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Neuntes Kapitel

Lutz saß dem Bildhauer Professor Wilhelm Degischer in dessen Atelier gegenüber. Dieser hatte, als ihm der bekannte Detektiv gemeldet wurde, sein Modell, ein etwa 12 jähriges, schmalgliedriges Mädchen, weggeschickt – es saß im Vorzimmer und blätterte in illustrierten Zeitschriften – dann warf er ein weißes Laken über eine halbfertige Skulptur. –

Im Atelier, das sein Licht durch eine Anzahl facettierte, in die Decke eingelassene Glasscheiben empfing, regierte die übliche »geniale« Unordnung, und um Lutz einen Sitz anbieten zu können, mußte der Professor erst den Brustharnisch eines Pappenheimer Kürassiers, ein gesticktes Fahnentuch und mehrere venezianische Fayencekrüge von der Chaiselongue räumen. Nachdem er sich die Erlaubnis erbeten hatte, eine lange Tonpfeife anzuzünden, nahm er seinem Besucher in einem altdeutschen Lehnstuhl von schwerer Schnitzarbeit gegenüber Platz.

»Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Besuch, Herr Doktor,« sagte er. »Er kommt mir nicht überraschend. Als ich heute morgen den schrecklichen Tod meines armen Freundes aus der Zeitung erfuhr, habe ich sofort mit einem Besuch der Kriminalpolizei gerechnet.«

»Die Vermutung, daß wir Sie um einige Auskünfte über die Persönlichkeit des Toten angehen würden, lag ja auch zu nahe. Ich sage Ihnen offen, daß wir über die Person des Täters noch vollständig im Dunkeln tappen, aber wir haben aus mancherlei Indizien berechtigten Grund zu der Annahme, daß dem Verbrechen eine Tragödie familiärer Natur zu Grunde liegt, und ich möchte gerne Ihre Ansicht hören.«

Degischer strich sich nachdenklich den dichten braunen Vollbart. »Ich habe mir auch so etwas gedacht, obgleich ich nicht mehr weiß, als in den Zeitungen stand. Aber eine Weibersache? Möglich wär's! Den Frauenzimmern traue ich alles zu, nur nichts Gutes, und der arme Marguth war, trotzdem ihm das Leben schon übel genug mitgespielt hat, mit einem geradezu verbotenen Idealismus behaftet. Besonders in jeder Frau, die in sein Leben trat, vermutete er eine Göttin mit den edelsten olympischen Eigenschaften, und daß er mit seiner Leichtgläubigkeit zweimal beim femininum generis gehörig reinfiel, weiß ich bestimmt, wie oft sonst noch, entzieht sich meiner Beurteilung.«

»Ihre Andeutungen sind mir natürlich außerordentlich interessant und lassen den Wunsch aufkommen, mehr darüber zu erfahren. Es wäre vielleicht am vorteilhaftesten, die Angelegenheit chronologisch zu behandeln. Darf ich einige Fragen an Sie richten?«

»Bitte!«

»Wie mir von anderer Seite gesagt wurde, sind Sie ein näherer Landsmann des Toten?«

»Jawohl. Wir stammen beide aus Donauwörth, wo wir zusammen das Gymnasium besucht haben. Leopold war ein Jahr älter als ich, er wäre im nächsten Monat vierunddreißig Jahre alt geworden und galt schon als Kind als ein aufgeweckter, dabei herzensguter Bursche mit künstlerischem Empfinden und Fähigkeiten. Er zeichnete vorzüglich, modellierte auch gut, die gleichen Interessen knüpften unsere Freundschaft. Es ist jammerschade, daß er nicht nach seiner Neigung leben durfte, und später auf besonderen Wunsch eines griesgrämigen Onkels, der ihm eine Pension aussetzte oder Zulage, wie man's nennt, sie militärische Laufbahn ergriff. Er wurde Offizier!«

