Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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II.

»Liebes Weib, erschrick nicht, ich muß morgen in der Stadt Geschäften verreisen,« sagte Michael Meyenburg, als er in der Dämmerstunde eines kalten, klaren Januartages die Wohnstube seines Hauses eiligen Schrittes betrat.

Frau Anna, die hinter dem Spinnrade saß, fuhr mit einem leichten Schreckensrufe empor. »Aber Michael, in dieser Kälte!« rief sie klagend. »Bedenke deine Gicht! Ist denn kein jüngerer da, der dir das abnehmen könnte?«

»Nein, Anna,« erwiderte er freundlich, aber in einem Tone, der jeden Widerspruch ausschloß. »Jüngere sind wohl da, aber ich bin persönlich geladen und muß zu Nutz und Vorteil der Stadt dem Rufe folgen.«

»Wohin denn?« fragte Anna immer noch in klagendem Tone.

Meyenburg wandte sich einem halbwüchsigen Mädchen zu, das neben der Mutter spann und den Vater neugierig anblickte. Er strich ihm über das blonde Haar und sagte: »Gehe hinaus, Kind, ich habe mit der Mutter zu reden. Du kannst meinetwegen auf ein Stündchen hinübergehen zu Grete Herbitzhausen und mit ihr schwatzen, wenn du Lust hast.«

Das Kind sprang auf und lachte den Vater dankbar an, sichtlich erfreut, von der unlieben Arbeit des Spinnens loszukommen. Es war das, einzige Mädchen, das ihm Frau Anna neben zwei Söhnen geboren hatte, und trug den Namen Ursula. Zur Freude ihres Mannes hatte das Frau Anna selber vorgeschlagen. Merkwürdigerweise war das Kind der Verstorbenen, deren Namen es trug, auch im Aussehen ähnlich. Nur die strahlenden blauen Augen hatte sie von der Mutter. Sie war ihres Vaters Lieblingskind, dem er selten einen Wunsch versagte, und Frau Anna behauptete halb im Scherz, halb im Ernst, sie könne ihn um den Finger wickeln.

Jetzt schaute er ihr gedankenvoll nach, wie sie auf ihren flinken Füßen enteilte. »Wunderlich,« murmelte er, »wie sie letzten Jahres gewachsen ist. Noch ein paar Jährchen so, und sie ist flügge und fliegt wohl bald aus dem Hause fort.«

»Ja, an Bewerbern wird's ihr nicht fehlen, besonders wenn dir Hab und Gut so weiter wächst. – Aber jetzt sage mir lieber, warum und wohin du verreisen mußt,« sagte Anna ungeduldig.

»Wohin? Zum Kurfürsten Moritz von Sachsen. Warum? Das werd' ich dort erfahren, weiß bis jetzt nur, daß der Kurfürst mit mir reden will wegen unserer Haltung zum Kaiser.«

Anna blickte ihn erschrocken an. »Mich schaudert's jedesmal, wenn ich von ihm höre. Er hat seine Glaubensgenossen verraten und seinen Vettern Land und Kur geraubt, der Judas von Meißen. Wie darfst du es wagen, zu ihm zu gehen? Mußt du nicht fürchten, daß er einen Trug und Hinterlist gegen dich ausübt?«

»Ich wüßte nicht, wo ich ihn jemals gereizt und erzürnt hätte.«

»Aber er weiß, daß du in Gunst gestanden hast beim alten Kurfürsten, den er hat besiegen helfen, und den jetzt der Kaiser gefangen hält.«

»Das wird er wohl wissen. Aber es steht gar mancher jetzt in seinem Dienste, den der alte Kurfürst wert gehalten.«

»Und meinst du nicht, Michael, daß er es wohl erfahren hat, wer das Interim von Nordhausen fernhält?«

»Auch das weiß er ohne Zweifel. Aber ihm ist an der Religion so viel gelegen, wie uns an einem faulen Ei. Ob einer lutherisch ist oder päpstlich oder türkisch oder gar kalvinisch, danach fragt er nicht und verbündet sich mit jedem, der ihm könnte Vorteil bringen. Hernach, wenn er ihn nicht mehr brauchen kann, läßt er ihn fallen. So ist dieses Herrn Geist gestellt. Der Religion halber zürnt er niemandem. Eher könnte er zürnen, daß wir ihm zur Belagerung von Magdeburg, die er in des Kaisers Auftrag unternommen, keine Leute und kein Geschütz geschickt haben. Aber die Stadt hat sich ihm ja auch so übergeben, und das ist nun schon zwei Monate her. Ich kann mir nicht denken, daß er etwas wider mich habe. Er schreibt auch überaus gnädig, daß er mich bei sich haben wolle, um die Irrungen mit der Stadt Nordhausen zu beenden, schickt auch einen vom Adel, heißt von Mistelbach, mit acht berittenen Knechten zum Geleit.«

»Je gnädiger er sich stellt, um so mehr täte ich ihm mißtrauen,« erwiderte Anna.

