Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Die Räuber.

1780.

Zunächst aus dem Kampfe mit der äußern Welt, dann ans dem Kampfe mit der Sünde, zuletzt aus dem Kampfe mit der unbändigen Macht seiner eigenen Naturanlage, und der ihn manchmal fast überwältigenden Reflexion ist der Genius des gewaltigen Dichters, dessen Lebensbild wir schildern wollen, siegreich hervor gegangen. Mit den Sterblichen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel, zuletzt, wie Jakob, mit Gott selbst hat er gerungen, und ist mit ungelähmter Hüfte aus dem Ringkampfe hervorgegangen. –

Da das Manuscript der Räuber fast ganz während Schillers Aufenthalt in der Akademie fertig geworden ist, so muß dieß erste Produkt seiner Muse auch eher besprochen werden, als des Dichters Austritt aus jener Anstalt, obgleich erst der Regimentsmedicus und nicht der Zögling der Carlsschule es in die Welt hinausgehen ließ.

Ueber die innere Entstehung dieses Gedichts ist zuerst sein Verfasser selbst zu hören, der sich vier Jahre später (1784) in der rheinischen Thalia folgendermaßen darüber aussprach:

»Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient. Früh verlor ich mein Vaterland, um es gegen die große Welt auszutauschen, die ich nur eben durch die Fernröhre kannte. Ein seltsamer Mißverstand der Natur hat mich in meinem Geburtsorte zum Dichter verurtheilt. Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel. Aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe: was sie ersticken sollte, fachte sie an. Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealwelt aus. Aber unbekannt mit der wirklichen, von welcher mich eiserne Stäbe schieden, unbekannt mit den Menschen, denn die Vierhundert, die mich umgaben, waren ein einziges Geschöpf, der getreue Abguß Eines und ebendesselben Models, von welchem die plastische Natur sich feierlich lossagte – unbekannt mit den Neigungen freier, sich selbst überlassener Wesen, denn hier kam nur Eine zur Reife, die ich jetzt nicht nennen will: jede übrige Kraft des Willens erschlaffte, indem eine einzige sich convulsivisch spannte; jede Eigenheit, jede Ausgelassenheit der tausendfach spielenden Natur ging in dem regelmäßigen Tempo der herrschenden Ordnung verloren –; unbekannt mit dem schönen Geschlechte – die Thore dieses Instituts öffnen sich, wie man wissen wird, Frauenzimmern nur, ehe sie anfangen, interessant zu werden, und wenn sie aufgehört haben, es zu seyn–; unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal mußte mein Pinsel nothwendig die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen, mußte er ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um das Beispiel einer Geburt zu verewigen, welche die naturwidrige Vermischung der Subordination und des Genius hervorgebracht.«Hier sind ein paar Worte von uns geändert worden. Zur Entschuldigung diene, was Hoffmeister I, 74 sagt.

»Ich meine die Räuber. Dieß Stück ist erschienen. Die ganze sittliche Welt hat den Verfasser als einen Beleidiger der Majestät vorgefordert. Seine ganze Verantwortung sey das Klima, unter dem er geboren ward. Wenn von allen den unzähligen Klagschriften gegen die Räuber eine einzige mich trifft, so ist es diese, daß ich zwei Jahre vorher mich anmaßte, Menschen zu schildern, ehe noch einer mir begegnete.«

So viel Wahres diese edle Selbstanklage enthält, die mit dem früheren Wahne des Dichters, daß er in den Räubern »nur die Natur gleichsam wörtlich abgeschrieben,« in grellem Widerspruche steht, so ist sie doch übertrieben und ungerecht. Der ungeheure Eindruck, den dieses Stück in ganz Deutschland hervorbrachte, beweist, daß es kein so unnatürliches Produkt, oder vielmehr, daß seine Unnatur selbst damals eine furchtbare Wahrheit war. Schiller hatte die Welt nur aus einer Fernröhre, aber die damalige Welt aus dieser richtig gesehen: oder eigentlich der Weltzustand seiner Zeit spiegelte sich in der hohen Carlsschule. Wenn die Räuber »der Angstruf eines Gefangenen nach Freiheit« waren, so glaubte damals die halbe Welt in den gleichen Fesseln zu schmachten, und jener »Unwille einer starken Seele« der sich in dem Stücke hörbar gemacht hat, jener Schmerzenslaut über Unterdrückung, fand ein so einstimmiges Echo nur darum in der Gesellschaft, weil die bürgerliche Ordnung wirklich krank und unterhöhlt, und theilweise die Auflösung und der Einsturz bevorstehend war. Nicht Karl Moor, die Zeit und Mitwelt selbst war der verlorne Sohn der dramatischen Parabel. Alle fühlbaren Mängel dieses Melodrama's, alle Monstrositäten der Anlage, Uebertreibungen der Handlung, der Charaktere, Rohheiten und Frechheiten der Sprache wurden nicht nur als Verirrungen eines großen, sich in dieser Mißgeburt dennoch verherrlichenden Genie's, einer ungeheuren Phantasie und Geisteskraft verziehen, sondern sie wurden vor Allem vergessen über dem Ton der Gerichtsposaune, die aus diesem Stück über die lebende Generation hintönte, an welcher binnen eines halben Menschenalters das alles in Erfüllung gehen sollte, was in dem engen Raume dieses Stückes zusammengedrängt war; denn das Geschlecht, an welches der Dichter mit seinen Räubern sich richtete, verging nicht, ehe ein Nachbarstaat und bald die Welt sich mit jenen Räubern füllte, deren »Handwerk Wiedervergeltung und deren Gewerbe Rache war.«

