Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Lotte von Wolzogen und der Dichter.

1783.

So lebte Schiller, nur in der farbigen Region der Dichtung Lust und Abwechslung findend, auf seiner literarischen Wartburg, in poetische Arbeiten und Entwürfe vertieft, doch nicht ganz ohne Sehnsucht nach der geselligen Welt. Zwar hatte er sich in dieser arg betrogen gefunden, und die Erfahrungen, die er gemacht, hatten ihm gegen Streicher in dem angeführten Briefe die bittere Aeußerung abgepreßt: »wenn man die Menschen braucht, so muß man ein H . . . . . t werden, oder sich ihnen unentbehrlich machen, Eines von Beiden oder man sinkt unter.« Und dennoch verlangte ihn in seiner Einsamkeit bald wieder nach diesen Menschen. Als daher im Januar 1783 seine mütterliche Freundin, Frau von Wolzogen, mit ihrer Tochter Charlotte von Stuttgart, wo sie ihrer Söhne wegen wohnte, auf kurze Zeit nach Sachsenmeiningen kam, und auch einige Tage in Bauerbach verweilte, flog ihr sein ganzes Herz entgegen, und als sie sich wieder auf ein anderes Gut in der Gegend entfernt hatte, schrieb er ihr unter anderem am 4. Januar: »Seit Ihrer Abwesenheit bin ich mir selbst gestohlen. Es geht uns mit großen lebhaften Entzückungen wie demjenigen, der lang in die Sonne gesehen. Sie steht noch vor ihm, wenn er das Auge längst davon weggewandt. Er ist für jede geringere Strahlen verblindet. Aber ich werde mich wohl hüten, diese angenehme Täuschung auszulöschen. Auf die Bekanntschaft Ihres Freundes freue ich mich als auf einen zu machenden Fund. Sie glauben nicht, wie nöthig es ist, daß ich edle Menschen finde. Diese müssen mich mit dem ganzen Geschlechte wieder versöhnen, mit welchem ich mich beinah' überworfen hätte. Es ist ein Unglück, meine Beste, daß gutherzige Menschen, so leicht in das entgegengesetzte Ende geworfen werden, den Menschenhaß, wenn einige unwürdige Charaktere ihre warmen Urtheile betrügen. Gerade so ging es mir. Ich hatte die halbe Welt mit der glühendsten Empfindung umfaßt, und am Ende fand ich, daß ich einen Eisklumpen in den Armen habe.« Der Freund, auf den er sich freute, scheint ein Prediger in Walldorf, dem Stammgute der Familie, gewesen zu seyn, wo sich Frau von Wolzogen bei ihrem Bruder, dem Oberhofmeister von Marschalk aufhielt und von Schiller bald darauf besucht wurde. Als er wieder zu Hause war, schrieb er ihr am 10. Januar: »Es ist schrecklich, ohne Menschen, ohne irgend eine mitfühlende Seele zu leben; aber es ist auch ebenso schrecklich, sich an irgend ein Herz zu hängen, wo man, weil doch auf der Welt nichts Bestand hat, nothwendig einmal sich losreißen und verbluten muß. Ich falle in eine düstere Laune und muß abbrechen.«

