Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Poetische Arbeiten und Aussichten in Bauerbach

1783.

Besonnener als in dem Herzen des Dichters sah es während dieser ganzen Zeit in seinem Geiste aus. In der Mitte Januars schon war die »Louise Millerin« fertig geworden, und schon wieder beschäftigten ihn neue Entwürfe. Dalberg hatte, wie wir gesehen haben, zuerst seine Aufmerksamkeit auf Don Carlos – (Schiller schrieb sehr lange, hartnäckig das spanische Idiom mit dem portugiesischen verwechselnd, Dom Karlos) – gelenkt, der junge Dichter aber diesen Wink nur im Vorübergehen ins Auge gefaßt. Jetzt ließ er sich von seinem Freunde, dem Bibliothekar Reinwald die bekannte historische Novelle Saint Reals über diesen unglücklichen Fürsten geben, und der Gegenstand begeisterte ihn so sehr, daß er auf der Stelle den Gedanken zu einer neuen Tragödie faßte, die sich in seinem Kopfe mit andern dramatischen Stoffen, Imhof und Maria Stuart, stritten, wie denn auch Conradin von Schwaben in seinem Geiste aufgestiegen war, dessen sich später seine Bewunderer und Nachahmer in längst vergessenen Stücken bemächtigten.

Reinwald war ihm jetzt, wie einst in Stuttgart Petersen, auch in Beziehung auf seine Muse ein willkommener Freund und Herzensrath. Durch Hypochondrie und immerwährende Kränklichkeit höchst reizbar und empfindlich gemacht, war dieser Mann seinem Kerne nach doch ganz vortrefflich, und auch, was Geist und Kenntnisse betrifft, würdig von Schiller hochgehalten zu werden, wie er um seines Herzens willen von demselben geliebt wurde.

Diesem vertraute Schiller während seines Aufenthalts zu Bauerbach alle poetischen Nöthen und Freuden. Ihm klagte er, wie ihn die von einer Seite so wohlthätige Einsamkeit, von der andern Seite doch auch wieder in der Produktion hemme und beschränke. Er war der Meinung, »daß das Genie, wo nicht unterdrückt werden, doch entsetzlich zurückwachsen, zusammenschrumpfen kann, wenn ihm der Stoß von außen fehlt.« – »Mühsam,« äußerte er sich gegen den Freund, »und wirklich oft wider allen Dank muß ich eine Laune, eine dichterische Stimmung hervorarbeiten, die mich in zehen Minuten bei einem guten denkenden Freunde selbst anwandelt, oft auch bei einem vortrefflichen Buch oder im offenen Himmel. Es scheint, Gedanken lassen sich nur durch Gedanken locken, und unsere Geisteskräfte müssen wie die Saiten eines Instruments durch Geister gespielt werden. Wie groß muß also das Originalgenie seyn, das weder in seinem Himmelsstrich und Erdreich, noch in seinem gesellschaftlichen Kreis Aufmunterung findet, und aus der Barbarei selbst hervorspringt!« (21. Februar.)

Durch Reinwalds Vermittlung hatte er wegen seines bürgerlichen Trauerspiels Druckunterhandlungen mit dem Buchhändler Weygand angeknüpft, ein Handel, der sich aber auch zerschlug. Der Freund in Meiningen hatte die Idee, ihn nach Pfingsten mit nach Gotha und Weimar zu nehmen, wohin ihn Freunde und Verwandte zogen. Dort hätte er ihn bei den ersten Geistern eingeführt: Göthe und Wieland hätten ihn mit ihrem Rath unterstützt, ihm einen neuen Lebensplan vorgezeichnet, ihn in die förderndsten Verbindungen gebracht, und zwei verdrießliche, durch Krankheit sehr getrübte Jahre wären dem Dichter erspart geblieben.