»Er hat mir einen feierlichen Geleitsbrief ausgestellt. Handelt er dawider, so verliert er alle fürstliche Reputation.«

Anna lachte bitter. »Die hat er schon verloren. Es traut dem sächsischen Fuchse kein Mensch im ganzen Reich.«

»Könnt' er einen großen Vorteil gewinnen durch eine Gewalttat wider mich, so könnte es ja sein, daß er sein Wort bräche. Aber ich bin ihm doch zu klein. Der Gewinn, den er machen könnte, wäre weit geringer als der Schaden, den er sich selber zufügte, bräche er sein fürstliches Wort. Ich darf unbesorgt reisen, und ich muß reisen um unserer Stadt willen. Der Kaiser droht denen mit der Acht, die das Interim nicht wollen annehmen. Mein Freund Obernburger, der so mancherlei für mich durchgesetzt und mancherlei von mir abgewendet hat, kann in diesem Handel nichts tun, da ist ein Kaiserlicher Geheimer Rat zu schwach dazu. Kurfürst Moritz aber kann durch seine Fürsprache den Kaiser wohl bewegen, daß er uns Aufschub gibt ein Jahr lang. Und in einem Jahre kann viel geschehen, der Kaiser kann sterben oder der Türke kann heranziehen, so daß der Kaiser uns muß Frieden gewähren, weil er unsere Hilfe braucht. Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Ich muß alles tun, daß ich mir und dir und unseren Kindern und der ganzen Stadt das Äußerste erspare. Darum gib dich darein, liebes Herz, daß ich morgen reise, und ich bitte dich, daß du alles rüstest, was dazu nötig ist. Ich habe noch Unterschiedliches zu schreiben.«

Er küßte sie herzlich und ging mit einem heiteren Scherzwort über die ewigen Besorgnisse der Frauen aus dem Gemache. Hätte aber Frau Anna gesehen, was er droben in seiner Schreibstube tat, so wäre ihre Besorgnis ganz sicherlich nicht dadurch gemindert worden. Er schrieb zuerst einen Brief an seinen Amtsgenossen, den Bürgermeister Herbitzhausen, worin er ihm die äußerste Wachsamkeit empfahl, denn es könne immerhin sein, daß man ihn nur habe entfernen wollen, um dann einen Handstreich gegen die Stadt zu versuchen. Leute, die sich nicht ausweisen könnten, solle man nicht durch die Tore lassen und besonders des Nachts fleißig Kundschafter aussenden, ob nicht feindliches Kriegsvolk heranziehe. Dem fügte er noch eine Reihe einzelner Ratschläge hinzu. Dann versiegelte er den Brief, versah ihn mit seiner Aufschrift und rief seinen etwa zwanzigjährigen Sohn Michael Aeneas herein.

»Gehe hinüber zu Herbitzhausens,« gebot er ihm, »und hole die Ursula ab, damit sie in der Dunkelheit nicht allein heimgehen muß. Dabei übergibst du Herrn Bürgermeister Herbitzhausen dieses Schreiben mit der Bitte, es morgen früh zu lesen und den Herren vom sitzenden Rate zur Kenntnis zu bringen, wenn sie um neun Uhr aufs Rathaus zur Tagung kommen.«

Als der Jüngling wieder gegangen war, öffnete er einen eisernen Schrank, den er in die dicke Mauer des Hauses hatte einmauern lassen. Dem entnahm er ein umfangreiches versiegeltes Schreiben, brach das Siegel auf und begann zu lesen. Es war sein Testament, das er schon vor drei Jahren verfaßt und hier niedergelegt hatte. Für alle Fälle, es mochte nun kommen, was da wollte, deuchte es ihm gut, seinen letzten Willen noch einmal zu prüfen und zu vervollständigen, ehe er zu Moritz von Sachsen ritt.

Er brauchte eine geraume Zeit, ehe er das Schriftstück durchgelesen hatte, denn es war sehr umfangreich. Ein großer Grundbesitz war da aufgezählt, den er seiner Familie hinterlassen konnte, wenn er einmal die Augen schloß, Häuser in der Stadt, viele Äcker und Weinberge in der Stadtflur und an anderen Orten und vor allem eine gewaltige Geldsumme, die in den Mansfelder Bergwerken angelegt war. Das große Vermögen, das ihm seine zweite Frau zugebracht hatte, war zu einer Summe angeschwollen, wie sie sonst kein Mensch in Nordhausen sein eigen nannte. Er war nicht nur der angesehenste und mächtigste, er war auch der reichste Mann der Stadt geworden.

