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Drittes Kapitel

Die Jahre schwanden, und Hamish Bean wuchs zum Jüngling heran. Zwar erlangte er nicht die gewaltige Stärke des Vaters, aber es fehlte dem schönhaarigen Burschen mit den roten Wangen und dem scharfen Adlerauge nicht an Mut und Lebenslust, nicht an Gewandtheit und Frische. Indem sie dem Sohne Leben und Taten des kühnen Vaters fleißig und ausführlich erzählte, suchte die Mutter sein Gemüt für das gleiche Abenteurerleben zu bilden.

Aber die Jungen haben für die Wandlung der Welt und die Forderungen neuen Zeitalters ein schärferes Auge als die Alten, und so groß auch die Liebe war, die Hamish Bean für seine Mutter im Herzen trug, so eifrig er, besorgt war, was in seiner Macht stand, zu ihrer Unterstützung zu tun, so entging ihm doch nicht, als er in die Welt trat, daß das vom Vater betriebene Freibeutergewerbe jetzt nicht bloß höchst gefahrvoll war, sondern als schimpflich und unehrlich galt, und daß sich des Vaters Tapferkeit, wenn er ihr nacheifern wollte, bloß auf anderem Gebiete, das mit der Ansicht der Gegenwart in besserem Einklang stehe, nacheifern lasse.

Je weiter sich die Gaben seines Geistes und seine leiblichen Fähigkeiten ausbildeten, desto besser erkannte er die Ungewißheit seiner Lage und den Irrtum, in welchem die Mutter zufolge ihrer Unbekanntschaft mit den Wandlungen von Zeit und Menschen befangen war. Durch den Umgang mit Bekannten, Freunden und Nachbarn wurde ihm die ärmliche Vermögenslage der Mutter, das geringe Einkommen, auf das sie angewiesen war, das kaum die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse deckte, offenbar. Wenn es ihm auch hin und wieder gelang, durch Jagd und Fischfang ihre kärgliche Nahrung zu mehren, so verhehlte er sich doch nicht, daß es ihm nicht möglich sei, ihr eine regelmäßige Beihilfe zu schaffen, sofern er sich nicht entschloß, bei fremden, Leuten in Dienst zu gehen, daß aber ein solcher Schritt die Mutter in ihrem Stolz auf das tödlichste verletzen würde.

Mittlerweile machte Elspat mit Erstaunen die Wahrnehmung, daß Hamish Bean, obgleich er nun erwachsen war und die Fähigkeiten zu Kampf und Krieg besaß, keine Anstalten machte, die Lebensweise des Vaters zu beginnen. Ihr Mutterherz sträubte sich aber dagegen, ihm die klare, bestimmte Aufforderung hierzu zu stellen; denn sie gedachte sehr wohl auch der Gefahren mit Kummer und Sorge, die der Freischärlerberuf für den Sohn im Gefolge haben müsse. War sie einmal Willens, mit ihrem Hamish über diese Sache zu sprechen, dann kam es ihr bei dem erhitzten Zustande ihrer Phantasie vor, als richte sich der Geist ihres Mannes in seinen blutgetränkten Kleidern vor ihr auf, mit dem Finger auf den Lippen, zum Zeichen, daß sie dem Sohne gegenüber schweigen solle. Mit Verwunderung über, wie es ihr zu sein vorkam, solchen Mangel an Mut seufzte sie; der Gedanke, ihren Sohn in der Uniform zu sehen, die von dem Militär unten im Tale getragen wurde, in dem langschößigen Kittel mit blanken Knöpfen, war ihr ein Greuel, umsomehr, als ihn das englische Parlament dem Galen an Stelle der romantischen Tracht aufgedrungen hatte, die ihm von den Vätern seit Jahrhunderten überkommen war. Wie so ganz anders hätte ihr schöner Sohn sich ausnehmen müssen in dem durch den Gürtel zusammengehaltenen Rock und Schürz mit den blanken Waffen an der Hüfte!

Auch noch andere Dinge waren es, die schwer auf Elspat lasteten und deren Last mit der Düsterheit wuchs, die sich ihres Gemüts bemächtigte. Ihr Verhältnis zu Mac Tavish Mhor, ihrem Manne, war bei aller Liebe, die sie für denselben empfunden hatte, doch immer mehr das einer Sklavin gewesen als das einer Gattin, denn der Freibeuter war keiner von denen, die dem Weibe das Regiment überlassen. Er hatte sie immer in Respekt, wenn nicht gar Furcht zu halten verstanden.

Anders das Verhältnis zu ihrem Sohne. Während seiner Kindheit und während der Knabenjahre war sie strenge Herrin über ihn gewesen, hatte mit Eifersucht, einer nicht zum geringeren Teile aus ihrer Mutterliebe entsprungenen Eigenschaft ihres Herzens, über ihn gewacht. Es war ihr unerträglich, daß ihr Sohn mit zunehmendem Alter die Neigung verriet, sich unabhängig von ihr seinen Weg im Leben zu bahnen, daß er sich selbständig von der Hütte entfernte und nach Belieben wegblieb, daß sich Gedanken in ihm regten, die Verantwortlichkeit für seine Handlungsweise falle allein ihm zu und deshalb müsse er auch Herr seiner Handlungen sein. Daß er sich neben alledem bemühte, ihr gegenüber alle Liebe und allen Respekt zu bewahren, änderte wenig an dem Eindruck, den die Mutter bekam, trug vielleicht sogar mehr dazu bei, ihn zu verschärfen als abzuschwächen.

