Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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II.

Hinter der Offizin der Nordhäuser Ratsapotheke befand sich ein geräumiges Zimmer. Hohe Schränke aus Eichenholz zogen sich an den Wänden hin. Sie waren vollgepfropft mit Flaschen und Büchsen, die heilsame Tränke und Kräuter in sich bargen, seltsam geformten Steinen und wunderlichen Dingen, darunter den Schädel eines riesigen Affen aus dem heißen Lande Afrika, den einst Herr Blasius Michel, der Ratsapotheker, auf seiner Fahrt nach Italien in der Stadt Bologna für schweres Geld erhandelt haben wollte. Der Bürgermeister Johann Herbitzhausen, der mit einem bösen Mundwerk gesegnet war, behauptete allerdings, er stamme aus der Nähe und sei der Schädel eines Mansfelders, denn darauf deute die Dicke der Hirnschale und das starke Gebiß. Es lag aber am Tage, daß er damit nur Herrn Blasius aufziehen wollte, dessen Geschlecht aus der Grafschaft Mansfeld gebürtig war.

In diesem Zimmer versammelten sich in der Dämmerstunde alltäglich die gewichtigsten Männer der Stadt, Ratsherren und Bürgermeister und wer sonst durch Bildung oder Reichtum hervorragte. Die Herren saßen um den gewaltigen Tisch herum auf Stühlen, die roh gezimmert waren, aber alle eine Lehne hatten. Wer zu spät kam und nicht trotzdem um seines Ansehens willen einen Platz an dem Tische eingeräumt erhielt, mußte sich mit der Holzbank am Ofen begnügen. Hier wurde unter der Hand über alle möglichen Angelegenheiten der Stadt beraten, und gar manchmal wären die Sitzungen auf dem Rathause gar nicht nötig gewesen, da man ja alles in der Ratsapotheke schon vorher beschlossen und festgelegt hatte.

Heute an einem stürmischen, kühlen Märzabend waren vor der Hand nur zwei Gäste in dem Gemache anwesend, allerdings zwei sehr gewichtige, der Altbürgermeister Thomas Sack und der zurzeit worthabende Bürgermeister Conrad Ernst. Von Sack konnte der Ausdruck gewichtig auch in wörtlichem Sinne gelten, er war ein starker, schwerer Mann von gewaltigem Leibesumfang, der sehr häufig am Zipperlein litt. Um es ferne zu halten, hatte ihm der weise und gelehrte Physikus der Stadt geraten, zu seinem Biere immer ein Gläschen des Branntweines zu trinken, der seit etwa zehn Jahren in Nordhausen selber hergestellt wurde. Herr Thomas Sack folgte diesem Rate mit großer Bereitwilligkeit und ließ eben wieder ein nicht ganz kleines Glas der wasserklaren Flüssigkeit seine Kehle hinabgleiten.

»Wohl bekomm's!« sagte der hagere Bürgermeister Ernst, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen dabei betrachtete. »Ich glaube, Gevatter, du säufst dir mit dem Teufelszeuge noch den Tod an den Hals. Der Esel, der Physikus, hat dir da was Schönes geraten. Und überhaupt sollte man verbieten, daß das beizende Wasser in Nordhausen gebrannt wird.«

»Was?« erwiderte Sack und stellte entrüstet sein Gläschen auf den Tisch, so daß es um ein Haar zerbrochen wäre. »Was schwatzest du da? Du redest so, weil du das Wässerlein nicht vertragen kannst, sintemal dir sein Geist allsogleich in deinen Schädel steigt und dich trunken und taumeln macht.«

»Das geht noch manchem so,« warf Ernst ein.

»Manchem, ja, aber nicht allen,« rief Sack unwillig. »Warum sollen immer die Menschen, die etwas vertragen können, sich nach denen richten, die nichts vertragen? Ging's nach mir, so würden alle die Beschränkungen aufgehoben, die besagen, daß dieses Wasser nur soll in geringer Menge gebrannt werden. Das wäre etwas für den Handel unserer Stadt. Wie Erfurt reich wird durch seinen Wald, so sollte Nordhausen reich werden durch seinen gebrannten Wein!«

Der Bürgermeister Ernst machte ein sehr bedenkliches Gesicht. »Gerade jetzt wäre die Zeit dazu übel gewählt. Man müßte jetzt, meine ich, sogar das Ausschenken des Bieres verbieten, zumal in den kleinen Schenken der Stadt. Denn es erhitzt nur die Köpfe, und es sind in Nordhausen sehr viel Köpfe allzu heiß. Mir ist's zuweilen als säßen wir Herren vom Rat auf einem Fasse voller Pulverkraut, und die Zündschnur wäre schon angesteckt, uns in die Luft zu schießen.«