Diese leidenschaftliche Stimmung des Jünglings gegen eine alte Frau müßte unnatürlich erscheinen, wenn wir nicht wüßten, daß eine keimende Neigung zu der liebenswürdigen Tochter, die schon in diesem Briefe zutraulich »die gute Lotte« von ihm genannt wird, dahinter verborgen war. Nur daraus erklärt sich auch das feindliche Mißtrauen, das sich vorübergehend seiner plötzlich gegen die edle Freundin bemächtigen konnte, so daß er, als Frau von Wolzogen wieder einen Augenblick in Bauerbach erschienen war, vier Tage nach jenem zärtlichen Briefe aus Bauerbach entwichen, von einem uns unbekannten Orte, H . . . . aus, den 14. Jänner in einem wahren Räubersparoxysmus an seinen Freund Streicher nach Mannheim schreiben konnte: »So bin ich doch der Narr des Schicksals! Alle meine Entwürfe sollen scheitern! Irgend ein kindsköpfischer Teufel wirft mich wie seinen Ball in dieser sublunarischen Welt herum. Hören Sie nun! Ich bin, wenn Sie diesen Brief empfangen, nicht mehr in Bauerbach. Erschrecken Sie aber nicht; ich bin vielleicht besser aufgehoben! . . . Lieber Freund, trauen Sie Niemand mehr, die Freundschaft des Menschen ist das Ding, das sich des Ruhmes nicht verlohnt. Wehe dem, den seine Umstände nöthigen, auf fremde Hülfe zu bauen. Gottlob das letztere war diesmal nicht. Die gnädige Frau versicherte mich zwar, wie sehr sie gewünscht hätte, ein Werkzeug im Plane meines künftigen Glückes zu seyn – aber – ich werde selbst so viel Einsicht haben, daß ihre Pflichten gegen ihre Kinder vorgingen, und diese müßten es unstreitig entgelten, wenn der Herzog von W. Wind bekäme. Das war mir genug. So schrecklich es mir auch ist, mich wiederum in einem Menschen geirrt zu haben, so angenehm ist mir wieder dieser Zuwachs an Kenntniß des menschlichen Herzens. Ein Freund – und ein glückliches Ungefähr rissen mich erwünscht aus dem Handel. Durch die Bemühung meines sehr erprobten Freundes bin ich einem jungen Herrn von WrmbSo schreibt Streicher. Bei Frau v. Wolzogen heißt er Wurmb. bekannt geworden, der meine Räuber auswendig kann, und vielleicht eine Fortsetzung liefern wird. Er war beim ersten Anblick mein Busenfreund. Seine Seele schmolz in die meinige. Endlich hat er eine Schwester . . .! Hören Sie, Freund, wenn ich nicht dieses Jahr als ein Dichter vom ersten Range figurire, so erscheine ich wenigstens als Narr, und nunmehr ist das für mich Eins. Ich soll mit meinem Wrmb diesen Winter auf sein Gut, ein Dorf im Thüringer Walde, dort ganz mir selbst und der Freundschaft leben, und, was das beste ist, schießen, lernen; denn mein Freund hat dort hohe Jagd. Ich hoffe, daß das eine glückliche Revolution in meinem Kopf und Herzen machen soll . . .«

Dieser Brief voll Kavaliersgedanken, der mit Schillers Charakter in vieler Beziehung nicht übereinstimmt, scheint, nach einem Gelage mit seinem improvisirten Freunde Wrmb geschrieben, und glücklicher Weise verflogen Stimmung und Plane wie der Schaum im Champagnerglase. Die Eifersucht, die ihn plötzlich in der Schwester des Thüringer Barons einen Engel und in diesem selbst auch einen Boten des Himmels, und nicht wieder »fremde Menschenhülfe« erblicken ließ, führte die Feder dabei. Sein neuester Biograph, Hoffmeister, macht die sehr treffende Bemerkung zu dieser Geschichte, daß heroische Gemüther eigentlich für das Unglück gemacht sind und in glücklichen Verhältnissen verlieren. So zeigte auch Schiller in Mannheim eine festere und ruhigere Haltung als in Bauerbach.

Inzwischen war alles bald wieder ins Gleiche gebracht; vielleicht hatte der Baron selbst durch sein Betragen dafür gesorgt, dem verblendeten Dichter die Augen zu öffnen, wiewohl dieser ihn auch später von Mannheim aus (12. September 1783) »seiner ewigen Achtung« versichern ließ. Noch vor dem 25. Januar war Schiller wieder in Bauerbach und schmiedete, in Eintracht mit seiner alten Freundin, einen ostensibeln Brief an Wilhelm von Wolzogen, der die Nachforschung nach Schillers Aufenthalt irre leiten sollte, von Frankfurt am Main datirt war, und in welchem stand: »Ich reise nach Amerika, und dies soll mein Abschiedsbrief seyn.« Ein anderer Brief war angeblich von Hannover aus an Frau von Wolzogen in demselben Sinne geschrieben, daß er gelesen würde. In diesem Briefe fand sich, unter vielem sinnreich und wahrscheinlich Erlogenem, wie z. B. scheinbaren Beziehungen auf Laura, doch etwas, das Schillern, viel mehr als die Lust, im frei gewordenen Amerika mit siedenden Adern einige Sprünge zu machen, Ernst war: »Sie haben mich,« schreibt er, »in Ihrem letzten Briefe gebeten, den Herzog in Schriften zu schonen, weil ich doch (meinen Sie) der Akademie viel zu verdanken hätte. Ich will nicht untersuchen, wie weit dem so ist, aber mein Wort haben Sie, daß ich den Herzog von Württemberg nie verkleinern werde; im Gegentheil hab' ich seine Partei gegen Ausländer schon hitzig genommen.«