Jener Parlamentsrath, der geschworen hatte, das Volk müßte noch so weit gebracht werden, daß es Heu fresse,Räuber. Act II. Sc. II. Franz: »In meinem Gebiete soll's so weit kommen, daß Kartoffeln und dünnes Bier ein Traktament für Festtage werden, und wehe dem, der mir mit feurigen Backen unter die Augen tritt, Blöße der Armuth und sclavische Furcht sind meine Leibfarbe; in diese Livrey will ich euch kleiden!«, und seine Mörder, die ihn, ein Bund Heu auf dem Rücken, ein Band von Nesseln um den Hals, und einen Distelstrauß in der Hand nach Paris auf die Schlachtbank trieben und seinen Durst mit gepfeffertem Weinessig stillten – waren beides nicht Ungeheuer, von dem wirklichen Leben aus Schillers idealen Räubern entlehnt?

Zwölf Jahre nach dem Erscheinen seiner Tragödie erhielt ihr Verfasser das neufränkische Bürgerdiplom des Pariser Nationalconvents. Diese Cassandrenweissagung der Revolution ist es, welche dem wilden Stücke unausgegohrener Dichterkraft den jubelnden Beifall eines gährenden Geschlechtes erwarb, während der Widerstand und die Besonnenheit einen Ruf des Entsetzens oder nüchterne Laute der Warnung hören ließen.

Der Zusammenhang in des Dichters Erstlingsstück mit der Weltlage macht auch den Ausruf jenes Fürsten begreiflich, den nach Eckermann, Göthe, der Badgast, in dem engen Mühlwege zum offenen Geständnisse brachte: »Wäre ich Gott gewesen, im Begriffe, die Welt zu erschaffen, und ich hätte in dem Augenblicke vorausgesehen, daß Schillers Räuber würden darin geschrieben werden, ich hätte die Welt nicht geschaffen;« das heißt doch nichts anders, als: wenn die Welt nur mit der Revolution bestehen kann, so wäre sie besser ungeschaffen geblieben.

Allerdings würde Schiller von allen Freunden der Ordnung einen schweren Vorwurf verdient haben, wenn er in Deutschland der Prediger und nicht blos der Prophet jener Staatsumwälzung gewesen wäre. Welch' ein Feuer hätte er zehen Jahre später mit dem Blitz und Donner seines Talentes vom Rhein aus anzünden helfen können, wenn er, der aus dem nächsten Vaterland einst Verbannte, wie andre Werkzeuge der Selbstsucht und der Verblendung, sich in das Lager des Feindes geworfen hätte, wenn er ein Organ der Leidenschaft, und nicht der göttlichen, ruhigen Wahrheit hätte werden, wenn er der Anarchie hätte dienen wollen, wie er der Freiheit in der Schönheit gedient hat! Denn nicht mit Unrecht hat sein Freund Scharffenstein von ihm geurtheilt: »Wäre Schiller kein großer Dichter geworden, so war für ihnNach seinem wirklichen Bildungsgange; was unsere Annahme, daß er bei einer andern Jugendbildung ein Vordenker seiner Nation geworden wäre, nicht widerspricht. keine Alternative, als ein großer Mensch im aktiven, öffentlichen Leben zu werden.«

