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Zwölftes Kapitel

Das Ergebnis der Ingolstädter Reise hatte Lutz nicht sonderlich befriedigt. Die Erzählung des Obersten von Bodansky, so interessant sie an und für sich sein mochte, bot wenig oder gar keine Anhaltspunkte, um die Untersuchung auf andere, neue Gleise zu führen.

Es blieb Lutz daher nichts anderes übrig, als den Dingen vorerst ihren Lauf zu lassen, und vor allem die Mitteilung der Frankfurter Kriminalpolizei abzuwarten, daß es ihr gelungen sei, Marguths Frau festzunehmen.

Rademacher entwickelte in den nächsten Tagen auf der Jagd nach der Mörderin eine außerordentliche Tatkraft, aber er konnte auch nicht den geringsten Erfolg verbuchen. »La belle Venus« war und blieb verschwunden, und nach einigen Tagen einer angestrengten Sondertätigkeit wurde der Fall Marguth in die zahlreichen Fälle ähnlicher Art eingereiht, die der zwar gut organisierte, aber ein wenig umständliche Fahndungsdienst der Frankfurter Polizei schematisch bearbeitete.

Lutz überließ diese rein technische Tätigkeit völlig den amtlichen Organen. Er sprach Fischer zwar fast täglich, entweder nachmittags im Kaffee Buerose am Hauptbahnhof, oder per Telephon, und stellte sich sofort wieder zur Verfügung, falls man seine Mitwirkung wieder benötigen sollte. –

Mehr konnte und wollte er für den Augenblick nicht tun.

Da trat, vier Tage nach seiner Rückkehr aus Ingolstadt, eine Wendung ein, die von neuem sein großes Interesse an der Aufklärung des mysteriösen Vorfalls wachrief.

Eines Morgens, kurz nach acht Uhr, wurde Dr. Lutz von Professor Degischer telephonisch angerufen, und Lutz fuhr unverzüglich in dessen Wohnung. »Es hat sich,« sagte der Professor, als die beiden Männer wieder im Atelier gegenüber saßen, »eine Sache ereignet, die zwar nicht mit dem Fall Marguth in Zusammenhang stehen dürfte, die aber so seltsam, ja im gewissen Sinne sogar verdächtig ist, daß ich es für gut hielt. Sie zu informieren. Gehen wir gleich in medias res.

Vor einigen Tagen – – –!«

»Pardon, daß ich Sie sofort unterbreche. Keine Halbheiten, wann, an welchem Tage?«

»Zwei Tage nach der Ermordung Marguths besuchte mich hier in meinem Atelier ein anscheinend vermögender Ausländer, ein Holländer, der diverse Skulpturen kaufen wollte. Ich zeigte ihm einige meiner neuesten Arbeiten, die ihn aber nicht sonderlich zu interessieren schienen, denn er suchte keine Originale, sondern gute Kopien, französischer oder italienischer älterer und neuerer Meister. Er wollte wissen, ob ich derartiges vorrätig hätte, bezw. in der Lage sei, nach Originalen hiesiger Galerien Kopien anzufertigen. Ich bejahte natürlich und zeigte ihm zur Bekräftigung einige ähnliche Arbeiten. Der Fremde nannte sich Piet Burgers, erstand zwei Statuetten, die er angemessen bezahlte, und fragte mich, ob ich bereit sei, für einen reichen Landsmann von ihm, der in den nächsten Tagen nach Frankfurt käme, einige Bildhauerarbeiten zu übernehmen, die einen guten Verdienst gewährleisteten. Ich sagte natürlich zu, denn Geld verdiene ich immer gerne. – Der Fremde verabschiedete sich, und am folgenden Tage erhielt ich mit der ersten Post einen kurzen Brief, worin ich unter Bezugnahme auf die Unterredung vom Tage zuvor gebeten wurde, abends 9 Uhr ins Hotel Imperial zu kommen und nach dem Bankier Willem Meulenkamp aus Utrecht zu fragen.

Ich pilgerte, froh einen guten Verdienst in Aussicht zu haben, pünktlich ins Hotel, wo ich zu meiner Ueberraschung erfuhr, daß Herr Meulenkamp noch gar nicht eingetroffen sei, aber jeden Tag kommen könnte, es seien auch bereits zwei Briefe für ihn da. –

Aergerlich ging ich wieder nach Hause und fand im Briefkasten ein Stadttelegramm, das inzwischen eingeworfen wurde. Es war von Meulenkamp, der sich entschuldigte, mich vergebens bestellt zu haben, er sei zwar durch Frankfurt gekommen, habe sich aber nur kurz an der Bahn aufgehalten, da er nochmals geschäftlich nach Wiesbaden reisen mußte. Er käme morgen, also einen Tag später, bestimmt zurück und bäte mich, ihn noch einmal, um die gleiche Zeit im Hotel Imperial aufzusuchen.

