Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Wilhelm Tell.

1804.

Das erste Gastgeschenk, das Göthe seinem Freunde Schiller, bald nach der Schließung ihres Dichterbundes, gemacht hatte, waren »die Kraniche des Ibykus.« Das zweite, das er ihm, kurz vor der Trennung ihres Bündnisses durch den Tod des jüngeren Genossen, übergab, war der »Wilhelm Tell.«

Als Göthe im Spätjahr 1797 sich bei seinem Freunde, Prof. Heinrich Meyer, der von der italienischen Reise zurückkehrte, zu Stäfa, Züricher Kantons, in der Schweiz aufhielt, und ein labyrinthischer Spaziergang von dem unfruchtbaren Gipfel des Gotthardts bis zu den herrlichen Kunstwerken, die Meyer mitgebracht, sie durch eine verwickelte Reihe von interessanten Gegenständen, welche dieses sonderbare Land enthält, hindurchführte, – wir reden mit den Worten Göthe'sAn Sch. Stäfa 14. Oktober 1797. – hatte sich zwischen allerlei prosaischen Stoffen auch ein poetischer hervorgethan, der diesem großen Meister viel Zutrauen einflößte. »Ich bin fast überzeugt,« sagt er, »daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabei, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten, daß das Mährchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte,Mit einiger Ueberraschung stößt man hier, im Jahr 1797, auf einen Quell der neuesten philosophischen Begriffsterminologie – bei'm Vater Göthe. Eine andere Phrase hatte Schiller anticipirt, wenn er (S. 508, 5. Januar 1798) findet, daß er »augenscheinlich über sich selbst hinausgegangen sey.« Ein drittes Schlagwort der Schule, das beliebte Wort »Dignität« ist an derselben Quelle (S. 501 und 504) zu suchen. – Die Tellsfabel s. aus Ideler bei Hinrichs III, 291 f. anstatt daß man sonst, um etwas zu leisten, die Geschichte zur Fabel machen muß. – Das beschränkte, höchst bedeutende Lokal, worauf die Begebenheit spielt, habe ich mir wieder recht genau vergegenwärtigt, so wie ich die Charaktere, Sitten und Gebräuche der Menschen in diesen Gegenden, so gut, als in der kurzen Zeit möglich, beobachtet habe, und es kommt nun auf gut Glück an, ob aus diesem Unternehmen etwas werden kann.«

Das leuchtete, für Göthe'n, unsrem Schiller ein. Er fand die Idee sehr glücklich; aus der bedeutenden Enge des gegebenen Stoffs, meinte er, werde da alles geistreiche Leben hervorgehen: »Es wird daran liegen, daß man durch die Macht des Poeten recht sehr beschränkt und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und beschäftigt wird. Zugleich öffnet sich aus diesem schönen Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschengeschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich aufthut.«

Neun Monate später war Göthe bereits mit der Motivirung der ersten Gesänge seines Epos beschäftigt. Er wollte in dem Tell eine Art von Demos vorstellen, und bildete ihn deßhalb als einen kolossal kräftigen Lastträger, rohe Thierfelle und sonstige Waaren durchs Gebirge herüber und hinüber zu tragen sein Leben lang beschäftigt, und, ohne sich weiter um Herrschaft und Knechtschaft zu bekümmern, sein Gewerbe treibend, nur die unmittelbarsten persönlichen Uebel abzuwehren fähig und entschlossen. In diesem Sinne war er den reichen und höhern Landleuten bekannt, und harmlos übrigens auch unter den fremden Bedrängern. Göthe's Landvogt war einer von den behaglichen Tyrannen, welche herz- und rücksichtslos auf ihre Zwecke hindringen, übrigens aber leben und leben lassen, dabei auch humoristisch gelegentlich dieß oder jenes verüben, was entweder gleichgültig wirken, oder auch wohl Nutzen oder Schaden zur Folge haben kann.«Bei Hinrichs III, 285 f.

