Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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IV.

Vor dem Rathause des Städtleins Sondershausen hielt im hellen Mondlicht ein kleiner Reitertrupp. Die Gäule sahen ermüdet aus, und die Reiter waren es wohl auch, aber sie blieben trotzdem im Sattel sitzen und ließen sich den kühlen Trunk von der rundlichen Ratskellerwirtin und ihrem Knechte hinaufreichen.

Aus der Tür des Ratskellers trat ein wohlbeleibter Mann hervor, der seinen Dämmerschoppen hinter sich hatte und heimgehen wollte. Aber als er den Führer der Schar erkannte, blieb er stehen und lüftete ehrerbietig seine Kappe.

»Guten Abend, Herr Bürgermeister Meyenburg« sagte er. »Nun, seid Ihr vom Augsburger Reichstage glücklich zurück? In Nordhausen – ich war heute dort – erwartete man Euch schon gestern.«

»Gott zum Gruße, Herr Ratsmann Meinhard,« erwiderte Meyenburg und bot ihm vom Rosse herab die Hand. »Ja, ich wollte schon gestern eintreffen, aber in meinen Jahren geht das Reiten nicht mehr so schnell, wie man möchte. Doch sind sie heute auf mein Kommen vorbereitet. Ich habe einen vorausgeschickt auf dem schnellsten Pferde. Der soll dem Rate sagen, die Herren möchten beisammen bleiben in des Rates Trinkstube, bis ich käme, so spät es auch würde. Denn ich habe ihnen eine Kunde zu bringen, die sie hoch erfreuen wird.«

»Ei!« sagte Meinhard, und seine runden Augen glänzten. »Ihr macht mich wahrlich neugierig. Darf ich nicht erfahren, was Ihr zu künden habt? Oder geht es nur die von Nordhausen an?«

»Es geht nicht nur die von Nordhausen an. Aber von mir erfährt's keiner, bevor es der Nordhäuser Rat erfahren hat. Morgen wird es wohl durch die ganze Gegend fliegen. Doch ich muß weiter, Herr Meinhard. Lebt wohl!«

»Herr Bürgermeister,« sagte der Sondershäuser und zog bedenklich die Brauen hoch. »Wenn ich an Eurer Stelle wäre, ich täte nächtigen in unserer Stadt. Die Straßen sind so unsicher wie noch nie. Die Heunesche Rotte ist wieder unterwegs, und es scheint ihr alles zuzulaufen, was Nordhausen feind ist. Ehegestern haben sie die Flohmühle verbrannt, und dabei ist der Kehner erkannt worden, der heillose Hund, der ein paar Jahre bei uns gewohnt hat. Gestern haben sie am hellen, lichten Tage zwischen Berga und Thüringen Nordhäuser Bürger niedergeworfen, und einer, Richard Metze, Ihr kennt ihn wohl, hat daran glauben müssen. Er hat den Hals gebrochen. Heute früh wurde es in Nordhausen erzählt. Ich bliebe hier, Herr. Hört Ihr's? Eben schlägt es acht. Vor zehn seid Ihr nicht in Nordhausen.«

»Ich danke Euch für den guten Rat, aber ich kann ihn nicht befolgen. Über einen Monat war ich fort, und ich sehne mich heim. Ich will nicht noch einmal in einem fremden Bette schlafen.«

»Herr, ich tät mir's doch überlegen,« warnte Meinhard. »Die Heunesche Fehde ist doch von Euch hergekommen. Es könnte den Buben so passen, wenn sie Euch fingen. Sie könnten immerhin Witterung haben, daß Ihr von Augsburg nach Hause unterwegs seid.«

»Ihr seht, wir sind unserer sechs, mein Sohn Christof und vier Knechte und ich, und wir sind gut bewaffnet, haben sogar drei Feuerrohre. Eine so große Truppe greift die Rotte gar nicht an. Ade, lieber Herr Meinhard.«

