Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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VIII.

Der Maimond war ins Land gezogen, aber nirgendwo in Thüringen war etwas von Maienlust zu spüren. Das junge Volk tanzte nicht wie sonst gegen Abend unter den Dorflinden, denn die Mädchen waren allein geblieben. Die Burschen und Männer der Dörfer hatten ihre Sensen zu Spießen und ihre Dreschflegel zu Morgensternen gemacht und waren den Scharen der Propheten zugezogen. In den Nächten leuchtete es da und dort am Himmel blutrot auf, und tagsüber zogen beizende Rauchwolken über die grünen Wälder und die wogenden Saatfelder. Sie kamen von den zerstörten Schlössern und Herrensitzen, den verwüsteten Klöstern her, in die der Haß der empörten Landvölker die Brandfackel geschleudert hatte.

Auf das alte Nordhausen schien die Maisonne licht und freundlich hernieder, und doch hing ein schweres Gewitter über der Stadt. Mehrere Wochen lang war es dem Rate gelungen, das Volk hinzuhalten. Jeden Tag wurde verhandelt, Versprechungen gegeben, ein Recht nach dem anderen an die Gemeinen abgetreten. Gestern aber hatten die Führer der Massen verlangt, der Rat solle freiwillig sein Regiment niederlegen. Geschähe das, so werde niemand an Hab und Gut, an Leib und Leben geschädigt werden. Geschähe es nicht, so könnten sie für nichts einstehen, das Volk werde sich dann mit Gewalt nehmen, was ihm von Rechtswegen gebühre, denn Gott wolle es so haben, daß die Reichen und Gebietenden herabstiegen von ihren Stühlen. Bis zum Mittagsläuten des anderen Tages sollten die Herren sich entscheiden.

In diese schmachvolle Forderung hatte der Rat nun doch nicht eingewilligt, sondern trotz des angstvollen Widerspruches einzelner seiner Mitglieder beschlossen, sein Regiment nicht freiwillig niederzulegen. Daß es dann zum Kampfe kommen mußte, war klar. Darum hatte er alle seine Anhänger in ihrer besten Wehr aufs Rathaus entboten und davor die Landsknechte aufziehen lassen. Es waren ihrer nicht halb so viel, wie Meyenburg hatte haben wollen, denn es war nicht gelungen, sie alle zusammenzubringen. Auch das Häuflein der getreuen Bürger war nicht allzu groß, da viele der Gutgesinnten es vorgezogen hatten, daheim zu bleiben. Die Dinge standen bedenklich für den Rat. Wären seine Leute nicht im ganzen besser bewaffnet gewesen als die Gegner, so hätte jeder Kampf von vornherein als sinnlos gelten müssen, denn die Volksmasse, die seiner Streitmacht gegenüberstand und nur auf das Zeichen zum Losbrechen wartete, war ihr wohl vierfach überlegen und erfüllte noch einen Teil der angrenzenden Straßen.

Die Mittagsglocke war verhallt. Die Führer des Volkes waren in das Rathaus gezogen, wo der Rat versammelt war. Kamen sie unverrichteter Sache wieder, so mußte das Wetter losbrechen, und die Nordhäuser Erde trank dann wohl noch mehr Bürgerblut, als sie einst getrunken hatte, da Heinrich der Löwe die Stadt erobert und in einen Schutthaufen verwandelt hatte. Darum lag eine dumpfe Schwüle hüben wie drüben über der Menge, kein lautes Wort erklang, im finsteren Schweigen starrten die in den vordersten Reihen Stehenden einander in die Augen.

Da kam von der Töpferstraße her ein Wagen langsam angefahren. Er war von einer sehr hohen Plane überdeckt, und sechs Reiter geleiteten ihn, die des Grafen von Mansfeld Farben trugen. Das Volk wich auseinander und machte ihm Platz, denn niemand gab den Befehl, ihn anzuhalten. So gelangte er vor das Rathaus. Dort entstiegen ihm nacheinander drei Männer; zwei von ihnen hatten blutbesudelte Tücher um den Kopf gewunden, der dritte trug den rechten Arm in einer Schlinge.