Göthe pflegte aber nicht zu bilden, wenn die Mittel nicht schon bei der Hand waren; und da er über diese erst hätte denken müssen, so blieb der Stoff liegen. Als sie ins neue Jahrhundert längst eingetreten, vertiefte sich Schiller in jene oft genug von dem Freunde ihm geschilderten Felsenwände der Schweiz, und hob, mit Göthe's Bewilligung, den Schatz, wo ihn dieser bezeichnet.»Beide (Schillers dramatischer und Göthe's epischer Tell) konnten recht gut neben einander bestehen. Ich war zufrieden, daß Schiller den Hauptbegriff eines selbstständigen, von den übrigen Verschworenen unabhängigen Tell benutzte. In der Ausführung aber mußte er, der Richtung seines Talents zu Folge, so wie nach den deutschen Theaterbedürfnissen einen ganz andern Weg nehmen, und mir blieb das Episch-ruhig-grandiose noch immer zu Gebot, so wie die sämmtlichen Motive, wo sie sich auch berührten, in beiden Bearbeitungen durchaus eine andere Gestalt annehmen.« – Göthe bei Hinrichs III, 290.

Diesem Stoffe mußten die angefangenen oder überdachten Stücke, die Maltheser, der falsche Demetrius (1801), der Warbeck (1802), die schon vor der Braut von Messina zurückgetreten waren, sowie die 1803 concipirten »Kinder des Hauses,« ein dramatisches Gemälde der Pariser Polizei unter Ludwig XIV., weichen: denn es drängte Schillern, der Freiheit, der er in den Räubern und im Fiesko sein erstes blutiges Opfer dargebracht, für die er im Don Carlos ihre wärmsten Anhänger bluten lassen, ein heiliges, gerechtes und, bis auf des Wüthrichs verdienten Tod, blutloses Opfer in seinem letzten Lebenstagewerke darzubringen.

Aber nur, weil der politische Stoff zugleich hoch poetisch war, entschied er sich für ihn. Es ließ sich freilich denken, daß er die tief realen Gestalten des Göthe'schen Tell nicht, wie sie waren, belassen, sondern in seinen Idealismus übersetzen würde, denn »seine eigentliche Produktivität,« sagt Göthe, »lag im Idealen, und es läßt sich sagen, daß er hierin so wenig in der deutschen als in einer andern Literatur seines Gleichen hat. Von Lord Byron hat er noch das Meiste. Ich hätte gern gesehen, daß Schiller den Lord Byron erlebt hätte, und da hätt' es mich wundern sollen, was er zu einem so verwandten Geiste würde gesagt haben.Eckermann I, 306.

Hier ist nun auch die Stelle für des alten Heroen Grundwerte über unsern Dichter. »Durch Schillers alle Werke,« sprach er zu Eckermann,Ebend. 307 ff. den 18. Januar 1827. »geht die Idee der Freiheit,«Hinrichs verallgemeinert dieß metaphysisch dahin, daß Schiller als der Dichter der Freiheit seine hohe Aufgabe, den Cyclus der Freiheit des (absoluten) Geistes poetisch gestaltet zu haben, von den Räubern bis zum Wilhelm Tell durch alle seine Stücke fortschreitend herrlich gelöst habe. Somit blieb ihm nichts übrig, als zu sterben, was er auch gethan hat. Kurz und auch deutlich zusammengedrängt findet man diesen Gedanken bei jenem Kritiker III, 309–314. und diese Idee nahm eine andre Gestalt an, so wie Schiller in seiner Cultur weiter ging, und selbst ein anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die in seine Dichtungen überging; in seinem spätern Leben die ideelle. Daß nun die physische Freiheit Schillern in seiner Jugend so viel zu schaffen machte, lag zwar theils in der Natur seines Geistes, größerntheils aber schrieb es sich von dem Druck her, den er in der Militärschule hatte leiden müssen. Dann aber, in seinem reifern Leben, wo er der physischen Freiheit genug hatte, ging er zu der ideellen über, und ich möchte fast sagen, daß diese Idee ihn getödtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren.«

