Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Das Gericht über Fiesko.

1782.

Endlich war, in den ersten Tagen des November, Fiesko für das Theater umgearbeitet, und ihm der tragische Schluß gegeben, der sich am nächsten an die historische Wahrheit anschloß. Kurz zuvor hatte Streicher, da mit dem Oktober die kleine Baarschaft zu Ende ging, um den Rest seines Hamburger Reisegeldes an die Mutter geschrieben. Das alles sollte Dalbergs Honorar ersetzen. Ruhig und zufrieden ging deßwegen Schiller nach der Stadt, um Herrn Meier das fertige und in's Reine geschriebene Manuscript einzuhändigen, denn er glaubte nun dem Ende seiner Bedrängnisse entgegen zu sehen. Da jedoch auf Meiers Mittheilung acht Tage lang keine Nachricht von Dalberg einlief, so entschloß er sich, an diesen kalten Gönner, der sich seither so wenig um den Dichter der Räuber bekümmert hatte, daß er ihm erst seinen Aufenthaltsort melden mußte, am 16. November von Oggersheim aus zu schreiben und ihm zu sagen, »wie er seit acht Tagen in der größten Erwartung lebe, wie Se. Excellenz den Fiesko befänden!« – »Es sollte ein ganzes, großes Gemälde des wirkenden und gestürzten Ehrgeizes werden.« Damit mochte der Theaterdirektion, meinte er, dem Schauspieler und Zuschauer schon ein Ziemliches zugemuthet seyn. Freilich: dürfte er das Stück ohne Rücksicht auf den Theaterzweck, nach seinem Sinne herausgeben, so würde es durch die Herausnahme einer einzigen Episode in ein einfacheres Theaterstück zusammenschmelzen. – Am Schlusse des Briefes bat er, wenn nicht um eine Entscheidung über die Theaterfähigkeit, doch um das Urtheil des Dramaturgisten.

 

Am Abende dieses Tages, als Schiller mit seinem Gefährten über die Schwelle des Meier'schen Hauses zu Mannheim trat, fand er die dortigen Freunde in der größten Bestürzung. Vor kaum einer Stunde war ein württembergischer Officier bei ihnen gewesen, der sich angelegentlich nach dem Dichter erkundigt hatte. Allen schwebte Schubarts Schicksal vor der Seele, und während die Gefahr besprochen wurde, klingelte es an der Hausthüre; Schiller rettete sich mit Streicher durch eine Tapetenthüre in das anstoßende Cabinet. Ein Bekannter des Hauses tritt ein, und meldet erschrocken, daß der Officier auch auf dem Kaffeehause sehr sorglich nach Schillern gefragt, er ihm aber darauf zur Antwort gegeben habe, daß Schiller längst nach Sachsen abgereist sey. Die Geflüchteten kamen aus ihrem Verstecke hervor, aber nach Oggersheim zurückzukehren, schien so wenig rathsam, als in Mannheim zu bleiben. Endlich schaffte eine besonnene Frau Rath. Madame Courioni, die Aufseherin im Palais des Prinzen von Baden, erbot sich mit der anmuthigsten Güte, die Freunde, so lange die Gefahr dauerte, dort zu verbergen. Hier wurde ihnen ein geschmackvolles Asyl angewiesen, und sie befanden sich in einem Zimmer, das mit Lebruns Alexanderschlachten in Kupferstichen geziert war, ganz vortrefflich. Am andern Morgen wagte sich Streicher aus dem Palast, und erfuhr durch den für die Freunde treulich besorgten Meier, daß der Officier keine Aufträge an das Gouvernement gehabt, und schon am vorigen Abend abgereist sey.

Erst nach Schillers Entfernung löste ein Brief seines Vaters das Räthsel. Der Fremde war ein akademischer Freund Schillers, der Lieutenant und Adjutant von Koseritz (nicht Kosewitz)Im württembergischen Militär erscheinen zwei Herrn von Koseritz: der ältere, wahrscheinlich hier gemeinte, starb als Generallieutenant, der jüngere als Oberst oder Oberstlieutenant; natürlicher Sohn eines Herrn von K. war der berüchtigte Verschwörer Lieutenant Koseritz, der, begnadigt, seine Schande nach Amerika trug, und dort gestorben ist. der auf einer Reise den alten Bekannten argloser Weise aufsuchen wollte.