Von den innern Veranlassungen zu den Räubern gehen wir zu den äußern über. Die Neigung zur dramatischen Dichtkunst war, wie wir gesehen haben, frühzeitig in Schiller rege geworden. Selbst die strenge Anstalt, welche ihn hermetisch vor der Poesie verschließen sollte, hatte dieselbe unterhalten. Schon im ersten Jahre seines Aufenthalts in der Pflanzschule wurde auf der Solitude am dritten Jahrestage der Militärakademie der Geizige von Molière, und das Jahr darauf eine andere Comödie, der Deserteur von Mercier in französischer Sprache vor dem Herzoge von den Eleven aufgeführt. Aehnliches geschah wohl auch in Stuttgart. Wenigstens erzählt uns Petersen, daß jährlich in einem Saale der Carlsschule theatralische Vorstellungen von den Zöglingen gegeben werden durften, wobei einige derselben auch die weiblichen Rollen zu übernehmen hatten. Da trat denn auch Schiller als Clavigo in Göthe's Schauspiele dieses Namens auf, obgleich, charakteristisch genug, Beaumarchais sein Liebling war; aber je produktiver sein Genius sich bald darauf zeigte, je weniger hatte er die Gabe der Nachahmung: Schiller, der künftige Schauspieldichter, fuhr als Schauspieler auf seinem Stuhle in Clavigo's Rolle wie besessen herum, und wurde, durch diese heftige Mimik, sein unangenehmes Organ und seine schreiende Deklamation ein Gegenstand des Gelächters.

Von seinen eigenen dramatischen Versuchen der frühern Zeit ist schon erzählt worden. Den lyrischen Stoff zu den Räubern, seinen Grimm gegen die willkührliche Beschränkung durch zweckwidrige Staatseinrichtungen und Herkömmlichkeiten, (die Akademie war ihm sein Staat und sein Kerker) trug er schon lange mit sich im Busen herum, aber, weil zum Drama geschaffen, schüttete er denselben nicht in Lieder aus, sondern sein Geist erwartete einen äußern Anstoß, seinen ganzen Groll in objektive Handlung zu verwandeln.

»Die Räuber,« sagt Scharffenstein, »schrieb er zuverlässig weniger um des literarischen Ruhmes willen, als um ein starkes, freies, gegen die Conventionen ankämpfendes Gefühl der Welt zu bekennen.« In jener Stimmung äußerte er oft gegen seinen Freund: »Wir wollen ein Buch machen, das aber durch den Schinder absolut verbrannt werden muß!« Die Veranlassung von außen kam endlich. Das schwäbische Magazin von Balthasar Haug, in welchem Schiller die Erstlinge seiner Muse niedergelegt hatte, enthielt die Erzählung eines durch seinen verstoßenen Sohn geretteten Vaters. Schnell war vom Dichter der Plan zu seinem »verlorenen Sohne« im Geist entworfen, ein Titel, der jedoch nicht der bleibende war, sondern an dessen Stelle, nach Art der Classiker, bei welchen oft der Chor die Überschrift zum Stücke hergab, der andre Titel »die Räuber« trat, als der Freiherr von Dalberg eine Umschmelzung des Trauerspiels für das Theater (im August 1781) verlangt hatte.

Die Arbeit wurde mit großen Unterbrechungen, unter beständiger Furcht, entdeckt zu werden, im Krankensaale, bei der Nachtlampe – wie oben des jungen Schillers Weise zu dichten geschildert worden ist – allmählich vollendet. Nur wenige Freunde erhielten davon Kunde und Mittheilungen. Hier und da steckte auch wohl ein jüngerer Zögling ehrerbietig und scheu den Kopf in das Kabinet des schaffenden Giganten, und ein solcher erinnert sich noch heute den bei einer Flasche Bier über dem Manuscripte seiner Räuber brütenden Dichter belauscht zu haben. Von Zeit zu Zeit vergnügte er seine Freunde mit der Vorlesung eben fertig gewordener Scenen, und einst wurde er in ihrem Kreise von einem Aufseher überrascht, als er glühend und wie in Verzweiflung die Worte deklamirte, die Franz Moor zum Pastor Moser sagt: »ha! was? kennst du keine drüber? Besinne dich nochmals! Tod, Himmel, Ewigkeit, Verdammniß schwebt auf dem Laute deines Mundes!« In diesem Augenblicke öffnete der Inspektor die Thüre. »Ei, so schäme man sich doch,« rief er aus, »wer wird denn so entrüstet seyn, und fluchen?« Damit zog er sich zurück; die anwesenden Zöglinge lachten in die Faust, und Schiller rief ihm mit einem bittern Lächeln nach: »ein confiscirter Kerl!« Dieß ist ein Ausdruck, dem wir auch in dem ersten Drama Schiller's begegnen.

