Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Philosophische Fortbildung.

1785 bis 1789.

Ehe wir den dreißigjährigen Dichter ins häusliche Leben begleiten, sey abermals ein Blick in sein Inneres geworfen, wo die produktive, die eigentliche Dichterkraft in dieser Periode zu ruhen schien,Wie wenige Gedichte seit dem Don Carlos bis 1789 entstanden, ist gesagt worden. Von 1790 bis 1784 wurde vollends kein einziges Originalgedicht fertig, und nur die Uebersetzungen aus Virgil fallen in diese Zeit. Vergl. Körners Nachrichten von Schillers Leben. In Schillers Werken, Ausg. von 1830. S. 1296, a. und das spekulative Denken in voller Thätigkeit war. Daß er ganz auf dem Wege nach der kritischen Philosophie sich befand, haben wir aus einzelnen seiner Äußerungen, aus Stellen seiner Werke hinlänglich gesehen. Hier und da, wo sich sein Geist selbst im Denken als Erfinder zeigte, übersprang wohl auch ein Ideenblitz die Stadien dieser Bildung, und die Ahnung des Schülers eilte selbst dem systematischen Gange des Meisters voraus. Solche Fulgurationen seines Geistes hat sowohl Hoffmeister in seinem Werke, als auch der Verfasser dieser Schrift herausgefunden und hervorgehoben. Wenn man aber darum den Dichter als Denker, nicht in der Potenz, sondern in der Wirklichkeit seiner Leistungen, zum Meister statt zum Lehrling machen, und Kant, dem Philosophen, als ebenbürtig zugesellen wollte, so würde man mit der Wahrheit zugleich seinem Genius Unrecht thun. Denn wenn ihn die Natur so ganz und entschieden zum Denker bestimmt gehabt hätte, so würde sie selbst es nimmermehr zugelassen haben, daß ihr Werk in einen ganzen Dichter umgeprägt worden wäre, der Denker hätte in ihm dem Poeten nicht dienen dürfen, er hätte geherrscht, und dieser wäre zum Halbdichter herabgesunken. Auch hätte, wie wir im ersten Buche dieser Biographie zu zeigen versucht haben, ein ganz anderer Bildungsgang dazu gehört, Schiller zum leitenden Denker seiner Zeit zu machen. Wie es nun steht, hat sein genialer Wille die herrlichste Poesie der bedrohlichen Denkkraft glücklich abgetrotzt. Ueberhaupt aber ist es offenbar, daß Schiller, seit er mit den Schriften Kants, dermalen nur durch Belehrung von Freunden, bekannt wurde, in seiner Vernunftbildung streng der zeitlichen und geschichtlichen Entwicklung dieses Systems gefolgt ist. Von allen jenen blendenden Ideen Raphaels, vom philosophischen Gespräche des Prinzen im Geisterseher, von den brieflichen Gedankenäußerungen über philosophische Gegenstände, von den spekulativen Episoden und Einkleidungen der historischen Arbeiten endlich – gehört die schöne und zweckmäßige Verarbeitung und der Glanz der Darstellung unsrem Dichter, der Ideengehalt aber, einige vorwitzige Blicke des Genies ausgenommen, dem Schöpfer der kritischen Philosophie. Diese Behauptung wird Jeder bekräftigen, der Kants drei Kritiken durchstudirt hat. Auch war jener lächerliche Hochmuth, in welchem sich je der schwächere Schüler gebärdet, als wäre er der Erfinder des Systems, welches nach zu denken ihm endlich gelungen ist, von niemand ferner, als von dem bescheidenen und einsichtigen Schiller, selbst als er sich längst unmittelbar an Kants Schriften gewendet hatte.