Ihm, dem eifrigen Bibelleser, kam, als er das überdachte, ein Spruch der Schrift in den Sinn, und er sprach ihn leise vor sich hin: »Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte getan hast; denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere worden.« Ja, dieses Wort des alten Patriarchen Jakob paßte auf sein Leben. Gott hatte ihn, wie jenen, sichtbar gesegnet, hatte ihn aus dem Nichts emporsteigen lassen zu einer erstaunlichen Höhe. Ein Ereignis aus seiner Jugend trat ihm mit einem Male mit fast schreckhafter Deutlichkeit vor die Seele. Er sah sich in der Schenke zum wilden Manne in Erfurt, als er eben die Bestallung des Nordhäuser Rates zum Stadtschreiber in der Tasche trug, und er sah sie alle wie greifbar und leibhaftig sitzen, die guten Freunde und Zechkumpane, die seine Berufung bei einem stattlichen Fasse Erfurter Bieres mit ihm feierten. Und er hörte sich noch sagen: »In einer Reihe von Jahren werde ich dieser Stadt regierender Bürgermeister sein.« Er mußte das in scherzhaftem Tone aussprechen, damit ihn die Genossen nicht auslachten, aber im innersten Herzen war es ihm ganz ernst damit. Nun war sein Ziel längst erreicht, nach langer Mühe und Arbeit und nach schweren, aufreibenden Kämpfen freilich, aber dafür auch in einer Vollständigkeit, wie er es selbst nicht erhofft hätte. Sein Wille gebot in dieser Stadt, seine Amtsgenossen waren nur die Vollstrecker seines Willens, sie selber hatten von der Herrschaft nur den Namen. So gehörte er denn zu den wenigen Menschen, denen die stolzen, vermessenen Träume ihrer Jugend in Erfüllung gehen.

Es überkam ihn bei dem Gedanken an das alles ein seltsamer Stolz, nicht ein Stolz auf das Errungene und Erreichte, sondern darauf, daß er sich die Kraft bewahrt hatte, es noch einmal aufs Spiel zu setzen und, wenn es sein mußte, von sich zu werfen. Der Kurfürst von Sachsen, so meinte er, würde hart in ihn dringen, das Interim anzunehmen, denn einen anderen Zweck der Einladung an das kurfürstliche Hoflager vermochte er sich nicht zusammenzureimen. Nach Torgau hatte er ihn entboten, weil er zurzeit Jagd abhielt in den ausgedehnten Wäldern der Lochauer Heide. Dort sollte wahrscheinlich der letzte Versuch gemacht werden, Nordhausen auf gütlichem Wege zur Unterwerfung zu bewegen. Er aber war entschlossen, sich weder durch glatte, gleißnerische Worte, noch durch Drohungen mit Gewalt zu einer Verleugnung der reinen lutherischen Lehre verführen zu lassen. Dann nahm ihn der Kurfürst vielleicht auf der Stelle in Gewahrsam, um die aufrührerische Stadt ihres entschlossenen Führers zu berauben. Zuzutrauen war ihm das schon, trotz des Geleitsbriefes, den er ihm gegeben hatte. Oder er durfte wieder nach Hause reisen, und dann begann der Kampf, der fast aussichtslos war, sofern nicht ein Wunder geschah. Aber so fest er an die Wunder der heiligen Schrift glaubte, so gering war seine Zuversicht darauf, daß Gott seinetwegen ein Wunder tun werde. Es lag wohl eher in seinem Ratschlusse, ihn, wie so viele jetzt, Verfolgung, Sorgen und Leiden kosten zu lassen, denn wie schon Doktor Luther gepredigt hatte, stand der jüngste Tag nahe vor der Tür, und die Zeit der großen Prüfung war angebrochen. Gott mochte ihm die Kraft geben, sie zu bestehen, auf daß er als echter Streiter Christi erfunden würde.

Mit einem hellen Leuchten in den Augen summte er die Schlußzeile des großen Lutherliedes:

>Nehmen sie uns den Leib,
Gut, Ehr', Kind und Weib,
Laß fahren dahin
Sie habens kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.

Dann schrieb er mit fester Hand die Zusätze zu seinem Testament nieder, versiegelte und verschloß das Schreiben und begab sich zu den Seinen. In ihrer Mitte verbrachte er den Abend, erzählte ihnen Schwänke und Schnurren und vergnügliche Erlebnisse aus seiner Jugend und war so heiter wie seit langem nicht. Es war auch nichts Gemachtes dabei, die Heiterkeit kam ihm von Herzen, denn er war mit sich und seinem Gott im reinen.


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