Eine Kritik der Räuber liegt nicht im Plane dieser Blätter, auch hat Schiller's neuester Lebensbeschreiber, Hoffmeister, eine gründliche Beurtheilung geliefert, auf welche wir, ohne ein Plagiat zu begehen, nur einfach verweisen können. Das Schauspiel selbst ist ohnedem aller Welt gegenwärtig, und obgleich Schiller selbst, auf einer hohen Kunststufe angelangt, dasselbe, wie alle seine frühern Stücke, nicht mehr lieben konnte und es nicht mehr zur Aufführung gebracht wissen wollte, obgleich er im Angesichte seines Wallenstein, die dramatische Laufbahn eine ihm ganz unbekannte, wenigstens unversuchte nannte, und Alles, was er im Dramatischen zur Welt gebracht, für nicht sehr geschickt hielt, ihm Muth zu machen, so werden doch die Räuber ein Bühnenstück und ein Lieblingswerk der deutschen Jugend bleiben. »Das war vor fünfzig Jahren, wie jetzt,« sagt Göthe bei Eckermann, »und wird auch wahrscheinlich nach fünfzig Jahren nicht anders seyn. Was ein junger Mensch geschrieben hat, wird auch wieder am besten von jungen Menschen, genossen werden. Und dann denke man nicht, daß die Welt so sehr in der Cultur und gutem Geschmack vorschritte, daß selbst die Jugend schon über eine solche rohere Epoche hinaus wäre; wenn auch die Welt im Ganzen fortschreitet, die Jugend muß doch immer wieder von vorne anfangen und als Individuum die Epochen der Weltcultur durchmachen.«

Das Glücklichste an den Räubern war ihre Erscheinung im rechten Moment. In Hyperbeln der Gesinnung und Weltansicht, in Witzen, in Bildern, in Gegensätzen voll Schneide, – wie viele Stümper haben darin den jugendlichen Dichter seitdem übertroffen! Noch heutzutage wiederholen sich, den Umständen angepaßt, dieselben Deklamationen, ohne daß Jemand darauf hört. Auch gleichzeitige, selbst ältere Schriftsteller, wie Schubart, hatten einen ähnlichen Ton angestimmt, und doch in den Wind geredet. Wer aber hat dem Dichter der Räuber das Geheimniß abgelernt, zur gelegensten Zeit ein so hinreissendes Wort (wenn auch weniger als halbwahr) zu sprechen, und bei allem Mangel an Kunst, Mangel an Erfahrung, Mangel an Kenntnissen, Mangel an wahrer Empfindung durch den bloßen Sturm seiner Leidenschaft die Gefühle der Mitwelt so gewaltig aufzuregen?

Schiller selbst sah auf das erste Werk seiner Jugendkraft zuerst mit stolzem Gefühle zurück. »Das einzige Schauspiel, auf württembergischem Boden gewachsen!« rief er in seiner Selbstkritik der Räuber aus. Und doch hätte nicht wohl ein Fremder strenger in der Beurtheilung des Stückes seyn können, als Schiller eben in seiner Selbstrecension war, und keine fremde Kritik hat so derb und so wahr gesprochen, wie er von sich in folgendem Endurtheil: »Wenn man es dem Verfasser nicht an den Schönheiten anmerkt, daß er sich in seinen Shakspeare vergafft hat, so merkt man es desto gewisser an den Ausschweifungen. Das Erhabene wird durch poetische Verblümung durchaus nie erhabener, aber die Empfindung wird dadurch verdächtiger. Wo der Dichter am wahrsten fühlte und am durchdringendsten bewegte, sprach er wie unser einer. Im nächsten Drama erwartet man Besserung, oder man wird ihn zur Ode verweisen . . . Seine Bildung kann schlechterdings nur anschauend gewesen seyn [d. h. nicht bewußt künstlerisch]; daß er keine Kritik gelesen, vielleicht auch mit keiner zurecht kommt, lehren mich seine Schönheiten und noch mehr seine kolossalischen Fehler. Er soll ein Arzt bei einem württembergischen Grenadierbataillon seyn, und wenn das ist, so macht es dem Scharfsinn seines Landesherrn Ehre. So gewiß ich sein Werk verstehe, so muß er starke Dosen in Emeticis ebenso lieben als in Aestheticis, und ich möchte ihm lieber zehn Pferde als meine Frau zur Kur übergeben.«


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