Es sollte nicht so kommen. »Was den Dichter von dieser Reise abhielt,« sagt uns Streicher, »war die Sirenenstimme, die sich vom Theater zu Mannheim wieder vernehmen ließ.«

Drei Monate, nachdem Schiller in Oggersheim so schnöde mit seinem Fiesko von Dalberg abgewiesen worden war, hatte dieser die Stirne, sich brieflich bei jenem wieder zu melden und zwar in solchen Ausdrücken, daß Schiller scherzend an Meier in Mannheim schrieb, es müsse ein dramatisches Unglück dort vorgegangen seyn, weil er von Dalberg einen Brief erhalten. Allerdings wandte sich dieser Herr an Schiller unbedenklich wieder, sobald er seiner bedurfte. Er hatte die Trauerspiele Lanassa und Shakspeare's Julius Cäsar unter der Scheere, und fühlte wohl, wie trefflich ihm Schillers Dienste hierbei zu Statten kommen würden. Der politische Eindruck der Räuber in Deutschland war verwischt und in dieser Beziehung die Vokation des Dichters nicht mehr gefährlich, und von den Schauspielern, die den Plan der Louise Millerin von Streicher begeistert aus einander setzen hörten, wurde er nach diesem Stücke sehr lüstern gemacht.

Anfangs stutzte Schiller. »Ich kenne ihn ziemlich,« schrieb er am 27. Mai an Reinwald, »und meine Louise Millerin hat verschiedene Eigenschaften an sich, welche auf dem Theater nicht wohl passiren . . . Ehe ich mich in einen Weygand-artigen Handel mit Dalberg einlasse, will ich die Sache lieber gar nicht in Bewegung bringen.« Zugleich schreibt er seinem Freunde, »daß er nunmehr entschlossen und fest auf einen Don Carlos zu arbeite. Ich finde, daß diese Geschichte mehr Einheit und Interesse zum Grunde hat, als ich bisher geglaubt, und mir Gelegenheit zu starken Zeichnungen und erschütternden oder rührenden Situationen giebt. Der Charakter eines feurigen, großen und empfindenden Jünglings, der zugleich der Erbe einiger Kronen ist – einer Königin, die durch den Zwang ihrer Empfindung bei allen Vortheilen ihres Schicksals verunglückt – eines eifersüchtigen Vaters und Gemahls, – eines grausamen heuchlerischen Inquisitors und barbarischen Herzogs von Alba, sollten mir, dächte ich, nicht wohl mißlingen.« Alles war, wie man sieht, mit Einem Schlag in Schillers Geiste vorbereitet, und nur auf den Marquis Posa harrte der Plan noch. Zum Behufe der Vorstudien erbittet sich Schiller von Reinwald Brantoma's Geschichte Philipps II. Auf ihre nächste Zusammenkunft sollte eine Scene von Don Carlos fertig seyn, die Reinwald zu richten hätte.

Schon sechs Tage nach dieser Unterhaltung mit Reinwald, war (3. April) die Antwort an Dalberg fertig, kalt, gemessen, aber nicht verneinend, und ohne Empfindlichkeit. ». . .. E. E. scheinen, ungeachtet meines kürzlich mißlungenen Versuchs, noch einiges Zutrauen zu meiner dramatischen Feder zu haben. Ich wünsche nichts, als solches zu verdienen; weil ich mich aber der Gefahr, Ihre Erwartung zu hintergehen, nicht neuerdings aussetzen möchte, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen Einiges von dem Stücke vorauszusagen. Außer der Vielfältigkeit der Charaktere und der Verwicklung der Handlung, der vielleicht allzufreien Satire und Verspottung einer vornehmen Narren- und Schurkenart, hat dieses Trauerspiel auch diesen Mangel, daß Komisches mit Tragischem, Laune mit Schrecken wechselt, und, obschon die Entwicklung tragisch genug ist, doch einige lustige Charaktere und Situationen hervorragen. Wenn diese Fehler für die Bühne nichts Anstößiges haben, so glaube ich, daß Sie mit dem Uebrigen zufrieden seyn werden. Fallen sie aber bei der Vorstellung zu sehr auf, so wird alles Uebrige, wenn es auch noch so vortrefflich wäre, für Ihren Endzweck unbrauchbar seyn, und ich werde es besser zurückbehalten . . . Gegenwärtig arbeite ich an meinem Don Carlos. Ein Sujet, das mir sehr fruchtbar scheint, und das ich E. E. zu verdanken habe.«

