Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Verlauf der Tage zu Rudolstadt. Schiller Göthe'n gegenüber.

1788.

»Man glaubt hier,« fährt Wieland aus Weimar in seinem Briefe fort, »Sie amusirten sich sehr gut in Ihrer Retraite, und legt einen Theil des Verdienstes, Ihnen diesen secessum angenehm gemacht zu haben, auf die schönen oder doch auf Eine schöne Rudolstädterin. Desto besser!«

Inzwischen war die Stimmung des Dichters in seiner Einsamkeit doch oft auch eine trübe, er fürchtete zuweilen einen Cirkel von Fröhlichen durch seinen schwerfälligen Humor zu stören, und schrieb an seine Freundin Caroline von B. »Die Wandelbarkeit der Laune ist leider ein Fluch, der auf allen Musensöhnen ruht.« Aber er erwartete von seinem neuen Verhältnisse auch Erlösung von diesem Fluche: »Rudolstadt und diese Gegend überhaupt soll, wie ich hoffe, der Hain der Diana für mich werden; denn seit geraumer Zeit geht mir's, wie dem Orest in Göthens Iphigenia, den die Eumeniden herumtreiben; den Muttermord freilich abgerechnet, und statt der Eumeniden etwas anderes gesetzt, das am Ende nicht viel besser ist. Sie werden die Stellen der wohlthätigen Göttinnen bei mir vertreten, und mich vor den bösen Unterirdischen beschützen.«

Einen großen Schmerz erfuhr Schiller in diesem Sommer durch den Tod seiner mütterlichen Freundin Frau von Wolzogen zu Bauerbach. Die treffliche Frau hatte im Frühjahr eine schmerzhafte Operation mit vieler Standhaftigkeit und glücklich überstanden, ihr Alter aber scheint die Folgen nicht ausgehalten zu haben. Wilhelm von Wolzogen, ihr Sohn, hatte die Rudolstädter noch vor seiner nahen Abreise nach Paris besucht; er hatte die größte Hoffnung, seine damals noch kränkelnde Mutter werde vollkommen genesen. Nach vier Wochen kam die Nachricht ihres Todes. »Noch ganz betäubt, liebster Freund,« so schreibt Schiller den 10. Aug. 1788 an den trauernden Sohn, »setze ich mich, Ihnen zu schreiben. Ja gewiß, eine theure Freundin, eine vortreffliche Mutter haben Sie und ich in ihr verloren. Ich darf die vielen Augenblicke der Vergangenheit, wo ich ihre schöne, liebevolle Seele habe kennen lernen, nicht lebendig in mir werden lassen, wenn ich die ruhige Fassung nicht verlieren will, in der ich Ihnen schreiben möchte. Aber ihr Andenken wird ewig und unvergeßlich in meiner Seele leben; und alle Liebe, die ich ihr schuldig war, und alle herzliche Achtung, die ich für sie hegte, soll ihr ewig gewidmet bleiben. Mein und unser aller Trost ist dieser, daß sie durch diesen sanften und geschwinden Tod vielem Leiden entgangen ist, das ihr unausbleiblich bevorstand. Ihrer Kinder und ihrer Freunde Herz würde weit mehr dabei gelitten haben, wenn sie ein hoffnungsloses und martervolles Leben hätte fortleben müssen . . . Lassen Sie uns das einen Trost seyn, da wir beide fühlen, daß ein schmerzvolles halbes Daseyn ein traurigeres Loos ist, als der Tod . . . Alle Liebe, die mein Herz ihr gewidmet hatte, will ich ihr in ihrem Sohne aufbewahren und es als eine Schuld ansehen, die ich ihr noch im Grabe abzutragen habe.« Dann erwähnt er auch noch derjenigen, die er früher so oft seine gute Lotte genannt hatte: »Beruhigen Sie Charlotten; dieser Schlag wird sie sehr hart getroffen haben.«

Warum soll es verschwiegen bleiben, was dem aufmerksamen Leser sich doch aufdringt, daß dieser Brief von dem süßesten Trost an den Gräbern der Unsrigen, von der Fortdauer nach dem Tode und dem Wiederfinden der Geliebten in einem andern Leben, schweigt? Vielleicht war Schiller nie so ferne von jenem Gedanken, als in diesen Augenblicken, in welchen er mit Geist und Empfindung ganz in das Diesseits der griechischen Welt vertieft war. Aber die starken Geister unserer Zeit, welche nicht nur besser wirken, sondern am Ende gar besser lieben zu können glauben, wenn sie den Ausblick in eine jenseitige Welt sich und andern verrammeln, dürfen kein Siegesgeschrei bei'm Anblicke dieses Bundesgenossen erheben. Wir werden ihm in entscheidenderen Momenten seines Lebens begegnen, wo er den Anker seiner Hoffnung so gut in die Ewigkeit versenkt, als jeder andre – Christ, in Augenblicken, wo er sich dieser Ueberzeugung vergebens zu erwehren strebt,Ein solcher ist schon oben hervorgehoben worden, mit der engl. Bibel. und selbst in solchen, wo er sie mit den Waffen seines Tiefsinns zu vertheidigen bemüht ist. –

