Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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III.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, als Michael Meyenburg einige Tage später in Torgau einritt. Der Schnee stiebte ihm und seinen Begleitern von den Dächern ins Gesicht, und der von Mistelbach, der Führer des kleinen reisigen Zuges, pries die Vorsehung des Himmels, die sie die schützende Stadt hatte erreichen lassen, ehe der Sturm sich aufgemacht hatte.

Als sie in die Rittergasse einbogen, kam ihnen vom Schlosse her ein Trupp von Landsknechten entgegen. Es war die Torwache, die eben abgelöst worden war, und nun einer Bierschenke in der Stadt oder ihrem Quartier zustreben mochte. Die schwatzenden, lachenden und durcheinander gröhlenden Männer kamen dicht an den Einreitenden vorbei, und einer streifte im Vorbeigehen Meyenburgs Pferd an. Da fuhr der Reiter zurück, als habe er einen Geist gesehen, und gleich darauf beugte er sich vor, als wolle er ihn am Kragen packen. Aber auch der Knecht hatte den Bürgermeister von Nordhausen beim Scheine der Laterne, die an der Ecke der Straße aufgehängt war, erkannt. Schreckensstarr blickte er ihm ins Gesicht, dann wich er mit einem halbunterdrückten Schrei zur Seite, bog um die Ecke der Bäckergasse und verschwand in ihrem schützenden Dunkel.

Hochaufatmend wandte sich Meyenburg an den von Mistelbach, mit dem er sich auf der Reise angefreundet hatte. »Wer war das?« fragte er hastig.

»Wen meint Ihr? Den Menschen, der an Euch anstieß? Ich hab nicht acht auf ihn gehabt,« erwiderte der Junker.

»Kennt Ihr die Knechte Eures Herrn, so muß der Euch schon aufgefallen sein. Die breite Narbe auf der linken Backe und das rotgelbe Haar machen ihn vor anderen kenntlich.«

»Ah!« rief der Junker. »Das muß der Vogel gewesen sein. Ein verwetterter Kerl. Er gehört zur Schloßwache.«

»Vogel? Ja, Galgenvogel dürft' er wohl heißen,« knurrte Meyenburg. »Wisset, dieser Mensch heißt Kehner und ist ein Bürgerssohn aus Nordhausen. Seinen Vater haben wir vom Leben zum Tode gebracht, weil er der Münzerschen Rotte angehörte. Wäre es nach mir gegangen, so hätten wir auch den Sohn gehängt, denn er war auch unter den Schlimmsten, wiewohl damals noch nicht zwanzig Jahre alt. Er ist dann der Stadt Nordhausen und insonderheit mein Feind geworden, und die Narbe, die ich hier am Kopfe trage, verdanke ich ihm, denn er hat mich einmal mit anderen meuchlings angefallen. Als die großen Mordbrände auskamen in Nordhausen und anderen Städten, hatten sie ihn in Goslar schon erwischt und festgesetzt, aber er ist damals entkommen. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört; der Teufel mag wissen, wo er sich herumgetrieben hat. Aber er ist ein Ächter des Reiches, und der Kurfürst muß ihn festnehmen und peinlich befragen lassen.«

»Das wird der Herr sonder Zweifel tun, denn er übt eine strenge Justiz!« gab Mistelbach zur Antwort. »Mord, Blitz und Donnerschlag! Er wird froh sein, daß er eine solche Otter los wird, denn ein solcher Mensch könnte sich ja heimlich auch einmal gegen ihn brauchen lassen. Der Bube hat übrigens, wenn ich mich recht erinnere, ein Weib hier in der Stadt und wohnt im Fischeldörfchen. Ich werde sogleich dem Minckwitz Meldung tun, der mag ihn lassen in Gewahrsam nehmen.«

Während dieser Rede waren sie an der Marienkirche vorübergeritten, und gleich darauf polterten die Hufe ihrer Rosse über die Holzbrücke des breiten Grabens, der das Schloß von der Stadt trennte, und sie ritten ein in den weiten Hof des Hartenfels.