Wäre die Mutter imstande gewesen, ihre Empfindungen im Schein ihres Herzens zu verschließen, so wäre dies alles Wohl nur von geringer Bedeutung geblieben. Aber die Zügellosigkeit ihres Wesens, die Ungeduld, die sie beherrschte, die Stärke ihrer Leidenschaften führten häufig zu Auseinandersetzungen, bei denen dann schlimme Worte aus ihrem Munde über Vernachlässigung und Zurücksetzung fielen.

Blieb der Sohn auf längere Zeit von der Hütte fern, ohne daß er sie von dem Zweck seiner Abwesenheit unterrichtet hatte, dann war sie so zornig, schlug aller Vernunft durch ihr Verhalten so direkt ins Gesicht, daß es gar nicht zu verwundern war, wenn ein junger Mensch wie ihr Sohn, den der Drang erfüllte, sein eigener Herr zu sein, auf den Gedanken kam, der Hütte den Rücken zu wenden, in der die Mutter hauste, und sich in eine bessere Lage zu setzen. Daß hierbei der Gedanke mit unterlief, auf solche Weise obendrein besser für die Mutter sorgen zu können, als zurzeit in solch abhängigem Verhältnisse, das ihm nach allen Seiten hin die Hände band, das nicht bloß ihn, sondern auch die Mutter zum Darben zwang, wird man gelten lassen dürfen.

Es war ein Tag gekommen, an welchem Hamish nach mehrtägiger Abwesenheit den Fuß wieder in die Hütte gesetzt hatte. Die Mutter war zorniger gewesen als sonst; Sie hielt sich für gekränkt, für herzlos behandelt, für beschimpft, und setzte den Sohn in eine Stimmung, die ihm die Zügel über sich entwand. Der Ärger, den er fühlte, trieb ihm die Röte auf Stirn und Wangen. Es ging zu Ende mit seiner Geduld, als die Mutter in ihrem unvernünftigen Zorn beharrte. Er nahm die Büchse aus der Kaminecke, sprach aus Rücksicht auf die Achtung vor der Mutter leise vor sich hin, schien ein paar Worte laut sagen zu wollen, unterdrückte aber die aufsteigende Luft dazu und schickte sich an, die Hütte, in die er eben den Fuß gesetzt hatte, wieder zu verlassen.

Da trat die Mutter vor ihn hin.

»Hamish,« fragte sie strengen Tones, »willst du mich wiederum allein lassen?«

Hamish gab keine Erwiderung, sondern blickte auf das Gewehr und putzte an dessen Schlosse herum.

»Nun ja, putze nur deine Flinte!« fuhr die Mutter mit Bitterkeit fort, »mich freut's ja schon, daß du Mut genug hast, sie abzufeuern, wenn auch bloß auf einen Bock!«

Hamish zuckte bei diesem Vorwurf, den er nicht zu verdienen meinte, zusammen und warf der Mutter als Erwiderung einen zornigen Blick zu, durch den sie inne wurde, ein Mittel gefunden zu haben, das ihm Verdruß und Schmerz bereite.

»Ja doch, ja doch!« sagte die Mutter; »blicke nur trotzig! So trotzig wie du willst auf ein altes Weib und deine Mutter! Bis sich deine Stirn in Falten legt vor dem zornigen Gesicht eines bärtigen Mannes, wird wohl noch manche Zeit vergehen!«

»Schweig, Mutter!« erwiderte Hamish gereizt, »oder sprich von Dingen, für die es dir an Verständnis nicht fehlt! Sprich vom Rocken und von der Spindel!«

»Habe ich an Rocken und Spindel gedacht, Hamish,« fragte die Mutter, »als ich dich als greinendes Kind auf dem Rücken trug durch das Gewehrfeuer von einem halben Dutzend sächsischer Soldaten? Ich sage dir, Hamish, von Büchse und Säbel verstehe ich tausendmal mehr, als du je lernen wirst! Du wirst vom edlen Kriegshandwerk durch dich selber nie so viel lernen, wie du gesehen hast, als ich dich noch in meinen Mantel gewickelt trug.«

»Wenigstens ist dein fester Wille, Mutter, mir keine Ruhe daheim zu gönnen! Aber das muß einmal sein Ende haben!« sagte Hamish drauf und ging, willens die Hütte zu verlassen, auf die Tür zu.

»Bleib, Hamish!« rief da die Mutter, »ich befehle es dir! Oder die Flinte, die du trägst, mag dir den Tod geben! Der Weg, den du gehen willst, mag der Weg deines Leichenzuges sein!«

»Mutter!« rief der Jüngling, sich umdrehend, »was sollen solche Worte? Sie taugen nichts, denn sie sind nicht gut und können keine guten Folgen haben! – Leb wohl, Mutter! Du bist jetzt zu zornig, daß ich mit dir sprechen könnte. Leb wohl! Es wird geraume Zeit vergehen, bis du mich wiedersiehst!«

Er ging. Die Mutter sandte ihm, im ersten Ausbruch des Zorns, Flüche hinterher. Dann rief sie die Flüche zurück auf das eigene Haupt, damit sie das des Sohnes schonen möchten.

Maßlose, ungezügelte Leidenschaft tobte an diesem Tage und an den nächsten Tagen in Elspats Herzen. Bald rief sie den Himmel, bald die Geister an, die in den Sagen und Mären, die ihr bekannt waren, eine Rolle spielten, ihr den geliebten Sohn, »das Kalb ihres Herzens«, zurückzugeben. Bald sann sie, von wildem Zorn befallen, über bittere Worte nach, mit denen sie ihn schmähen wollte, den ungehorsamen Sohn, wenn er den Weg zur Hütte zurückfände. Bald sann sie über Worte der Liebe und Zärtlichkeit, durch die sie ihn an ihre Hütte fesseln könne, die sie mit keinem Gemach im Schlüsse von Tahmouth tauschen mochte, wenn sie den Sohn bei sich wußte.


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