»Wohl bei der berittenen Truppe?!« – –

»Jawohl, bei den 11. schweren Reitern in Ingolstadt. Der junge Leopold von Marguth paßte mit seiner idealistisch verträumten Weltanschauung zum Offizier ebenso wenig, wie ich mit meinem Embonpoint zum Seiltänzer; aber der alte von Marguth, Leopolds Vater, hatte sein Vermögen verspekuliert und konnte das Geld für das teuere Studium beim besten Willen nicht aufbringen. Er starb, kurz nachdem seine kleine Maschinenfabrik zusammengekracht war. Leopold, der einzige Sohn, wurde von dem Bruder von Marguths, einem alten, unverheirateten Oberst a. D., der den siebziger Krieg unter von der Tann mitgemacht hatte, aufgezogen, und dieser alte Eisenfresser hatte begreiflicherweise für die künstlerischen Pläne des Jungen, der damals vierzehn Jahre zählte, kein Verständnis. Poldi mußte Offizier werden.«

»Gestatten Sie eine Zwischenfrage. War Marguth adelig?«

»Ja, er legte aber den Adel ab, als er später nach der Katastrophe von Ingolstadt, auf die ich jetzt zu sprechen komme, seinen Abschied nahm.« –

»Können Sie mir über diese Katastrophe – wie Sie sagen – etwas Näheres berichten?!« –

»Ja und nein. Leopold sprach nie darüber, was ich weiß, sind Vermutungen, Andeutungen und auch einige Tatsachen, die mir nach und nach von anderer Seite berichtet wurden. – –

Eines Abends, – der Vorfall liegt ungefähr eineinhalb Jahre zurück, wurde der Rittmeister Leopolds erschossen aufgefunden. Jeder wußte, daß die Beziehungen zwischen den beiden keine freundschaftlichen waren, im Gegenteil, daß zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen ein recht gespanntes Verhältnis bestand. Eine Weibergeschichte soll der Sache zu Grunde gelegen haben, bei der der Rittmeister der Gehörnte war.

Kurz und gut, der Verdacht der Täterschaft lenkte sich auf den jungen von Marguth, der vor Gericht kam. Er war zwar nicht in der Lage, seine Unschuld vollständig zu beweisen, aber andererseits konnte ihn das Gericht auch nicht des Verbrechens überführen, da der Rittmeister tot und jene Frau, die in die dunkle Affäre verwickelt schien, verschwunden war, und – trotz aller Bemühungen – unauffindbar blieb. Ergebnis: Freispruch – aus Mangel an Beweisen. In den Augen der Welt, und vor allem seiner exklusiven und in punkto Ehrgefühl besonders kitzlichen Kameraden, schien von Marguth schuldig und mußte den Abschied nehmen. Ich glaube, er hätte dies unter anderen Umständen nur zu gerne getan, so fiel ihm der Schritt natürlich schwer genug. Kurz nach der Verhandlung sah ich ihn in München. Er sprach nicht gern über die Sache, und ich fragte deshalb nicht. Ich vermute, daß er die in die schmutzige Geschichte hineingezogene Frau nicht bloßstellen wollte.«

»Verzeihung, daß ich Sie unterbreche. Wissen Sie, wer die Frau war?«

»Nein, ich konnte den Namen nicht in Erfahrung bringen. Marguth muß sie aber außerordentlich lieb gehabt haben, denn er tat nichts, um sich von dem schimpflichen Verdacht reinzuwaschen, wohl aus Angst, die Frau zu kompromittieren. Ich hätte ihm gerne geholfen, aber er vertraute sich keinem Menschen an, und schließlich stellte ich meine ehrlichen Bemühungen als fruchtlos ein. Daß er durch den Vorfall mit seinem Onkel, Oberst von Marguth in Passau, vollständig zerfiel, schien ihn nicht sonderlich anzufechten. Die beiden waren sich innerlich nie nahe gekommen, aber da der Alte dem Neffen jetzt jede Unterstützung entzog, hieß es für Leopold sich nach einem Broterwerb umzusehen. Er ging ans Varieté, wo er seine Zeichenkunst – er war von jeher ein glänzender Karikaturist – gut verwerten konnte. – Dies stieß natürlich dem Faß vollständig den Boden aus, denn ein von Marguth als Possenreißer beim Zirkus war für den altkonservativen Offizier eine Ohrfeige mitten in das feudale Gesicht. Daß sich der Neffe als Artist Marvay nannte, konnte den Grimm des alten Soldaten nur wenig besänftigen. Trotzdem söhnten sich Neffe und Onkel später aus, es kam ein leidliches Verhältnis zu Stande, ein Umstand, der Leopold nach dem vor einigen Monaten erfolgten Tode des Onkels eine Erbschaft von zirka 180 000 Mark einbrachte. Die Zinsen dieses beträchtlichen Vermögens, im Verein mit seiner guten Gage, gestatteten ihm eine gesicherte Existenz.«

