Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Die Professur in Jena. Verlobung. Heirath.

1788 bis 1789.

Schon in Rudolstadt, im Freundesumgange, war unter den verschiedenen Zukunftsplanen Schillers auch eine Professur der Geschichte zur Sprache gekommen; sie paßte zu seinen schriftstellerischen Arbeiten (seine Geschichte des Abfalls der Niederlande war im Erscheinen) wie zu seinen Vorsätzen, und die äußern Umstände waren der Aussicht, eine solche zu erhalten, nicht ungünstig. Jetzt führte der Abgang Eichhorns von Jena nach Göttingen die Möglichkeit näher herbei, und Schiller gab (28. Dec.) seinen Freundinnen eine Nachricht, welche leider eine seiner schönsten Hoffnungen, die Rückkehr zu ihnen, für eine Zeit lang zu Grunde richten sollte. »So sehr es im Ganzen mit meinen Wünschen übereinstimmt, so wenig bin ich von der Geschwindigkeit erbaut, womit es betrieben wird. Ich selbst habe keinen Schritt in der Sache gethan, habe mich aber übertölpeln lassen; und jetzt, da es zu spät ist, möchte ich nicht gerne zurücktreten. Man hatte mich vorher sondirt, und gleich den Tag darauf wurde es an unsern Herzog nach Gotha geschrieben, der es an dem dortigen Hofe gleich einleitete. Jetzt liegt es schon in Koburg, Melningen und Hildburghausen, und ist vielleicht in drei Wochen entschieden.« Schon vor einigen Tagen hatte ihm der nachmalige Geheimerath von Voigt die schriftliche Erklärung der Regierung mitgetheilt, daß Schiller seine Einrichtung machen möchte, weil alles so gut als im Reinen sey. »Also die schönen paar Jahre von Unabhängigkeit, die ich mir träumte, sind dahin; mein schöner künftiger Sommer ist auch fort; und dieß Alles soll mir ein heilloser Katheder ersetzen! . . . Ich rechne darauf, daß Sie mir in diesem Sommer eine himmlische Erscheinung in Jena seyn werden, weil ich das erste Jahr zu viel zu thun und zu lesen habe, um noch etwas Zeit für die Wünsche meines Herzens übrig zu behalten. Dafür verspreche ich, die folgenden Jahre Ihnen diesen Liebesdienst weit zu machen. Ist für mich nur erst ein Jahr überstanden, so liest sichs alsdann im Schlafe, und ich habe meine Seele wieder frei.«

Göthe war in dieser Sache überaus gütig gewesen, und zeigte viel Theilnahme an dem, wovon er glaubte, daß es zu Schillers Glück beitragen würde. Von Knebel, der unsern Dichter nicht sonderlich anzuziehen schien, meldet er, »daß derselbe vermutlich just, als er es von Göthe erfuhr, in seiner theilnehmenden Laune gewesen;« – »denn ich höre, daß es ihn sehr freuen soll. Ob es mich glücklich macht, wird sich erst in ein paar Jahren ausweisen. Doch habe ich keine üblen Hoffnungen. Werden Sie mir nun auch gut bleiben, wenn ich ein so pedantischer Mensch werde, und am Joch des gemeinen Besten ziehe? Ich lobe mir doch die goldne Freiheit! In dieser neuen Lage werde ich mir selbst lächerlich vorkommen. Mancher Student weiß vielleicht schon mehr Geschichte, als der Herr Professor. Indessen denke ich hier, wie Sancho Pansa über seine Statthalterschaft: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand; und habe ich erst meine Insel, so will ich sie regieren wie ein Daus! Wie ich mit meinen Herren Collegen, den Professoren, zurecht komme, ist eine andere Frage.« Doch – »mit den dortigen Menschen,« schreibt Schiller am 4. Jan. 1789, »denke ich schon leidlich auszukommen. Eigentlich gerathe ich auch mit keinem in Kollision, weil ich nicht hingehe um Geld zu verdienen, und höchstens zwei Collegien lese.«

Unter solchen Hoffnungen und Sorgen kam das Frühjahr heran, und im April schickte der Dichter den Schwestern ein Exemplar von seinem philosophischen Doktordiplom, damit sie doch auch etwas zu lachen hätten, wenn sie ihn in einem so lateinischen Rocke erblickten. »Uebrigens ist es ein theurer Spaß, denn er kostet mir 50 Thaler.«

1789.