Schwerlich hätte diese überzuckerte Pille ihre Wirkung gethan, wenn der Herzog die Briefe aufgefunden hätte. Uebrigens war er großmüthig genug, auf keinerlei Weise jemals die geringste Vorkehrung treffen zu lassen, um seinen entflohenen Zögling wieder in seine Gewalt zu bekommen und zu bestrafen. »Ich habe,« schrieb Schillers Vater am 8. December 1782 an Schwan nach Mannheim, »hier noch nicht das Geringste bemerkt, daß Seine Herzogl. Durchlaucht sich entschließen sollten, meinen Sohn aufsuchen und verfolgen zu lassen. Auch ist dessen Posten längst wieder besetzt, ein Umstand, der merklich zu erkennen gibt, daß man meinen Sohn entbehren kann.«

In demselben Briefe zürnt der alte Schiller auf eine recht väterliche Weise über die Flucht seines Sohnes: »Er hat sich selbst,« sagt er, »durch sein unzeitliches Weggehen, wider seiner wahren Freunde Rath, in seine gegenwärtige Lage versetzt, und es wird ihm an Leib und Seele gut seyn, wenn er sie empfindet, und dadurch für die Zukunft klüger gemacht wird. Ich befürchte jedoch nicht, daß er Mangel am Nothdürftigen leiden sollte, denn in solchem Falle würd' ich ihn nicht lassen können.«

Zu Ende Januars hatte Frau von Wolzogen Bauerbach mit ihrer Tochter wieder verlassen; Schiller sandte ihr am 1. Februar 1783 einen herzlichen Brief nach, aus welchem wir zugleich erfahren, daß auch an seine Eltern eben ein Brief fort gewandert, welchen er sie durch mündliche Erzählung zu ergänzen bittet. Aber gerade während der Abwesenheit von Mutter und Tochter befestigte sich die Neigung, zu der letztern im Herzen des in der Abgeschiedenheit für solche Eindrücke besonders empfänglichen Dichters und die Eifersucht schürte fortwährend an der kleinen Flamme. Er erfuhr, daß ein Fremder aus Stuttgart Absichten auf das Fräulein habe, und von der Mutter selbst, daß dieser Herr sich nicht abhalten lasse, mit ihr nach Meiningen zu reisen. Ein ausführliches Schreiben an Frau von Wolzogen vom 27. März läugnet gar nicht, daß ihn die Gleichgültigkeit, womit die Mutter diesen Umstand berührt, in die äußerste Befremdung setze. »Wenn sich Herr von . . . mit Ihnen in M. einfinden sollte, so ist es durchaus unmöglich, daß ich Ihre Ankunft erwarten kann. Lassen Sie sich diese Nachricht nicht bestürzen, liebe Freundin, und gönnen Sie mir ruhiges Gehör. Ganz Meiningen weiß, daß sich ein Württemberger in Bauerbach aufhält, daß dieser ein sehr guter Freund von Ihnen ist, und daß er sich mit Schriften beschäftigt . . . Man war schon lange begierig, diesem verkappten »Ritter« auf die Spur zu kommen; man hat sogar wegen einiger Aeußerungen des vorigen Herzogs auf den wahren gerathen. Nehmen Sie nun dieses Alles zusammen und lassen Sie besagten Herrn nach M. kommen . . . Ich gebe Ihnen zu bedenken, ob eine Person, die, so wie jener Herr, von unserm Thun und Lassen unterrichtet ist, die mehr als tausend andere neugierig ist, und vorzüglich neugierig auf meine Schicksale ist . . . bei der ausgestreuten Erdichtung stehen bleiben werde . . . ob er der Mann ist, der in das Geheimniß gezogen werden darf? Ich erkläre Ihnen entschlossen und offenherzig, daß ich das Letztere niemals zugeben werde. Ich will ihm durchaus nichts von seinem Werthe benehmen, denn er hat wirklich einige schätzbare Seiten; aber mein Freund wird er nicht mehr, oder gewisse zwei Personen müßten mir gleichgültig werden, die mir so theuer wie mein Leben sind.« Und nun erklärt er, wenn die Sache nicht zurückgetrieben werden kann, sie verlassen zu müssen. »Ist der Fall unvermeidlich, so bitte ich Sie inständig, es mir bei Zeiten wissen zu lassen, daß ich mich in Betracht meiner Baarschaft darnach richten kann . . . Die Mannheimer verfolgen mich mit Anträgen um mein ungedrucktes Stück, und Dalberg hat mir auf eine verbindliche Art über seine Untreue Entschuldigungen gemacht.« Er will nach Berlin, wohin ihm Adressen in Menge zu Gebote stehen.

