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Gleichzeitig mit dem Karlsruher Schnellzug, der um 3 Uhr 10 nachmittags in Konstanz am Bodensee ankommt, hielt auch ein schweres Tourenauto vor dem Bahnhofsportal, dem ein großer, korpulenter Herr mit vollem, roten Gesicht und einem wallenden, langausgezogenen blonden Schnurrbart entstieg. Er stellte den Motor ab und ging langsam auf einen rotblonden, kräftigen Mann zu, der einen mehr praktischen als eleganten Sportanzug trug, und den Neuankömmling anscheinend mit großer Freude begrüßte.
Die beiden Männer schritten langsam über den Bahnhofsplatz und betraten das Hotel Halm, wo der ältere der beiden bereits Logis genommen und ein zweites Zimmer reserviert hatte.
Oben angelangt wickelte sich der jüngere Fremde aus seinem dicken, für die immerhin noch recht warme Jahreszeit reichlich unpraktischen Ulster, schob mit einem kurzen Ruck eine blonde Perücke vom Kopf und glättete sein eigenes, dunkles Haar.
Dann schnallte er mit sichtlichem Wohlbehagen einen Wattebauch, den er unter der Weste getragen hatte, vom Körper und sagte, indem er sich gemütlich in eine Sofaecke fallen ließ:
»Nun sind wir unter uns, Muschal. Dort in der Reisetasche ist noch eine halbe Flasche Eiskümmel, holen Sie die Pulle mal raus, zwei Gläser müssen auch irgendwo in einer Serviette versteckt sein – – und dann – – erzählen!«
Wachtmeister Muschal kam dem Geheiße nach und schenkte zwei Gläser ein.
»Also, den Kerl haben Sie richtig eruiert –?!« meinte Lutz.
»Jawohl. Es war so schwer nicht, Herr Doktor. Ein bisken langweilig schon – aber wie er mal so dumm war, in Zürich am Postrestanteschalter nach Briefen unter G. H. 100 zu fragen, hatte ich ihn an der Leine und ließ ihn nicht mehr locker.«
»Hoffentlich hat er von der Ueberwachung keine Ahnung?« meinte Lutz bedenklich.
»Undenkbar, Herr Doktor.«
»Gut, mir soll's recht sein. Erzählen Sie weiter.«
»Der Mann heißt richtig Georg Hermann und reist auf einen vorschriftsmäßig ausgestellten Paß dieses Namens. Von Beruf ist Hermann Artist, und er benutzte den größten Teil seiner Zeit, sich in einer Züricher Artistenkneipe am Limmatquai herumzudrücken. Zwischendurch besuchte er auch zwei Agenturen und schien es darauf anzulegen, in der Schweiz irgendwo Engagement zu bekommen, was ihm aber nicht recht klappen wollte. An Geldmitteln fehlte es ihm aber nicht. Einmal behob er auf der Post eine Anweisung über 5000 Franken. – –«
»Konnten Sie den Absender ermitteln?«
»Jawohl. Die Anweisung war in Romanshorn am Bodensee aufgegeben und trug die Adresse: Frau Grace Figueirao, Hotel Erzherzog Johann in Bregenz. Ich ließ mich auf alle Fälle mit dem Hotel sofort telephonisch verbinden. – –«
»Gut, Muschal! Bravo!«
Der Wachtmeister schmunzelte, das Lob schmeichelte ihm.
»Meine Vorsicht schadete nichts, nützte aber auch nichts, denn die Hoteldirektion teilte mir mit, daß Frau Figueirao bereits am Tage zuvor mit unbekanntem Ziel abgereist sei.
Hermann lungerte inzwischen immer noch in Zürich herum und ließ Gott den guten Mann sein. Er hatte die Bekanntschaft eines zweifelhaften Frauenzimmers gemacht, das sehr halbseiden aussah, und mit diesem Weib war er Tag und Nacht zusammen. Vorgestern hat er endlich ein Engagement bekommen.«
»Warum haben Sie mich ausgerechnet nach Konstanz bestellt?«
»Weil Hermann in einem Varieté in Schaffhausen engagiert ist, und zwar im Schützenhaus. Es ist dies ein Restaurationssaal mit Theaterbühne in der Schwertergasse. Natürlich, eine Schmiere ersten Ranges, die beste Nummer ist Hermann selbst.«
»Unter welchem Namen tritt er auf?«
»Unter seinem richtigen Namen Georg Hermann. Er arbeitet als Zauberer und Kunstschütze. Ich habe mir gestern das Programm angesehen, er ist gar nicht so übel. Ich wußte nicht recht, wie ich mich verhalten sollte, und wartete mit Schmerzen auf Ihre Ankunft. Wenn ich nur wüßte, auf welche Weise man den Kerl unverfänglich über die Grenze locken könnte. Die schweizer Polizei hilft uns zwar gerne, da ist gerade in Schaffhausen ein Kommissar Sigrist, ein sehr feiner und anständiger Herr, der uns dienlich ist, wo er kann. Aber mit der Festnahme allein ist's nicht getan, dann kommen erst die langwierigen und langweiligen Auslieferungen auf diplomatischem Wege.«
Lutz war während der letzten Ausführungen Muschals an den Waschtisch getreten und hatte den Oberkörper entblößt, um eine ausgiebige Reinigung und Erfrischung mit Wasser und Seife vorzunehmen.
»Erzählen Sie nur ruhig weiter, Muschal, ich höre zu.«
»Ich bin fertig, Herr Doktor! –«
»Gut, dann geht Herr Georg Hermann heute abend hoch!«
»Wo?«
»Hier in Konstanz, wahrscheinlich sogar im Hotel Halm. Das Arrangement überlassen Sie ruhig mir. Wir gehen nachher ins Inselkaffee und besprechen unseren Plan mit aller Ruhe. Heute abend, zur Vorstellung im SchützenhausVarieté, fahren wir nach Schaffhausen.«
»Mit der Bahn?«
»Nein, mit dem Auto. Die Zollformalitäten werden hier an der Chaussee in Kreuzlingen erledigt. In fünfzehn Minuten haben wir die paar Kilometer nach Schaffhausen hinter uns.
Prüfen Sie den Ladestreifen Ihrer Mauserpistole. Wir bekommen es heute abend mit einem ganz gefährlichen Gauner zu tun. – – –«