Geduldig fuhr ich am folgenden Tag wieder an den Opernplatz ins Imperialhotel, und wieder erfuhr ich, daß Herr Meulenkamp noch nicht eingetroffen sei. Wütend über die zweite unnütze Bestellung, die mich Zeit und Geld gekostet hatte, fuhr ich nach Hause. Zwei Tage hörte ich nichts, heute morgen kam mit der ersten Post ein Brief. Herr Meulenkamp schrieb, daß er über eine Stunde vergebens auf mich gewartet hätte, es seien ihm oder hinterher Bedenken aufgestiegen, daß er vielleicht selbst der schuldige Teil sei, denn er vermute, daß er mich gewohnheitsgemäß auch das zweite Mal ins Hotel Imperial bestellt habe, wohingegen er im Frankfurter Hof abgestiegen sei. Die Schuld träfe demnach wohl ihn, und diese zweimalige Belästigung sei ihm außerordentlich unangenehm.

Für meine Spesen und die durch ihn verursachte zwecklose Mühe, füge er in der Anlage eine Banknote von Mark 500 bei, und erwarte mich heute abend – diesmal ganz bestimmt – im Hotel Frankfurter Hof punkt 9 Uhr abends. Den Brief habe ich Ihnen hier aufgehoben.

Dies sind die Tatsachen, Herr Doktor!

Offen gestanden kam mir die Geschichte schon nach dem zweiten Brief ein wenig verdächtig vor, wenn auch der dritte heutige Brief als eine plausible Erklärung gelten kann. Jedenfalls zog ich es aber vor, Ihnen die Tatsachen mitzuteilen, denn – – offen gestanden – – Herr Doktor – – ich traue dem Frieden nicht recht – –«

»Ich auch nicht,« meinte Lutz bedenklich, »aber es würde mich interessieren zu erfahren, warum Sie plötzlich Verdacht schöpften.«

»Eine bestimmte Erklärung – kann ich Ihnen kaum geben,« erwiderte der Bildhauer zögernd. »Gefühlssache vielleicht, – ein unbestimmter Verdacht, der in mir aufstieg, es will dich jemand aus irgend welchen Gründen aus deiner Wohnung fortlocken.«

»Der Verdacht mag einer gewissen Begründung nicht entbehren. Trotzdem, Herr Professor, ich muß Ihnen die wichtige Frage noch ein zweites Mal vorlegen: Wie kamen Sie auf diese, immerhin mögliche, aber doch nicht gerade naheliegende Vermutung? Wenn wir vom Fach, immer und sofort geneigt sind, Verdacht zu schöpfen, so liegt der casus anders. Für Sie war das zweimalige Verfehlen Ihres Kunden aber doch genügend motiviert.«

»Stimmt, Herr Doktor. Aber ich hatte Grund zu einem gewissen Verdacht. Als ich das erste Mal ins Hotel bestellt wurde, ging ich zu Fuß hin und zurück. Das zweite Mal regnete es, ich faßte daher vorne an der Bockenheimer Landstraße ein Auto ab und fuhr ins Hotel. Dort hielt ich mich noch keine Minute auf, nahm am Opernplatz eine zweite Kraftkutsche und fuhr sofort wieder nach Hause. Zu meinem Erstaunen glaubte ich, in meiner Wohnung einen schwachen Lichtschein zu bemerken. Als der Wagen vor meiner Wohnung hielt und ich den Chauffeur – der wie immer kein Kleingeld zum Herausgeben bei sich hatte – entlohnte, war der Lichtschimmer verschwunden, vielleicht hat er auch nur in meiner Phantasie bestanden, aber ich glaube mich nicht getäuscht zu haben. Ich hatte das Gefühl, es müsse irgend etwas nicht in Ordnung sein, ich bin für vierzehn Tage allein in meiner Wohnung, da mein Diener seinen üblichen Urlaub hat – – –«

»Ein verläßlicher Mann, Ihr Diener!?«

»Freilich, außer allem Verdacht. Er ist schon drei Jahre bei mir. Diener, Faktotum, Mitarbeiter, Freund – alles in einer Person.«

»Konnten Sie in Ihrer Wohnung irgend eine Beobachtung machen, die Ihren Verdacht rechtfertigte?«

