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Dreizehntes Kapitel

Gegen dreiviertel sieben Uhr abends erschien Dr. Lutz wieder in der kleinen Villa des Bildhauers Degischer. In seiner Begleitung befanden sich die Kriminalwachtmeister Muschal und Gerlach, sowie vier Schutzleute in Zivil.

Die Villa Degischer war nur zweistöckig und lag in einem ziemlich großen, mit einigen Bäumen und zahlreichen Büschen bewachsenen Ziergarten.

Das Erdgeschoß faßte außer der Küche zwei Wohnräume. Das geräumige Atelier war in einem Anbau, der ehemals als Wintergarten gedacht sein mochte, zweckentsprechend untergebracht. Im oberen Stock lag Degischers Schlafzimmer, das Fremdenzimmer und ein kleines Kabinett, wo der Diener des Bildhauers, Joseph Hochleitner, schlief. Dieses stand augenblicklich leer.

Lutz machte mit Muschal zusammen einen Rundgang durch das Haus, dann suchte er Degischer im Atelier auf, der inzwischen die Schutzleute mit Bier und Zigarren bewirtet hatte. Diese saßen nun nebenan in der Küche und warteten weiterer Befehle. – –

Degischer, Lutz und die beiden Wachtmeister saßen bei einer Flasche Wein um den mehr dekorativen als praktischen Zwecken dienenden Kamin. »Ihre Meldung kam gerade zur rechten Zeit,« sagte Lutz, »sie ist vielleicht das wichtigste Glied in der Mordsache Marguth und führt, wenn alles klappt, möglicherweise die Verbrecher ins Netz.«

»So sind bestimmt mehrere Leute in die Sache verwickelt?«

»Das erscheint ohne jeden Zweifel!«

»Haben Sie hier etwas Positives entdecken können?«

»Auch das, wenn auch nichts von Belang, bezw. nichts, was ich nicht schon im voraus wußte. Der Fall Marguth wird von Tag zu Tag verwickelter. Ich halte es heute für undenkbar, daß die Bluttat als ein einfaches Eifersuchtsdrama bewertet werden darf. Marguth mußte Dinge besessen haben, die für irgend jemand von außerordentlichem Wert gewesen sind. – Was es war, weiß ich nicht, ob Schmuck, Geld, Dokumente, darüber bin ich mir noch nicht klar. – Um in den Besitz dieser Gegenstände zu gelangen, erschoß man Marguth, bemächtigte sich in schlauer Weise seines Gepäckscheines, aber die sofortige Durchsuchung der Effekten hat anscheinend den oder die Gegenstände nicht zu Tage gefördert. Die Untersuchungen wurden deshalb auf die letzte Wohnung Marguths ausgedehnt. Man vermutete wohl, daß sich die gesuchten Dinge noch hier im Hause befinden, deshalb wurden Sie fortgelockt, um ungestörtes Nachforschen zu ermöglichen. Daß die Täter – es handelt sich auch hier um mehrere – ihren Zweck noch nicht erreicht haben, beweist die beabsichtigte heutige Wiederholung der Durchsuchung. Meine Untersuchung in Marguths Zimmer ergab zweifelsfrei, daß jemand in eifriger Weise dort herumgewühlt hat, selbst die Dielen des Bodens sind teilweise gelockert worden. Es kann sich daher um keinen großen Gegenstand handeln, vielleicht um Wert- oder wichtige Familienpapiere. Der Einbrecher ist an dem Rebengeländer neben Marguths Fenster in die Höhe geklettert und hat sich von dort auf die Fensterbank geschwungen. Anscheinend stand beide Male das Fenster offen, wir haben seinem Besuch aber heute einen Riegel – im wahren Sinne des Wortes vorgeschoben, um ihm die Arbeit denn doch nicht zu sehr zu erleichtern. Einen weiteren Beweis, daß wir es tatsächlich mit den gleichen Leuten wie in Friedberg zu tun haben, lieferten mir die Briefe, die Herr Wachtmeister Gerlach heilte nachmittag im Frankfurter Hof beschlagnahmt hat. Hier ist der erste Brief aus Berlin, abgestempelt am 6. 7. zwischen 11 und 12 Uhr abends, im Postamt W 8, also einem Postamt der Friedrichstadt. Die Schriftzüge gleichen denen auf dem Fremdenzettel des Frankfurter Hotels Modern und des Hotels Großherzog in Friedberg, dessen Schreiberin als die mutmaßliche Gattin Marguths festgestellt wurde, wie ein Ei dem anderen. – –

Der Brief ist nur kurz, aber inhaltsreich genug. Er lautet:

 

Lieber Georg!