Die Lage des durch eine, zwar unnöthige, Angst gewarnten Dichters schien indessen so unsicher, daß unter Zustimmung aller anwesenden Freunde von ihm beschlossen wurde, sobald der Fiesko angenommen wäre, nach Sachsen, oder eigentlich Franken, zu reisen, wo die Vorsehung für eine neue Zufluchtsstätte des Landesflüchtigen gesorgt hatte. Eine edle Dame, die Freifrau von Wolzogen, von deren drei auf der Akademie studirenden Söhnen sich der älteste, Wilhelm von Wolzogen, später auf's innigste an den Dichter anschloß, war mit dem jungen Schiller schon in Stuttgart näher bekannt geworden, und nahm auch jetzt innigen Antheil an seinem Schicksal. Sie lebte, Mutter von vier Söhnen und einer Tochter, in beschränkten Glücksumständen, auf ihrem Familiengute Bauerbach, eine Stunde von Meiningen, wo sie sich ein kleines Haus gekauft hatte, da das Gut mit der Herrschaftswohnung dem ältern Bruder zugefallen war. Als Schiller dieser mütterlichen Freundin nach seinem Arreste den Vorsatz, von Stuttgart zu entfliehen, anvertraut hatte, bot diese ihm schon damals die Verborgenheit ihres einsamen Aufenthalts in dem abgeschiedenen Waldthale an, von welcher der bedrängte Dichter jetzt Gebrauch zu machen, und sich an Frau von Wolzogen deßwegen zu wenden beschloß. »Während das Wohl ihrer eigenen Söhne in des Herzogs Hand lag, wagte sie viel, wenn sie den Verfolgten in ihr Haus aufnahm, aber ihre großmüthige Freundschaft berechnete nicht.«

Sobald der Dichter diesen Entschluß gefaßt hatte, regte sich die schmerzliche Sehnsucht, die Seinigen noch einmal zu sehen, in der Seele des Verbannten. Sichtbar ist die Bewegung in dem Briefchen, das er am 19. November der Post anvertraute: »Beste Eltern,« schrieb er, »da ich gegenwärtig zu Mannheim bin, und in fünf Tagen auf immer weggehe, so wollte ich mir und Ihnen noch das Vergnügen bereiten, uns noch zu sprechen. Heute ist der 19., am 21. bekommen Sie diesen Brief, wenn Sie also unverzüglich von Stuttgart weggehen, so könnten Sie am 22. zu Bretten im Posthause seyn, welches ungefähr halbwegs von Mannheim ist, und wo Sie mich antreffen. Ich denke, Mama und die Christophine könnten am füglichsten, und zwar unter dem Vorwande, nach Ludwigsburg zu Wolzogen zu gehen, abreisen. Nehmen Sie die Fischerin Wolzogen auch mit,Die Fischerin Wolzogen gibt keinen Sinn, Schiller hat entweder geschrieben: die Fischerin und Wolzogen, oder: die Fischer und die Wolzogen. Wer ist nun diese Fischer oder Fischerin, die Schiller vielleicht zum letztenmale so gern gesprochen hätte? Fischer war der Wittwenname der Hauptmannsfrau, bei der er in Stuttgart zuletzt gewohnt hatte, der Name Laura's. Wir entscheiden nichts. weil ich beide auch noch, vielleicht zum letztenmale, die WolzogenDie Brüder Wolzogen. Er dachte dabei an Bauerbach. ausgenommen, spreche [d. h. sprechen möchte]. Ich gebe Ihnen ein Carolin Reisegeld, aber nicht bälderSchiller, durch seine Meisterwerke ein Gesetzgeber unserer Sprache, entwöhnte sich sehr spät der schwäbischen Provincialismen, wie auch seine vier ersten Dramen beweisen. als zu Bretten. An der schnellen Befolgung meiner Bitte will ich erkennen, ob Ihnen noch theuer ist – Ihr ewig dankbarer Sohn Schiller

Ob diese Zusammenkunft, zu welcher der gute Sohn und Bruder den letzten Pfennig hergeben wollte, bewerkstelligt worden ist, bezweifeln wir. Streicher schweigt ganz davon. Inzwischen war nach fünf Tagen noch keine Antwort von Dalberg da, und erst gegen Ende Novembers folgte der lakonische Entscheid: »daß dieses Trauerspiel auch in der vorliegenden Umarbeitung nicht brauchbar sey, folglich dasselbe auch nicht angenommen oder etwas dafür vergütet werden könne.«

Schiller fühlte sich in allen seinen Hoffnungen durch diese Abweisung betrogen, ja zerschmettert. Es war klar: der engherzige Höfling, der den Dichter für sein Theater gerne ausgebeutet hätte, zog sich mit dem Augenblicke von ihm zurück, als ihn Schillers Ungnade bei seinem Hofe, und der Ruf eines Rebellen, den sich der Dichter in höheren Kreisen erworben hatte, bei Fürsten und Standesgenossen compromittiren konnte; er war zu feige, dieß dem Dichter rund herauszusagen, und zu geizig, ihn trotz seines Reichthums, aus eigenen Mitteln zu unterstützen. Der Mißhandelte aber war zu edel und zu stolz, um sein Gefühl über eine solche Behandlung zu verrathen. Er begnügte sich gegen den Ueberbringer der abschlägigen Antwort, Herrn Meier, zu äußern: er habe es sehr zu bedauern, daß er nicht schon von Frankfurt aus nach Sachsen gereist sey.

