Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Schillers Flucht.

1782.

Seit achtzehn Monaten hatte Schiller unter den jungen Bewunderern seiner Muse an dem Tonkünstler Andreas Streicher, einem gebornen Stuttgarter, der nur zwei Jahre jünger war, als der Dichter, einen zärtlichen und aufopferungsfähigen Freund gewonnen, und »durch seine reizende und anziehende Persönlichkeit, die gegen ihn nirgends etwas Scharfes und Abstoßendes blicken ließ,« dessen ganze Seele eingenommen. Diesem vertraute er unverhohlen den Widerwillen an, mit welchem er nach der letzten Mannheimer Reise sich Stuttgart wieder genähert hatte; er machte ihn auch zum Vertrauten von Dalbergs wahren oder vermeintlichen Versprechungen, er schwelgte mit ihm in der lange nicht aufgegebenen Hoffnung, daß der am pfälzischen Hofe, welcher im besten Einvernehmen mit dem württembergischen stand, viel vermögende Mann, der auch dem Herzoge schon einen italienischen Hofpoeten von Mannheim zugesandt, seinen Landesherrn darüber besänftigen werde, daß bei Aufführung der Räuber das Stuttgarter Theater übergangen worden; er schüttete seinen Unmuth über die getäuschte Erwartung, wie über die demüthigenden Weisungen des Herzogs in den Busen des Freundes aus. Endlich theilte er ihm den Entschluß mit, noch einmal heimlich nach Mannheim zu reisen, und von dort aus dem Herzog schriftlich darzulegen, wie durch das ergangene Verbot seine ganze Existenz vernichtet sey, und ihn um die Bewilligung einiger Punkte zu bitten, die er für sein besseres Fortkommen unerläßlich glaubte. Die Hoffnung der Gewährung stützte sich auf des Herzogs freundliches Verhältniß zu Schiller's Vater, und auf die auch dem Sohne so oft bezeugte Gnade und Zufriedenheit seines Fürsten, unter dessen Augen er zum Knaben und Jünglinge herangereift, von dem er erzogen worden war, zu dem er weniger in einem Dienstverhältnisse, als in der Stellung eines Sohnes zum Vater zu stehen glaubte. Mißlang aber auch dieser letzte Versuch, so konnte er freilich nicht mehr nach Stuttgart zurückkehren. Dann aber erwartete er wenigstens von Dalberg, welcher in ihm nicht mehr den herzoglichen Unterthan zu scheuen hätte, mit offenen Armen empfangen und sofort – ein Dichter, wie Er – als Theaterdichter in Mannheim angestellt zu werden.

Auch ein Gefährte zur Flucht war gefunden. Sein Freund Streicher hatte für folgendes Frühjahr eine Reise nach Hamburg projektirt, um bei Bach die Musik zu studieren; er verlegte dem Dichter zulieb seinen Plan mit der Mutter Einwilligung vorwärts. Der Vater Schiller durfte um die Sache nicht wissen, um nöthigenfalls sein Officierswort verpfänden zu können, daß er von dem Vorhaben des Sohns nicht gewußt. Aber Schillers Mutter ward, mit Hülfe der ältern Schwester, die ganz auf Seiten des Bruders war, von Allem unterrichtet.

Die Ausführung dieses Entschlusses wurde durch die Umstände erleichtert und beschleunigt. Schon zu Anfange des Monats August erblickte man in Stuttgart und der Umgegend nichts als Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfange des Großfürsten Paul von Rußland, und der Nichte des Herzogs Carl, seiner schönen jungen Gemahlin. Um die Mitte Septembers trafen diese hohen Gäste ein und benachbarte Fürsten mit einer Anzahl von Fremden warteten ihrer. Die Prachtliebe des Herzogs entfaltete sich in ihrem ganzen Glanze; aus den Marställen drängten sich Züge der herrlichsten Pferde, und prangten, vor die glänzendsten Equipagen gespannt; aus allen Jagdrevieren des Landes waren sechstausend Hirsche in den von Wachtfeuern umstellten Wald, der das Lustschloß Solitude umgibt, zusammengetrieben worden; sie sollten eine Anhöhe hinauf gejagt und gezwungen werden, sich in einen See zu stürzen, in welchem sie aus einem eigens dazu erbauten Lusthause von den erlauchten Fürsten nach Bequemlichkeit erlegt werden konnten.