Ich hoffe, daß Deine Bemühungen nun endlich von Erfolg gekrönt sind. Wäre doch alles vorüber! Hoffentlich bekommst Du dann auch sofort das Geld. Ich bin vor lauter Aufregung schon ganz krank, auch das Faulenzen bekommt mir nicht. Die Hundchen arbeiten tadellos, vor allem Pussy wird eine Kanone. Ich bin froh, daß das Engagement in C. perfekt geworden ist, und ich wäre glücklich, wenn Du zur Première hinkommen könntest. Ich muß bei der Aufregung der letzten Tage einen Halt haben, den ich nur bei Dir finden kann. Meine Adresse bleibt bis zum 15. Berlin.

Deine arme Mausi.

 

»Nett, was?« fragte Lutz. »Na, wir werden die Mausi mit einer scharfen Katze schon aus ihrem Loch herausholen,« fügte er gemütlich hinzu. »Interessant ist auch die zweite Postsendung, eine Ansichtskarte aus München, die nur die wenigen Worte enthält:

 

Die Sache muß nun erledigt werden. Ich erwarte schnellmöglichst zusagenden Bescheid.

Gruß G. F.

 

Die Schrift läßt auch auf eine Frau schließen. Dieser Herr Meulenkamp scheint ja ein außerordentlich vielseitiger Herr zu sein. Ihm werden wir, wenn keine allzu großen Böcke geschossen werden, heute abend das Handwerk legen. Herr Kommissar Rademacher kommt gegen 9 Uhr ins Hotel Frankfurter Hof und wird sich auf alle Fälle stets unauffällig in Ihrer Nähe halten, bis es Zeit zum Zugreifen ist.

Und nun, meine Herren!« Lutz wandte sich an die beiden Kriminalwachtmeister, die sich sofort von ihren Plätzen erhoben, »an die Arbeit! Wir müssen über unser Rollenverteilen im Klaren sein, bevor eventuelle Spitzel auf ihrem Posten sind. Sie, Herr Professor, machen sich jetzt langsam auf den Weg nach dem Frankfurter Hof. Denken Sie daran, daß Sie sich unterwegs nicht umsehen dürfen, bis Sie aus der Sehweite des Hauses sind. Sie gehen wie ein harmloser Spaziergänger die Georg Speyerstraße hinab, bleiben vielleicht einen Augenblick vor Ihrem Hause stehen, um sich eine Zigarre anzuzünden, damit Sie der Aufpasser auch sieht. Spielen Sie im Hotel Ihre Rolle gut, und nun viel Glück auf den Weg.«

Nach dem Weggehen des Professors verteilte Dr. Lutz seine Leute nach einem bereits vorher entworfenen Plan. Wachtmeister Gerlach und zwei Mann gingen nach dem Garten und versteckten sich derart hinter verschiedenen Gebüschen, daß sie sowohl das Schlafzimmerfenster, als auch die Straße genau beobachten konnten. Lutz schärfte dem Wachtmeister ein, auf die geringste Kleinigkeit zu achten und bei einer eventuellen Widersetzlichkeit rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. »Wir haben es mit ganz gefährlichen und gerissenen Gaunern zu tun. – Wenn Sie schießen müssen, dann eine Kugel ins Schienbein, nicht in die Brust!« Die drei Polizisten prüften ihre Selbstladepistolen und verließen langsam und vorsichtig das Wohnhaus.

Ein Kriminalschutzmann wurde im Atelier versteckt mit der Weisung, sich sofort auf einen Schuß oder ein anderes verdächtiges Anzeichen zur Verfügung zu halten. Den letzten Schutzmann postierte Lutz in das Schlafzimmer des Professors; er selbst und Wachtmeister Muschal versteckten sich im Fremdenzimmer, da Lutz hier mit dem ersten Erscheinen des Einbrechers rechnete. Während Muschal unter das Bett kroch, ordnete Lutz eine aus drei Teilen bestehende spanische Wand, im stumpfen Winkel, vor eine dem Fenster gegenüberliegende Wand, und nahm auf einem dahinter gestellten Stuhle, Platz.