In demselben Monate erschien Bürger auf einige Tage zu Weimar und Schiller war viel in seiner Gesellschaft. Sein erstes Urtheil über diesen Dichter ist nicht ohne Vorurtheil und legte, wie es scheint, den Grund zu seinem letzten. Er heißt ihn zwar einen geraden, guten Menschen, findet aber in seinem Aeußern und in seinem Umgange nichts Anziehendes. Auch in dem letztern verliere sich, wie in seinen Gedichten, der Charakter der Popularität zuweilen ins Platte. »Das Feuer der Begeisterung scheint in ihm zu einer ruhigen Arbeitslampe herabgekommen zu seyn. Der Frühling seines Geistes ist vorüber, und es ist leider bekannt genug, daß Dichter am frühesten verblühen.« Doch verschmähte der unsrige nicht, mit Bürger einen kleinen Wettkampf einzugehen, dem wir die Uebersetzung der Stücke aus Virgils Aeneide in freien Wielandischen Stanzen verdanken, und Bürgers Urtheil über Stolbergs Schwachsinnigkeit in Betreff der Götter Griechenlands acceptirte er mit Beifall. »Noch ein Fremder ist hier,« fügt Schiller der Erzählung über Bürger hinzu, »aber ein unerträglicher, der Capellmeister Reichardt aus Berlin. Er komponirte Göthens Claudine von Villabella, und wohnt auch bei ihm. Der Himmel hat mich ihm auch in den Weg geführt, und ich habe seine Bekanntschaft ausstehen müssen. Wie ich höre, muß man sehr gegen ihn mit Worten auf seiner Hut seyn.«

Den letzten Brief an seine Freundinnen in Rudolstadt schrieb Schiller unter dem Rollen des Donners am 30. April; in der andern Woche reiste er ab mit schwerem Abschiede von den schönen, freundlichen Musen, denen er auf zwei oder drei Jahre, um sich seines Fachs zu bemächtigen, absterben zu müssen glaubte, und deren weiblich rachsüchtiges Gemüth – wie er scherzend sprach – ihm Sorgen machte.

Am 4. Mai hatte er schon eine Vorlesung in Jena gehalten.Fr. v. Wolz. II, 10. Wenn dieß Datum richtig ist, woran kaum zu zweifeln, so irrt Hoffmeister II, 137, wenn er behauptet, daß Schiller seine Vorlesungen erst gegen Ende Mai's eröffnet habe. Sein Lehramt begann unter günstigen Auspizien; über vierhundert Zuhörer strömten herbei und machten ihm Muth; seine Stimme hielt sich gut und füllte den Hörsaal ohne Anstrengung aus. Die ersten Briefe athmeten Zufriedenheit mit der neuen Lage, und die Freunde in Rudolstadt hatten alle Ursache, sich der Stellung des theuren Mannes im äußern Leben zu erfreuen. Auch die Anerkennungen von außen mußten ihn ermuthigen: Hufeland brachte ihm von einer großen Reise Empfehlungen aus Berlin, ja selbst von Kant aus Königsberg; Gedike »der Universitätsbereiser« gedachte sein; Engel schien ihm günstiger zu werden. – Mit dem Griesbach'schen Hause kam er in genaue Verbindung. »Ich weiß nicht,« schreibt er, »wodurch ich mir den alten Kirchenrath gewogen gemacht habe; aber er scheint es mit mir recht sehr gut zu meinen, und über wissenschaftliche Dinge spreche ich gerne mit ihm.« In den Häusern von Schütz und Reinhold lebte er, was in Beziehung auf den letztern wie eine Ahnung klingt, »noch in den Flitterwochen, und ließ sich schöne Dinge sagen.« Nur das Frauenzimmer zu Jena däuchte ihm wenig zu taugen; das hübscheste Gesicht auf einem Ball war auch das leerste und seelenloseste.

Im Ganzen fühlte Schiller sein Leben hier anfangs behaglicher als zu Weimar, das Gefühl zu Hause zu seyn machte ihm ein ungewohntes Vergnügen, und, weil zu einem Ganzen gehörend, hing er auch mit der umgebenden Welt mehr zusammen. Er las nur zweimal in der Woche, Dienstag und Mittwoch Abends von 6 bis 7 Uhr, in Griesbachs Auditorium, und gewann zur Vorbereitung und zu schriftstellerischer Arbeit fünf unentbehrliche Tage.