Meyenburg erfuhr hier, daß seine kurfürstliche Gnaden noch nicht von der Jagd zurückgekehrt sei, aber jederzeit erwartet werde. Ein weißhaariger Greis, der sich eines sehr höflichen Wesens befleißigte, geleitete ihn die breite Treppe empor in ein Gemach des oberen Stockes und wies es ihm als Wohnung an. Gleich nachdem sie in das wohnlich erwärmte Zimmer eingetreten waren, erschien ein Diener und stellte ein großes Gefäß, gefüllt mit warmem Würzwein, auf den Tisch.

Meyenburg fühlte sich sehr angenehm berührt von diesem Empfange, aber ein gewisses Bangen wollte doch nicht aus seiner Seele weichen. Die Erfahrungen seines Lebens hatten ihn gelehrt, daß manches Ding auf Erden einen süßen Anfang, aber ein bitteres Ende hat.

»Wird mich Seine kurfürstliche Gnaden noch heute empfangen?« fragte er den Alten, der ihm der Haushofmeister des Schlosses zu sein schien.

»Wenn unser gnädiger Herr Euch bestellt hat und weiß, daß Ihr angekommen seid,« war die Antwort, »so wird er Euch sogleich kommen lassen. Er ist ein Herr, der niemals morgen tut, was er heute tun kann.«

Darauf zog er sich mit einer Verneigung zurück. Meyenburg trat an den Tisch heran und nahm einen tüchtigen Zug aus dem Kruge. Dann näherte er sich langsam dem Fenster und blickte hinunter in den Hof. Dort wurde ein Licht nach dem anderen angezündet, denn man erwartete die Heimkehr des Schloßherrn. Geschäftig eilten die Knechte hin und her.

Ein wunderliches Gefühl ergriff ihn, als er dieses Bild betrachtete. Schon einmal hatte er den Hof des gewaltigen Fürstenschlosses so beleuchtet gesehen. Das war nun fast fünfzehn Jahre her. Damals war er der Gast des Ernestiners gewesen, der den Hartenfels mit verschwenderischer Pracht hatte ausbauen lassen und dessen Turnierdecke die gestickte Inschrift trug: »Mein Glück gehet auf Stelzen«. Nun war sein Glück von den Stelzen herabgefallen, er befand sich als Gefangener in der Hand des Kaisers; in seinem Schlosse und in seinem Lande gebot der tödlich gehaßte albertinische Vetter. »Alles ist eitel! Alles ist eitel!« Das Wort des weisen Salomo klang in Meyenburgs Seele wider, als er diese furchtbare Wandlung des Geschickes bedachte.

Ein Knarren der Tür schreckte ihn aus seinen ernsten Gedanken auf. Er wandte sich rasch um und rieb sich die Augen, denn er glaubte zu träumen. In der Tür stand, mit einem verlegenen Lächeln auf dem seinen, bleichen Antlitz, Magister Philipp Melanchthon und streckte schüchtern die Rechte nach ihm aus.

»Herrgott! Wie kommt Ihr hierher?« entfuhr es Meyenburg, der im ersten Augenblick dachte, er sähe eine Erscheinung.

Melanchthon trat langsam näher, indem er hüstelte und sich die Hände rieb, wie er stets zu tun pflegte, wenn er bedrückt und bekümmert war. »Es sind einige Pfarrer in dieser Gegend uneins geworden über die Lehre von der Rechtfertigung,« erwiderte er. »Die soll ich auf kurfürstlichen Befehl zum Frieden bringen. Deshalb genieße ich seit ein paar Tagen Losament im Schlosse. Ich hörte, daß Ihr gekommen wäret, und da konnt ich doch nicht vor Eurer Tür vorübergehen.«

Meyenburg sah ihn kalt und abweisend an. »Es ist eine hohe Ehre für mich, Herr Magister. Was wünscht Ihr von mir?«

»Nicht diesen Ton! Ich ertrage ihn nicht von Euch!« rief Melanchthon und erhob wie beschwörend gegen ihn die Hand, die heftig zitterte. »Ihr seid mir seit vielen Jahren ein lieber Freund. Ihr habt mir viel Gutes getan. Fünf Monate lang habe ich mit allen den Meinen bei Euch eine Zuflucht gefunden, als ich fliehen mußte vor den Spaniern nach der Schlacht bei Mühlberg. Nun beantwortet Ihr mir meine Briefe nicht mehr und tut, als wäre ich schon tot. Was habe ich Euch getan?«

