Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Ausflug nach Rudolstadt. Die Familie von Lengefeld.

 A. a. O. I, 227 ff.

1787.

Zu Rudolstadt, am Ufer der sanft gekrümmten Saale, in einem reizenden dreifachen Thal mit seinen großgezeichneten blauen Gebirgen und nahen waldumkränzten Anhöhen, lebte eine Frau von Lengefeld mit ihrer ältern Tochter Caroline, damals Gattin des Rudolstadtischen Hofraths Freiherrn von Beulwitz, und ihrer jüngeren Tochter Charlotte, in der kleinen, in jener Zeit todten und einförmigen Residenz, fern von den Reizen und Wechseln des geselligen Lebens. Der Vater, ein rühmlichst bekannter Forstmann, einst, zu Ende des siebenjährigen Krieges zu Leipzig einer Unterredung mit Friedrich dem Großen und vortheilhafter Anträge von diesem gewürdigt, hatte, am linken Bein und rechten Arm seit dem zwanzigsten Jahre gelähmt, diesem Rufe nicht folgen zu dürfen geglaubt, und in dieser Einsamkeit der sorgfältigern Erziehung seiner zwei Töchter gelebt. Er fand bei seiner Gattin, die gleichfalls besser erzogen und empfänglich für alles Schöne war, in diesem heiligen Geschäfte die gewünschte Unterstützung. Während die Töchter ihr Herz und Gemüth durch ansprechende Bücher zu bilden bemüht waren, so daß Schiller späterhin oft scherzend gegen sie behauptete, man werde es ihnen noch immer anmerken, daß sie mit dem Grandison aufgewachsen seyen, machte der Vater auf zweierlei Weise ihr Leben in der Phantasie unschädlich: durch sorgsame Ausbildung ihres Körpers in muntern Spielen und durch die Entwicklung ihres Verstandes, in den seine klare und weite Weltansicht nicht auf dem Wege des Unterrichts, sondern in heitern Tischgesprächen anregend überging. »Sie lernten den Geist erkennen und schätzen, der alle Erscheinungen auf ihren Ursprung, auf ihren Grund zurückführt. Die Welt, die sie sich hinter ihren blauen Bergen dichteten, gewann im Lichtblick seines Verstandes feste Umrisse. »Sie lernten zeitig ahnen, was sie suchen sollten. Ein Gefühl des wahren Werthes der Menschen, der männlichen Würde insbesondere, faßte Wurzel in ihnen, denn die verehrte Gestalt des Vaters, welche Festigkeit in Grundsätzen der Ehre und schönen Sitte ausdrückte, war ihr reines Abbild.«

Diesen Vater hatte den Töchtern der Tod entrissen, als Caroline dreizehn und Charlotte zehn Jahre alt war. Der älteren Tochter bot sich schon im sechzehnten Jahre ein Heirathsantrag dar; die jüngere war zu einer Hofdamenstelle in Weimar bestimmt. Damit sie sich Fertigkeit in der französischen Sprache und den nöthigen Weltton aneignen könnte, hatte die Mutter eine Zeit lang in der welschen Schweiz gelebt.In der (goldkörnerreichen) Sammlung von Göthe's Briefen an Lavater, herausgeg. v. Heinr. Hirzel (Leipz. Weidmann 1833), findet sich S. 156 folgendes Billet: »Frau von Langefeld (lies Lengefeld) mit ihren beiden Töchtern und Hrn. v. Beulwitz aus Rudolstadt werden dir, l. Bruder, kraft dieses empfohlen, und das Maaß des Guten, was du ihnen geben willst und kannst, deinem Gefühle und den Umständen überlassen, in denen sie Dich antreffen werden.«
    »Weimar den 7. Apr. 83. — G.«
Die Familie war mit den Wolzogen zu Bauerbach verwandt, und als sie im Mai 1784 aus dem Alpenlande zurückkehrten und auf der Solitude mit Frau v. Wolzogen einen Besuch bei Schillers Eltern abgestattet, erschien dieser selbst bei ihnen in Mannheim, wie sie eben abreisen wollten. »Seine hohe, edle Gestalt,« erzählt die ältere Tochter,Frau v. Wolzogen a. a. O. S. 227. seitdem Schillers Schwägerin und in ganz Deutschland als geistreiche Schriftstellerin geehrt, »frappirte uns; aber es fiel kein Wort, was lebhafteren Antheil erregte. Die mannigfachen und großen Gegenstände, von denen wir so eben geschieden waren, füllten unsre Seele . . . So sahen wir Schiller zum erstenmal, wie aus einer Wolke wehmüthiger Sehnsucht, die uns nur schwankende Formen erblicken ließ.«