Thomas Sack lehnte sich in seinen Stuhl zurück und brummte mißvergnügt vor sich hin. »Du siehst wohl allzu schwarz,« sagte er endlich. »Nordhausen ist nicht Mühlhausen, Gott sei's gedankt. Unsere Bürger sind nicht so rebellisch, wie jene. Hast du Neues gehört, Gevatter, von Mühlhausen? Wie steht es dort?«

»Man hört nur Verworrenes. Aber schlecht steht's dort, sehr schlecht. Sie wollen den Bürgermeister Rodemann, der aus der Stadt entwichen ist, nicht wieder bei sich aufnehmen, auch die Ratsverwandten nicht, die mit ihm geflohen sind. Sie achten auch nicht auf die Briefe, die ihnen deshalb Herzog Georg geschrieben hat. Sie sind, so mein' ich, vom Teufel besessen, seitdem der Allstedter Pfaffe, der Thomas, wieder bei ihnen seinen Einzug gehalten hat. Du weißt, was er predigt: die ersten sollen die letzten sein. So will er das tausendjährige Reich aufrichten, von dem die Schrift weissagt, und Mühlhausen soll seine Hauptstadt werden. Wir werden noch viel erleben, Gevatter, aber nichts Gutes. Denke an mich, wenn's eintrifft. Von Mühlhausen zieht ein Wetter heran, mag wohl halb Thüringen verwüsten und auch unsere Stadt nicht schonen.«

»Du siehst zu schwarz, Gevatter, du siehst zu schwarz!« entgegnete Sack, aber er machte doch ein sehr bedenkliches Gesicht, und es wurde immer bedenklicher bei dem, was nun sein jüngerer Freund sagte. Seine Stimme zum Flüstern dämpfend, neigte er sich über den Tisch zum Altbürgermeister hinüber, und raunte ihm zu: »Du weißt noch nicht, was ich weiß. Auch bei uns gibt's schon Rotten. In der Nacht vor Sankt Thomä haben sich etliche bei Hans Kehner versammelt. Der Berthold Helmsdorf war dabei und Hans Sander, die anderen kenne ich nicht. Da haben sie geredet, es müsse eine andere Zeit kommen, man solle mit denen von Mühlhausen verhandeln, daß sie auch dürften in ihre Brüderschaft eintreten. Der Rat müsse abgesetzt, einige aus der Stadt verbannt werden, und den Ratsherrn Lindemann, dem der Kehner und der Helmsdorf sonderlich feind sind, weil er sie einmal hat im Turm büßen lassen, den solle man köpfen.«

Die letzten Worte hatte er unwillkürlich laut gerufen und blickte sich nun erschrocken um, ob sie wohl jemand gehört haben könne. Aber aus der Offizin nebenan erklang nur das Stampfen des Mörsers, in dem der Subjekt des abwesenden Ratsapothekers irgend ein Kraut oder Korn bearbeiten mochte. So wandte er sich wieder dem Greise zu, auf den seine Worte eine geradezu erschreckende Wirkung ausgeübt hatten. Sein rötliches Antlitz war blaß geworden, und die zitternden Lippen standen weit voneinander gesperrt, so daß er zunächst gar nicht reden konnte. Erst nach einer Weile brachte er die Frage zustande: »Woher weißt du das?«

»Von Meyenburg,« erwiderte Ernst. »Der hat seine Augen und Ohren überall, sieht alles, hört alles, weiß alles. Was er mir sagt, glaub' ich unbesehen.«

Der Altbürgermeister nickte und stöhnte dabei, »Es wird so sein. Und was wollen wir tun?«

»Still,« sagte Ernst. »Es kommt einer. Ich höre draußen einen schweren Tritt.«

Beide blickten gespannt nach der Tür, in der gleich darauf ein hochgewachsener Mann erschien. Ein großer Mantel, dessen Kragen emporgeschlagen war, verhüllte ihn, aber der Bürgermeister erkannte ihn an der Art, wie er die Tür aufmachte. »Sieh da, Herr Syndikus!« sagte er. »Wenn man den Wolf nennt, so kommt er gerennt. Es ist doch sonderlich, wie oft die Sprichwörter eintreffen. Eben hatte ich Euren Namen genannt. Wie seht Ihr denn aus? Über und über wie ein Schneemann.«