Als sie auf dem Boden standen, folgte ihnen ein vierter in voller Wehr. »Meyenburg!« schrie der Stadthauptmann von Stockhausen. »Was ist das? Wo kommt Ihr her?«

»Gott sei gedankt, komme ich, wie's scheint, gerade noch zur rechten Zeit!« gab Meyenburg zur Antwort. Dann reckte er sich hoch auf und rief dem Volke zu: »Eidvergessene Bürger von Nordhausen! Laßt euch hier von diesen dreien erzählen, wie es dem Propheten von Mühlhausen und seinem Gelichter ergangen ist. Es wird euch wunderlich in den Ohren jucken. Ich aber habe da oben zu tun!«

Er trat ins Rathaus und stürmte die Treppen empor. Als er die Tür des großen Saales aufriß, hörte er gerade noch, wie der von seinem Hiebe wieder genesene Kehner, der die Abordnung des Pöbels führte, den Ratsherren zurief: »So komme denn das Blut über euch und eure Kinder! Wehe euch, ihr Schlangen und Otterngezücht! Ihr werdet dem zukünftigen Zorn nicht entrinnen, denn Gott hat euch in unsere Hände gegeben.«

»Das lügst du, Kehner!« rief Meyenburg mit lauter Stimme von der Tür her. »Wisset, Herren, mit dem Propheten und seiner Rotte ist's vorbei. Es ist eine Schlacht gewesen bei Frankenhausen, ich selber war dabei, da sind die Bauern vor den Fürsten gelaufen wie die Hasen. Ihrer Hunderte oder Taufende sind erstochen, Münzer und Pfeiffer sind gefangen, und der ganze verfluchte Rumor ist aus.«

Einen Augenblick Stille. Dann ein einziger Jubelschrei aus aller Ratsherren Munde. Der Bürgermeister Ernst fiel dem Ratsmeister Schmidt, dem er sonst nicht gerade grün war, in die Arme.

Der Sprecher der Rebellen knickte in die Knie. »Das ist gelogen!« ächzte er. Meyenburg aber faßte ihn mit eisernem Griff am Arme und zog ihn ans Fenster. »Sieh dort hin! Siehst du Carius Fleck? Siehst du Hans Drohmann und Jakob Wallroth? Die hat mir der Mansfelder geschenkt, weil ich sie losbat als Nordhäuser Bürgerssöhne. Hätt' ich sie nicht losgebeten, so lägen jetzt ihre Köpfe auf dem Markte in Frankenhausen. Sie erzählen drunten, was geschehen ist – und siehst du, wie deine Bande auseinanderläuft? Sie rennen, als wäre der Henker schon hinter ihnen!« Er riß das Fenster auf und schrie hinunter: »Sundhausen, besetzt das Siechentor, damit wir alle Tore in der Hand haben!«

»Laßt uns gehen, uns mit den Unseren zu beraten!« sagte Kehner, nachdem er sich notdürftig gefaßt hatte.

»Ihr Herren!« rief Meyenburg. »Laßt sie nicht gehen! Sie dürfen uns nicht wieder entwischen wie schon einmal.«

Der Bürgermeister Oethe, der gerade Worthabender war, blickte wie geistesabwesend vor sich hin. Er konnte sich offenbar in den plötzlichen Umschwung der Dinge nicht finden. Noch vor zwei Minuten hatte er die unangenehme Empfindung gehabt, er werde den Abend dieses Tages, wenn überhaupt, so in einem Turmverließ erleben, und nun sollte er die Leute, vor denen er seit Wochen eine heillose Angst gehabt hatte, selber in den Turm sperren lassen. Das war zu viel verlangt, so schnell konnte der alte Mann sich nicht umdenken. Aber von den Ratsmeistern begannen einige sich zu regen und riefen laut, Meyenburg habe recht, man dürfe sie nicht entweichen lassen.