Und zu diesem Don Carlos kehrte er nun wieder mit ganzer Seele, aber mit einer mehr lyrischen als dramatischen Stimmung zurück. Am 14. April 1783, früh in der Gartenhütte, schreibt er seinem Freunde Reinwald: »In diesem herrlichen Hauche des Morgens denk' ich Sie, Freund, – und meinen Carlos. Meine Seele fängt die Natur in einem entwölkten blankeren Spiegel auf, und ich glaube, meine Gedanken sind wahr. Prüfen Sie solche.« Nun führt eine scharfsinnige, tiefsinnige, ja spitzfindige Meditation in dem Briefe den Gedanken aus, daß jede Dichtung nichts anderes sey, als eine enthusiastische Freundschaft oder platonische Liebe zu einem Geschöpf unseres Kopfes. Selbst die Liebe sey ein solcher glücklicher Betrug; nicht für das fremde, uns ewig nie eigen werdende Geschöpf erschrecken, erglühen, zerschmelzen wir, sondern wir leiden dies Alles nur für das Ich, dessen Spiegel jenes Geschöpf ist. »Ich nehme selbst Gott nicht aus. Gott, wie ich mir denke, liebt den Seraph so wenig als den Wurm, der ihn unwissend lobet. Er erblickt sich, sein großes unendliches Selbst, in der unendlichen Natur umhergestreut. In der allgemeinen Summe der Kräfte bewahret er augenblicklich sich selbst, sein Bild sieht er aus der ganzen Oekonomie des Erschaffenen vollständig, wie aus einem Spiegel zurückgeworfen und liebt sich in dem Abriß« . . . »Der ewige innere Hang, in das Nebengeschöpf überzugehen, dasselbe in sich hineinzuschlingen, ist Liebe . . . Verwechslung eines fremden Wesens mit dem unsrigen.« – Nun »das, was wir für einen Freund, und was wir für einen Helden unserer Dichtung empfinden, ist eben das . . . Ein großer Dichter muß wenigstens die Kraft zur höchsten Freundschaft besitzen . . . Wir müssen die Freunde unserer Helden seyn, wenn wir in ihnen zittern, aufwallen, weinen und verzweifeln sollen . . . Der Dichter muß weniger der Maler seines Helden – er muß mehr dessen Mädchen, dessen Busenfreund seyn.« Und so trägt denn auch Schiller den Carlos an seinem Busen, – er schwärmt mit ihm durch die Gegend um – um Bauerbach herum. »Carlos hat von Shakspeare's Hamlet die Seele – Blut und Nerven von Leisewitz' Julius – und den Puls von mir

Wann ist ein Irrthum beredter und verführerischer vertheidigt worden? denn daß es ein Irrthum sey, beweist die Schöpfungsweise Shakspeare's, Göthe's, des spätern Schiller selbst – und gewiß auch der Schöpfungsakt der ewigen Liebe, soweit wir ihn begreifen können.

Noch dankt in jenem herrlichen Briefe Schiller dem Freunde für seinen letzten Brief, der ihm in seinem Herzen ein unvergeßliches Denkmal gesetzt habe. »Sie sind der edle Mann, der mir so lange gefehlt hat, der es werth ist, daß er mich mit sammt allen meinen Schwächen und zertrümmerten Tugenden besitze, denn er wird jene dulden, und diese mit einer Thräne ehren.«


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