»Mir nicht das geringste.«

»Warum also habt Ihr Herz und Gemüt von mir abgewendet?«

»Das fragt Ihr noch?« rief Meyenburg erstaunt. »Haben Euch nicht schon andere gesagt, daß Euch Eure jüngsten Taten von manchem scheiden, der Euch früher von Herzen lieb und wert gehalten?«

Melanchthon preßte die Hand fest aufs Herz, als ob er dort einen stechenden Schmerz verspüre. »Es ist wegen des Interim?« fragte er so leise, daß seine Stimme kaum hörbar war.

»Wenn Ihr's denn hören wollt,« erwiderte Meyenburg hart, »so hört es deutlich und ungeschminkt. Ja, ich habe Euch die Freundschaft gekündigt wegen des verfluchten und vermaledeiten Interim, an dem Ihr mitschuldig geworden seid. In dieser Schrift wird Gott selber gelästert, denn ihre Sätze sind gegen sein heiliges Wort, daß der Mensch gerecht werde allein durch den Glauben. Wohl leugnet Ihr das nicht geradezu, aber Ihr verhüllt es und stellt es ganz in den Winkel, wodurch Ihr die Gewissen der einfältigen Christen verwirret. Nutzen von Eurem Buch hat nur der Antichrist, der sich wohl ins Fäustchen lachen mag, so er Eure Sätze liest. Denn Ihr bereitet ihm den Weg. Christo aber wird durch Eure Schrift Eintrag und Abbruch getan, und so muß ich denn zu Euch sprechen, wie unser Herr zu Petro sprach: Weiche von mir, Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist!«

Mit leidenschaftlicher Heftigkeit hatte Meyenburg diese Worte gesprochen, aber kaum waren sie ihm über die Lippen gegangen, so bereute er sie fast. Denn Melanchthon begann zu zittern, als trügen ihn seine Knie nicht mehr. Er suchte mit den Händen eine Stütze, um sich aufrecht zu erhalten, und erfaßte endlich einen Stuhl. Auf den ließ er sich niedersinken, legte das Antlitz in beide Hände und brach in Tränen aus.

Meyenburg wurde durch diesen Anblick tief ergriffen, denn im innersten Herzen war er dem Magister Philippus noch immer freundschaftlich zugetan und trug es als ein schweres Leid, daß er sich der Religion halber von ihm hatte abwenden müssen. Er hätte ihm gern ein gutes Wort gesagt, aber er brachte es nicht über die Lippen. Mit verschränkten Armen lehnte er ihm gegenüber an der Wand und schaute düster auf ihn nieder.

Endlich sagte er: »Ich dachte mir schon, daß Ihr es aus Schwäche getan habt. Aber auch die Schwäche kann zur Schuld werden.«

»O Freund!« rief Melanchthon »– ich nenne Euch noch immer so, wiewohl Eure Worte mir das Herz zerschneiden – wer kann wider seine Natur? Ich habe dagegen angekämpft, ich wollte anders werden, als ich war, habe darum gerungen und gebetet, aber es war alles vergeblich.«

»Ich weiß, daß Ihr von Natur zaghaft seid, aber ich meinte, Gottes Wort werde Euch stählen und stark machen,« entgegnete Meyenburg grollend.