Im Julius sahen den Dichter die geliebten Freundinnen von Rudolstadt auf der Durchreise nach Lauchstädt eines Abends zu Jena in Griesbachs Garten. Aber es war für ihn nur ein Traum und kein ganz fröhlicher, denn nie hatte er der Schwester Carolinens so viel sagen wollen und weniger gesagt. Er schickte ihr deßwegen nach Lauchstädt (24. Juli) eine unterdrückte Stelle seines Don Carlos nach:

– Schlimm, daß der Gedanke
Erst in der Worte todte Elemente
Zersplittern muß, die Seele sich im Schalle
Verkörpern muß, der Seele zu erscheinen.
Den treuen Spiegel halte mir vor Augen,
Der meine Seele ganz empfängt, und ganz
Sie wiedergiebt: dann, dann hast du genug,
Das Räthsel meines Lebens aufzuklären!Fr. v. Wolz. II, 18. In einem Brief an Humboldt (1. Febr. 1796) citirt Schiller dieses Apokryphon so:
    – O schlimm, daß der Gedanke
    Erst in der Sprache todte Elemente
    Zerfallen muß, die Seele zum Gerippe
    Absterben muß, der Seele zu erscheinen;
    Den treuen Spiegel gib mir, Freund, der ganz
    Mein Herz empfängt und Ganzes wieder scheint.
            (l. und ganz es wiederscheint.)

Nach der Entfernung der Geliebten erschien ihm auch auf einmal sein Daseyn in Jena als ein freudenloses, zu dessen Ertragung unglaublich viel Muth gehörte: »Hier ist auch gar kein Mensch, an den ich mich als Freund anschließen könnte. Ich bin wie Einer, der an eine fremde Küste verschlagen worden und die Sprache des Landes nicht versteht. Meinem Herzen fehlt es ganz und gar an einer beseelenden Berührung, und, durch keinen Gegenstand um mich her geübt, der mir theuer wäre, verzehrt sich mein Gefühl an wesenlosen Idealen.«

Ein halbverabredeter Besuch Schillers in Lauchstädt, wohin die Schwestern eine Freundin zur Badekur begleitet hatten, fand unmittelbar nach Ankunft dieses Briefes Statt. Der Plan mit seinem Freunde Körner in Leipzig zusammenzutreffen, gab den Schein der Absichtslosigkeit. Ohne Zweifel war Caroline v. Beulwitz der gute Genius, der wirksam war, den Augenblick herbeizuführen, der den liebenden Herzen das Geständniß ablockte. Ein langes, schmerzhaftes Stillschweigen brach endlich. Charlotte v. Lengefeld bekannte dem Dichter ihre Liebe und versprach ihm ihre Hand.

Der Schritt war ohne Wissen von Lottchens Mutter geschehen; um ihr nicht unnöthige Sorge zu machen, sollte sie es nicht eher erfahren, als bis ein kleiner, fixer Gehalt Schillers Existenz in Jena gesichert hätte; diesen aber erwarteten die Liebenden mit Zuversicht vom Herzoge von Weimar. »Meine Schwester,« – so rechtfertigt Schillers Schwägerin den Schritt – »fühlte die Unmöglichkeit ohne Schiller zu leben. Einem andern Verhältniß, das sich ankündigte, war sie durchaus abgeneigt. Schillers ganzes Herz, alle seine Hoffnungen für das Leben hingen an dieser Aussicht. Bei unsern einfachen Gewohnheiten, entfernt von Ansprüchen an äußern Glanz, sah ich eine sorgenlose Zukunft für meine Schwester, und freute mich lebhaft der Hoffnung auf ein öfteres Zusammenleben mit meinem Freunde, in einem so nahen Verhältnisse.«

Ein Ausflug nach Leipzig, um wirklich mit Schillers Freunde Körner zusammenzukommen, wurde von den Verlobten, mit der dritten im Bunde, Caroline v. B., ausgeführt. Sie fühlten bei diesem flüchtigen Zusammenseyn, wie würdig dieser Mann war, des Dichters Freund zu seyn, und wurden auch ihm sehr weich.

Zu Leipzig scheint in Schillers Ohr die erste Kunde von den lauteren und erschütternden Ereignissen der französischen Revolution gedrungen zu seyn. Ein Bekannter las den Freunden mit Enthusiasmus den Sturm auf die Bastille vor. In jenem Augenblicke erschien »diese Zertrümmerung eines Monuments finstrer Despotie als ein Vorbote des Sieges der Freiheit über die Tyrannei;« die Frauen überließen sich dem Ausdruck der Freude, und das eben geschlossene Herzensbündniß des Dichters schien ein Strahl der Morgenröthe zu erhellen, die, eine Sonne von Licht und Heil versprechend, wie auf die Beschwörungsformel Posa's, am Horizonte des Völkerlebens zu leuchten begann. Nur Schiller selbst blieb ernst, und seine Ansicht dieser Begebenheiten war freudlos und ahnungsvoll. Er hielt die Franzosen für kein Volk, dem ächt republikanische Gesinnungen eigen werden könnten, und auch später, wenn sich seine Freundinnen des Geistes und der schönen Reden der Nationalversammlung erfreuten, äußerte er, es sey unmöglich, daß von einer Gesellschaft von sechshundert Menschen etwas vernünftiges beschlossen werde.Fr. v. Wolz. II, 23, 61, 65.