Die Fenster wurden fest verriegelt.

Eine viertel bis eine halbe Stunde verging, ohne daß sich etwas Verdächtiges regte.

Muschal fühlte sich unter dem nicht allzu hohen Bett recht ungemütlich.

»Herr Doktor!« rief er mit unterdrückter Stimme, »hier im Keller jefällt's mir nich. Ich kann mich ooch nich schnell jenug bewegen, wenn der Gauner kommt. Wäre es nich besser, wenn ick vielleicht in'n Kleiderschrank umzöge?!«

»Nein!« sagte Lutz aus seinem Versteck heraus. »Erstens können Sie dort nichts sehen und hören, und zweitens sind Sie aufgeschmissen, falls der Kerl zufällig den Schrank öffnet und die Geistesgegenwart besitzt, sofort abzuschließen.«

»Na, man jut«, meinte Muschal gemütlich. »Bleiben wir halt wo wir sind. Hoffentlich kommen die Brüder bald.«

Die Geduld der Wartenden wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Es vergingen weitere fünf Minuten – zehn Minuten – fünfzehn Minuten, ohne daß sich etwas regte. Am Horizont ging langsam die Sonne unter und vergoldete mit ihren letzten Strahlen die Ausläufer des Taunusgebirges.

Lutz und der Wachtmeister verhielten sich mäuschenstill!!

Plötzlich! – – Es mochte vielleicht gegen ½ 10 Uhr sein, und die Dämmerung war bereits der langsam heraufziehenden Mondnacht gewichen, vernahmen Lutz' geschärfte Sinne ein Knirschen auf dem Gartenkies draußen, einige Sekunden später begann die Holzverkleidung der Weinreben, die sich längst des Hauses in die Höhe rankten, leise zu knacken.

»Vorsicht, Muschal, er kommt!« flüsterte Lutz. »Pistole bereit halten – –!«

Im Zimmer herrschte eine unheimliche Ruhe. Die zwei Männer hielten den Atem an, ihre vier Augen richteten sich gespannt auf das Fenster, durch das der Einbrecher kommen mußte.

Und nun verdunkelte sich die unterste rechte Scheibe –!

Von außen wurde ein mit Schusterpech beschmierter Lappen wider die Scheibe gepreßt, – ein leises kaum vernehmbares Knirschen und Splittern – die Fensterscheibe war eingedrückt. – –

Die Scherben hingen an der Pechschicht des Tuches.

Zwei bis drei Sekunden blieb es ruhig, dann griff eine Männerhand durch die entstandene Oeffnung, suchte nach dem Fensterriegel und öffnete ohne Schwierigkeit.

Zwei Hände griffen nach der Fensterbrüstung, ein bleiches Männergesicht erschien, Brust und Schultern folgten und mit einem kaum hörbaren Schwung sprang der Mann elastisch ins Zimmer. –

Dort blieb er eine Sekunde lauschend stehen, und als sich nicht das geringste Geräusch vernehmen ließ, machte er sich scheu, aber zielbewußt und systematisch zuerst an die Untersuchung des Waschtisches. Dann folgte der Kleiderschrank. »Ein Glück«, dachte Muschal, »daß ich unter dem Bett liege.«

Die helle Sommernacht warf genügendes Licht in das nicht allzu geräumige Zimmer, daß der Dieb ohne Anwendung einer Laterne arbeiten konnte. Als er in den beiden Möbelstücken anscheinend nicht gefunden hatte, was er suchte, eilte er leichtfüßig nach der Ecke, wo der Waschtisch stand, bückte sich und hob eine anscheinend schon vorher gelockerte Diele hoch. In diesem Augenblick streckte Lutz seinen rechten Fuß unter der spanischen Wand hervor, – das verabredete Zeichen für Muschal, sich bereit zu halten. Der Wachtmeister schob sich nun mit einer Gelenkigkeit, die man seinem schweren Körper kaum zugetraut hätte, langsam nach vorne und Lutz warf, als er sah, daß Muschal zum Aufspringen bereit und wie ein Panther am Boden kauerte, die spanische Wand um, sprang an den elektrischen Schalter und drehte das Licht an.