Melanchthon schüttelte traurig das Haupt. »Ich habe Momente, wo ich meine, ich könnte das Martyrium erleiden, aber dann sinke ich zurück in meine angeborene Schwachheit,« klagte er, und nach einem kurzen Schweigen fuhr er trübe und bitter fort: »Erleide ich nicht fortwährend ein Martyrium? Ist mein Geschick nicht beklagenswert? Ich will Euch, Meyenburg, in mein innerstes Herz sehen lassen, auf daß Ihr mich begreift und mir Euer Gemüt wieder zuneigt. Ich muß immer sein, was ich nicht bin, und immer tun, was ich nicht kann. Ich kam vor vielen Jahren nach Wittenberg, um Griechisch und Latein zu lehren. Mein Geist war entzückt von der Schönheit und Weisheit, die aus den Schriften der Alten strahlen. Dafür wollt' ich die Jugend begeistern, und ich leugne es nicht, auch Ruhm gewinnen durch Werke der Gelehrsamkeit, wie Erasmus. So zu wirken, wie er, oder wie mein Großoheim Reuchlin, das war mein Ziel. Da ward ich Martin Luthers Freund. Ich habe ihm viel zu danken, unendlich viel, denn er hat mein Auge sehend gemacht für die göttliche Wahrheit. Aber er hat mich in eine Bahn gerissen, in der zu laufen meiner Natur zuwider ist. Ich möchte in der Stille lehren und lernen und muß immer hinein in das wilde Getümmel der Welt. Ich muß Theologe sein, und mich ekelt vor dem Gezänk und der Streitwut der Theologen. Ich soll an Luthers Stelle stehen im Streite und kann doch die Waffen des Riesen kaum vom Boden aufheben, noch weniger schwingen. Wüßtet Ihr, welche Last ich trage, und wie ich fast zusammenbreche unter ihr, so würdet Ihr mich beklagen und nicht mich mit bitteren Reden kränken und verwunden.«

In diesem Augenblicke wurde es drunten im Hofe lebendig. Rossestritte wurden laut und ein Gewirr von Stimmen und dann der schmetternde Klang vieler Jagdhörner. Der Kurfürst und seine Gäste ritten in den Hartenfels ein. Aber Meyenburg warf nur einen flüchtigen Blick durchs Fenster hinab in das bunte Gewimmel, dann wandte er sich wieder Melanchthon zu. Ganz anders als vorher ruhten seine Augen auf ihm, denn das Bekenntnis des alten Freundes hatte ihn erschüttert. Als er sein vergrämtes Antlitz und sein grau gewordenes Haar betrachtete, kam ein Mitleid über ihn, das er nicht zu bezähmen vermochte, und milden und freundlichen Tones sagte er: »Wenn dem so ist – und ich glaube Euch – warum zieht Ihr Euch nicht in die Stille zurück? Warum schleppt Ihr die Last weiter, die Euch niederdrückt? Warum legt Ihr sie nicht ab?«

»Kann ich's denn?« rief Melanchthon schmerzlich. »Der Kurfürst fordert von mir, daß ich ihm diene mit meinem Rate, die Universität verlangt es, tausend andere verlangen es. Ich soll und muß Luthers Erbe sein und sein Erbteil verwalten. Will ich's nicht, so zwingen sie mich dazu. Ach Meyenburg, wie reut es mich, daß ich mitgearbeitet habe am Interim! Ich wollte das Beste, das könnt Ihr mir glauben, wollte retten von der reinen Lehre, was noch zu retten ist vor des Kaisers dräuender Übermacht. Aber ich fühle es wohl, ich bin zu weit gegangen, habe zu viel nachgelassen und stehe nun in großer Angst des Gewissens.«

Meyenburgs Augen leuchteten auf. »Es reut Euch?« rief er laut. »So widerruft Euren Irrtum vor aller Welt! Tut Ihr das, wer kann Euch dann noch nachtragen, was Ihr gefehlt? Ich gewißlich nicht. Es war mir ein schwerer Kummer, daß ich Euch auf solchem Wege mußte sehen, aber wenn Ihr umkehrt, wollen wir dessen nicht weiter gedenken.«

»Ja, das will ich,« erwiderte Melanchthon. »Ich arbeite schon an einer Schrift, in der ich unsere Stellung ganz anders gegen den Papst verfechten will.«

»Dann weigere ich Euch die Freundeshand nicht mehr,« rief Meyenburg und streckte ihm die Rechte entgegen, die Melanchthon, von seinem Stuhle aufspringend, mit freudiger Hast ergriff.

Da wurde die Tür geöffnet, und der Ritter von Minckwitz, den Meyenburg von früher her kannte, erschien auf der Schwelle.