Indessen polterte der von Stockhausen in den Saal. »Um Gottes willen, ihr Herren, sagt mir, was das ist?« rief er. »Die Aufrührer laufen davon, als triebe sie der Leibhaftige auseinander. Geschehen Zeichen und Wunder? Soll ich mit den Knechten hinter ihnen her?«

»Laßt sie laufen,« sagte Oethe, der sich endlich ermannte. »Die hier aber nehmt als Rädleinsführer in Haft und führt sie in den Turm.«

»Und bewacht sie recht fleißig, daß niemand ihnen zur Flucht verhilft,« setzte der Bürgermeister Ernst hinzu.

Stockhausen trat an die vier heran. »Wollt ihr euch gutwillig ergeben, Kehner und die anderen?«

Der Rebellenhauptmann, der wie in halber Erstarrung um Fenster stehen geblieben war und hinausgestarrt hatte auf das fliehende Volk, wandte ihm sein totenblasses Antlitz zu. Er löste sein Wehrgehänge und warf es mitsamt dem Schwerte auf den Boden. »Gott hat gelogen!« sagte er heiser. »Es gibt wohl gar keinen Gott. Nun ist mir alles gleich. Macht mit mir, was ihr wollt!« Damit ließ er sich ruhig abführen. Seine Genossen dagegen warfen sich auf die Erde und begannen ein lautes Heulen und Winseln um Gnade und mußten von den herbeigerufenen Knechten mit Gewalt fortgeschleppt werden.

»Der Traum der Schwärmer ist aus,« sagte Meyenburg, während draußen ihr Geschrei noch in der Ferne hörbar ward. »Deutschland wird lange daran denken.«

»Ja, das ist wahr, seufzte der Bürgermeister Ernst. »Wir aber wollen Gott preisen, daß unsere gute Stadt so glimpflich davongekommen ist. Es ist wenig Blut geflossen, und deshalb brauchen wir auch wenig Blut fließen zu lassen. Zahlen und im Turme brummen sollen die Schelme, und etliche werden wir aus der Stadt jagen. Den Tod aber haben nur acht oder zehn verdient.«

»Ich würde nur den verzweifelten Bösewicht, den Kehner, vom Leben zum Tode bringen,« sagte der Bürgermeister Oethe. »Er war der Leithammel, und die anderen sind ihm wie die Schafe gefolgt. Er hat die Rautenviertelschen angestiftet, die Klöster zu stürmen.«

»Ach, wir wollen froh sein, daß sonst nichts weiter gestürmt ist!« rief Lindemann.

»Wie?« fragte Meyenburg. »Ist auch an meinem Hause nichts zerstört?«

»Dein Haus ist heil und unversehrt, wie du es verlassen hast,« rief Kurt Hauschild.

»Gott sei Dank! Es wäre mir jetzt sehr ungelegen, müßt' ich mir ein neues bauen lassen,« gab Meyenburg zurück.

»Das müßte Euch die Stadt bauen, Herr Syndikus,« sagte der Bürgermeister Oethe mit großem Ernst. »Ihr habt Euch so wohlverdient gemacht um unsere Stadt, wie in dieser Zeit kein anderer. Ich denke, das wird keiner von uns Euch jemals vergessen. Nehmt unseren Dank. Gott vergelt's Euch!«

Er bot ihm die Hand, und dann streckten sich alle Hände ihm entgegen. »Kamst du nicht,« rief Siewert Eienrot, »so hatte heute abend Nordhausen viel tote Männer in seinen Mauern.«

»Daß ich kommen konnte gerade zur rechten Zeit, hat Gott so geführt,« erwiderte Meyenburg. »Das war nicht mein Verdienst. Nordhausen mag es als ein Wunder fassen, daß solches geschehen ist.«

