Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Dramatische Berufsarbeiten.

1784.

»Es kann geschehen,« äußert sich Schiller gegen seinen Reinwald vom 5. Mai 1784, »daß ich zur Aufnahme des hiesigen Theaters ein periodisches dramaturgisches Werk unternehme, worin alle Aufsätze, welche mittelbar oder unmittelbar an das Geschlecht des Drama, oder an die Kritik desselben gränzen; Platz haben sollen.«

Ehe dieser Plan ausgeführt wurde, machte Schiller noch einen mißlungenen Versuch zu seinem alten Berufe, der Medicin, zurückzukehren. Dieser Entschluß erklärt sich aus dem Ueberdrusse, den das Junggesellenleben, ohne Ordnung, ohne weibliche Fürsorge bei ihm erzeugte. Kleidung, Wohnung, unvermeidliche Ehrenausgaben verschlangen seinen kleinen Gehalt. »Sie glauben nicht,« sagt er zu Reinwald, »wie wenig Geld sechs bis achthundert Gulden in Mannheim, und vorzüglich im theatralischen Cirkel ist – wie wenig Segen, möchte ich sagen, in diesem Gelde ist . . . Gott weiß, ich habe mein Leben hier nicht genossen, und noch einmal so viel, als an jedem andern Orte verschwendet. Allein und getrennt! Ungeachtet meiner vielen Bekanntschaften dennoch einsam und ohne Führung, muß ich mich durch meine Oekonomie hindurchkämpfen . . . tausend kleine Bekümmernisse, Sorgen, Entwürfe, die mir ohne Aufhören vorschweben, zerstreuen meinen Geist, zerstreuen alle dichterischen Träume, und legen Blei an jeden Flug der Begeisterung.«

Wirklich sah es in seiner Haushaltung betrübt aus. »Es würde,« sagt Streicher, »eine sehr belustigende, und des Pinsels eines Hogarths würdige Aufgabe seyn, das Innere des Zimmers eines von immerwährender Begeisterung trunkenen Musensohns recht getreu darzustellen; denn es würde sich hier durchaus nichts Bewegliches, und selbst das nicht, was sonst immer dem Auge entzogen wird, an seinem Platze finden.«Ganz ähnlich schildert Scharffenstein Schiller's frühere Haushaltung in Stuttgart. Unter diesen drückenden Umständen hat der »Göttersohn«, wie sein Freund ihn in der Bewunderung nennt, den Fiesko und Kabale und Liebe umgearbeitet, und den ersten Akt des Don Carlos gedichtet.

Als es ihm nun zu viel wurde, und er immer noch unentschieden zwischen dem letztern, schon begonnenen Drama und einem andern Stoffe für die neue Theateraufgabe schwankte, kam ihm Dalbergs Rath, das Studium der Medicin wieder zu ergreifen, höchst erwünscht. Dieser war den kränklichen und zögernden Poeten bereits wieder satt, und hatte deßwegen seinen Hausarzt an Schiller mit jenem wohlmeinenden Vorschlage abgesandt. Der Befragte erzählte dieß seinem Freunde Streicher mit argloser Freude; dieser aber war über die Zumuthung, eine Feder wegzuwerfen, aus der drei Trauerspiele geflossen waren, welche alle andern der damaligen Zeit übertrafen, entrüstet. Der überdrüssige Dichter ließ sich jedoch nicht irre machen. Mit aufwallender Dankbarkeit schrieb er dem Gönner, »daß dieser schöne Zug seiner edeln Seele ihm blinden Gehorsam abnöthige; daß er schon lange nicht ohne Ursache befürchtet, daß früher oder später sein Feuer für die Dichtkunst erlöschen würde, wenn sie seine Brodwissenschaft bliebe und er derselben nicht bloß die reinsten Augenblicke widmen dürfte.« Er bat deßwegen um die Erlaubniß, ein Jahr lang für die Bühne weniger thätig seyn zu dürfen, um das Versäumte in seinem Fache nachzuholen; die bedungene Unterstützung möchte man ihm fortwährend reichen, und Dienste, die er der Mannheimer Bühne erst nach Verfluß dieses Jahres zu leisten gedachte, als schon geleistet gelten lassen.

So hatte es Wolfgang Heribert von Dalberg nicht verstanden: er wollte den Dichter für immer und ohne allen Reukauf los werden. Die mit Sehnsucht und Ungeduld erwartete Entschließung des Intendanten fiel kalt verneinend aus, wie Streicher, der das frühere Betragen Dalbergs nicht so gutmüthig vergessen konnte, seinem Freunde vorausgesagt hatte.

Auch dieser Schmerz diente dem starken Geiste des Dichters zur Kräftigung. Er kehrte zur Bühne zurück, und beschloß seine ganze Zeit dieser, und insbesondere seinem Don Carlos zu widmen.