Die Liebenden schieden unter Schillers Versprechen, die Ferien in Rudolstadt zubringen zu wollen. In den glücklichen Briefen des Dichters an Charlotte herrscht jetzt das zutrauliche Du, und giebt ihnen eine Farbe wohlthuender Sicherheit. »In einer neuen, schönern Welt schwebt meine Seele,« schreibt er (25. Aug.), »seitdem ich weiß, daß du mein bist, theure, liebe Lotte, seitdem du deine Seele mir entgegen trugst. Mit bangen Zweifeln ließest du mich ringen, und ich weiß nicht, welche seltsame Kälte ich oft in dir zu bemerken glaubte, die meine glühenden Geständnisse in mein Herz zurückzwang. Ein wohlthätiger Engel war mir Caroline, die meinem furchtsamen Geheimniß so schön entgegenkam. Ich habe dir unrecht gethan, theure Lotte. Die stille Ruhe deiner Empfindung habe ich verkannt und einem abgemessenen Betragen zugeschrieben, das meine Wünsche von dir entfernen sollte. O du mußt sie mir noch erzählen, die Geschichte unserer werdenden Liebe. Aber aus deinem Munde will ich sie hören. Es war ein schneller und doch so sanfter Uebergang!«

Lottchen sah, mit der Genügsamkeit weiblicher Seelen, ruhig der Zukunft entgegen; das aber vermochte der glühende Schiller nicht. In ungebornen Fernen blühten seine Freuden, die Gegenwart um ihn her war leer und traurig, und nur der glückliche Wahnsinn der Dichtkunst vermochte ihn ihr zu entreißen.A. a. O. II, 25. Aber selbst die Liebe konnte aus der Seele des Dichters die Spekulation nicht verscheuchen, die ihm nicht selten, seit er Kantianer geworden, selbst den Naturgenuß störte, obgleich »Lottchens Liebe, wie eine Glorie um ihn schwebend, wie ein schöner Duft ihm die ganze Natur überkleidet hat.« »Ich komme von einem Spaziergange zurück,« sagt er am Abend des 12. Septembers. »Nie hab' ich es noch so sehr empfunden, wie frei unsere Seele mit der ganzen Schöpfung schaltet – wie wenig sie doch für sich selbst zu geben im Stande ist, und Alles, Alles von der Seele empfängt. Nur durch das, was wir ihr leihen, reizt und entzückt uns die Natur.« Wir wissen, wie stehend dieser Gedanke in Schillers Seele geworden ist.Ein Jahr später äußerte er ganz dasselbe gegen seinen Landsmann Conz. S. Hoffm. II, 277. Dießmal aber begeisterte er ihn, während er den Leser vielleicht niederschlägt; denn Schiller sagte sich: »Wie oft ging mir die Sonne unter, und wie oft hat meine Phantasie ihr Sprache und Seele geliehen! aber nie, nie als jetzt hab' ich in ihr meine Liebe gelesen.« Aber auch der Natur gibt er wieder ihre Ehre. »Bewundernswerth ist mir doch immer die erhabene Einfachheit und dann wieder die reiche Fülle der Natur. Ein einziger und immer derselbe Feuerball hängt über uns – und er wird millionenfach verschieden gesehen von Millionen Geschöpfen, und von demselben Geschöpf wieder tausendfach anders. Er darf ruhen, weil der menschliche Geist sich statt seiner bewegt – und so liegt Alles in todter Ruhe um uns herum, und nichts lebt als unsere Seele. Und wie wohlthätig ist uns doch wieder diese Identität, dieses gleichförmige Beharren in der Natur! Wenn uns Leidenschaft, innrer und äußrer Tumult lange genug hin und her geworfen, wenn wir uns selbst verloren haben, so finden wir sie immer als die nämliche wieder, und uns in ihr. Auf unsrer Flucht durch das Leben legen wir jede genossene Lust, jede Gestalt unsers wandelbaren Wesens in ihre treue Hand nieder, und wohlbehalten giebt sie uns die anvertrauten Güter zurück, wenn wir kommen und sie wieder fordern. – Unsre ganze Persönlichkeit haben wir ihr zu danken; denn würde sie morgen umgeschaffen vor uns stehen, so würden wir umsonst unser gestriges Selbst wieder suchen.«

Wie wenig sentimental war die wahre Liebe in der starken Seele des Denkers und Dichters! Sie störte ihn nicht in den grübelnden Forschungen seines Idealismus; sie führte ihn nur noch tiefer hinein, und die Unterhaltung über die Resultate seiner Spekulation bietet er in den ersten Liebesbriefen vertrauensvoll der Braut statt Kuß und Umarmung!