»Ja und nein. Die Wohnung war leer. Ich knipste überall das Licht an, fand aber weder Anzeichen eines versuchten Einbruchs, noch fehlte mir etwas, soweit sich dies in der Eile kontrollieren ließ. Es schien mir nur, als stünde im Atelier der noch frische, süßliche Geruch einer soeben gerauchten Zigarette, aber ich konnte mich auch täuschen. Ferner klaffte in meinem Schlafzimmer das Fenster, obgleich ich eigentlich der Meinung war, es vor meinem Weggehen geschlossen zu haben.«

»Das Fenster liegt im Hochparterre, ein Mann konnte daher ohne große Schwierigkeit nach dem Garten entweichen?«

»Ja sicher!«

»Haben Sie im Garten nach Spuren gesucht?«

»Nein, Herr Doktor, soweit dachte ich gar nicht; außerdem verstehe ich davon nichts. Der Verdacht, daß irgend etwas faul sein könnte, kam mir eigentlich auch erst später, beim Nachdenken. Jedenfalls hielt ich es aber für angebracht, Sie zu orientieren und mich mit Ihnen auszusprechen.«

»Das war allerdings das Klügste, was Sie tun konnten, Herr Professor,« sagte Lutz ernst und erhob sich.

»So glauben Sie, daß mir irgend eine Gefahr droht?!« rief Degischer erschrocken.

»Gefahr!? Lebensgefahr!? Nein, das glaube ich nicht, aber daß die mysteriöse Geschichte mit dem Fall Marguth zusammenhängt, halte ich für außerordentlich wahrscheinlich. Wir haben es anscheinend mit einer ganz raffinierten Gaunerbande zu tun, und es scheint höchste Zeit, daß den Herrschaften endlich einmal das Handwerk gelegt wird.« –

»Ich bin perplex, Herr Doktor!«

»Bleiben Sie es bitte noch für zwei Minuten, dann stehe ich zur Verfügung.« Bei diesen Worten griff Lutz nach dem Hörer des Telephons und ließ sich mit dem Frankfurter Hof verbinden. Er nannte seinen Namen und fragte, ob ein Herr Meulenkamp aus Utrecht im Hotel wohne. »Nein,« lautete die Antwort, »aber ein Holländer dieses Namens habe sich für den Abend angesagt.« Ob schon Briefe da seien? »Ja, ein Brief und eine Karte. Zwei Inlandsendungen, die Karte aus München, der Brief aus Berlin.« – »Die Briefschaften sind sofort wegzunehmen und unter keinen Umständen dem Empfänger auszuhändigen. – In einer halben Stunde kommt ein Polizeibeamter, der die Briefe in Empfang nimmt. Herr Meulenkamp ist dahingehend zu bescheiden, daß noch nichts angekommen ist.«

Lutz hängte den Hörer an. »So,« sagte er befriedigt zu Professor Degischer. »Das Spiel kann beginnen –!«

Degischer war den entschlossenen Anordnungen des Detektivs mit großem Interesse gefolgt.

»Die Sache wird ernst,« meinte er. »Was geschieht nun?«

»Sie werden selbstverständlich heute abend pünktlich ins Hotel Frankfurter Hof gehen und Herrn Meulenkamp aufsuchen. Sie halten ihn so lange auf, als es geht, ohne Verdacht zu erregen, er wird Ihnen aber keine Schwierigkeiten machen. Auf keinen Fall dürfen Sie einen Verdacht durchblicken lassen, und Sie kümmern sich um nichts, mag kommen, was will. Genauere Details besprechen wir noch.«

»Und meine Wohnung?«

»Die steht unter meinem persönlichen Schutz. Ich warte hier mit einigen Polizeibeamten der Dinge, die da kommen sollen. –«

»Könnte ich nicht bei Ihnen hier bleiben und ein Anderer statt meiner ins Hotel gehen und Meulenkamp sofort verhaften lassen?«

»Nein, das geht nicht, umso weniger, als wir nur die Vermutung aber noch keine Beweise haben, daß Herr Meulenkamp ein Schwindler ist. Außerdem dürfen Sie versichert sein, daß Ihre Wohnung spätestens von 8 Uhr ab unter Bewachung steht und irgend ein Komplize beobachtet, ob Sie Ihre Wohnung auch in der Richtung nach der Stadt verlassen – –«

»Na, dann in Gottes Namen! Ich bin gespannt, wie das Abenteuer ausgeht!«

»Das werden Sie in wenigen Stunden wissen.« Bei diesen Worten griff Lutz von neuem nach dem Hörer des Telephons und ließ sich mit der Abteilung 7 des Frankfurter Polizeipräsidiums verbinden. –


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