Als sie Sondershausen im Rücken hatten, sagte Meyenburg seufzend zu seinem Sohne: »Der Heune hat also wieder Leute gegen uns gedinget, während wir auf dem Reichstage waren, und verübt wieder Freveltaten gegen Nordhausen. Bei wem er nur immer Schutz und Rückhalt findet!«

»Sicherlich beim Wolfenbüttler, Vater. Der Herzog ist uns spinnefeind.«

»Er hat es eidlich in Abrede gestellt. Aber freilich – was ist heutzutage ein Eid! Die Welt ist voll von Lug und Trug und wird mit jedem Tag böser, wiewohl wir nun das heilige Evangelium haben. Mich soll's nicht wundern, wenn Gott bald ein Ende macht mit ihr.«

»Dann soll er nur noch warten, bis ich geheiratet habe,« erwiderte Christof Meyenburg. »Dann mag meinetwegen die Welt untergehen.«

Meyenburg lachte. »Wollte Gott jeden einzelnen fragen von uns Menschenkindern, wann ihm der jüngste Tag paßte, so gäbe es wohl nimmer einen jüngsten Tag. Es gäbe gewißlich auch keinen Tod, denn der kommt uns immer zu früh, auch wenn wir uns hin und wieder danach sehnen, von der bösen Welt abzuscheiden. Aber Gott fragt uns nicht, er nimmt uns, wann es ihm wohlgefällt, und es ist gut so, denn er weiß am besten, was uns frommt. – Was machst du da, Junge?«

»Ich bringe mein Feuerrohr in Ordnung, Vater. Mir ist so wunderlich, ich acht', es dürfte heute noch etwas geben. Es wäre wohl besser gewesen, Vater, wir wären in Sondershausen geblieben. Mir ist, als läge etwas in der Luft.«

»Unsinn,« brummte Meyenburg. »Sechs Mann zu Roß greifen die nicht an, die selber nur mit ein paar Gäulen reiten.« Nach einer Weile setzte er hinzu: »Ich will auch heute nach Nordhausen. Ich habe den Bürgern einstens die Kunde gebracht, daß der Lügenprophet Thomas Münzer geschlagen wäre in der Frankenhäuser Schlacht. Jetzt will ich der erste sein, der ihnen kündet, daß großer Friede ist in allen deutschen Landen.«

Er spornte sein müdes Roß zu schnellerer Gangart an, und die anderen taten desgleichen. So erreichten sie in kurzer Zeit die Furt, die seitwärts des Dorfes Sundhausen durch die Helme führte. »Der Fluß ist angeschwollen. Reitet langsam!« gebot Meyenburg und trieb sein Tier in die Flut.

Da zuckte drüben jenseits des Wassers ein greller Blitz aus einer Zündbüchse auf, dem sogleich ein zweiter folgte. Meyenburgs Roß bäumte sich hoch auf und schlug wild um sich, und sein Reiter glitt seitwärts hinab in den Fluß.

»Hund Meyenburg, das war von mir!« schrie es von drüben. Aber der Schrei erstarb in einem gurgelnden Laut, denn Christof Meyenburgs Feuerrohr war nun gleichfalls aufgeblitzt, sein Schuß mußte wohl sein Ziel gefunden haben. Man hörte von drüben ein Ächzen und Fluchen und dann das Getrappel schnell davonjagender Pferde.

»Um Jesu willen, Vater, was ist mit Euch?« rief der junge Mann und sprang von seinem Gaule hinab in das seichte Wasser, dem aus dem Sattel Gesunkenen zu Hilfe.

»Nichts ist mir. Junge,« brummte Meyenburg und richtete sich schwerfällig auf. »Ich bin nicht getroffen, aber der Gaul ist hin.«

»Das gute Pferd!« rief einer der Knechte. »Sollen wir hinter den Teufelskerlen herreiten?«

»Dageblieben!« gebot Meyenburg. »Die Nebel steigen mit Macht, Ihr holt sie nicht ein. Das war der Kehner, der Schuft. Hoffentlich hast du ihn gut gezeichnet, Christof.«

»Steigt auf mein Pferd, Vater!« sagte der junge Meyenburg. »Du, Märtens, gibst mir deins, du läufst zu Fuß neben uns her. Wir sind ja bald in der Stadt.« Der kleine Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Christof sah mit Besorgnis auf seinen Vater hin, der manchmal schmerzhaft das Gesicht verzog.