Ein Jahr später erhielt er aus den Theaterprotokollen die genugthuende Ueberzeugung, daß im Ausschusse der größte Schauspieler auf seiner Seite gewesen war. Hier fand sich Ifflands Vorschlag eingezeichnet, »obwohl dieses Stück für das Theater noch einiges zu wünschen lasse, auch der Schluß desselben nicht die gehörige Wirkung zu versprechen scheine, so sey dennoch die Schönheit und Wahrheit der Dichtung von so ausgezeichneter Größe, daß die Intendanz hiermit ersucht werde, dem Verfasser als Beweis der Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste eine Gratification von acht Louisd'or verabfolgen zu lassen.« –

Streichers Reisegeld war verbraucht, und auch der Gedanke peinigte den Unglücklichen, daß dieser Freund in sein böses Schicksal verflochten, daß er aufgeopfert sey, denn im Augenblick war an keinen Ersatz zu denken. Was Schiller für sich selbst thun konnte, war, daß er auf der Stelle dem Buchhändler Schwan seinen Fiesko antrug. Dieser bewunderte die Dichtung; aus Furcht vor den Nachdruckern jedoch glaubte er den gedruckten Bogen nicht höher honoriren zu können, als mit einem Louisd'or. Aber auch dieses Honorar scheint nicht auf der Stelle flüssig geworden zu seyn, denn da die Freunde sich in Oggersheim aufgezehrt, und der Dichter in der Noth selbst seine Uhr verkauft hatte, mußten sie die letzten vierzehn Tage auf Borg leben, und es ward beschlossen, daß Streicher schon jetzt nach Mannheim ziehen sollte, wo er vor der Hand sich fortzubringen gedachte; so daß Schiller die letzten traurigen acht bis zehn Tage allein zu Oggersheim verblieb.

Für den Fiesko, welchen er seinem Lehrer Abel in Stuttgart widmete,Diesem scheint die später auf andern Autoritäten hin erwähnte Nachricht, daß der gedruckte Fiesko dem Baron von Dalbera, gewidmet worden, zu widersprechen. Entweder war die Dedication an Abel nur schriftlich, oder stand sie vor der Theaterausgabe, welche dem öffentlichen Drucke vorausgegangen zu seyn scheint. erhielt er mit eilf Louisd'or nur gerade soviel als zur Tilgung seiner Wirthshausschuld, zur Anschaffung unentbehrlichen Geräthes und zur Bauerbacher Reise nothdürftig hinreichte. Um sich nicht auf der Mannheimer Post zeigen zu dürfen, sollte Schiller von Meier und einigen Freunden in Oggersheim abgeholt werden. Diese fanden ihn über dem Packen seiner wenigen Habseligkeiten beschäftigt, und, nachdem alles entschieden war, unerwartet ruhig und gefaßt. Bei einer Flasche Wein, die er reichen ließ, erwärmten sich die Herzen, dann fuhr man in tiefem Schnee nach Worms, wo sie im Posthause von einer wandernden Truppe die Ariadne auf Naxos aufführen sahen. Die Mannheimer Schauspieler lachten über diese Armseligkeit, denn der Theaterdonner wurde mittelst eines Sackes voll Kartoffeln hervorgebracht, den man in einen großen Zuber ausschüttete. Schiller aber erblickte den Tempel der Muse überall, und sah, in sich verloren, mit ernstem, tiefem Blick auf das Theater, als hätte er Aehnliches nie gesehen, oder sollte es zum letztenmale schauen.

Nach dem Abendessen schieden die Mannheimer Freunde und mit ihnen Streicher von dem Dichter, jene unbefangen und redselig, wie sie denn auch nachher über seine leichtsinnige und unbegreifliche Flucht ohne Schonung urtheilten, und zu spät daran dachten, durch welche Bequemlichkeiten ihm die harte Winterreise hätte erleichtert werden können. Sie, die an seinem Ruhm auf den Brettern gezehrt, wollten jetzt nicht begreifen, daß Schiller lieber Poet seyn mochte, als ein Arzt mit guter Praxis. Erst Iffland brachte sie auf würdigere Gedanken.

Streicher hatte für seinen geliebten Freund beim Abschied keine Worte; keine Umarmung wurde gewechselt; ein starker, langer Händedruck war das einzige Zeichen der Liebe, mit dem sie schieden. Aber noch nach fünfzig Jahren erfüllte es jenen mit Trauer, wenn er an den Augenblick zurückdachte, in welchem er ein wahrhaft königliches Herz, Deutschlands edelsten Dichter allein und im Unglück hatte zurücklassen müssen.


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