»Seid mir gegrüßt, Herr Bürgermeister,« sagte er. »Ich soll Euch sogleich zu seiner Kurfürstlichen Gnaden geleiten.«

»Wir reden wohl morgen weiter miteinander, lieber Magister Philippus,« wandte sich Meyenburg an Melanchthon, dessen vorher so verhärmtes und verdüstertes Antlitz jetzt hell und freudig glänzte. Dann folgte er dem voranschreitenden Ritter, der die Dienste eines Schloßhauptmanns im Hartenfels zu versehen schien, aus dem Gemache und die Treppe hinunter. Seltsamerweise schlug ihm das Herz nicht stärker als sonst, obwohl er nun vor der großen Entscheidung stand.

»Der Junker von Mistelbach hat mir erzählt, was Ihr ihm gesagt habt von dem Vogel, den Ihr Kehner heißt,« sagte Minckwitz. »Ich habe Befehl gegeben, ihn sogleich festzunehmen, aber in seinem Hause war er nicht zu finden. Jetzt suchen sie ihn in den Trinkstuben und verdächtigen Häusern der Stadt. Ich hoffe, er ist nicht ausgeflogen, so daß wir das Nachsehen haben.«

»Das wäre sehr zu bedauern,« gab Meyenburg zurück. »Wer weiß, was der verzweifelte Bube noch alles anstiftet, wenn man ihm nicht das Handwerk legt.«

Minckwitz nickte und öffnete eine hohe Tür. »Hier tretet ein.«

Ein großes, weites Gemach, mit fürstlichem Prunk eingerichtet, nahm Meyenburg auf. Von der Mitte der Decke hing eine Ampel herab, die aber nur über einen Teil des Zimmers Licht verbreitete. Von ihm bestrahlt, saß auf einem niedrigen Polstersessel Kurfürst Moritz, der sein Jagdkleid bereits mit einem bequemen Hausgewande vertauscht hatte. Im Hintergrunde des Gemaches unterschied Meyenburgs Auge die große Gestalt eines Ritters, konnte aber die Züge des Gesichtes nicht erkennen.

Der Kurfürst erwiderte Meyenburgs tiefe Verneigung dadurch, daß er sich halb erhob und ihm mit gewinnender Freundlichkeit die Hand hinstreckte. »Setzt Euch hierher, mir gegenüber, Herr Bürgermeister,« sagte er und wies ihm einen Stuhl.

»Eure kurfürstliche Gnaden sind sehr gnädig,« erwiderte Meyenburg und folgte der Aufforderung. Er hatte den Kurfürsten noch nie in solcher Nähe gesehen und mußte sich sagen, daß ihm kaum je im Leben ein Mann vor Augen gekommen war, der so wie er den Ausdruck geistiger Bedeutung, gepaart mit fürstlicher Würde, in seinem Antlitz trug. Die prächtige, wie aus Marmor gemeißelte Stirn, die glänzenden Augen ließen auf den ersten Blick erkennen, wie weit er geistig über seine derzeitigen Standesgenossen emporragte. Meyenburg fühlte mit Unwillen, welchen Eindruck der jugendliche Herr auf ihn hervorbrachte, denn er haßte in ihm den Verräter seines Glaubens.

»Unser Kolloquium,« begann der Kurfürst, »wird, denke ich, kurz sein, Herr Bürgermeister von Nordhausen, und ich hoffe es, denn mich gelüstet, bald zum Essen und zu einem guten Trunke zu kommen. Ich darf Euch sicherlich dazu einladen.«

»Es geschieht mir damit eine hohe Ehre,« erwiderte Meyenburg sich erhebend, »aber ich weiß nicht, ob Eure kurfürstliche Gnaden einen an ihrer Tafel haben will, der wahrscheinlich bald des Reiches Ächter sein wird.«

»Setzt Euch nur wieder,« sagte der Kurfürst und lachte. »Und dann nehmt ruhig an meiner Tafel Platz. Es sitzen schon mehrere daran, die der Kaiser geächtet hat, wie Ihr sehen werdet. Mir ist an der hispanischen Acht nicht viel gelegen. Wer weiß, wie bald ich in der gleichen Verdammnis bin!« Meyenburg horchte auf. Er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Was hatte das zu bedeuten?