War es ein Wunder, daß Frau von Wolzogen, welche blind seyn mußte, wenn sie das Feuer in diesem Briefe nicht hätte brennen gesehen, jetzt nicht mehr blos aus verzeihlicher Besorgniß für ihre Söhne, sondern auch aus pflichtmäßiger Sorge für ihre Tochter, die Entfernung des jungen Schriftstellers aus ihrem Hause wünschen mußte? Zwar, der Freier kam nicht nach Meiningen, und Schiller blieb in Bauerbach. Inzwischen verhehlte die gute Pflegemutter selbst ihm ihre Unruhe in Briefen nicht; auch scheint ihm, auf einen sonderbaren und leidenschaftlichen Brief an seine Schwester Christophine, diese auf eine Weise geantwortet zu haben, daß der Wunsch der Frau von Wolzogen, Schillern entfernt zu sehen, noch immer wahrscheinlich blieb. Absichtlich oder unabsichtlich hatte Schiller die Antwort der Schwester bei seinem Freunde Reinwald in Meiningen liegen lassen; diesen rührte der Brief, in welchem er »so viel reifes Denken, und herzliche, besorgte Wohlmeinung« gegen seinen Freund entdeckte, so innig, daß er, die Schwester zu beruhigen, in Correspondenz mit ihr trat (27. Mai 1783). »Mir ist es selbst Räthsel,« schreibt er, »warum sie (Fr. v. W.) so sehr Verachtung fürchtet, und daß sie auf die Veränderung von unsers Freundes Aufenthalt dringen soll; viele Umstände scheinen dem letztern zu widersprechen, es müßte denn seyn, daß sie aus Beweggründen der Sparsamkeit handelte . . . . . . Hier residirt ein Herzog, den der Ihrige nicht im Geringsten deßhalb züchtigen kann, wenn er jemand da wohnen läßt, dem der württembergische Hof ungünstig ist. Welche Verantwortung kann da der Fr. v. W. auf den Hals fallen?«

Indessen gibt Reinwald zu, daß Schiller Gelegenheit finden sollte, menschliche Charaktere viel zu kennen, weil er sie auf der Bühne schildern soll, und daß er sich durch Gespräche über Natur und Kunst, durch freundschaftliche, innige Unterhaltung sollte aufheitern können, wenn durch Denken und Niederschreiben das Mark seines Geistes vertrocknet sey. »Ich wünsche daher sehnlich, daß er künftigen Herbst in einer großen Stadt, wo ein gutes deutsches Theater ist, z. E. in Berlin verweilte, doch unter dem Schutze gelehrter und rechtschaffener Männer, die ihn vor der Ausgelassenheit bewahrten, die an diesem Orte herrscht. Wien hat zwar weniger verderbte Sitten und mehr Teutschheit, aber der Fehler ist da, daß man mit dem Gelde gut umzugehen verlernt.«