»Märzschnee,« erwiderte Meyenburg, seinen Mantel schüttelnd. »Morgen leckt ihn die Sonne weg, wenn auch heute die Frau Holle tüchtig ihre Federn ausschüttet. Und das ist gut, denn ich habe eine Reise vor in aller Frühe, wozu ich Euch um Urlaub bitten will, Herr Bürgermeister.«

»Wo wollt Ihr hin? Gewiß zum Grafen nach Mansfeld?« fragte Ernst. »Oder zum Hohnsteiner?«

»Nein, Herr, diesmal nicht. Ich will nach Mühlhausen.«

Beide Männer am Tische stießen einen Ruf des Erstaunens aus, der fast wie ein Schreckensruf klang. »Was?« rief Ernst, »in das Teufelsnest? Wißt Ihr denn, wie's da aussieht? Vielleicht haben sie ihren Rat schon abgesetzt, und Münzer ist König des neuen Zion geworden, und sie sind gerade dabei, die zu hängen, die Geld und Ehren haben! Wißt Ihr was darüber? Ihr hört ja das Gras wachsen!«

»Ihr werdet gleich verschiedenes hören, zuvor aber erlaubt, daß ich mir ein Bier bringen lasse. Ich sitze ungern trocken.« Er schlug an die Tür, die nach der Offizin führte, und sogleich erschien der Lehrling des Ratsapothekers und fragte nach der Herren Begehr. »Drei Krüge!« rief ihm der Altbürgermeister entgegen. »Und nicht zu kleine! Und gut gemessen!«

Als das Gewünschte gebracht war und Meyenburg neben Sack am Tische saß, begann er: »Ich habe eine neue Zeitung von Mühlhausen. Noch ist der Rat in seinem Amt, aber die Propheten Münzer und Pfeifer haben alle Gewalt. Sie haben das ganze Volk toll und trunken gemacht mit ihrer Alfanzerei, so daß es in ihren Händen ist wie weiches Wachs. Nächste Woche wollen sie ihren Rat absetzen und einen ewigen Rat küren, der nicht wechseln soll wie bisher, sondern immer am Regimente bleiben. Nur kleine Leute allein sollen hineinkommen. Der alte Rat aber soll Rechenschaft ablegen vor der ganzen Gemeinde, und so erfunden wird, daß einer auch nur einen Groschen verwendet hat zu eigenem Nutzen oder wider den Nutzen der Stadt, dem soll der Kopf vor die Füße gelegt werden.«

Erschrocken blickten Ernst und Sack einander an und sagten zunächst gar nichts, dachten aber beide das nämliche. Sie hatten beide im Mühlhauser Rate Freunde und Verwandte und wußten, daß die jetzt der Hals jucken mochte, denn ganz unsträflich und nur zum Nutzen der Stadt hatte schwerlich einer von ihnen sein Amt geführt. Es gab so mancherlei Rechte und Gewohnheiten, die den Herren vom Rate die Möglichkeiten boten, Gewinne zu machen, die ihnen eigentlich nicht zustanden. Das war in jeder Stadt so, war auch bei der Art der menschlichen Natur kaum zu vermeiden, und in Mühlhausen war es besonders schlimm gewesen.

»O je, o je!« seufzte endlich Sack. »Jetzt kommt's zutage, wie klug der Rodemann war, daß er sich aus dem Staube machte, als es noch Zeit war! Jetzt werden sie keinen mehr aus den Toren lassen.«

»Das werden sie wohl nicht. Darin mögt Ihr recht haben,« erwiderte Meyenburg. »Wegen des Rodemann aber bin ich anderer Meinung. Nur die Obrigkeit geht zugrunde, die sich selber aufgibt. Damals, als er aus der Stadt floh, war es noch Zeit, das Unwesen zu dämpfen. Aber je hochfahrender einer ist, um so feiger ist er auch gewöhnlich. Doch solches nur nebenbei! Ich habe noch eine andere Kunde, Ihr Herren, die geht uns weit mehr an. Die Propheten wollen eine Heerfahrt machen über die ganze güldene Aue und über das Eichsfeld hin. Ihr wißt, wer meine Freunde sind in Mühlhausen, und daß ich ihnen sicher vertrauen kann. Das ganze Land soll mit der Schärfe des Schwertes unter das Wort Münzers gebeugt werden. