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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Eine Stunde später stürzte Muschal aufgeregt nach kurzem Anklopfen in das Hotelzimmer von Dr. Lutz.

Lutz lag noch im Bett.

»Nanu, Muschal!« sagte er, und richtete sich auf den rechten Ellbogen auf.

»Böse Nachrichten, Herr Doktor! Deshalb entschuldigen Sie mein Eindringen. Hermann ist tot!«

Die Mitteilung trieb Lutz in die Höhe; mit gleichen Füßen sprang er aus dem Bett.

»Soeben telephoniert die Gefängnisdirektion,« fuhr Muschal fort. »Hermann hat sich heute früh, sofort nach dem Verhör die Pulsadern durchschnitten. Er zerbrach seinen Wasserkrug und benützte eine scharfe Scherbe zum Selbstmord. Als der Schließer durch das Klirren des zerbrechenden Kruges in die Zelle eilte, war das Unglück bereits geschehen. Hermann lebte noch, ärztliche Hilfe vermochte aber nichts mehr, er hatte bereits zu viel Blut verloren.« – –

»Fatal!« sagte Lutz. »Der Selbstmord macht uns einen Strich durch die Rechnung, bringt aber andererseits das Eingeständnis der Schuld.«

Bei diesen Worten erhob er sich von der Bettkante, auf der er bisher gesessen hatte, streifte den Rock seines rohseidenen Schlafanzugs ab und ging zur Waschtoilette.

»Ja – und noch etwas,« rief Muschal, »beinahe hätte ich's bei der Wichtigkeit der anderen Nachricht vergessen. –

Hier ein Eilbrief der Kriminalpolizei in Frankfurt.«

»Oeffnen und vorlesen!« gebot Lutz und fuhr sich mit einem großen Gummischwamm über Brust und Rücken.

»Der Brief enthält nur ein Telegramm,« sagte Muschal. »Eine Mitteilung der Münchener Polizeidirektion, Abteilung Fahndungspolizei:

 

›Frau Grace von Rottsieper geb. Figueirao nicht mehr in München zu eruieren. Seit drei Wochen abwesend, auf Reisen abgemeldet.

Kriminalpolizei München.‹

 

Auch das noch!«

»Nur Ruhe!« gebot Lutz seinem ärgerlichen Wachtmeister. »Inge Marvay, Georg Hermann, Georg Kreß haben wir, die holde Grace kriegen wir auch noch.« Bei diesen Worten schlüpfte er in Hemd und Hosen und setzte sich gelassen auf den Bettrand, um seine Stiefel zuzuschnüren.

Es klopfte wider die Türe. Auf das laute »Herein!« Lutz' trat ein etwa 40 jähriger, sauber aber wenig elegant gekleideter Mann in das Zimmer. Lutz eilte ihm entgegen.

»Guten Morgen, Herr Kollege!« sagte er, »entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie so in diesem Aufzuge empfangen muß, aber ich konnte nicht anders, ich mußte mich ausschlafen.«

Der Angekommene war der Polizeileutnant Sigrist aus Schaffhausen.

Lutz bat ihn, Platz zu nehmen.

»Durch die Entführung des Artisten Hermann auf deutsches Gebiet bringen Sie mich in eine nette Kalamität, Herr Doktor!« sagte der Schweizer in seinem harten Hochdeutsch.

Lutz lachte. »Ausgeschlossen! Scherereien werden Ihnen in keiner Weise entstehen. Erstens ging Hermann durchaus freiwillig mit mir nach Konstanz. Hierfür sind der Nachtportier und der Zimmerkellner die einwandfreiesten Zeugen, die Sie sich denken können.

Der Zimmerkellner wird Ihnen des weiteren auf Befragen bestätigen können, daß Hermann mit uns beiden in schönster Harmonie hier am Tische saß, völlig im Besitze seiner körperlichen und geistigen Freiheit war, und in freundschaftlicher Weise mit uns, seinen Gastgebern, pokulierte, außerdem ist der ganze Vorfall längst überholt, denn Hermann hat heute morgen im Gefängnis Selbstmord verübt.«

»Gott sei Dank!« sagte der Schweizer, »denn sonst, Sie wissen ja Bescheid und kennen die unangenehmen Verwicklungen, die bei einem weniger korrekten Vorgehen hätten entstehen können. Ich war übrigens schon für Sie tätig, Herr Doktor, und habe heute morgen durch zwei Polizisten die Effekten des Artisten beschlagnahmen lassen. Da ich wußte, auf was es ankommt, brachte ich Ihnen die Sie voraussichtlich interessierenden Dinge gleich mit, der Abholung der anderen Effekten steht nichts im Wege.« Bei diesen Worten legte Leutnant Sigrist zwei Pakete auf den Tisch.

