Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Rückblick.

1785 bis 1794.

Das Leben des herrlichen Dichters liegt in seinem zweiten Abschnitte von dreien hinter uns. Im ersten Buche hatten wir es mit der Kindheit seines Genius zu thun; im zweiten überschauen wir die Bahn, die seine Jugend durchlaufen hat; wir begleiten ihn auf die Ringschule, zum Kampfe mit Form und Stoff, zur Entstehung des Don Carlos; dann sehen wir den schon erstarkteren, noch nicht zufrieden mit der halbgebildeten Kraft, demüthig bei der Geschichte, bei der Philosophie in die Schule gehen. Es sind Meisters Lehrjahre, in welchen sein Geist, geärgert durch das Bewußtseyn, bisher selbst in seinen glänzendsten Proben doch oft nur geredet zu haben, wie ein Kind, und klug gewesen zu seyn wie ein Kind, und kindische Anschläge durchgeführt zu haben, mit künstlerischem Kraftwillen still an sich arbeitete, und abthat, was kindisch war, bis er, zum Manne geworden, mit jenen Meisterwerken hervortreten konnte, welche fast jeden Schritt in der dritten Periode seines Dichterlebens bezeichnen.

Die Vorsehung, von ihm selbst mit dem Gemüthe auch in der Zeit erkannt und dankbar angebetet, in welcher seine Forschung an ihr zu zweifeln schien, die Vorsehung hatte, für die beiden Hauptgeschäfte dieses Lebensabschnittes, sowohl für das Ausbrüten seines letzten und imposantesten Jugendwerkes, des Don Carlos, als für die tiefsinnigen Vorarbeiten zu seinem vollendetern männlichen Wirken, alles Nöthige bestimmt und angeordnet.

Aus dem für seinen Geist nahrungslos und unfruchtbar gewordenen Mannheimer Boden mit der Wurzel herausgerissen, war der Dichter nach Leipzig, in das Gewühl einer größern Welt, und doch wieder in einen engen Kreis verwandter Seelen verpflanzt worden, und hatte im begonnenen Don Carlos nichts als seine Jugendideale mitgebracht, vermehrt um das Bild einer hohen königlichen Frau, zu welchem das Geschick ein Urbild in der Wirklichkeit seinem Geist und Herzen nahe gestellt hatte.Frau v. Kalb soll dem Dichter bei seiner Königin im Don Carlos vorgeschwebt haben. In Dresden mußte ihm die sorgenfreie Zurückgezogenheit des Landlebens Zeit zu den historischen Studien, die sein ihm unter der Hand sich umgestaltender Stoff fortwährend erforderte, wie Muße zur Ausführung und Vollendung des Ganzen gewähren; die große und feine Welt der Residenz mußte dem Stücke das Colorit seiner höheren Sphäre und den würdigen, gehaltenen Styl, durch welchen es sich auszeichnet, verleihen helfen; endlich mußte selbst eine vorübergehende, aber brennende Leidenschaft seine Seele in die Stimmung setzen, die hoffnungslose Liebe des Infanten mit jener lebendigen Glut darzustellen, welche voll Wahrheit in ihr athmet.

Wir haben den Don Carlos entstehen sehen mit seinen Ungleichheiten, Mängeln und Incohärenzen, die niemand besser gekannt und geschildert hat, als der Dichter selbst, aber auch mit seinen blendenden Schönheiten, mit der in ihm concentrirten Beredtsamkeit des freiheitsdurstigen Jahrhunderts, mit der Macht seiner Effekte, mit dem schimmernden Firniß einer herrlichen, von stolzesten Jamben getragenen Diktion. Mag dieser Ueberzug von Rebeglanz ein Fehler seyn, er ist ein so nationaler Fehler, daß das Stück – wie Schillers Dramen überhaupt – in Deutschland ohne diesen Glanz nicht so allgemein gefallen könnte; er ist ein Fehler, wenn Shakspeares nationaler Witz ein Fehler ist, der sich auch hindrängt, wo er nicht hingehört, und doch ihm im In- und Auslande vielleicht mehr Bewunderer verschafft hat, als der geniale Kern seiner Weltpoesie selbst.

Was die Charaktere betrifft, so halten wir zwar für die eigentliche Bürgschaft des dramatischen Genius im Stücke und für die größte künstlerische Gestalt, in welcher sich schon die Mäßigung, Besonnenheit und Selbstverläugnung eines ganz großen Meisters verherrlicht hat, den König Philipp. Aber für den Eindruck, den das Drama macht, wie für die Absicht des Dichters, ist er doch nur die Folie zum Don Carlos und Posa. Und mag man diese Charaktere noch so sehr tadeln, mag man jenen einen Schwächling und diesen einen Schwärmer schelten: zusammengenommen sind sie doch so lebendig und gewaltig, und, zwar nicht spanisch, – aber so durch und durch deutsch, daß der Dichter auch in ihnen eine vollkommen nationelle Wahrheit und Wirklichkeit, in Schwachheit und Größe, dargestellt, und dadurch im Vaterlande und außerhalb desselben, bei allen Nachbarn, die etwas vom germanischen Blute in den Adern haben, die mächtigste Wirkung gethan hat. Oder war nicht etwa die Nation, im Stand ihrer Erniedrigung, als Napoleon die Deutschen so verächtlich als Ideologen behandelte, dem Don Carlos am Hofe Philipps gleich? Und als der geschlagene Eroberer fluchend dem Rheine zueilte und im Grimm ausrief: »die Deutschen haben das Fieber!« – war es nicht die erhabene Gestalt Posa's, die begeistert hinter ihm die Geißel schwang? Und kehren nicht auch in unsrer ernsten Zeit in den edleren Charakteren unsres öffentlichen Lebens die Figuren eines Carlos und Posa in unzähligen Mischungen immer wieder, werden wir nicht durch Worte brütenden Edelsinns oft genug an jenen, und durch Werke begeisterter Aufopferung von Zeit zu Zeit an diesen erinnert? Ja, haben nicht alle liebenswürdigeren Persönlichkeiten unsres deutschen Vaterlandes etwas von den Zügen der beiden Freunde in ihrer geistigen Physiognomie?