Nach der Heimkehr aus der Schweiz lebte die Mutter mit den Töchtern in dem kleinen Saalethal, in welchem die ältere durch Verheirathung zu bleiben bestimmt war. Die jüngere Tochter, Charlotte v. Lengefeld, hatte nach der Schilderung ihrer Schwester, »eine sehr anmuthige Gestalt und Gesichtsbildung. Der Ausdruck reinster Herzensgüte belebte ihre Züge, und ihr Auge blitzte nur Wahrheit und Unschuld. Sinnig und empfänglich für alles Gute und Schöne im Leben und in der Kunst, hatte ihr ganzes Wesen eine schöne Harmonie. Mäßig, aber treu und anhaltend in ihren Neigungen, schien sie geschaffen, das reinste Glück zu genießen. Sie hatte Talent zum Landschaftzeichnen, einen feinen und tiefen Sinn für die Natur, und Reinheit und Zartheit in der Darstellung. Auch sprach sich jedes erhöhtere Gefühl in ihr oft in Gedichten aus, unter denen einige, von der Erinnerung an lebhaftere zärtliche Herzensverhältnisse eingegeben, voll Grazie und sanfter Empfindung sind.«

Das Glück dieser jüngern Schwester war die herzlichste Sorge, ja die einzige Lebenshoffnung der ältern, da diese sich in einer Stimmung befand, die sie ihr eigenes Glück ganz aufgeben hieß. In der Schweiz durch unvorsichtiges Baden in dem kalten Genfersee von einer Nervenkrankheit befallen, glaubte sie nur auf ein kurzes Leben rechnen zu dürfen. Dieß Leben widmete sie ganz der Schwester, da das Gemüth dieser letzteren durch eine erwiederte Neigung, deren Hoffnungslosigkeit den Geliebten über die See nach einem andern Welttheile getrieben hatte, seit einiger Zeit wund und bewegt war.

Diese Schwester aber war von der Vorsehung unserm Schiller aufgehoben, und was in Bauerbach für seinen Charakter und seinen Genius zu frühe war, sollte den gereifteren Mann hier im ebenso abgeschiedenen, aber lieblicheren Thale mit verjüngter Huld und Anmuth überraschen und auf sein ganzes Leben hinaus dauernd beglücken. Jetzt endlich sollte auch an ihm in Erfüllung gehen, was der geistliche Dichter, der einer der Lieblinge seiner frommen Jugend war, in den rührend schlichten Worten singt, in welchen sein Geist die Paare sieht, die in des Himmels Rath einander bestimmt sind, hier ein trefflicher Sohn, dort eine edle Tochter, die getrennt und sich gegenseitig unbekannt einander zuwachsen.

Eines ist des andern Kron',
Eines ist des andern Ruh',
Eines ist des andern Licht,
Wissens aber beide nicht.


»Keine Kunststraße führte damals noch in das kleine Thal; ein Fremder,« erzählt Frau v. Wolzogen, »war ein Phänomen, hinter den grünen Bergen. Da kamen an einem trüben Novembertage des Jahres 1787 zwei Reiter die Straße herunter. Sie waren in Mäntel eingehüllt; wir erkannten unsern Vetter, Wilhelm v. Wolzogen, der sich scherzend das halbe Gesicht mit dem Mantel verbarg; der andere Reiter war uns unbekannt und erregte unsere Neugierde.« Der Vetter nannte den berühmten Namen Schiller, erzählte, daß er von der Freundin in Bauerbach komme, und bat um die Erlaubniß, ihn Abends in die Familie einführen zu dürfen.

In diesem Kreise fühlte sich Schiller bald wohl und frei; sein Herz schloß sich in dem Umgange mit Frauen, die unbefangen und voll Herzenswärme alles Geistige umfaßten, schnell auf. Ohne schriftstellerische Eitelkeit verbarg er doch den Wunsch nicht, daß die neuen Freundinnen auch seinen Don Carlos kennen lernen möchten, und freute sich, als die Briefe von Julius an Raphael einen Anknüpfungspunkt für das Gespräch bildeten. Ihm ward so heimathlich, daß noch an jenem Abende der Gedanke, sich dieser Familie anzuschließen, in ihm aufzudämmern schien, und er beim Abschiede den Plan aussprach, den nächsten Sommer in diesem schönen Thale zu verleben.

Die beiden Freunde, die zusammen gekommen waren, sollten in der Folge zusammen hier das Glück ihres Lebens finden. Wilhelm v. Wolzogen (nachmals der zweite Gatte Carolinens) hatte das Bild der holden Anverwandten schon in der Akademie in das Herz aufgenommen. Er bereitete sich jetzt zu einer Reise nach Paris vor, wo er Architektur studiren wollte, aber wünschte nichts sehnlicher, als einst in der Nähe der Freundinnen leben zu können; und der Dichter schied mit dem gleichen Verlangen.


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