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Fünftes Kapitel.

Elspat blickte lange auf das Geld, als hätte sie aus der Prägung, die es zeigte, erraten können, auf welche Weise ihr Sohn in seinen Besitz gekommen sei.

»Dem Mac Phadraick war ich nie grün,« sprach sie bei sich, »denn von seinem Geschlecht sang der Barde: »Sei furchtlos vor ihnen, wenn ihre Worte laut sind wie das Brausen des Sturmes im Winter, aber tönen ihre Worte wie Drosselsang, dann fürchte sie!« Das Rätsel selbst aber kann ich bloß lösen auf eine Weise: mein Sohn hat zum Schwert gegriffen, um mit Manneskraft das zu gewinnen, was ihm grobe Bauern durch Worte, die bloß Kinder schrecken können, vorenthalten möchten.«

Diese Meinung schien um so verständiger, als Mac Phadraick ihr als vorsichtiger Mann bekannt war, der ihrem verstorbenen Manne wohl öfter insofern Unterstützung gewährt hatte, als er ihm hin und wieder Vieh abkaufte, trotzdem er recht gut wußte, wie es derselbe an sich zu bringen pflegte, der aber immer dafür Sorge getragen hatte, daß der Handel ihm guten Gewinn abwarf, ihn aber niemals in irgendwelche Fährlichkeit Recht und Gesetz gegenüber bringen konnte. Wer konnte einem jungen Freibeuter so gut wie Mac Phadraick die Täler weisen, wo sich solch gefahrvolles Gewerbe noch mit Aussicht auf Erfolg treiben lasse? Wer war imstande, wie Mac Phadraick, Beute so leicht und schnell in klingende Münze umzusetzen?

Empfindungen, die sich bei anderen regen würden darüber, daß der einzige Sohn die gleiche Bahn betreten habe, auf der der Vater gewaltsamen Tod gefunden, waren den Müttern im Hochlande zu jener Zeit unbekannt. In Elspats Augen war Mac Tavish Mhor keinen anderen Tod als den eines Helden im Kriege gestorben, und solcher Tod durfte nicht ungesühnt, nicht ungerochen bleiben; Elspat fürchtete weniger den Tod, als die Unehre ihres Sohnes; Elspat fühlte Grauen davor, daß ihr Sohn sich vor Fremden beuge und in den seelischen Todesschlaf der Sklaverei sinke.

Die sittliche Lehre, die demjenigen so natürlich und richtig erscheint, der unter dem Regiment von Recht und Gesetz erzogen wird, das Besitztum des Schwächeren gegen die Übergriffe des Stärkeren zu schützen, war für Elspat Mac Tavish ein Buch mit sieben Siegeln. Von Jugend auf hatte sie gelernt, die »Sachsen«, die fremden Eindringlinge, die von Dänemarks Küste herüber unter Hengist und Horsa das Land ihrer Väter an sich gerissen hatten, als einen Stamm zu betrachten, mit welchem das edle Volk der Galen in Blutfehde lag. Jede Niederlassung eines Sachsen in dem zu den Hochlanden rechnenden Gebiete galt ihr als vogelfrei für jeden Galen, als ein Gegenstand, würdig seines Angriffs und Überfalls, wie seines Raubes.

Das Rachegefühl, wachgerufen durch ihres Mannes Totschlag, war nicht das einzige, was sie bei solcher Ansicht leitete; nicht minder entscheidend wirkte hierbei der allgemeine Unwille, der in den Hochlanden, und nicht ungerechterweise, über das gewalttätige häufig barbarische Benehmen der »Sachsen« nach ihrem Siege in der Schlacht von Culloden In dieser Schlacht wurde bei letzte Stuart, Karl Eduard, endgültig besiegt und mußte, alles Besitzes beraubt, landflüchtig werden. allenthalben herrschte. Mancher hochländische Clan teilte Elspat Mac Tavishs Meinung und Gesinnung und hatte der alten Feindschaft und Fehde mit Freuden zum Austrage verholfen, wären die Knebel, die das Land schnürten und zur Ohnmacht verdammten, von den Gegnern nicht täglich und stündlich fester angezogen worden.

Aber was anderen im Lande die Klugheit gebot, war dem in Einsamkeit lebenden Weibe, dessen Vorstellungen lediglich in der Zeit ihrer Jugend fußten, unbekannt. Elspat sah immer die Tage noch vor sich, in welchen sich der Gönner und heimlichen Freunde im Übermaß für einen Mann wie Mac Tavish Mhor gefunden hatten, der die Verwegenheit besaß, den Kampf als einzelner gegen tausende zu führen, der seinen Stolz darin suchte, altem Brauche zu seinem Rechte zu verhelfen ohne Rücksicht auf alles, dem Lande von feindlichen Bedrückern im Zwangswege auferlegte Gesetz.

Kein Wunder, daß Elspat Mac Tavish meinte, ihr Sohn brauche bloß das Erbe des Vaters anzutreten, brauche sich bloß in Abenteuer und Unternehmungen gegen die feindlichen Bedrücker zu stürzen, um einer Schar von Männern sicher zu sein, kühn und tapfer gleich jenen, die dem Banner des Vaters gefolgt waren. Kein Wunder, daß sie in Hamish den Adler sah, der bloß in die Lüfte zu steigen brauche, um aus unerreichbarer Höhe auf Beute niederzuschießen. Kein Wunder, daß sie kein Auge hatte für die vielen Augen, die seinen Flug überwachten, kein Wunder, daß sie der vielen Kugeln nicht achtete, die sich auf seine Brust als willkommenes Ziel richten würden!

Kurz: Elspat Mac Tavish sah Zeit und Menschen noch mit den Augen eines verwichenen Zeitalters, mit den Augen von Menschen aus solch verwichenem Zeitalter an. Seit ihr Mann den Tod gefunden hatte, war ihr Leben in Armut und Elend verflossen. Auf ihrem Sohne ruhte ihre Hoffnung und fußte ihr Glaube, daß sie schon lange im Kalten Grabe ruhen würde, daß die Totenklage des Stammes der Mac Tavish, nach altem Brauche, um ihren Heimtritt längst verhallt sein würde, wenn ihrem Havish der Tod winken, wenn er mit der Faust im Knauf seines vom Blute der Feinde geröteten Schwertes fallen und das Erdreich küssen würde. War doch des Vaters Haar schon grau gewesen, als er nach hundertfältiger Gefahr mit den Waffen in der Faust den Tod gefunden hatte!

Daß Elspat Mac Tavish solchem Tode ihres Einzigen mit solcher Ruhe ins Auge sah, war eine natürliche Folge damaliger Sitte. Es entsprach ihrer stolzen Sinnesart besser, ihn auf offenem Felde, im Kampf mit dem Feinde fallen zu sehen, als Zeugin seines langsamen Hinsiechens in rauchiger Hütte oder, einem alten Jagdhunde oder kranken Stiere gleich, auf verfaultem Stroh zu sein. Aber diese Stunde war ihrem Hamish, ihrem Einzigen, noch fern! Sie schlug ihm erst, gleichwie sie dem Vater erst geschlagen hatte, wenn er hundertfältige Gefahr überstanden hatte, wenn er in hunderten von Kämpfen Sieger gewesen war, wenn er hundertfältige Beute eingeheimst hatte. In dieser Zuversicht konnte Elspat Mac Tavish nicht irren! Und wenn er dereinst im Kampfe fallen, wenn blutiger Tod ihm winken würde, dann läge sie, seine Mutter, die Frau von Mac Tavish Mhor, dem ritterlichen Freibeuter der Hochlande, schon längst in der kalten Erde, und weder seinen Todeskampf würde sie sehen, noch über seinem Grabe trauern können.

Während solche Gedanken den Weg durch ihren Sinn nahmen, stieg der Mut der Greisin auf seinen früheren, oder vielmehr auf einen wesentlich höheren Standpunkt. Nach den kräftigen Worten der Bibel, die nur wenig verschieden sind von der Ausdrucksweise der Gälischen, stand sie auf, wusch sich und wechselte die Kleider, aß ihr Brot und fand ihre Kraft und Stärke wieder.