Unsre Erzählung naht sich einem Augenblicke, der entscheidend für das Leben des Dichters hätte werden können, aber doch nicht geworden ist. Göthe kam, von seiner italienischen Reise zurückkehrend, durch Rudolstadt, und Schiller sah ihn im Lengefeld'schen Hause. »Wie alle rein fühlenden Herzen,« sagt Frau v. Wolzogen, »hatten uns dieses Dichters Schöpfungen mit Enthusiasmus erfüllt. Alle unsere erhöhteren, ächt menschlichen Empfindungen fanden durch ihn ihre eigenthümliche Sprache; Göthe und Rousseau waren unsre Hausgötter. Auch floß des erstern so liebenswürdige Persönlichkeit, die wir bei unsrer Freundin Frau v. Stein [zu Weimar] kennen gelernt, mit dem Dichter in unserm Gemüth in Eins zusammen, und wir liebten ihn, wie einen guten Genius, von dem man nur Heil erwartet. Wir hatten Schillern die Rezension des Egmont fast nicht verzeihen können.«

Diese Beurtheilung des Egmont aber, die im Jahr 1788 in der Allgemeinen Literaturzeitung erschienen ist, war gerade eine glänzende Probe von dem kritischen Talente Schillers, und lieferte den Beweis, wie tief sein schöpferischer Geist zugleich mit dem Urtheil in die Geisteswerke Anderer, und zwar der größten Genien, einzudringen vermochte. Ein großer Theil des dort ausgesprochenen Tadels ist nicht widerlegt und wohl unwiderleglich.S. auch Hoffmeister II, 292–294.

Die Freundinnen, die hier also ganz auf der Seite Göthes waren, sahen der Zusammenkunft beider Dichter mit der höchsten Spannung entgegen. Sie wünschten nichts mehr als eine Annäherung, die aber nicht erfolgte. Bei seinem entschiedenen Ruhme und seiner äußern Stellung hatten sie von Seiten Göthes ein Entgegenkommen, von ihrem Freunde Schiller hatten sie mehr Wärme in seinen Aeußerungen erwartet. Sie schoben Göthes Kälte auf seine schmerzliche Sehnsucht nach Italien; aber sie hatte wohl einen andern Grund, und Göthe hat irgendwo auch offen gestanden, daß ihm Schillers damalige Tendenz, wie sie in seinen Hauptwerken und besonders in seinen frühern Dramen sich dargelegt, nicht behagen konnte, ja, daß sie ihn abstoßen mußte, ihn, der auf seiner letzten Reise vollends bemüht gewesen war, alle ästhetischen und socialen Paradoxien abzulegen und das Große und Schöne nur in dem Wahren und Natürlichen zu suchen.Wir müssen hier aus dem Gedächtnisse citiren. Die Stelle findet sich entweder in Kunst und Alterthum, oder in der Morphologie. Man vergleiche übrigens, um die gegenseitige Abstoßung beider Individualitäten bei ihrem ersten Zusammentreffen recht begreiflich zu finden, Hinrichs vortreffliche und erschöpfende Parallele zwischen beiden Dichtern a. a. O. I, XV–LIII.

So standen sich also die beiden Genien das erstemal kalt und unzugänglich einander gegenüber. Den Freundinnen Schillers mochte das Athmen dabei vergehen. Endlich gab Göthe doch einiges Zeichen von Interesse. Er ergriff das Heft des Merkur, welches die Götter Griechenlands enthält, und das von ungefähr auf dem Tische lag, steckte es, nachdem er einige Minuten hineingesehen, ein, und bat es mitnehmen zu dürfen.

Schillers Aeußerungen gegen seine Rudolstädter Freunde stimmten ganz mit dem überein, was er seinem Körner über diese Zusammenkunft schrieb: »Im Ganzen genommen, ist meine in der That große Idee von Göthe nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessanter ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt. Sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sich aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.«

An diese illustre Bekanntschaft reiht sich eine bescheidenere, welche indessen Schillers Lebensbeschreiberin zu melden nicht verschmäht. Auch den Volksfreund Rudolph Zacharias Becker, den Verfasser des Noth- und Hülfsbüchleins und Herausgebers des allgemeinen Anzeigers der Deutschen, der als Rudolstädtischer Hofrath zu Gotha lebte und dort eine Buchhandlung besaß, lernte Schiller im Lengefeld'schen Hause kennen. Der merkwürdige und um Deutschland verdiente Mann faßte eine herzliche Zuneigung zu Schiller, die er der Familie durch die thätigste Theilnahme noch nach dem Tode des Dichters bewies. Der Volksschriftsteller und der Dichter begegneten sich in Seelenstärke, höherem Interesse an der Menschheit, ächter Freiheitsliebe und in ihrer, wiewohl höchst verschiedenen, Wirksamkeit für die deutsche Nation.


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