Seine Vorlesungen aber durcheilte er auf den Fittigen der Liebe, je näher es der Vakanz zuging. »Meine Studenten freuen sich ordentlich, wie schnell es geht. Ganze Jahrhunderte fliegen hinter uns zurück. Morgen bin ich schon mit dem Alcibiades fertig, und es geht mit schnellen Schritten dem Alexander zu, mit dem ich aufhöre.«

Die Antrittsrede über das Studium der Universalgeschichte, womit Schiller seine historischen Vorlesungen in Jena eröffnet hatte, erschien im Novemberhefte des Deutschen Merkur.

Die Ferien führten ihn endlich der heimlichen Braut in die Arme nach Rudolstadt; er bezog seine Wohnung in Volkstädt wieder, brachte Morgen und Nachmittage im Lengefeld'schen Hause zu, arbeitete an seinen Vorlesungen, an der Thalia, am Geisterseher, und durchschweifte in Erinnerung und Hoffnung die herbstliche Gegend,Hoffmeister setzt die Besuche auf der Schwarzburg und in Paulinzelle in diese Zeit. Es ist nicht zu entscheiden. nicht selten von den Schwestern und ebenso oft von poetischen Stimmungen und Plänen begleitet.

Das Ende Oktobers rief ihn nach Jena zurück, und »Briefe, der Trost getrennter Liebe, flogen wieder hin und her.« Sein Kopf war heiter; er spürte den Muth in sich, um auszudauern. Aber allmählig fühlte er, in Beziehung auf die alles Andere verschlingende Hoffnung, auf seine Vereinigung mit Lotte, doch immer drückender das Aussichtslose seiner Lage. »Welcher böse Genius gab mir ein, hier in Jena mich zu binden,« ruft er der Geliebten am 10. Nov. 1789 zu; »ich habe nichts, gar nichts dadurch gewonnen, aber unendlich viel verloren, mir heillose Bekanntschaften aufgebürdet, Verhältnisse, die mir zuwider sind! Meine einzige Hoffnung ist auf den Coadjutor gesetzt. Versichert er bestimmt und nachdrücklich, daß er für mich handeln will, so lege ich bei dem nächsten Anlaß meine jenaische Professur nieder.« Der Coadjutor, der berühmte Carl Theodor v. Dalberg, nachmals Primas und in der Napoleonischen Zeit Großherzog von Frankfurt, Bruder von Wolfgang Heribert, der edle Mäcen deutscher Talente, scheint damals nur erst unbestimmt von Schillers Unterstützung gesprochen zu haben. Schiller dachte darum auch daran, im Preußischen etwas anzuspinnen, oder nach Wien zu gehen, mit der Absicht, dort etwas durchzusetzen. »Wie traurig, daß man von Dingen außer sich abhängt! Wenn ich mir denke, daß wir an mehr als Einem Platze mit dem, was ich durch meine Schriftstellerei erwerbe, vortrefflich leben könnten!« Der Coadjutor, meint er, könnte ihm in Mannheim, bei der dortigen Akademie, oder in Heidelberg, ein Etablissement verschaffen. »In Mannheim,« sagt er zu beiden Schwestern gewendet, »würde ich Sie auch recht gern sehen, es ist ein lieblicher Himmel und eine freundlichere Erde – die ich alsdann erst mit Freude betreten würde. Aber bei diesem Mannheim fällt mir ein, daß Sie mir doch manche Thorheit zu verzeihen haben, die ich zwar vor der Zeit, eh' wir uns kannten, beging, aber doch beging! Nicht ohne Beschämung würde ich Sie auf dem Schauplatz herumwandeln sehen, wo ich als ein armer Thor, mit einer miserabeln Leidenschaft im Busen, herumgewandelt bin.«

Das letzte Wort in dieser Stelle macht uns stutzen. Die ruhige Neigung zu Margaretha Schwan, die heiße, aber schuldlose Jugendliebe zu Lotte von Wolzogen kann er doch nicht mit jenem ehrenrührigen Namen brandmarken. Welche Thorheiten hätte ihn auch diese oder jene Liebe begehen lassen? Offenbar spielt Schiller hier auf Verirrungen an, die uns unbekannt sind, die der Welt verschwiegen geblieben sind, und nur er selbst, der sittliche Mensch voll Wahrhaftigkeit, der Braut nicht verschweigen wollte.