»Hände hoch!« – Im gleichen Augenblick stürzte sich Muschal auf den Dieb, der einen Moment vor Ueberraschung starr und unfähig war, sich zu rühren, dann aber, sofort gefaßt, einen Schritt zur Seite sprang und dem Wachtmeister eine Ladung feinen Staub ins Gesicht warf.

Muschal stieß einen Schrei aus und griff mit den Händen ins Gesicht. Dr. Lutz schoß. Krachend schlug die Kugel in den Spiegel über der Waschtoilette, klirrend splitterten die Scherben zu Boden. – Der Verbrecher war nicht getroffen, mit einem Ruck hatte er sich über die Fensterbrüstung in den Garten hinab geschwungen, während Lutz ans Fenster lief und, ohne seine Gestalt sehen zu lassen, mit einer elektrischen Blendlaterne, die er schnell angeknipst hatte, in den Garten hinab leuchtete.

Dort wurde es lebendig. Man vernahm einen unterdrückten Befehl, ein lautes Fluchen und ein metallenes Klirren, dann ertönte die Stimme des Wachtmeisters Gerlach vom Garten herauf. »Wir haben ihn fest, Herr Doktor!«

»Sofort ins Haus kommen!«, befahl Lutz und bemühte sich um Muschal, der stöhnend auf dem Bett saß und sein Gesicht mit dem Taschentuch bearbeitete. »Dieser gottverdammte Halunke«, schimpfte er, »hat mir eine ganze Ladung Pfeffer ins Gesicht geschleudert, haben Sie ihn denn geschnappt?«

»Ja, Gerlach bringt ihn. Jetzt lassen Sie mal erst die Visage sehen!« – »Na«, meinte Lutz lachend, »das ging noch gut ab, stecken Sie das Tuch in die Tasche, in zwei Minuten habe ich Sie sauber, ohne Nachwehen.«

Er nahm das Handtuch von der Waschtoilette, holte aus seiner Tasche, die er immer um den Leib trug, eine kleine Salbenschachtel und rieb mit leichten Fingern dem stöhnenden und fluchenden Wachtmeister die Augen aus. »Es wird noch einige Minuten brennen, Muschal, dann ist alles in Ordnung. Waschen Sie sich das Gesicht ab und kommen Sie nach unten. Wir wollen den Vogel, der uns ins Garn gegangen ist, mal näher ansehen. Das Zimmer können Sie ganz ruhig verlassen, es kommt niemand mehr. – Falls wirklich vielleicht noch irgend ein Schmierensteher in der Nähe war, haben ihm der Schuß und das Getümmel im Garten verraten, daß es besser ist, zu verschwinden.«

Draußen klopfte es wider die Türe. »Herr Doktor, Wachtmeister Gerlach läßt fragen, ob alles in Ordnung ist, er wartet unten im Atelier mit dem Festgenommenen.«

»Wir kommen«, sagte Lutz und öffnete die Türe. »Ah, Sie sind's, Schneider, Sie haben ja noch Ihr Fahrrad hier?«

»Jawohl, es steht unten im Hausgang.«

»Dann fahren Sie sofort ins Hotel Frankfurter Hof und benachrichtigen Sie Rademacher. Er soll sofort Meulenkamp festnehmen, wenn es noch nicht geschehen ist, und mit dem Kerl hierher kommen, ich möchte die beiden konfrontieren.

Dann ging er langsam mit Muschal die Treppe hinunter und betrat das Atelier, wo Gerlach und seine Leute um den Verhafteten wartend herumstanden. Dieser saß, die Arme gefesselt, in einem Sessel und hatte sich bereits scheinbar seelenruhig in sein Schicksal gefunden.

»Tag, Gerlach,« sagte Lutz, »haben Ihre Sache gut gemacht.« Dann trat er aus den Einbrecher zu und sah ihm lächelnd ins Gesicht:

»Hab' mir's doch gedacht, ein alter Bekannter! Servus, Athletenschorsch, wie geht's uns denn?«

Der Dieb warf einen wütenden Blick auf den Detektiv. »Uze Se annere Leut«, brummte er, »wenn ich en Schoppe hätt und Sie mich mit Ihre verdammte Schmier' Polizei. net gedappt hätte, ging's großartig.«

»Schoppen,« meinte Lutz. »Wird schwer sein, aber da drüben sehe ich 'ne Kognakflasche, ich nehme an, daß Sie sich nicht auf Bier festlegen, und auch 'nen Kognak nicht abschlagen. –«

Der Festgenommene folgte dem Detektiv mit erstaunten Blicken, als dieser tatsächlich zu einem kleinen Tischchen schritt und ein Wasserglas halb voll Kognak füllte. »Da, mein lieber Schorsch«, sagte er lächelnd, »stärk dich, du hast's verdient!«

»Soll ich des werklich hawwe?« fragte der Festgenommene überrascht.

»Gewiß, jetzt bist du wieder mal verschütt gegangen und kriegst auf 'ne ganze Zeitlang keinen Schnaps. Ich bin aber ein guter Kerl und will dir noch etwas gönnen, bevor es zu spät ist.«

Bei diesen Worten hielt er dem Einbrecher das Wasserglas an den Mund, dieser griff mit seinen gefesselten Händen zu und schüttelte das große Quantum, ohne eine Miene zu verziehen, in die Kehle.

Lutz hatte inzwischen vor dem Verhafteten Platz genommen. Gerlach trat hinter ihn, um bei einer eventuellen Renitenz gleich bei der Hand sein zu können, doch Lutz winkte unmerklich ab.

Er wußte, daß er mit diesem Kunden kein allzuschweres Spiel mehr hatte. Widerstand kannten die Gewohnheitseinbrecher so gut wie nicht. Wenn sie erst einmal fest waren, fanden sie sich schnell in das Unabwendliche. Dann schob man eben wieder seine ein, zwei Jahre Knast und fertig ist die Laube. Widerstand verschärfte nur die Strafe und, daß deren Ausmaß schon nicht zu knapp war, dafür sorgte der Staatsanwalt.

»Nu sag mal, mein Junge,« meinte Lutz gemütlich, »was hast du denn hier zu suchen gehabt?«

»Des möchte Se wohl gerne wisse,« erklärte der Verbrecher höhnisch.

»Ich nicht, denn ich weiß es ja schon, aber für den Untersuchungsrichter und den Staatsanwalt muß ich ein Protokoll machen, und da ist's mir schon lieber, wenn du glatt gestehst, denn drei Jahre gibt es mit und ohne Geständnis, sei also gemütlich, mein Junge, und pfeife, du kriegst dann auch noch en Kognak!«

»Und wenn Se mer e ganze Flasch voll gäwwe, von mir erfahre Se nix. Und drei Jahr? – Hör'n Se, Herr Doktor, daß ich net grins'! Vor was drei Jahr? – Ich hab hier klaue wolle, kam awer net dazu, weil mich die Polente schon vorher hochgenomme hat, wieviel kann ich da schon krieje?«

»Drei Jahre mindestens«, wiederholte Lutz trocken, »ich hab's dir ja schon gesagt. Du hast klauen wollen, schon der Versuch ist strafbar, außerdem ist der Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, verbunden mit Körperverletzung gegeben. Schau dir nachher mal den Wachtmeister Muschal an, der ist so gut wie blind, und wird keinen Polizeidienst mehr tun können.«

»Wär's ach net schad drum. Is aan Preuß weniger hier!«

»Aber dir kost's den Kragen!«

Der Einbrecher schwieg. – Lutz fuhr fort: »Hör mich mal an, mein Junge, ich bin ein gemütlicher Kerl, mit dem man reden kann, das weißt du, aber ich laß mich nicht gern bemogeln. Heute kann ich dir vielleicht noch helfen, morgen gebe ich die Untersuchung an die Kriminalpolizei ab und dann Schorsch, gute Nacht.«

Der Einbrecher schien einen Augenblick zu überlegen. »Na, was wolle Se denn nun eigentlich von mer wisse?« brummte er unwillig.