Am 26. Juni las er zum Eintritt in die deutsche Gesellschaft einen Aufsatz über die Frage: »was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?« Derselbe ist unter dem Titel »die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet« in seine Werke aufgenommen, und neuerdings von Hoffmeister sorgfältig zergliedert und im rechten Verhältnisse zu seiner fortschreitenden Geistesbildung dargestellt, insbesondere auf die darin enthaltene Idee aufmerksam gemacht worden, »daß das ästhetische Gefühl und folglich auch die Kunst, in einem harmonischen Spiele und mittleren Zustand der sittlichen und geistigen Kräfte des Menschen liege,« eine Idee, auf welche er später seine ganze Theorie des Schönen erbaute.«Hoffmeister I, 236

Schiller vertheidigte in diesem Aufsatze die Schaubühne von ihrer edelsten Seite, als eine Gehülfin der Religion und der Gesetze. »Welche Verstärkung,« sagt er, »für diese, wenn sie mit der Schaubühne in Bund treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen, wo die Vorsehung ihre Räthsel auflöst, ihren Knoten vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält. Die Gerichtsbarkeit der Bühne fangt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endigt . . . aber ihr Wirkungskreis dehnt sich noch weiter aus. Auch da, wo Religion und Gesetz es unter ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ist sie für unsere Bildung noch geschäftig (durch die Züchtigung der Thorheit). Zugleich ist die Schaubühne mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele.« Aber »nicht bloß auf Menschen und Menschencharakter, auch auf Schicksale macht uns die Schaubühne aufmerksam, und lehrt uns die große Kunst, sie zu ertragen.« Und nicht genug; »sie lehrt uns auch gerechter gegen den Unglücklichen zu seyn, und nachsichtsvoller über ihn richten. Sie ist endlich der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden, bessern Theile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt, und von da aus in mildern Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet.«

Was in dieser Rechtfertigung seines neuen Berufes von Schiller gesagt wird, ist wahr, auch wenn es gleich nicht der höchste Standpunkt ist, auf welchen die Poesie gestellt werden muß, und auf welchen sie Schiller nachher selbst stellte, als eine Herrin der Schönheit, nicht bloß als eine Dienerin der Pflicht. Er nannte später die religiösen und moralischen Wirkungen der Poesie und der Bühne nicht mehr Zweck, nicht mehr Dienst, aber er läugnete sie nicht als natürliche Folge. Zugleich zeigt dieser Aufsatz, mit welchem heiligen Eifer Schiller sein neues Amt im Dienste der Menschheit angetreten hat. –

Der Baron von Dalberg war gewohnt, jährlich dramaturgische Preisfragen zur Beantwortung aufzugeben, in welchen sich die Mitglieder der Mannheimer Bühne Rechenschaft über ihre Kunst und ihr Spiel ablegen sollten; die Aufsätze wurden in der Ausschußversammlung der Schauspieler vorgelesen, und dann empfing Dalberg die Manuscripte, und entschied mit Zuziehung der deutschen Gesellschaft und einiger dramaturgischen Schriftsteller. Schiller erkannte in der Theilnahme an dieser Anstalt eine sehr angenehme und fruchtbare Uebung für seine freien Augenblicke, und erfuhr durch sie als dramatischer Schriftsteller mannigfache Belehrung. Zugleich machte die deutsche Gesellschaft jährliche Preisfragen bekannt und unserem Dichter wurde die vorläufige Durchsicht eingegangener Aufsätze übertragen. Unter diesen wurde Schiller durch die Handschrift seines Jugendfreundes PetersenJohann Wilhelm Petersen, Bibliothekar zu Stuttgart, geb. zu Bergzabern im Elsaß 1758, studirte auf der Carlsschule und wurde 1789 Professor der Diplomatik und Heraldik an derselben. Er starb 1815. Der Aufsatz führte den Titel: »Ueber die Epochen der deutschen Sprache« und wurde dem 2ten Bande der »Schriften der Mannh. deutschen Gesellschaft« einverleibt. überrascht: alle traulichen Abende, alle Gespräche, alle Entwürfe der Stuttgarter Vergangenheit traten plötzlich vor seine Seele: »Ich mußte in der Pfalz exuliren,« schreibt er seinem Freunde, mit der Meldung, daß er ihm ein Accessit mit 25 Dukaten durchgesetzt habe, »ich mußte Mitglied dieser Gesellschaft werden, um dir vielleicht darin dienen zu können!«

Aus jener Beschäftigung mit den Aufsätzen der Mannheimer Schauspieler entwickelte sich nun allmählig der Plan Schiller's zu einer dramaturgischen Monatschrift, die eine Geschichte des Mannheimer Theaters, eine Uebersicht seiner Einrichtung und seines Geschmacks, Schilderung seines Personals, Verzeichniß der gegebenen Stücke, Kritik des Spiels, fortlaufendes Monatsrepertorium, Aufsätze, Gedichte und die Preisaufgaben der Intendanz nebst deren Entscheidung enthalten sollte. Die Correspondenz, welche Schiller mit Dalberg im Juni 1784 wegen dieses Planes führte, läßt keineswegs auf besondere Geneigtheit dieses letzterb schließen; die Empfindlichkeit des Dichters ist in seinen Briefen sehr fühlbar, und er unterzeichnet dieselben kalt, bald mit vollkommenstem Respekt, bald nur mit vollkommenster Achtung. Endlich wurde am 2. Julius der Plan zu der Mannheimer Dramaturgie dem Intendanten vorgelegt; aber die Sache scheiterte an dem Geize seines Gönners, welcher die jährliche Gratifikation von fünfzig Dukaten aus der Theaterkasse zu leisten sich nicht entschließen konnte.


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