Daß Schiller jene rohe, physische Freiheit nicht mehr wollte, hatte er längst bewiesen, und man hätte es, ohne jene ängstliche Verwahrung in der Glocke, seinen Werken geglaubt: daß er aber immer noch auch die reale Freiheit, nur auf eine idealische Weise, verlangte, hat er in seinem Tell dargethan. Entzweiung roher Kräfte, blinde Wuth der tobenden Parteien, Unterdrückung der Gerechtigkeit, schamlose Befreiung des Lasters, Entweihung des Heiligen, Lösung des Anker's, an dem die Staaten hängen – mit Einem Worte Revolution galt ihm für etwas Abscheuliches, Unbesingbares: aber ein frommes Volk, das, sich selbst genug, nicht »fremden Gutes begehrt und, menschlich selbst im Zorn« bleibend, nur unwürdig erduldeten Zwang abwirft, das nannte er unsterblich und des Liedes werth, das zeigte er uns in dem Bilde, als in einem Spiegel, vor welchem jede Gewalt Mäßigung lernen kann.

Der Tell war von dem Dichter ergriffen worden, als kaum erst die Braut von Messina aus seinem Geiste entlassen war. Im August 1803 nannte er gegen Humboldt den Stoff noch sehr widerstrebend. Als die Vorstellung von Shakspeare's Julius Cäsar einen großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, bezog er diesen sogleich auf seinen Wilhelm Teil, und sprach: »mein Schifflein wird auch dadurch gehoben. Es hat mich gleich gestern in die thätigste Stimmung versetzt!« Mit dem Eingang in den Tell war Göthe zufrieden. Während des Aufenthalts der Staël entstand das Grütli, und wurde der erste Akt fertig. »Unter allen den widerstreitenden Zuständen, die sich in diesem Monat häufen,« sagt Schiller (im Januar 1804), »geht doch die Arbeit leidlich vorwärts, und ich habe Hoffnung, mit Ende des kommenden Monats ganz fertig zu seyn.« Ueber den ersten Akt schrieb Göthe sogleich: »Das ist denn freilich kein erster Akt, sondern ein ganzes Stück und zwar ein fürtreffliches, wozu ich von Herzen Glück wünsche und (wovon ich) bald mehr zu sehen hoffe. Meinem ersten Anblick nach ist Alles so recht, und darauf kommt es denn wohl bei Arbeiten, die auf gewisse Effekte berechnet sind, hauptsächlich an.« Dann macht er einige kleine Ausstellungen, namentlich über eine damals von Schiller falsch gefaßte Stelle vom Kuhreigen, und schließt: »Leben Sie recht wohl und fahren Sie fort, uns durch Ihre schöne Thätigkeit wieder ein neues Lebensinteresse zu verschaffen. Gruß und Heil!« (13. Januar 1804.) Mitte Februars war Schiller mit seiner nie stockenden Arbeit dem Ziele nah, und bald übersendet er's dem Freunde, indem er »unter gegenwärtigen Umständen nichts weiter dafür zu thun weiß.« Der Anblick des Stücks hatte Göthe'n sehr vergnügt. Bald waren die Rollen ausgetheilt, und noch vor Ostern 1804Nicht schon im Februar, wie Fr. v. Wolz. (II, 258) und Döring (2tes Leben S. 249) irrig behaupten. Vergl. den Briefwechsel Sch. u. G. am 17. März wurde das Stück zu Weimar gegeben, aber Schiller war Krankheits halber nicht dabei zugegen.Ueber Rollenvertheilung, Anordnung und Costum höre man Göthe'n, über die Scene mit den barmherzigen Brüdern, an der sich Leute, die selbst über die Luft stolpern, ärgern konnten, lese man Schillern, beide bei Hinrichs III, 289–290.

Nach Göthe's Versicherung hat Schiller im Tell die Ueberlieferung sorgfältig studirt und sich alle Mühe mit der Schweiz gegeben. »Im Angesicht von Tells Kapelle, am Ufer des Vierwaldstetten-Sees, unter freiem Himmel, die Alpen zum Hintergrunde,« sagt A. W. Schlegel, der den Tell für das vortrefflichste Stück Schillers hält, »hätte diese herzerhebende, altdeutsche Sitte, Frömmigkeit und biedern Heldenmuth athmende Darstellung verdient, zur halbtausendjährigen Gründung schweizerischer Freiheit aufgeführt zu werden.«Dramaturgie III, 413. Nach Schlegel ist er hier ganz zur Poesie der Geschichte zurückgekehrt, »die Behandlung ist treu, herzlich, und bei Schillers Unbekanntschaft mit der Schweizerischen Natur und Landessitte von bewundernswürdiger örtlicher Wahrheit.« Sitten und Charaktere konnte er zur Noth aus Tschudi und aus Johann v. Müllers Schweizerischen Geschichten studiren, und ein realistischer Dichter hätte vielleicht tiefer aus diesen Quellen geschöpft. Aber woher hat Schiller die Natur, die sich im Tell so abspiegelt, daß Jeder, der jenes Stück früher gelesen hat, wenn er nun die Gegenden sieht, schon einmal im verklärten Traume sie geschaut zu haben meint? Die kann ihm der Genius doch nicht im offenbaren Gesichte gezeigt haben.

Wenn uns nicht Alles täuscht, so ist Ebels ältestes Werk, dessen »Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz (1798–1802),« das sehr gründliche Mittheilungen über Natur, Volkssitte, und Sprachidiotismen dieses Landes enthält, und mit seinen spätern Handbüchern wenig gemein hat, sein Wegweiser gewesen. Dieß Buch, obgleich es sich nicht über den Schauplatz des Tell erstreckt und hauptsächlich nur Appenzell und Glarus umfaßt, erscheint als ein im voraus geschriebener Commentar zu der Dichtung.Daß Göthe, wie er bei Eckermann I, 305 sagt, »Alles was in Schillers Tell von Schweizerlokalität ist, ihm erzählt habe,« ist nicht möglich, und daher nicht wörtlich zu nehmen.

Ueber die Fehler des herrlichen Drama's ist man jetzt so einig, wie über seine Schönheiten, vor denen jene mit aller Kritik verschwinden. Die Gestalt des die Tragödie handelnd nur durchschreitenden Helden ist unvergleichlich, und die Nachwelt hat ihn in Eßlair verkörpert gesehen. Das Romanfräulein, die Tiraden Melchthals über das Licht, die Rohheit Tells gegen Parricida, ein apologetischer Mißgriff, zu dem den Dichter Frauenrath verführt haben soll,Göthe bei Eckermann II, 315: 16. März 1831. diese und manche andere Schwächen, wer sieht sie nicht, aber wer sieht sie noch – gegen das Gute, Wahre und Schöne gehalten, das durchs ganze Stück geht?Das Lob des Einzelnen bei Hinrichs III, 299–303, und der Tadel 303–307.

Göthe kommt ins Feuer, wenn er zu Eckermann spricht:Eckerm. I, 196 ff. 18. Jan. 1825. »Schillers Augen waren sanft, alles Uebrige an ihm war stolz und großartig. Und wie sein Körper, war sein Talent. Er griff in einen großen Gegenstand kühn hinein, und betrachtete und wendete ihn hin und her, und handhabte ihn so und so. Er sah seinen Gegenstand gleichsam nur von außen an, eine stille Entwicklung aus dem Innern war nicht seine Sache. Sein Talent war mehr desultorisch. Deßhalb war er auch nie entschieden, und konnte nie fertig werden. Er wechselte oft noch eine Rolle kurz vor der Probe. Und wie er überall kühn zu Werke ging, so war er auch nicht für vieles Motiviren. Ich weiß, was ich mit ihm bei'm Tell für Noth hatte, wo er geradezu den Geßler einen Apfel vom Baum brechen und vom Kopf des Knaben schießen lassen wollte. Dieß war nun ganz gegen meine Natur und ich überredete ihn, diese Grausamkeit doch wenigstens dadurch zu motiviren, daß er Tells Knaben mit der Geschicklichkeit seines Vaters gegen den Landvogt groß thun lasse, indem er sagt, daß er wohl auf hundert Schritte einen Apfel vom Baum schieße. Schiller wollte anfänglich nicht daran, aber er gab doch endlich meinen Vorstellungen und Bitten nach, und machte es so, wie ich's gerathen. – Daß ich dagegen oft zu viel motivirte, entfernte meine Stücke vom Theater, Schillers Talent war recht fürs Theater geschaffen. Mit jedem Stück schritt er vor und ward vollendeter. – Er war ein prächtiger Mensch, und bei vollen Kräften ist er von uns gegangen.«


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