Ehe er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, fuhr Moritz in ruhigem, ernsthaftem Tone fort: »Mir ist glaubhaft hinterbracht worden, daß Nordhausen sonderlich viel gutes und neues Geschütz besitzt. Ihr sollt mehr davon haben, als manche große Stadt des Reiches. Ist dem so?«

»Jawohl, Eure kurfürstliche Gnaden, es ist so,« erwiderte Meyenburg. »Wir sind auch mit Kraut und Lot sehr wohl versehen auf viele Monate.«

Der Kurfürst lächelte. »Ihr wollt Euch also dem Kaiser nicht unterwerfen, wenn er das Interim bei euch einführen will? Ihr denkt ernstlich an Widerstand?«

»Wir müssen, Herr. Es bleibt uns nichts übrig, als daß wir uns wehren. Männer, die noch Waffen haben, lassen sich nicht abschlachten oder auch nur scheren wie Schafe. Wir wären dem Kaiser zu allen Diensten erbötig, wenn er uns wollte bei unserer Religion lassen, denn wir sind eine Reichsstadt, ihm unmittelbar untertan. Aber unser Gewissen unterwerfen wir ihm nicht, und wenn er uns zwingen will, zu tun wider Gottes Gebot, so sind wir zum Widerstand entschlossen.

»Er will euch zwingen, denn auch dieser klare, übermenschlich kluge Geist ist von einem Wahne beseelt. Sein Wahn ist, Gott habe ihm geboten, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Es könnte ihm, wäre er vernünftig, ganz gleichgültig sein, ob von seinen Untertanen der eine das glaubte und der andere jenes, denn im letzten Grunde kommt ja nichts darauf an. Aber jeder Mensch hat eine Verrücktheit, und das ist die seine. Er würde lieber eine Stadt des Reiches zerstören, als dulden, daß sie bei Luthers Lehre bleibt. Ihr müßt also entweder Eure Religion ändern, oder aus dem Reiche fliehen oder gegen ihn fechten, etwas anderes gibt es nicht. Habt Ihr Euch das ganz klar gemacht, Herr Bürgermeister?«

»Das habe ich. Eure kurfürstliche Gnaden. Ich habe auch daran gedacht, mit den Meinen zu König Christian nach Dänemark zu gehen, da mir die Majestät günstig gesinnt ist. Aber ich muß davon abstehen, denn es ist eine Feigheit und Felonie gegen meine Stadt, wenn ich mich selber salviere und die anderen ihrem Schicksale überlasse. Da die meisten Bürger nicht fliehen können, so müssen die anderen mit ihnen aushalten, und ich muß es vor allen anderen, denn ich habe die Stadt zum Luthertum gebracht und dabei erhalten.«

»Wisset Ihr auch, daß des Kaisers Zorn die Rädleinsführer und Anstifter besonders trifft?«

»Ich weiß es, Herr, und ich bin entschlossen, die Folgen zu tragen. Verlangt Gott das Martyrium von mir, so will ich mich ihm nicht weigern.«

»Aber wenn Ihr dem entgehen könntet, würdet Ihr froh sein?« sagte der Kurfürst. »Ihr seid doch nicht einer von den Schwärmern und Enthusiasten, die sich nach der Märtyrerkrone sehnen?«

»Nein,« erwiderte Meyenburg, »solche Leute sind Narren. Ich würde des Martyriums gern entraten, sehe aber keinen Weg, ihm zu entgehen, außer wenn es mir und meiner Stadt gelingt, dem Kaiser zu widerstehen.«

»Vernünftig gedacht und geredet!« lobte der Kurfürst. »Wie wär's, wenn ich Euch dazu verhülfe, Herr Bürgermeister, daß Ihr Euch des Kaisers gar nicht zu erwehren brauchtet?«

»Eure kurfürstliche Gnaden wollten bewirken, daß er uns mit dem Interim verschont?« rief Meyenburg erstaunt.