An seinem Geburtstage, d. h. dem 10. November,Schiller irrte mit Jedermann. Wir weisen urkundlich in den Nachträgen zu dieser Schrift nach, daß der 11. November sein Geburtstag war, nicht der 10te. wo er alles dieses schrieb, hatte er sein erstes Collegiengeld eingenommen, von einem Bernburger Studenten, was ihm »doch lächerlich vorkam. Zum Glück war der Mensch noch neu, und noch verlegener, als der junge Professor; er retirirte sich gleich wieder.«

Jenem drohten nun auch gar Händel mit dem akademischen Senate. Schiller war, ohne allen Gehalt, nicht als Professor der Geschichte, sondern nur der Philosophie berufen, was er bisher nicht gewußt hatte. Man hätte meinen sollen, er sey implicite auch jenes gewesen. Aber der Titular des erstem Faches klagte, und der Pedell riß den Titel seiner Rede von dem Buchladen weg, wo er angeschlagen war. »Welche Erbärmlichkeiten!« ruft Schiller entrüstet; aber er war doch entschlossen, so lächerlich ihm dieß Verhältniß war, sich nicht zu viel geschehen zu lassen. Diese elende Zänkerei (die inzwischen beigelegt worden zu seyn scheint) verdarb dem Dichter Laune und Freude. Die stille, ruhige Seele seiner Braut wirkte übrigens wohlthätig auf die stürmischen und wechselnden Vorstellungen von seiner Lage; »ein Hauch der Liebe und Freude beschwichtigte überhaupt in seinem Gemüthe alle widrigen Gefühle bald,« und er hoffte das beste auch für seine äußre Lage, von Lottchens und der Mutter Reise nach Weimar.

Der Herzog sagte auch wirklich einen Jahresgehalt von 200 Reichsthalern für eine außerordentliche Professur, so wie es die Umstände erlaubten, mit vieler Bereitwilligkeit und auf eine Weise, die den Dichter innig rührte, zu; und nun wandte sich Schiller mit einer edeln und offenen Erklärung an Frau v. Lengefeld, aus Jena vom 18. Dez. 1789, und legte das ganze Glück seines Lebens in ihre Hände. »Ich habe,« sagt er, »nichts zu fürchten als die zärtliche Bekümmerniß der Mutter um das Glück ihrer Tochter; und glücklich wird sie durch mich seyn, wenn Liebe sie glücklich machen kann. Und daß dieses ist, habe ich in Lottchens Herzen gelesen.«

Bei dieser ganzen Verhandlung war eine edle Weimaranerin, Freundin beider Verlobten, Frau v. Stein, hülfreich. Durch sie erfuhr die Mutter, daß der Coadjutor, gutmachend, was sein Bruder an Schiller gesündigt hatte, dem Dichter, sobald er Churfürst würde, einen Gehalt von 4000 fl. zudachte und ihm den ganz freien Gebrauch seiner Zeit dabei überlassen wollte.

Die also beruhigte Mutter sagte zu, und der Vereinigung der Liebenden stand nichts mehr im Wege.

Die letzten Monate floßen dem Dichter in heiterer, hoffnungsvoller Sehnsucht dahin. Während des Weimarschen Aufenthaltes seiner Braut machte Schiller auch die erste, sogleich freundliche, doch vorerst nur vorübergehende Bekanntschaft Wilhelms v. Humboldt, an dessen zweite Begegnung im Jahr 1792 sich eins der innigsten Lebensverhältnisse knüpfte.Hiernach ist aus Humboldts Briefwechsel mit Schiller S. 3 die Angabe der Fr. v. Wolz. II, 58 zu beschränken. Humboldt führte Caroline v. D. heim, die Freundin der Lengefeld'schen Schwestern, welche sie nach Lauchstädt ins Bad begleitet hatten. Auch diese Verbindung hatte sich in Weimar entschieden. Durch die neue Freundin hatte Schiller zuerst die große Zuneigung des Coadjutors zu ihm erfahren, auf welche wir ihn schon früher und jetzt am meisten bauen sehen. Schiller nennt sie Lottchens zweite Schwester.