Man hat über den Nachtheil, welchen Schillers Dichtergeiste die Kant'sche Philosophie gebracht, viel gesprochen, und Göthe hat ein offenes und wahres Wort darüber hinterlassen, auf das auch wir kommen müssen. Einen Vortheil aber hat, außer den unermeßlichen Diensten, welche seinem Dichtergenius viel später die Kritik der Urteilskraft geleistet, schon die Kritik der reinen Vernunft, deren Inhalt auch ungelesen für ihn längst transspirirt hatte, seinem dichterischen Wirken gebracht: die entfernte Kunde von derselben hat ihn von dem traurigen, freiheitlähmenden Egoismus der Spinozistischen Ansicht, wie wir oben gesehen, befreit, und er hätte ohne dieses Correktiv sicherlich den Don Carlos zu dichten nicht vermocht, sein Geist hätte sich nie zur Begeisterung eines Posa entzündet, dessen Beredtsamkeit an alle Nationen spricht, man mag ästhetische Skrupel wider ihn haben, welche man will.

Nicht so glücklich wirkte die erste Bekanntschaft mit der kritischen Philosophie auf seine religiösen Ueberzeugungen.Da der Verf. über diese sich anderswo verbreiten wird, so sollen sie in gegenwärtiger Schrift auch forthin nur berührt werden, so weit es für eine Biographie unumgänglich nothwendig ist. Ueberdieß giebt die Schrift »Schiller im Verhältniß zum Christentum von Rudolph Binder« (2 Bde. Stuttg. Metzler 1839) eine treffliche Uebersicht über den Gegenstand. Hier trat an die Stelle der Mystik des Unglaubens, welcher sich die idealeren Anhänger Spinozas von jeher in die Arme geworfen haben, eine nüchterne Spekulation des Zweifels, welche die höchsten Bedürfnisse unsres Wesens bald mit Begierde ergriff, bald, und noch öfter mit Widerwillen zurückstieß. Aus einer solchen Richtung erklären sich seine widersprechenden Aeußerungen über Gott und Unsterblichkeit.

Dieser Widerspruch ist hauptsächlich an Kants Kritik der reinen Vernunft, oder vielmehr an der Ahnung davon, großgezogen worden; ihr Wiederhall läßt sich in der Antwort Raphaels an Julius, im Gespräche des Prinzen, in den Göttern Griechenlands, in einigen Stellen der Künstler, und in einzelnen vertraulichen Aeußerungen des Privatlebens vernehmen. Der Zweifel mildert sich, ja er verschwindet theilweise, so wie Schiller, wieder anfangs nur durch Andre, mit der Kritik der praktischen Vernunft bekannt wird, in welcher der große Vernunftzauberer, wie schon oft bemerkt worden, durch eine Hinterthüre den alten Glauben wieder hereinlockte, den er durch das Hauptthor seines Systems hinausgewiesen hatte.

Die Kritik der reinen Vernunft war im Jahre 1781 erschienen und zu Schillers entfernterer Kenntniß etwa im Jahre 1785 gekommen. Mit ihr nahm der Materialismus, so wie das System der absoluten Immanenz, Abschied von seinem Geiste. Hoffnung, vom Zweifel geschlagen, beherrschte seitdem seine Seele; aber mit der zweiten Kritik, die 1787 erschien und 1789 ganz gewiß von Schiller dem Inhalte nach gekannt war, gewann die Hoffnung wieder die Oberhand. Und als, ohne Zweifel in den ersten Monaten dieses letztern Jahrs, eine junge Frau zu Weimar, die in den Kreis seiner näheren Bekannten gehört haben muß, ihren Gatten im ersten Jahre einer glücklichen Ehe durch den Tod verloren, sprach Schiller in einem zu ihrem Trost verfaßten Gedichte, welche dessen ästhetischer Gehalt von der Sammlung seiner lyrischen Gedichte ausschloß, das uns aber für den Gang seiner Ueberzeugung von unschätzbarem Werthe ist, in glühenden Worten, aber geringen Versen, wie folgt:Boas I, 80–82. Ist das Gedicht auch ächt? Ist es, falls es wirklich von Schiller herrührt, nicht zum Theil ursprünglich ein Brouillon aus der Akademie, in der Noth von ihm hervorgesucht? Denn wie sollte der Sänger der »Künstler« so kunstlos im Jahr 1789 geverselt haben? – März 1840.