»In welcher Weise betätigte er sich am Varieté?«

»Als Schnellmaler. Er verstand es glänzend, die Köpfe bekannter Persönlichkeiten mit wenigen markanten Strichen auf Papier zu werfen, seine Nummer gefiel stets und überall.«

»Sie sprachen vorhin von einer zweiten erotischen Dummheit?!« – –

»Ja, von der größten Dummheit, die ein Mann begehen kann. – Er heiratete

»So, war er richtiggehend verheiratet?«

»Ja, aber nur kurze Zeit.«

»Kennen Sie seine Frau?«

»Nur per Renommée, gesehen habe ich sie nie.«

»Sie war – – wohl – – – Artistin –?« fragte Lutz ruhig.

»Ja,« erwiderte Degischer.

» WahrscheinlichKunstschützin?!« Die Augen des Fragers hingen gespannt an den Lippen des Bildhauers, der von der kaum unterdrückten Erregung seines Besuchers nichts bemerkte.

»Kunstschützin – –?!« wiederholte er nachdenklich. »Nein, das war sie nicht. Sie trat, soweit mir bekannt, als Jongleuse, Trapezkünstlerin und Akrobatin auf und dressierte auch Tiere, Hunde, wenn ich nicht irre. Nach ihrer Verlobung erlaubte Marguth aber ein Auftreten nicht mehr. Er mietete in einem kleinen württembergischen Orte eine Villa – wo weiß ich nicht, – dort lebte die Frau, der er ein geradezu grenzenloses Vertrauen entgegenbrachte, und wurde von ihr – das ist ja mehr oder weniger das Schicksal aller vertrauensseligen Ehegatten – ebenso grenzenlos betrogen.«

»Wissen Sie, auf welche Weise der Gatte dahinter kam?«

»Als er nach einem zweitägigen Urlaub, den er mit seiner Gattin verbrachte, zurückkehrte, bemerkte er, daß er sich bei ihr mit Lues infiziert hatte. Der Krankheitsherd war, wie ein Spezialarzt einwandfrei feststellte, die eigene Frau.«

»Wie lange liegt diese Entdeckung zurück?«

»Ungefähr sechs Wochen!«

»Es kam selbstverständlich zu einer scharfen Auseinandersetzung?«

»Das weiß ich nicht, Herr Doktor. Marguth sprach nicht gerne darüber, umso mehr, als ihn die Entdeckung seiner Krankheit sehr bedrückte. – Ich redete ihm wie ein Vater zu, setzte ihm auseinander, daß die Lues heute nichts mehr von jener sagenhaften Gefährlichkeit besitzt, die man ihr früher andichtete, Bedingung sei natürlich, daß etwas dagegen getan werde. Ich schickte ihn zu einem Freunde, Dr. Hoffmann, der sofort die Behandlung übernahm. Er bekam etwas mehr Lebensmut, war aber längst nicht mehr der alte, – wenn auch ein wenig schwerfällige, – so doch immerhin humorvolle und lustige Bursche. Ich vermutete – und wohl nicht ganz grundlos – daß er eine Sache mit sich herumschleppte, die ihn schwer bedrückte; entweder die frühere Ingolstädter Geschichte, oder der Vorfall mit seiner Frau. Ich kann seine Gefühle in der ersten Sache verstehen, in der zweiten nicht. Als erfahrener Praktiker sehe ich im Weib nicht das hehre, göttliche und verehrungswürdige Gebilde, da ich Gott sei Dank auf realeren Gefilden wandle, als verrückte lyrische Dachstubenpoeten. Ich habe die Frauen immer nur als menschliche, durchaus nicht vollkommene Geschöpfe kennen gelernt, als kleinlich, zänkisch, rechthaberisch, neidisch, eitel, eifersüchtig, rachsüchtig und weiß Gott was sonst noch. Ich bin seit 15 und mehr Jahren Bildhauer, Künstler, ein Milderungsgrund, der gewissermaßen meine etwas freien Ansichten über die Frau im allgemeinen und die Ehe im besonderen rechtfertigt. –