»Jawohl,« sagte der Altbürgermeister Sack mit seiner fetten Stimme. »So ist es. Aber Euer Verdienst ist es doch auch. Gestern war die Schlacht – Ihr müßt uns noch vieles erzählen – und allsogleich fahrt Ihr hierher. Ihr tut eben alles rasch und mit schnellem Entschlusse. Wenige Städte in Deutschland mögen einen solchen Syndikus haben. Steigt mit mir hinunter in den Ratskeller, ich denke, ihr habt alle einen solchen starken Durst wie ich. Da trinken wir das erste Glas auf unseren Syndikus.«

»Nicht gleich!« wehrte Meyenburg ab. »Drüben im Hauschildschen Hause ist meine verlobte Braut. Sie hat wohl ein Recht, daß ich sogleich zu ihr gehe.«

»Richtig!« rief der Bürgermeister Ernst. »Ihr werdet einen guten Ehemann abgeben. Geht nur hinüber.«

»Aber bleibt nicht zu lange!« knurrte Sack. »Ich habe absonderliche Lust, mit Euch wieder einmal einen Trunk zu tun.« –

Einige Minuten später hielt Meyenburg seine Liebste in den Armen. Sie klammerte sich, als er eintrat, so fest an ihn an, als ob sie ihn nimmer wieder loslassen wollte. Mit einem Male aber lösten sich ihre Arme von seinem Halse, und sie wäre wie leblos zu Boden geglitten, wenn er sie nicht rechtzeitig aufgefangen hätte. Das Glücksgefühl hatte sie derart überwältigt, daß sie von einer Ohnmacht umfangen ward.

Frau Johanna Hauschild sprang schnell hinzu, legte sie auf eine Bank und rieb ihr die Schläfe mit einer scharfen Essenz ein. Bestürzt blickte er auf sie hernieder und stammelte: »Um Gottes und Jesu willen – was ist das?«

»Euer Schatz ist ein liebes Mädchen, aber ein zartes Pflänzchen,« sagte Frau Johanna. »Sie hat sich über die Maßen gesorgt und gebangt, als Ihr nach einigen Tagen nicht wiederkehrtet. Nun hat sie die Freude ohnmächtig gemacht. Aber seid nur getrost. Das hat nichts zu bedeuten, sie wird gleich wieder erwachen.«

Meyenburg schüttelte traurig den Kopf. »Wie ist das möglich? Sie war doch früher ein Bild der Gesundheit?«

»Früher? Als Ihr sie in Erfurt kennen lerntet, meint Ihr wohl?« erwiderte Frau Johanna. »Ja, dazwischen liegen Klosterjahre, und sie hat es im Anfang wohl allzu ernst genommen mit dem Beten und Fasten und Wachen. Sie wird, so Gott will, bald kräftiger werden, ist sie erst Euer Weib. Nun seht, jetzt ist es schon vorüber. Sie schlägt die Augen wieder auf.«

Ursula erhob sich, und das Rot kehrte in ihre Wangen zurück. Sie blickte verwirrt um sich und rief: »Mein Gott, ich war wohl ohnmächtig? Ach, meine Freude war allzu groß. Vergib mir, Michael, daß ich so schwach bin!«

Meyenburg nahm sie fest in seine Arme. »Da ist nichts zu vergeben,« sagte er. »Denn das ist nicht deine Schuld! Du hast so viel Trübes und Schweres durchgemacht, das hat dich von Kräften gebracht. Es ist Zeit für dich, daß nun das Glück zu dir kommt, und es wird ja auch kommen, so Gott will. Du hast wohl gehört, daß die Aufrührer geschlagen sind und daß nun bald wieder alles ruhig sein wird im Lande. So werde ich dich denn bald nach Gotha bringen zu deinem Paten, und ehe der Herbst kommt, hole ich dich dann heim als mein liebes Weib!«


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