann hob den Kopf und heftete einen kühnen Blick auf seinen Pflegevater.

»Nicht eine Minute!« rief er im Tone beleidigten Stolzes. »Sagt meinem Großvater, meine Seele empört sich über die niedrige Stellung, die er mir zumutet. Ich bin entschlossen, die Laufbahn meines Vaters einzuschlagen und in die Armee zu treten, sofern mein Großvater mich nicht zu sich nehmen und in sein Geschäft aufnehmen will.«

»Er soll dich zum Teilhaber machen und als Erben anerkennen, nicht wahr? Darauf ist ja freilich nicht zu rechnen, wenn man bedenkt, in welcher Weise er dich hat erziehen lassen und welche Bedingungen er betreffs deiner Person gestellt hat.«

»Auf jeden Fall, Herr,« antwortete der Knabe, »darf ich ein Verlangen aussprechen. Eine große mir gehörige Geldsumme ist in Euern Händen, sie ist Euch überwiesen worden, um für mich verwendet zu werden, und ich verlange, daß Ihr mir die Vorschüsse gewährt, deren ich bedarf, um eine Offiziersstelle zu erhalten. Den Rest händigt mir gefälligst aus, und ich will Euch dann nicht länger behelligen.«

»Junger Mann,« versetzte der Doktor mit Ernst, »es tut mir recht leid, daß deine Klugheit und deine gute Stimmung gleich Schiffbruch gelitten haben, weil die törichten Erwartungen, die zu hegen du nicht die mindeste Veranlassung hattest, vereitelt worden sind. Ich habe allerdings eine für dich bestimmte Summe in Händen, die sich trotz mehrerer Ausgaben noch immer auf 1000 Pfd., vielleicht auf etwas mehr belaufen mag. Ich habe aber die Verpflichtung, sie nur in der Weise anzuwenden, die der Geber festgesetzt hat, und vor allem hast du selber nicht eher Anspruch darauf, als bis du großjährig geworden bist, und das hat noch sechs Jahre Zeit. – Aber sei gut, Richard, es ist das erste Mal, daß ich dich in so alberner Laune sehe, ich gebe allerdings zu, daß bei deiner Lage so mancherlei vorliegt, was eine noch größere Verstimmung deinerseits entschuldigen möchte. Aber du solltest doch deinen Ärger nicht an mir auslassen, denn ich habe keine Schuld an deinem Unglück. Du solltest vielmehr bedenken, daß ich dein erster und einziger Freund war und lange Zeit hindurch allein die Sorge für dich auf mich genommen habe, wo alle Welt dich aufgegeben hatte.«

»Das danke ich Euch nicht,« versetzte Richard in ungezügeltem Ausbruch wilder Leidenschaft, »Ihr hättet mich weit besser versorgen können, wenn Ihr nur gewollt hättet.«

»Und wie denn, undankbarer Bursch?« rief Gray, der die Geduld verlor.

»Unter die Räder des Wagens hättet Ihr mich werfen sollen, als die Leute wegfuhren, daß der Leib ihres Kindes zermalmt worden wäre!«

Mit diesen Worten stürzte er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Sein Pflegevater blieb zurück in tiefster Verwunderung über die so plötzliche und eingreifende Veränderung, die in dem ganzen Wesen des Knaben vor sich gegangen zu sein schien.

Richard Middlemas ging unverzüglich zum alten Stadtsekretär Lawford. Er begann die Unterredung hier, indem er den Vorschlag darlegte, der ihm über die Wahl eines Berufes gemacht worden war. Er berührte dann die geheimnisvollen Umstände seiner Geburt und seine unsichern Aussichten und brachte auf diese Weise den Sekretär leicht dahin, ihm genaue Auskunft über den Geldbetrag zu geben, den sein Pflegevater noch in Händen hatte – welche Angabe mit der des Doktors völlig übereinstimmte.

Alsdann fragte er den Sekretär, ob es anginge, daß er Offizier würde, erhielt aber auch in diesem Punkte einen abschlägigen Bescheid, der sich mit der Ausführung des Doktors deckte. Er erfuhr, daß kein Teil des Geldbetrages ihm vor der Großjährigkeit zur Verfügung gestellt werden dürfe ohne die ausdrückliche Einwilligung seiner beiden Vormünder und vor allem seines Pflegevaters.

Er verabschiedete sich daher von dem Sekretär, der sich sehr lobend über die Vorsicht und Klugheit aussprach, daß der Knabe vor einem so wichtigen Schritte seines Lebens sich an einen umsichtigen und einschlägigen Ratgeber gewandt habe, und gab ihm zu verstehen, daß er ihn gern gegen ein geringes Lehrgeld als Schreiber aufnehmen wolle, sofern er zur Rechtslaufbahn Neigung habe.

Middlemas dankte ihm für seine Güte und versprach, sein freundliches Anerbieten in Erwägung zu ziehen, falls er sich für diesen Beruf entscheiden sollte.

Am kommenden Morgen stand Richard Middlemas mit der Sonne auf. Die nächtliche Ruhe schien seine Leidenschaft gedämpft und seinen Verstand wieder ins rechte Geleise gebracht zu haben.

Er ging zu Herrn Gray, der in der Tat noch willens war, Richard mit kalter Zurückhaltung zu behandeln, aber er fühlte sich sofort entwaffnet durch das freimütige Geständnis des jungen Mannes, daß er sich durch das Trugbild seiner Phantasie, einstmals zum Range und der Stellung seiner Eltern emporsteigen zu können, habe hinreißen lassen. Der Brief seines Großvaters, durch den er für die Zeit seines Lebens verurteilt werde, fern zu bleiben und in niedriger Stellung, sei freilich ein schwerer Schlag. Es erfülle ihn jetzt mit tiefem Kummer, daß die Verzweiflung über getäuschte Hoffnungen ihn veranlaßt habe, sich in einer Weise auszudrücken, die die schuldige Achtung und Ehrerbietung eines Pflegekindes gröblich verletzt habe. Er fühle sich Herrn Gray gegenüber zu der Liebe und dem Gehorsam eines Sohnes verpflichtet und wolle jede Entscheidung über seine Zukunft ihm anheimstellen.

Gerührt über ein so aufrichtiges und demütiges Eingeständnis, vergaß der Doktor seinen Zorn und fragte in gütigem Tone, ob Richard sich die Wahl eines Berufes überlegt habe. Zugleich erklärte er sich bereit, ihm die zur Entschließung erforderliche Frist zu lassen.

Da der junge Mann erklärte, es sei sein fester, unabänderlicher Entschluß, bei seinem Pflegevater Medizin zu studieren und in seiner Familie zu bleiben, so setzte der Arzt Herrn von Moncada hiervon in Kenntnis und erhielt daraufhin sofort den Betrag von hundert Pfund als Lehrgeld, zum Zeichen, daß der Großvater mit dieser Wendung der Angelegenheit voll einverstanden sei.


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