»Sie sind unbezahlbar, Kollege!« rief Lutz erfreut. »Wir wollen gleich mal schauen, was wir von den Sächelchen gebrauchen können.«

»Sie werden zufrieden sein,« erwiderte der Schweizer lachend, »denn Sie finden die langgesuchte Adresse der Portugiesin, die, wie Sie mir erzählten, als Anstifterin in der Mordsache gelten kann.«

Lutz griff eifrig nach dem einen Paket.

»Das ist Hermanns chemisches Gewehr!« sagte der Schweizer.

»Interessiert mich ungemein,« erwiderte Lutz, schlug das Papier auseinander und prüfte die Waffe aufmerksam. Er öffnete die Kammer, klappte den Lauf nach unten und untersuchte den Anschlagkolben. Dann gab er schweigend die Waffe an Muschal weiter, der sie in die Waschtischschublade legte.

»Nun das andere Paket!« sagte Lutz.

Es enthielt eine große Anzahl Briefe, die Lutz durchflog.

Zwei legte er zur Seite, dann begann er Muschal, der respektvoll wartend am Tische stand, den Inhalt laut vorzulesen:

 

München, ...

Lieber Freund!

Seht zu, daß Ihr zu einem Ende kommt. Es liegt mir außerordentlich viel daran, die Briefe bald zu erhalten, den Grund können Sie sich denken, denn wenn Sie in falsche Hände kommen, bin ich erledigt. Ich warte hier bis zum 15. ds. Mts. und hoffe bis dahin aus guten Erfolg.

Gruß Grace.

 

»Jetzt der zweite Brief, das Datum ist von vorgestern. Die Adresse, Herrn Georg Hermann, Artist, Neuhauserstraße 129, Schaffhausen, Schweiz.«

 

Innsbruck, Hotel Tirolerhof.

Lieber Freund!

Ich verstehe Ihr Schweigen nicht, noch weniger den Grund, warum Sie Deutschland so schnell verlassen haben und wieder ein artistisches Engagement annahmen. Ist etwas passiert? Ich bin außerordentlich beunruhigt, umso mehr, als Inge nichts von sich hören läßt. Ich habe Ihnen wunschgemäß den Betrag von Frs. 5000. – nach Zürich gesandt, und zwar gelegentlich eines Ausfluges an den Bodensee, den ich mit einem Freund dieser Tage unternahm. Aber ich muß jetzt für mein Geld etwas sehen. Daß der eine Teil des Auftrages wunschgemäß erledigt wurde, soll Ihnen dankbar anerkannt werden, aber das wichtigste sind die Briefe, und die müssen, koste es was es wolle, in meinen Besitz gelangen. Ich bleibe noch 10-12 Tage hier und hoffe, bevor ich Ihnen meine neue Adresse angebe, auf eine beruhigende Nachricht.

Es grüßt Sie bestens
Ihre Grace.

 

Der Umschlag des Briefes enthielt die Adresse: Grace Figueirao, Hotel Tiroler-Hof in Innsbruck.

»Damit hätten wir ja das Frauenzimmer fest,« sagte Muschal befriedigt. »Aber dumm, Innsbruck liegt in Oesterreich, und wir werden wieder Auslandsscherereien haben.«

»Nein,« entgegnete Lutz entschieden. »Frau Grace wird nach Deutschland kommen, dafür lassen Sie mich sorgen.«

»Was gedenken Sie zu tun?« fragte der Schweizer Polizeibeamte interessiert.

»Wenn ich ein Filmdetektiv wäre,« entgegnete Lutz lachend, »würde ich mich jetzt als Hermann verkleiden und Frau Grace die Würmer aus ihrem rosigen Näschen ziehen, aber leider erleben wir weder einen Detektiv-Film oder einen Nic-Carter-Kriminalroman, und müssen auf derartige wirkungsvolle Mätzchen verzichten, denn kein Mensch der Welt kann eine Maske zurechtschminken, die dem Tageslicht und vor allem – mißtrauischen Frauenaugen standhält. Aber was ich kann, das ist, die Schrift Hermanns kopieren – ein Brief von ihm liegt ja hier im Paket – und mein Schreiben bestellt Frau Figueirao nach einem deutschen Platz, in ein deutsches Hotel. München dürfte die geeignetste Stadt dafür sein. Dort wird Frau Figueirao festgenommen. Da ich kein Romanschriftsteller und kein phantasiebegabter Filmregisseur bin, muß das Abenteuer wohl oder übel in einer durchaus prosaischen Weise mit der polizeilichen Festnahme der Frau Baronin von Rottsieper enden.

Ihnen, Herr Kollege Sigrist, sage ich für Ihre Bemühungen einstweilen meinen allerherzlichsten Dank.«


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