Allen solchen Herrlichkeiten verschloß sich das Gemüth unseres Dichters; er sah in ihnen nur die Mittel, seinem Kerker unbemerkt zu entfliehen. Die ganze Kraft seines Geistes war auf das neue Drama Fiesko gedrängt, das noch vor der Reise vollendet werden sollte. Nächte durch arbeitete er – denn ausser dem Plane war kaum die Hälfte des Stückes niedergeschrieben – aber am Morgen erheiterten sich seine von Schlaflosigkeit erhitzten Augen, wenn er ein schönes Stück vollendeter Arbeit übersah und seinem künftigen Reisegefährten neue Scenen oder einen in der Nacht entstandenen Monolog vorlesen konnte.

Unter den zu Stuttgart angekommenen Fremden war auch der Freiherr von Dalberg und die Gattin des Regisseurs Meier vom Mannheimer Theater. Schiller wartete dem ersten auf und sah auch die letztere öfters, aber er schwieg gegen beide. Er wollte, da sein Entschluß gefaßt war, nicht durch Zweifel belästigt, nicht durch Beweise eines ungewissen Erfolgs widerlegt werden. Mit der Mannheimer Freundin und Streicher besuchte er – denn die Zeit drängte – auch das Elternhaus auf der Solitude noch einmal. Die Hausfrau erschien bedrückt vom Entschlusse des Sohnes, über welchen sie sich nicht äussern durfte, der unbefangene Vater zählte mit Wichtigkeit die bevorstehenden Festlichkeiten auf. Der Sohn verließ die Gesellschaft mit der Mutter und kehrte nach einer Stunde ohne sie mit rothen Augen zurück. Die große Lustjagd sollte, mit Schauspiel und Beleuchtung auf dem Schlosse, am 17ten September vor sich gehen. Dieß entschied über den Reiseplan der Jünglinge. Sie zogen die Nachricht ein, daß an diesem Tage Schillers alte Grenadiere, die ihn gut von Angesicht kannten, die Thorwache nicht haben würden, und so ward die Abreise von Stuttgart auf den Abend des 17ten September festgesetzt.

Die bürgerliche Kleidung, hinter welche sich der Regimentsarzt verstecken wollte, Wäsche und einige Bücher, darunter Haller und Shakspeare, waren allmählig von dem Freunde aus Schillers Wohnung hinweg gebracht worden; am letzten Vormittag um zehn Uhr sollte auch alles übrige gerüstet seyn. Aber der Dichter behielt sein Recht bis zur letzten Stunde. Als Schiller von seinem letzten Lazarethbesuche acht Uhr Morgens zurückgekehrt war, fielen ihm beim Zusammensuchen der Bücher Klopstocks Oden in die Hände; eine Lieblingsode regte ihn auf; in dem entscheidenden Augenblicke fing er an zu dichten, statt zu packen und der eingetretene und treibende Freund mußte vor allen Dingen die Ode und das frisch gedichtete Gegenstück anhören.

Am Nachmittag endlich war Alles in Ordnung; ein paar geladene aber gichtbrüchige Pistolen wurden, die eine in den Koffer, die andere in den Wagen gelegt; drei und zwanzig Gulden steckte Schiller, acht und zwanzig Streicher in die Taschen; zwei Koffer und ein kleines Clavier saßen hinter dem Wagen und um zehn Uhr Nachts rollte dieser von Streichers Wohnung ab und dem Eßlingerthore zu, dem dunkelsten von Allen, wo ein bewährter Freund Schillers, (war es Scharffenstein oder Kapff?) – als Lieutenant die Wache hatte. – Halt – Wer da – Unterofficier heraus! schallte es unheimlich am Thore. »Doctor Ritter und Doctor Wolf, beide nach Eßlingen reisend« – war die Antwort der Flüchtlinge, die nun ungehindert an der lichtlosen Wachtstube des Officiers, deren Fenster weit offenstanden, vorbei und mit beklommenen Herzen in's Freie und auf Umwegen der ludwigsburger Heerstraße zu fuhren. Wie die erste Anhöhe hinter ihnen lag, kehrte ihnen erst Unbefangenheit und Sprache wieder. Es war Mitternacht, als sie links von Ludwigsburg eine hohe Röthe am Himmel erblickten, und sobald der Wagen in die Linie der Solitude kam, glänzte ihnen auf eine Meile Entfernung das Schloß mit allen Nebengebäuden im Schimmer der Beleuchtung wie eine Feenwohnung entgegen. In der reinen Luft war Alles so scharf umgränzt, daß Schiller seinem Gefährten die Elternwohnung zeigen konnte. Ein unterdrückter Seufzer, ein leises »o meine Mutter« begleitete seine rasche Bewegung im Wagen.


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