Geister können nicht wie Staub vergehn,
Nein! du wirst den Gatten wiedersehn.

Jammre nicht, daß jener Leib vermodert,
Staub wird Staub, der Himmelsfunke lodert
Aus der Asche, wo er sich verlor,
Herrlicher zur Flamme bald empor.

Oder wären diese heißen Thränen
Nach Unsterblichkeit, dieß bange Sehnen,
Dieses ew'ge Streben der Natur,
Fortzudauern, Traum und Täuschung nur?

Kein Atomenstäubchen geht verloren,
Wird im Kreislauf immer neu geboren,
Und mein Geist, ein Strahl des ew'gen Lichts,
Sollt' erlöschen? würd' auf ewig – Nichts?

Und der Frevler dürfte ohn' Erröthen
Frech den Biedermann mit Füßen treten?
Beide würden der Verwesung Raub,
Wären gleich vor Gott, wie Staub und Staub?

Und der Wunsch, in seligen Gefilden
Meines Geistes Kräfte auszubilden,
Wär' ein Traum? – Nein! so giebts keinen Gott,
So ist Weisheit Wahnsinn, Unschuld Spott.

Alsdann flucht der Dichter dem Tag, wo ein schadenfrohes Wesen ihn auf die Welt, den Schauplatz des Jammers, rief, wo dem Weisen

Oft im Lenz des Todes Fessel klirrt,
Und der Bösewicht zum Greise wird;

Einer Welt, wo sich auf allen Gängen
Todesbilder mir entgegendrängen,
Einer Welt, wo jede Spanne Land
Ein Geschöpf begräbt, das einst empfand.

Wie viel Wesen lebten, litten, rangen,
Starben, seit die Welt hervorgegangen?
Jedes Stäubchen, o wie fürchterlich!
War einst Nerve, zitterte, wie ich

Vor Vernichtung – und der Schöpfer hörte,
Des Geschöpfes Jammer, und zerstörte
Es auf ewig? – nein, so ist kein Gott,
So ist Glaube Wahnsinn, Tugend Spott.

Ja, befriedigen wird Gott dieß Sehnen,
Ja, es kommt ein Tag, wo alle Thränen
Unser Vater, der sie zählt, vergilt,
Wo die Nacht des Schicksals sich enthüllt.
—   —   —   —   —   —   —   —   —

Wir dürfen glauben, daß, wenn dieses Lied wirklich von Schiller herrührt,Wiederholte Zweifel drängen sich uns gegen das Ende des Liedes auf, wo die Auferstehung des Fleisches geschildert wird, eine dem Dichter wohl schon vor 1781 fremde Vorstellung. – März 1840. wofür besonders die vierte und fünfte Strophe sammt der sechsten sprechen möchten, von welchen die eine ihren Ursprung aus Raphaels Briefen, und die andre ihn aus Kants praktischer Vernunft zu verrathen scheint, es auch den Ausdruck seiner Ueberzeugung, wie sie sich damals gebildet hatte, enthält. Noch war nicht die Zeit, wo ein ehrlicher Mann von »verschiedenen Standpunkten aus« heute so und morgen anders sprechen konnte: dieß hieß damals noch heucheln; nicht die Zeit, wo man andre trösten zu dürfen meinte mit Gründen, an die man selbst nicht glaubte: dieß hieß täuschen. Der Lehrdichter haftete in jenen Tagen noch für die subjektive Wahrheit dessen, was er singend predigte. –

So hätte denn dem Dichter seinen Schöpfer und seine Unsterblichkeit, die ihm Spinoza ganz genommen und die Kritik der reinen Vernunft nur gezeigt hatte, damit er wieder daran zweifelte – der moralische Beweis der praktischen Vernunft für diese Periode seines Denkens ganz zurückgegeben. Die Kritik der Urteilskraft, die den Denker zwar erst gänzlich zu Kant, aber auch zuerst wieder, wenn gleich sehr langsam, auf die Bahnen des Dichters leitete, war im Jahre 1789 noch nicht erschienen.


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