Von literarischen Arbeiten legte unser Freund damals großes Gewicht auf die Abhandlung vor den Memoiren über Völkerwanderung u.s.w., eine Arbeit, die ihm Anfangs nichts versprach, unter der Feder aber sich in einer glücklichen Stimmung des Geistes so veredelte, daß er noch nichts von diesem Werthe gemacht, noch nie so viel Gehalt des Gedankens in einer so glücklichen Form vereinigt und nie dem Verstande so schön durch die Einbildungskraft geholfen zu haben glaubte.Fr. v. Wolz. II, 39.

Die Freunde waren in Hoffnung glückselig und dachten sich schon bei ihrem edeln Beschützer Karl v. Dalberg in der schönen Gegend von Mainz ein herrliches Leben. Wilhelm v. Humboldt wollte sich auch in der Nähe festsetzen und Caroline v. B. sich oft mit den Freunden in Besuchen vereinigen. Dalberg (kam er nach Weimar? war es in Erfurt?) hörte diesen Träumen oft lächelnd zu, dann sprach er mit verfinsterten Zügen: »Kinder, denkt euch nichts Gewisses! Ein Sturm kann das Alles umstürzen!« Der Staatsmann ahnte die Zerstörung des Friedens und seiner Aussichten.A. a. O. II, 60.

In diesem Winter wurde Kotzebue's Menschenhaß und Reue als Neuigkeit zuerst in Weimar gegeben. Schiller kannte das große Publikum und prophezeite dem neuen Poeten viel Glück. Zu derselben Zeit lernten die Freundinnen in Weimar auch den liebenswürdigen Dichter Salis kennen, dessen Persönlichkeit ganz mit seiner Poesie im Einklange stand. So hat der Verfasser dieser Biographie den hohen Greis auch noch an seinem Lebensabende gefunden (im Herbst 1825), ernst, gefühlvoll und doch kräftig, keine Spur von jener weibischen Schwäche und Charakterlosigkeit, welche Göthen von den Empfindsamen sagen machte, daß er nie Etwas auf sie gehalten, und daß, kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen aus ihnen werden.

Salis brachte ein Schreiben Wolzogens aus Paris, das Schillers Ahnungen bestätigte. Die Greuelscenen hatten begonnen; die Freude der Schwestern über den Sturm der Bastille ward schrecklich niedergeschlagen, und sie mußten für die Existenz ihres Freundes zittern.

Was ihnen in der Nähe wehe that, war, daß noch immer kein Verhältniß zwischen Schiller und Göthe entstehen wollte, so wohlwollend der letztere in allen »realen« Beziehungen gegen jenen sich zeigte.

Göthe selbst hat, sich lange Zeit nach Schillers Tode ohne Rückhalt über sein damaliges Verhältniß zu dem Dichter folgendermaßen ausgesprochen:Morphologie I. Thl., 1. Heft, S. 90 ff. »Nach meiner Rückkehr aus Italien, wo ich mich zu größerer Bestimmtheit und Reinheit in allen Kunstfächern auszubilden gesucht hatte, unbekümmert, was während der Zeit in Deutschland vorgefallen, fand ich neuere und ältere Dichterwerke in großem Ansehen, von ausgebreiteter Wirkung, leider solche, die mich äußerst anwiderten, ich nenne nur Heinses Ardinghello und Schillers Räuber. Jener war mir verhaßt, weil er Sinnlichkeit und abstruse Denkweisen durch bildende Kunst zu veredeln und aufzustutzen unternahm, dieser, weil ein kraftvolles, aber unreifes Talent gerade die ethischen und theatralischen Paradorien, von denen ich mich zu reinigen gestrebt, recht im vollen hinreißenden Strome über das Vaterland ausgegossen hatte.Hiernach ist das frühere Citat aus dem Gedächtnisse zu berichtigen. Beiden Männern von Talent verargte ich nicht, was sie unternommen und geleistet, denn der Mensch kann sich nicht versagen, nach seiner Art wirken zu wollen . . .; das Rumoren aber im Vaterlande dadurch erregt, der Beifall, der jenen wunderlichen Ausgeburten allgemein, so von wilden Studenten als der gebildeten Hofdame gezollt ward, der erschreckte mich, denn ich glaubte all mein Bemühen eitel verloren zu sehen; die Gegenstände, zu welchen, die Art und Weise, wie ich mich gebildet hatte, schienen mir beseitigt und gelähmt . . . Die reinsten Anschauungen suchte ich zu nähren und mitzutheilen, und nun fand ich mich zwischen Ardinghello und Franz Moor eingeklemmt. Moritz bestärkte sich mit mir leidenschaftlich in' diesen Gesinnungen. Ich vermied Schillern, der, sich in Weimar aufhaltend, in meiner Nachbarschaft wohnte. Die Erscheinung des Don Carlos war nicht geeignet, mich ihm näher zu führen; alle Versuche von Personen, die ihm und mir nahe standen, lehnte ich ab.«