Mit Zweifel und Sorge harrte sie nun der Wiederkehr ihres Einzigen. Daß gar viel dazu gehöre, um in Zeiten, wie den damaligen, zu einem Anführer von Ruf und Ansehen sich zu erheben, sagte sie sich gar wohl. Sie erwartete aber, ihn nicht anders wiederzusehen, als an der Spitze einer kühnen Schar mit schallenden Sackpfeifen und fliegenden Bannern, die ohne Scheu vor den strengen Strafen, die auf dem Tragen der altberühmten Nationaltracht und des sonstigen Zubehörs hochländischer Ritterschaft standen, die edlen Hochlandsmäntel frei im Winde flattern ließ. Und daß dies also geschähe und nicht anders, dazu waren für die erhitzte Phantasie der Greisin bloß wenige Tage vonnöten, und schon übermorgen, schon morgen konnte der Fall eintreten.

Von dem Augenblick an, da dieser Glaube in ihrem Gemüt zur festen Überzeugung wurde, befaßte sie sich mit dem Gedanken, ihre Hütte zum Empfang des Sohnes an der Spitze seiner Anhänger auszuschmücken, wie es dereinst Brauch bei ihr war, wenn der Gatte heimkehrte.

Mittel zum Unterhalt zu beschaffen, war sie freilich nicht imstande, doch hielt sie dies für nicht erheblich, denn sie meinte, die Raubritter würden Kühe und Schafe mit heimbringen. Aber das Innere ihrer Wohnung war zum Empfange bereit, und das heimische Biskebah war in großer Menge gebraut und abgezogen wurden. Die Art, wie sie ihre Hütte ausgeschmückt hatte, deutete auf einen Freudentag. Mit allerhand Zweigen war sie geputzt, gleich dem Hause einer Israelitin, wenn das Laubhüttenfest naht. Was ihre kleine Herde an Milch gab, war nach allen Weisen, die sie kannte, zubereitet und in so reicher Menge, daß ihr Sohn mit den zahlreichen Gefährten, die sie erwartete, nicht Mangel leiden würde.

Der Hauptzierat für ihre Hütte, den sie mit vieler Mühe suchte, denn er wuchs nur auf hohen Bergen und auch hier in nicht großer Menge, war die Zwergmaulbeere, die von ihrem verstorbenen Manne, vielleicht auch schon einem seiner Vorfahren, zum Sinnbild für seinen Stamm erwählt worden war, weil sie durch ihr spärliches Vorkommen, die geringfügige Ausdehnung und durch den Ort, wo sie wuchs, die hochfahrenden Pläne desselben anzudeuten schien.

Solange diese Zurüstungen die Frau in Anspruch nahmen, war sie in einem Zustande von Unruhe und Freude zugleich. Nur eins machte ihr Sorge, daß sie nicht rechtzeitig mit allem fertig werden möchte, daß ihr Hamish früher kommen könne, als sie die letzte Hand an alles gelegt habe.

Endlich aber war es so weit, daß sie außer ihren Ziegen nichts mehr zu besorgen hatte. Nun musterte sie noch einmal all die Anstalten, die sie getroffen hatte, ersetzte die welken Zweige durch frische, setzte sich dann auf ihr Plätzchen vor der Tür der Hütte und hielt nun die Straße im Auge, die sich auf der einen Seite vom Ufer des Awe heraufzog und auf der anderen am Gebirge hinlief. Nun gedachte sie der Vergangenheit und malte sich nach den Bildern, die ihr Auge dort traf, die Zukunft: und in den Nebeldünsten am Morgen wie in den Trugschatten des Abends tauchten die wilden Gestalten eines Trupps kühner finsterer Krieger im schottischen Tartan, »Sidier-Dhu« genannt, zum Unterschiede von den englischen Rotröcken, in langen Zügen vor ihr auf.

über solchem Sinnen und Schauen verbrachte sie morgens und abends stundenlang.


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