So gut der treffliche Schreiber dieses Briefes verwundbare Seiten und Schwächen seines Freundes gekannt zu haben scheint, so durchschaute er doch nicht den Beweggrund, »warum der Herr Bruder zum Weggehen gar nicht inklinirte,« und glaubte nur, »seine Wohlthäterin habe ihn von der Seite seines guten und dankbaren Herzens eingenommen.« Er hatte es also nicht verstanden, wenn ihm Schiller schon am 27. November geklagt hatte: »Einsamkeit, Mißvergnügen über mein Schicksal, fehlgeschlagene Hoffnungen, und vielleicht auch die veränderte Lebensart haben den Klang meines Gemüths, wenn ich so reden darf, verfälscht, und das sonst reine Instrument meiner Empfindung verstimmt. Die Freundschaft und der Mai sollen es, hoff' ich, aufs Neue in Gang bringen. Ein Freund soll mich mit dem Menschengeschlechte, das sich mir auf einigen häßlichen Blößen gezeigt hat, wieder aussöhnen.«

Während Reinwald, der durch fortgesetzten Briefwechsel mit Schillers Schwester zuletzt ihr Herz gewann und des Dichters Schwager wurde, in Beziehung auf die Herzensangelegenheit dieses Letztern ganz im Dunkeln war, sorgte Schiller selbst dafür, daß seine immer heftiger werdende Leidenschaft nicht zweifelhaft blieb. Am 8. Mai schrieb er an Frau von Wolzogen ganz lakonisch: »Fräulein Lotte ist, wie es zu Meiningen verlautet, Braut mit H. von . . . ., ich gratulire also per Abschlag.« Bald darauf zog seine Geliebte mit der Mutter in Bauerbach durch eine Allee von Maien und die Ehrenpforte von Tannen ein, welche der Dichter von ihren Bauern hatte aufführen lassen.

Einige Tage später, am 25. Mai, beantwortete er einen unerwarteten Brief Wilhelms von Wolzogen. »Hier zum erstenmale,« sagt er von Bauerbach, »habe ich es in seinem ganzen Umfange gefühlt, wie gar wenig Zulüftung es fordert, ganz glücklich zu seyn. Ein großes, ein warmes Herz ist die ganze Anlage zur Seligkeit, und ein Freund ist ihm Vollendung . . . Sonderbar finde ich die Wege des Himmels auch hier. Acht Jahre mußten wir bei einander seyn, uns gleichgültig seyn. Jetzt sind wir getrennt, und werden uns wichtig. Wer von uns beiden hätte auch nur von fern die verborgenen Fäden geahnet, die uns einmal so fest an einander zwingen sollten und ewig . . . Sie, mein Bester, haben den ersten Schritt gethan, und ich erröthe vor Ihnen. Immer verstand ich mich weniger darauf, Freunde zu erwerben, als die Erworbenen fest zu halten. – Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut, die ich ganz kenne. Ich danke Ihnen für diese große Probe Ihrer Liebe zu mir . . . Glauben Sie meiner Versicherung, bester Freund, ich beneide Sie um diese liebenswürdige Schwester. Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, reichste, empfindsamste Seele, und noch kein Hang des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüths . . . Wehe demjenigen, der eine Wolke über diese schuldlose Seele zieht! – Rechnen Sie auf meine Sorgfalt für ihre Bildung, die ich nur darum beinahe fürchte zu unternehmen, weil der Schritt von Achtung und feurigem Antheil zu andern Empfindungen so schnell gethan ist. – Ihre Mutter hat mich zu einem Vertrauten in einer Sache gemacht, die das ganze Schicksal Ihrer Lotte entscheidet. Sie hat mir auch Ihre Denkungsart über diesen Punkt entdeckt . . . Ich kenne den Herrn von . . . Einige Kleinigkeiten haben uns unter einander mißstimmt; dennoch, glauben Sie es meinem aufrichtigen, unbestochenen Herzen, er ist Ihrer Schwester nicht unwerth. Ein sehr guter und edler Mensch, der zwar gewisse Schwachheiten, auffallende Schwachheiten an sich hat, die ich ihm aber mehr zur Ehre als zur Schande rechnen möchte. Ich schätze ihn wahrhaft, obschon ich zur Zeit kein Freund von ihm heißen kann. Er liebt Ihre Lotte, und ich weiß, er liebt sie als ein edler Mann, und Ihre Lotte liebt ihn, wie das Mädchen, das zum erstenmale liebt. Mehr brauch' ich Ihnen nicht zu sagen. Ausserdem hat er andre Resourcen, als sein Porte-Epée, und ich bürge dafür, daß er sein Glück in der Welt machen kann.«