Wenn ich mich in jede Frau, die mir halbwegs gefiel, sofort hätte verlieben wollen, oder sie gar geheiratet hätte, wohin wäre ich da gekommen. Ich habe mich stets mit einer Freundin zufrieden gegeben, und wenn mich meine Freundin nach kurzer Zeit betrogen hatte und ich kam dahinter – betrogen haben sie mich übrigens alle, lieber Herr Doktor – dann: Adieu, mein schönes Kind! Behüt dich Gott, es war so schön gewesen. – – Um eine Nachfolgerin war es mir niemals bange, ich vertrug mich mit ihr so lange, bis mir von ihr wieder ein neues Geweih aufgesetzt wurde. –«

Lutz mußte wider Willen lachen.

»Sie vertreten eine sonderbare Philosophie, Herr Professor, schade daß Sie Nietzsche nicht mehr kennen lernen konnte, er hätte an Ihnen seine Freude gehabt.«

»Philosophie!« wiederholte Degischer. »Nee, Herr Doktor. Ich habe mir über unfruchtbare, philosophische Probleme nie den Kopf zerbrochen, vor allem niemals über psychisch-erotische Fragen nachgegrübelt. Derartige unlukrative Arbeiten überlasse ich idealistischeren Naturen als ich eine bin. Marguth dachte über solche Dinge allerdings anders, und die Untreue seiner Frau, in die er blind verliebt war, machte ihn beinahe verrückt. Dabei vermied er geflissentlich eine Aussprache mit mir, seinem besten Freund, die ihn vielleicht beruhigt und abgelenkt hätte.«

»Kennen Sie den Mädchen- oder Künstlernamen der Frau?« –

»Nein. Ich habe sie auch nie zu Gesicht bekommen, nur einmal auf einer Photographie, die mir Marguth gelegentlich zeigte – und ehrlich gesagt, sie entsprach durchaus nicht meinem Geschmack.«

»Können Sie mir das Aeußere der Frau näher beschreiben?«

»Sie war ziemlich groß und mußte einen wirklich schönen, vollschlanken Körper haben, ich sah dies sofort mit meinen Augen als Bildhauer. Der Körper steckte in einem raffinierten Badekostüm. In der einen Hand hielt sie einen großen japanischen Schirm. Wie gesagt, der Körper – erstklassig, aber das Gesicht? Nicht mein Geschmack. Hübsch? Ja, vielleicht im herkömmlichen Sinne hübsch, aber nichts Feines, kein individueller Zug. Ein ziemlich derber, großer Mund, schwermütige, dunkle Augen. Aus dem ganzen Gesicht sprach eine starke Sinnlichkeit, was mich vielleicht, als unweiblich, abgestoßen hat. Marguth fiel aber auf derartige Rasseweiber immer schnell herein, denn dieser Typus entsprach seinem Geschmack.«

»Hatte die Frau dunkle Haare?«

»Das kann ich nicht sagen. Sie waren unter einer Badehaube versteckt.«

»Wissen Sie, wo sich das Bild gegenwärtig befindet?«

»Ich vermute in Marguths Gepäck, er trug die Photographie damals in der Brieftasche herum.«

»Er hat nie ausführlicher mit Ihnen über seine Frau gesprochen?«

»Nein. Ich habe jedoch den Eindruck, daß er die Frau sehr liebte und doch gleichzeitig ein Zusammentreffen mit ihr vermeiden wollte, weil er sich vor ihr fürchtete. Fürchten wohl nicht physisch genommen. Ich glaube vielmehr, daß er ein Zusammentreffen mit ihr unter allen Umständen vermeiden wollte, um sich bei seiner Verliebtheit, die rein sinnlich genommen, sicher noch bestand, nicht aufs neue umstimmen zu lassen, die Frau wieder bei sich aufzunehmen. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß er hier nicht in einem Hotel oder einer Pension absteigen wollte, sondern bei mir wohnte. Ich nahm ihn gerne auf, besonders als ich den Grund erfuhr, daß er einer eifersüchtigen Frau aus dem Wege gehen wollte. – Für derartige Dinge habe ich nun mal volles Verständnis. – Natürlich interessierten mich die näheren Details, aber außer den Ihnen bereits gemachten Angaben, die bei ihm immer nur kurze Andeutungen waren, konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Da ich merkte, wie tief die Sache ging, war ich natürlich wieder zu taktvoll, um ihn durch indiskrete Fragen zu quälen. – Einmal – ein einziges Mal, ging er ein wenig aus sich heraus – – –!«

»Wie kam das?!«

»Ich hatte nach der Originalstatue der Venus vulgivaga von Delacoste ein kleines Gipsmodell gemacht. Das betrachtete er abends bei nur im Atelier und fragte, was es bedeute.