So ist es der deutsche Gehalt des Stückes, der ihm die Liebe des Inlands, die Bewunderung des Auslands erworben hat und sichert, der die Widersprüche, der das komische Walten des Zufalls in diesem Trauerspiele, welcher den Infanten in das Zimmer der Prinzessin Eboli, wie in die Laube des Figaro einführt, der dieß und noch vieles Andre in Vergessenheit senkt; es ist sein deutsches Wesen, das ihm nach fünfzig Jahren den lauten Zuruf auf der Bühne erhält, und das ihm in Frankreich an Benjamin Constant einen Nachbildner, in England an Lord John Russel, dem Wigh, einen Nacheiferer, und an John Bruce, dem Hochtory, einen Dollmetscher seines Geistes gewonnen hat.

Als der Don Carlos vollendet war, und Schiller im gewaltigen Bewußtseyn dastand, einen mächtigen Schritt über dieses Stück im Stücke selbst hinausgethan zu haben; und als gerade dieses Bewußtseyn ihm die Nothwendigkeit vorhielt, weiter in den Tiefen der Geschichte und der Philosophie zu forschen; als zugleich ein dunkles Gefühl ihn nach größerer Selbstbeschränkung durch die Form verlangen ließ: da mußte eine verunglückte Neigung ihn von Dresden wegtreiben und Freundeshand lenkte seine Schritte nach dem Hafen, wo er sich zu neuen und kühneren Geistesfahrten ausrüsten sollte, nach Weimar, an die Stätte hellenischer Bildung, unter den Schutz eines Kunst pflegenden und Dichter liebenden Fürsten, in den Kreis der ersten Geister seiner Nation.

Und weil er jetzt sich auf dem rechten Boden befand, auf dem sein Genius endlich gedeihen und reife Früchte tragen konnte, so sorgte das Schicksal dafür, daß der umgetriebene Dichter endlich auch ein festes Hauswesen gründen könnte; er empfing von seinem Fürsten eine Stellung, und aus der Hand einer geistreichen und begeisternden Freundin die geliebte, sanfte, seelenvolle Lebensgefährtin, die sein von mannichfacher Sorge beschwertes Gemüth aufrecht erhielt, und seinen am Geist erkrankten Körper pflegte.

Nicht in Bauerbach durfte einseitige Neigung an ein gleichgültiges Herz, nicht in Mannheim unreife Ruhmsucht an eine schöngeistige Männin, nicht in Dresden blinde Leidenschaft an eine gefallsüchtige Schönheit ihn fesseln. Aus dem Schoße der Natur, der Frömmigkeit, der Freundschaft und des edelsten Familienlebens empfing er im lieblichen und stillen Rudolstadt zur Gattin »das zarte Weib,« das nicht im fremden Kreise der Gelehrsamkeit, sondern »in stiller Thätigkeit, in Uebung ihres hohen, heiligen Berufs, in liebender Brust« ihr ganzes Lebensglück an seiner Seite fand und das seinige schuf. »Selig der Mann,« rief Schiller aus, als dieser Bund schon ein alter war, »selig der Mann, der ein solches Kleinod zu schätzen weiß, und die Freundin seines Herzens bei Arbeiten und häuslichen Beschäftigungen sucht, um sich an ihren anspruchlosen Talenten von seinem mühevollen Streben zu erheitern.«Fr. v. Wolz. II, 215. Worte Schillers, am 18. März 1801 gesprochen.

Ebener und leichter däuchte ihm jetzt, seit dieser Stern ihm leuchtete, der Pfad seines Denkerlebens durchs Dunkel und Dickicht der Geschichtsforschung und der Reflexion, durch die finstern Schlüchte des Zweifels, durch die Nächte tiefsinniger Dichtungen, noch ehe er in dem Aether der heitern Kunst, im frischen, freien Felde des Schaffens wieder zu Tage kam. Und als eine schwere Krankheit noch vor dem Abschlusse, ja vor dem rechten Beginne des kurzen Tagewerks, das ihm auf Erden vergönnt war, das Glück seines Lebens und Dichtens vernichten zu wollen schien, da zeigte sichs, daß sie nur gesendet war, großmüthige Freunde zu erwecken, ihn durch sie von nagenden Sorgen zu befreien, und seinem Geist in einem kränkelnden Körper das Wirken, so lange es Tag war, wenigstens möglich zu machen.

Hoffend und an der Seele gestärkt besucht er sein Vaterland Schwaben, umarmt die alten Eltern, athmet Jugendluft, erquickt sich am Freundesumgang, und kehrt am Schlusse dieser zweiten Lebensperiode, den Erstgebornen auf dem Arm, die Gattin an der Hand und seinen Wallenstein im Busen, an den häuslichen Herd der Liebe, und in die Werkstatt unsterblicher Schöpfungen zurück.



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