»Auf zwei Fragen sollst du mir Antwort geben! Erstens, was hast du hier gesucht? Zweitens, in welchem Auftrag hast du gehandelt? Gibst du befriedigende Antworten, dann kann ich dir vielleicht helfen, wenn du dich aber auf die Hinterbeine stellst, so fresse die Suppe aus, die du dir eingebrockt hast. Ich unternehme nichts zu deiner Erleichterung, aber auch nicht einen Finger mache ich für dich krumm!«

Der Einbrecher verzog seinen Mund zu einem leichten Grinsen. »Wenn Se sonst nichts wisse wolle, kann ich Ihne antworte! Ein Kollesch hat ausbaldowert, daß hier e Ding zu drehe is, un daß im ganze Haus nur aan Mann wohnt; der Diener is dahaam im Urlaub un da haw ich mich emol umgukke wolle, das is alles. Und in was fern Uftrag? Na in meim eigene, in wem sein denn sonst?« –

»So,« meinte Lutz. »Nun Georg Kreß, sagen Sie mir aber gefälligst, in wessen Auftrag Sie vorige Woche im Bahnhof Friedberg die Depesche für Lugos Marvay an den Zug bestellten? Auch in eigenem?« Scharf und schneidend kam das heraus. Der Einbrecher wurde bleich und duckte sich unter der Wucht dieser messerscharfen Worte zusammen, aber er schwieg.

Lutz stand, die Hände auf dem Rücken, vor ihm. »Nun Kreß, Sie sehen, wir wissen bereits mehr, als für Sie gut ist. Wir wissen sogar noch viel mehr, aber wir wollen Ihre eigene Beichte. Noch einmal fordere ich Sie auf: Wollen Sie reden und ein ausführliches Geständnis ablegen?« –

»Nein!« brüllte der Einbrecher und schleuderte ein nicht wiederzugebendes Schimpfwort gegen Lutz. »Macht mit mir, was Ihr wollt, von mir könnt Ihr nix erfahre! Wenn Ihr schon alles wißt, umso besser, ich laß mich ruhig eins, aach zwei Jahr setze, aber pfeife? Ausgeschlossen! Ich denk net dra, ich waß, warum ich's Maul halt!«

»Na, dann nicht, liebe Tante,« sagte Lutz gleichmütig. Draußen schrillte die Haustürglocke, und als ein Polizist hinausging zu öffnen, traten Rademacher und der Professor Degischer ein. Lutz eilte auf die Beiden zu.

»Habt Ihr hier mehr Glück gehabt, als wir?« rief Rademacher mißgestimmt aus. »Er war gar nicht im Hotel, die Sekretärin, die dort die Post ausgibt, hat uns die ganze Sauce versalzen. Meulenkamp kam kurz vor ½9 Uhr und fragte zuerst nach Post. Die Sekretärin erinnerte sich bestimmt, daß Briefe da waren, sie hat diese, wie sie Herrn Meulenkamp versicherte, selbst in das Gefach für den Buchstaben M eingelegt. ›Ja, das stimmt,‹ rief ein anderes Gänschen, das im Büro hilft, ›aber vor einer Stunde, vielleicht auch ein bißchen früher, war ein Mann da und hat die Briefe abgeholt.‹«

»Donnerwetter,« rief Lutz ärgerlich aus. »Das ist fatal! Darauf hat M. natürlich sofort Kehrt gemacht und ist verschwunden.«

»Kunststück,« bekräftigte Rademacher wütend. »Und wir stehen beide da mit dem dicken Kopp.«

»Nun heißt's handeln,« sagte Lutz, »da ist nun nichts zu machen, der Kerl ist sich natürlich darüber klar, daß wir hinter ihm her sind. Jetzt gilt's!«

»Und wie war's bei Ihnen, Lutz?« –

»Das erzähle ich Ihnen unterwegs, wir müssen sofort aufs Präsidium hinüber, Gerlach! Lassen Sie den Kreß unter sicherer Bedeckung abführen. Androhung von sofortigem Waffengebrauch bei der geringsten Widersetzlichkeit. Ich spreche Sie nachher drüben auf dem Büro. Herr Professor, ich mache Ihnen die bedauerliche Mitteilung, daß ich leider oben einen Spiegel zertrümmern mußte, Ihrer Kostenliquidation sehe ich dieser Tage entgegen, vielleicht besuchen Sie mich auf vorherigen Anruf persönlich. Ich habe Ihnen allerlei zu erklären. Auf Wiedersehen!«

Die Polizisten verließen, mit ihrem Gefangenen in der Mitte, die Villa Degischer. Lutz und Rademacher folgten.


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