Ich erklärte ihm den Sinn der Skulptur und er starrte lange und wie geistesabwesend die kleine Statuette an.«

» Venus« sagte er leise. »Auch sie nannte sich Venus! Und vulgivaga vulgär. Wenn du wüßtest, Wilhelm, wie sehr dieses Beiwort auch auf sie zutrifft – –!!«

»Dann brach er plötzlich ab, fiel in den Sessel, auf dem ich Ihnen jetzt gegenübersitze zusammen, und weinte wie ein kleines Kind. Ich war durch den tiefen Schmerz des armen guten Jungen aufs äußerste ergriffen, brachte ihn zu Bett und grübelte lange darüber nach, wie ihm zu helfen sei.

Als er am folgenden Morgen zum Kaffee herunter kam, schien er aber vollständig überwunden zu haben. Er erzählte mir ganz ruhig, daß er sich immer grundsätzlich von den weiblichen Kollegen ferngehalten habe, bis er die Frau kennen lernte, die sein ganzes Innerstes aufwühlte.

Auch sie fand an Leopold Gefallen, was mich nicht wunderte, denn er war ein hübscher Junge mit tadellosen Manieren. – Kurz und gut, er heiratete die Frau, holte sie von der Bühne weg, und sie lohnte ihm seine Liebe dadurch, daß sie ihn aufs gemeinste betrog und mit einer ekelhaften Krankheit infizierte. Wenn mit mir so gespielt worden wäre, – ich bin ein guter Kerl, Herr Doktor, und mir geht nix über meine gemütliche königlich bayrische Ruh – aber ich hätte das Frauenzimmer an die Wand geworfen, daß ihr sämtliche Knochen gebrochen wären.

Er?! Er liebte sie trotzdem bis zu seinem letzten Atemzug. Glücklicherweise war sein Stolz größer als seine Leidenschaft und dieser verbot ihm, die Frau wieder aufzunehmen. – Auch ich riet ihm dringend ab. Ich hielt ihm vor, daß ihn die Frau doch immer wieder betrügen würde, während er draußen in der Welt herumfliegen mußte. Sein Beruf führte ihn ja jeden Monat an eine andere Spezialitätenbühne des In- und Auslandes. Ich erinnerte ihn daran, daß er stets den Gedanken an die Untreue der sinnlichen, unbeaufsichtigten Frau mit sich herumtragen, und daher die Ehe zweckdienlich, so schnell wie möglich lösen müsse, vorher könne er doch nie zur Ruhe kommen. – –

Das sah er auch alles ein. Ich war direkt stolz, Herr Doktor, auf meine Ueberredungskunst, die es ermöglichte, ihn vor weiteren Aufregungen zu behüten. Er gab mir das bestimmte Versprechen, nie wieder mit der Frau zusammenzutreffen und ab Hamburg die Scheidung einzuleiten. – Damit war die Sache erledigt. Er ging zur Probe und schien beruhigt.

Am folgenden Tage bat er mich, ihm die Statuette der Venus vulgivaga nochmals zu zeigen. Er holte jene Photographie, von der ich Ihnen vorhin erzählte, aus seiner Brieftasche und zeigte sie mir. ›Das hier ist meine Frau. Sie nannte sich auch Venus vulgivaga‹, sagte er. ›Sieht sie deiner Venus vulgivaga nicht ähnlich?‹

Warum sollte ich ihm nicht die Freude machen, eine Ähnlichkeit zu konstatieren, die tatsächlich nicht bestand. Ich schlug ihm vor, eine Kopie der Venus vulgivaga für ihn anzufertigen. ›Wenn sie dich an deine Frau und damit an das nur gegebene Versprechen erinnert‹, sagte ich, ›so soll mir die Arbeit eine Freude sein, und doppelt so schnell von der Hand gehen.‹