»Das kann weder ich, noch irgend ein anderer Mensch bewirken.«

»Dann verstehe ich Eure kurfürstliche Gnaden nicht.«

Moritz schaute ihm fest ins Gesicht und sagte langsam und nachdrücklich: »Wie wär's, wenn ich Euch und uns alle von diesem Kaiser befreite?«

Meyenburg sank in seinen Stuhl zurück und schnellte dann wieder empor. »Ihr? Des Kaisers Freund?« rief er und warf dem Kurfürsten einen Blick zu, unter dem jeder andere errötet wäre. Aber Kurfürst Moritz errötete weder, noch zuckte er auch nur mit der Wimper, sondern er erklärte kühl und freundlich: »Ihr täuscht Euch in mir, mein lieber Herr, wie sich alle Welt in mir täuscht. Ich bin des Kaisers Freund nicht und bin es nie gewesen. Ich bin mit ihm gegangen, weil mir das nützlich war, jetzt gehe ich gegen ihn, weil mir's nützlich ist. Nach anderen Dingen frage ich nicht, wer die Ars politica betreiben will, darf nichts von Freundschaften wissen. Doch ich sehe es Euch an, daß Ihr mir nicht traut.« Er lachte laut auf. »Wahrscheinlich seht auch Ihr in mir den Judas von Meißen, wie mich die lutherischen Prediger nennen. Aber es ist einer hier, der kann Euch überzeugen, daß mir's Ernst ist mit einem Schlage wider den Kaiser. Tretet herzu, Herr Graf, und macht diesen ungläubigen Thomas gläubig.«

»Das wird mir wenige Worte kosten,« sagte eine tiefe Stimme, bei deren Klang Meyenburg in die Höhe fuhr, als ob er etwas erlebte, was er nicht zu fassen vermochte. Aus dem Dunkel trat sein alter Freund, der vom Kaiser geächtete und vertriebene Graf Albrecht von Mansfeld, und streckte ihm die Rechte entgegen.

»Ihr hier, lieber gnädiger Herr?« rief er aufs höchste überrascht und erfreut und eilte, unbekümmert um des Kurfürsten Gegenwart, auf ihn zu.

Graf Albrecht schloß ihn herzlich in die Arme. Dann sagte er mit hohem Ernst: »Ja, ich bin hier bei dem, der die hispanische Knechtschaft der deutschen Nation beendigen wird. Mir werdet Ihr's ja glauben, Meyenburg, wenn ich Euch sage: Es ist ein großer Bund geschlossen wider Karl von Gent, der nicht länger ein Kaiser der Deutschen bleiben soll. Alles ist bereit, wir kommen über ihn wie das Wetter und treiben ihn zum Lande hinaus, und von einer Unterwerfung unter die alten papistischen Greuel ist dann nicht mehr die Rede. Das Evangelium kriegt eine freie Bahn!«

Meyenburg stand in einer Erregung da, die ihn zuerst der Sprache beraubte. War es nicht ein Wunder, was er erleben durfte? Ein Mann, in dem er bisher den Verräter und Verstörer seines Glaubens gesehen hatte, wurde Gottes Werkzeug und wollte mit seinem Schwerte die Stricke durchschneiden, mit denen der Kaiser Deutschland zu erdrosseln gedachte! Niemals hätte er das zu erhoffen gewagt, das hatte Gott gewirkt, der die Herzen der Menschen lenkt.

»Ich habe gemeint, Ihr würdet uns bei diesem Werke sicherlich behilflich sein, und habe deshalb Seine kurfürstliche Gnaden gebeten, Euch zu sich zu berufen,« sagte der Mansfelder. »Ich denke, ich habe mich darin nicht getäuscht?«

»Nein, wahrlich nicht!« rief Meyenburg und hob die Rechte wie zum Schwur empor. »Seid ihr so gesinnt, gnädigster Herr Kurfürst, so bin ich Euer Mann. Ich danke Gott, daß ich solches noch erleben darf. Aber was wollt Ihr von mir? Was soll ich Euch leisten?«

Der Kurfürst erhob sich und bot ihm die Hand. »Es freut mich, daß Ihr Euch zu uns halten wollt, Herr Meyenburg,« sagte er. »Ihr habt ja, wie ich wohl weiß. Eure ganze Stadt hinter Euch. Geschütze, Knechte und Geld, die drei können wir brauchen. Darüber wollen wir morgen in der Frühe reden und etwas Schriftliches aufsetzen. Jetzt aber, Ihr Herren, zu Tische! Denn alles hat seine Zeit, sagte der weise König Salomo.«


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