»Seid Ihr doch verwundet, Vater?« sagte er endlich.

»Verwundet bin ich nicht, aber die Glieder schmerzen mich alle, und mich friert heftig. Ein kaltes Bad nach dem schnellen Ritte ist nichts mehr für einen Mann in meinen Jahren.«

»Nehmt meinen Mantel, Vater. Der Eure ist naß,« bat Christof.

»Ja, gib her. Junge. Mir ist so kalt,« erwiderte Meyenburg und wickelte sich fest in den Reitermantel seines Sohnes ein, während seine Zähne vor Frost aufeinanderschlugen.

Tief in der Nacht erst kamen sie in Nordhausen an, aber die Ratsherren saßen noch alle in ihrer Trinkstube, um ihren Bürgermeister zu erwarten. Laute Heilrufe klangen ihm entgegen, als er in die Tür trat, und alle drängten sich an ihn heran. Aber es ward sofort still und immer stiller, als er zu reden anhub: »Liebe Freunde und Ratsgesellen! Ich bringe Euch die froheste Kunde, die euch ein Mensch bringen kann. Das Werk ist vollendet, das Kurfürst Moritz begann, da er den Kaiser überfiel und zum Fliehen zwang. Der Friede ist endlich geschlossen zu Augsburg zwischen den beiden Religionsparteien, und es soll ein ewiger Friede sein. Kein kaiserliches Edikt bedroht uns mehr und keine Reichsacht, wenn wir das Wort Gottes bekennen; offen und frei darf das Evangelium gepredigt werden. Jede Obrigkeit kann es in ihrem Gebiete mit der Religion halten, wie sie will, und niemand darf sie daran hindern. Der römische Papst hat nur noch denen etwas zu sagen, die sich freiwillig unter ihn beugen, wir anderen sind frei von ihm. Liebe Ratsgesellen, ich danke Gott dafür, daß er mich das noch hat erleben lassen, und ihr werdet ihm auch dafür danken.«

Es blieb totenstill, als er geredet hatte. Kein Heilruf erschallte. Aber in vielen Augen standen die Tränen, und manche hatten die Hände gefaltet, als sprächen sie heimlich ein Dankgebet. Der schwere Druck, der jahrelang auf den Seelen aller dieser Männer gelegen hatte, war von ihnen genommen. Für das Gefühl, das sie dabei bewegte, fand keiner ein Wort.

»Das Nähere sage ich euch morgen,« fuhr Meyenburg nach einer Weile fort. »Es soll um neun Uhr mit allen Glocken geläutet werden, und die Pfarrherren sollen in allen Kirchen Gott für den Frieden danken. Wir, liebe Ratsgesellen, ziehen selbander vom Rathaus nach Sankt Nikolai. Aber jetzt muß ich heim.«

»Herrgott! Was ist mit dir? Du wankst ja!« rief der Ratsmeister Kuhn und trat rasch auf ihn zu, um ihn zu umfassen. Aber Meyenburg stützte sich auf seinen Sohn und stand schon wieder aufrecht.

»Ich werde wohl krank,« murmelte er. »Alles auf morgen!« Langsamen Schrittes, von Christof geführt, verließ er das Gemach.