Am Nachmittag machte ich einen Gipsabguß und als er abends vom Theater zurückkehrte, stand die Venus vulgivaga auf seinem Nachttisch. Er kam noch einmal zu mir ins Schlafzimmer, um sich zu bedanken und stellte die Venus auf den Schrank in seinem Zimmer, wo sie so lange blieb, als er bei mir wohnte. Vor der Abreise packte er das Gipsmodell sorgfältig in einen weichen Samtlappen und nahm es mit.«

»Ihre Erzählung ist sehr interessant«, sagte Lutz, »und vielleicht wichtiger, als wir im Augenblick ermessen können. – Glauben Sie, Herr Professor, daß Marguth sein Versprechen, die Frau bei einem eventuellen Annäherungsversuch brüsk zurückzuweisen, halten wollte, oder besser gesagt, halten konnte? – –!«

Degischer paffte wütend an seiner Pfeife. »Ja, zuerst glaubte ich das wohl, nachher kamen mir wieder Zweifel. Ich glaube mich nämlich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß ihn die Frau hier in Frankfurt aufgesucht hat, und zwar kurz vor der Abreise am 26. oder 27. Juni. Er war am Abend furchtbar erregt, sagte aber nichts, und ich fragte nicht mehr. Ich habe aber das Empfinden, daß er die Frau zurückgewiesen hat, und als ich gestern von seinem sensationellen Tod erfuhr, sagte ich mir, die war's, und keine andere. Ich hätte, falls Sie heute nicht gekommen wären, morgen die Kriminalpolizei aufgesucht.« –

»Wissen Sie bestimmt, daß die Frau Artistin war?«

»Ja, Marguth gab es ja selbst zu.«

»Dann setzen hier sofort unsere Ermittlungen ein. Die Frau muß gefunden werden und – verlassen Sie sich darauf, Herr Professor, Sie wird gefunden werden.« –

»Niemand würde sich glücklicher schätzen, als ich, Herr Doktor, wenn es der Polizei recht bald gelänge, die feige Mörderin der Gerechtigkeit zu überliefern. Köpfen ist für eine derartige Bestie noch viel zu wenig, sie müßte gehenkt, guillotiniert, erschossen und verbrannt werden, zu gleicher Zeit.«

Lutz strich nachdenklich über sein Kinn.

»Marguth nannte seine Frau › Venus‹. Es besteht die Möglichkeit, daß sie unter diesem Namen aufgetreten ist.«

»Ja, Donnerwetter! Sie haben recht. Marguth sagte ausdrücklich, sie nannte sich › Venus‹, das besagt wohl, sie trug in Wirklichkeit natürlich einen anderen Namen, aber auf den Brettern trat sie unter dem Namen › Venus‹ auf.«

»Das wird sich bald feststellen lassen«, meinte Lutz ruhig und machte sich eine Notiz in sein Taschenbuch. »Wo Marguths Frau wohnte, wissen Sie nicht?«

»Irgendwo in Württemberg, aber den Ort kenne ich nicht.«

Lutz erhob sich und reichte dem Bildhauer die Hand. »Vielen Dank, Herr Professor für Ihre Aussagen. Ich muß zu Hause das Material nochmals durcharbeiten und hoffe, Ihnen bald die Verhaftung des Täters melden zu können.«

»Sie suchen ihn doch auch hinter Marguths Frau?«

»Ich weiß noch – nicht –« erwiderte Lutz vorsichtig. »Allerdings sprechen viele Anzeichen dafür, aber ich pflege mich nie auf eine Hypothese festzulegen, und solange ich keine vollgültigen Beweise habe, verdächtige ich niemand – – und jeden!« –

» Also, demnach auch mich?« fragte Degischer und lachte.

»Gewiß,« erwiderte Lutz gleichfalls heiter. » Auch Sie!« Aber sofort wurde er wieder ernst. »Ich möchte gerne noch vor meinem Weggehen das Zimmer besichtigen, wo Marguth über einen Monat lang gewohnt hat.«

Der Bildhauer öffnete Lutz zuvorkommend die Türe. »Bitte,« sagte er, »ich führe Sie nach oben.«


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