Wie liebenswürdig streiten Liebe, Edelmuth, Wahrheitsliebe und Eifersucht in diesem merkwürdigen Briefe! Ein entsetzlicher Gedanke war es ihm, daß diese angebetete Lotte in einer Pension verkümmern sollte, in welcher die Herzogin von Gotha sie erziehen zu lassen den Anfang gemacht hatte, für ihn, dem alles conventionelle Leben damals ein Gräuel däuchte, den man »zwischen Spandau und einer Assemblée wählen lassen dürfte,« dem alle Prärogativen so zuwider waren, daß er an seiner mütterlichen Freundin nur den Adelsbrief eines schönen Lebens anerkannte, und »den haßte, den sie mitgebracht.«Schillers Leben von Fr. v. Wolzogen, I, 126, 134. – »Mein Herz ist zwischen Ihnen und unsrer Lotte,« schreibt er am Morgen des 28. Mai, »und begleitet sie bis ins Zimmer der Herzogin . . . Heute wünsche ich Ihnen die Stimme des Donners, die Festigkeit eines Felsen und die Verschlagenheit der Schlange im Paradies . . . Sagen Sie die ganze Pension ab, so will ich alle Jahr eine Tragödie mehr schreiben, und auf den Titel setzen: Trauerspiel für Lotte

Eigentlich wollte er noch viel mehr thun. Hätte seine Leidenschaft Gehör gefunden, so wäre er bereit gewesen, um ein Schäferleben nicht alle Jahre eine Tragödie weiter zu schreiben, sondern selbst die Poesie herzugeben. »Es war eine Zeit,« sagte er seiner Freundin am 30. Mai, »wo mich die Hoffnung eines unsterblichen Ruhms so gut als ein Gallakleid ein Frauenzimmer gekitzelt hat. Jetzt gilt mir alles gleich, und ich schenke Ihnen meine dichterischen Lorbeere in dem nächsten Boeuf à la Mode, und trete Ihnen meine tragische Muse als eine Stallmagd ab. Wie klein ist doch die höchste Größe eines Dichters gegen den Gedanken glücklich zu leben. Mit meinen vormaligen Planen ist es aus, beste Freundin, und wehe mir, wenn das auch von meinem jetzigen gelten sollte. Daß ich bei Ihnen bleibe, und wo möglich begraben werde, versteht sich . . . Nur das ist die Frage, wie ich bei Ihnen auf die Dauer meine Glückseligkeit gründen kann. Aber gründen will ich sie oder nicht leben, und jetzt vergleiche ich mein Herz und meine Kraft mit den ungeheuersten Hindernissen, und ich weiß es, ich überwinde sie.«

Schiller selbst nennt diesen Brief einen tollen Brief; der Himmel »lächelte gnädig Nein und ließ den Wunsch zusammt der Pein vorübergehen,« wie ein jüngerer Geistesverwandter des Dichters sagt. Lotte wurde zwar nicht die Beute des gefürchteten Edelmannes, dessen »Anmaßung« nicht nur dem Dichter, sondern auch dem Mädchen Unwillen eingeflößt zu haben scheint; aber auch die Neigung des Poeten blieb unbemerkt, und mit nichts anderem als freundschaftlichem Gefühl erwiedert. Nach einigen Jahren gab Lotte ihre Hand einem andern Manne und wurde nach ihrer ersten Niederkunft den Ihrigen durch den Tod entrissen.


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