Als sich am anderen Tage die Ratsherren zum Kirchgang versammelt hatten, fehlte ihr Oberhaupt, und als sie nach seinem Hause schickten, hörten sie zu ihrem großen Schrecken, er liege bewußtlos auf seinem Lager. Der Zustand dauerte den ganzen Tag und auch noch den folgenden an, und erst gegen Abend des dritten Tages erlangte er die Besinnung wieder. Aber die rechte Hälfte seines Körpers war völlig gelähmt. Da erkannte er, daß sein Ende herannahe, und schickte zum Pfarrer von Sankt Blasien, daß er ihm noch einmal den Leib und das Blut des Herrn reiche. Der Pfarrer folgte eiligst dem Rufe, reichte ihm und allen den Seinen, die im Hause waren, das heilige Abendmahl und las ihm dann auf seinen Wunsch das achte Kapitel des Römerbriefes und etliche Psalmen mit Doktor Luthers Anmerkungen vor. Dann verließ er ihn betrübten Herzens, denn der Bürgermeister war stets sein Gönner und Schützer gewesen, und er sah wohl, daß er von einem Sterbenden Abschied nahm.

In trüben Gedanken schritt er die Treppe hinab. Da trat ihm unten im Hausflur einer der Stadtknechte entgegen und fragte ihn, ob er den Bürgermeister sehen und mit ihm sprechen könne.

»Was willst du bei ihm?« fragte der Pfarrer.

»Ich wollt' ihm sagen, daß sie den Kehner haben in den Weiden an der Helme tot gefunden. Seine Spießgesellen haben ihn wohl liegen lassen und ihn nicht mitgenommen. Es täte den Herrn Bürgermeister gewiß freuen, wenn er das hörte.«

»Verschone ihn mit solchen irdischen Dingen, mein Sohn,« erwiderte der geistliche Herr unwillig. »Er denkt nur noch an himmlische Dinge. Denn wisse, er lebt wohl kaum noch eine Stunde.« Der Knecht ließ betrübt das Haupt sinken und entfernte sich. Er hatte auf einen klingenden Botenlohn gehofft, der ihm nun entging. Auch tat es ihm leid, daß der Bürgermeister starb, der ihm stets ein freundlicher Herr gewesen war. Er begab sich in die Stadt und erzählte dort, was ihm der Pfarrer gesagt hatte. So kam es, daß in Zeit einer Stunde in ganz Nordhausen das Gerücht umlief, der Bürgermeister Meyenburg liege im Sterben, und daß sich eine gewaltige Menschenmenge vor seinem Hause zusammenfand, die wissen wollte, was an dem Gerücht wahr sei. Auch die Ratsherren und die angesehensten Bürger waren darunter.

Meyenburg lag droben in seinem Bett und kämpfte den letzten Kampf. Seine Rechte lag in der Hand seiner Frau, die beiden Kinder, die im Hause waren, und seine beiden alten Freunde Hauschild und Eienrot standen am Fußende seines Lagers. Sein Herz schlug immer matter, und sein Atem ging immer leiser, und der letzte Sonnenstrahl, der durch das Fenster fiel, huschte über ein Antlitz hin, aus dem jedes Rot entwichen war.

»Er ist hinüber,« sagte Eienrot leise.

Aber der Sterbende öffnete zu aller Verwunderung noch einmal die Augen und fragte mit klarer Stimme: »Was ist das für ein Lärm draußen auf der Straße?«

»Die Bürger sind es, Vater,« antwortete sein Sohn Christof. »Sie wollen hören, wie dir's ergeht.«

»Mir geht's zum besten, denn ich gehe zu Gott,« sagte Meyenburg und lächelte. Dann lag er wieder eine Weile regungslos, richtete sich aber mit einem Male noch halb empor und sprach laut und allen vernehmbar: »Sagt meinen lieben Bürgern, sie sollten noch einmal singen: Ein' feste Burg ist unser Gott.«

Christof öffnete das Fenster und tat den unten Harrenden den Wunsch seines Vaters kund.

Der junge Kantor von Sankt Jakobi, der unter den Vordersten stand, willfahrte ihm sofort und stimmte mit seinem hellen Tenor die Weise an. Gleich darauf brauste das Lied, gesungen von vielen hundert Männer- und Frauenstimmen, mächtig empor, und unter seinen Klängen hauchte Michael Meyenburg seine Seele aus.


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