Sie kamen doch zusammen. Gut Ding brauchte lange Weile. –

Das neue Jahr, das dem Bräutigam den Hofrathstitel 1790. aus Meiningen brachte, war erschienen, und am 20. FebruarSchiller selbst giebt den 22. Febr. an. (Boas II, 453.) 1790 wurde Schiller ganz in der Stille mit Charlotte v. Lengefeld in der Kirche von Wenigenjena durch den Pastor Schmidt getraut. Die Mutter war von Rudolstadt gekommen und freute sich des Glücks ihrer Kinder von ganzer Seele. Ehe Schiller kopulirt wurde, fragte ihn der Prediger, welches Formular er bei der Trauung gebrauchen sollte. »Das alte, das gewöhnliche« – erwiederte der Dichter – »mit dem Kraut und den Disteln auf dem Felde.Zum fünften wollen wir auch hören das Kreuz, das Gott auf den ehelichen Stand gelegt hat. Also sprach Gott zum Weibe: . . . Du sollt mit Schmerzen Kinder gebären . . . Und zu Adam sprach er: . . . Verflucht sey der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollt du dich darauf nähren dein Leben lang. Dorn und Distel soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Alte lutherische Agende. Meine Schwiegermutter wird dabei seyn, und der ist unstreitig das alte Formular das liebste.« Gewiß versteckte sich hinter diese zarte Aufmerksamkeit das eigene Gefühl des Dichters, das in einem der heiligsten Augenblicke des Lebens über alle Erwerbnisse der Philosophie den Sieg davon trug, und in Einfalt sich zum Glauben der Väter flüchtete. –

In dem Augenblicke, wo Schiller mit seiner Braut an den Altar tritt, vergegenwärtigen wir uns seine Gestalt, geleitet von der vertrauten Freundin, welche die Promnestria dieses Bundes war und dem geliebten Schwager auch damals zur Seite stand. Sie schildert ihn am Schlusse ihrer Biographie in folgenden Worten:Fr. v. Wolz II, 290 ff.

»Schillers große, in richtigem Verhältniß gebaute Gestalt, mit etwas militärischer Haltung, was ihm aus der Akademie geblieben war, gab seiner Erscheinung etwas Edles, dem selbst die Schüchternheit wohl anstand. Der wohl gerundete Kopf ruhte auf einem schlanken, etwas starken Halse; die hohe, weite Stirn trug das Gepräge des Genius; zwischen breiten Schultern wölbte sich die Brust; der Leib war schmal, und Füße und Arme standen zu dem Ganzen in gutem Verhältniß. Seine Hände waren mehr stark als schön und ihr Spiel mehr energisch als graziös. Die Farbe seiner Augen war unentschieden zwischen blau und lichtbraun. Der Blick unter dem hervorstehenden Stirnknochen und den blonden, ziemlich starken Augenbraunen, warf nur selten und im Gespräche belebt, Lichtfunken; sonst schien er, in ruhigem Schauen, mehr ins eigene Innere gekehrt, als auf die äußern Gegenstände gerichtet, doch drang er, wenn er auf andre fiel, tief ins Herz. Seine Nase war gebogen und ziemlich groß, ein etwas unsanfter Uebergang an der Spitze sichtbar; sein Haar, lang und fein, fiel ins Röthliche; die Hautfarbe war weiß, das Roth der Wangen zart. Er erröthete leicht; das Kinn hatte eine angenehme Form und trat etwas hervor. Die Unterlippe, stärker als die obere, zeigte besonders das Spiel seiner momentanen Empfindung. Sein Lächeln war sehr anmuthig, wenn es ganz aus der Seele kam, und in seinem lauten Lachen, das sich verbergen zu wollen schien, lag etwas rein Kindliches. Schillers Stimme war nicht hell noch vollklingend, doch ergriff sie, wenn er selbst gerührt war oder überzeugen wollte. Etwas vom schwäbischen Dialekt hat er immer beibehalten. Sein Gang hatte gewöhnlich etwas Nachläßiges, aber bei innerer Bewegung wurde der Schritt fester. Seine Kleider waren einfach, aber gewählt, besonders viel hielt er auf feine Wäsche. Aller Cynismus in Kleidung und Umgebung war ihm, seit er, was frühe geschah, auf sich zu achten anfing, zuwider.«


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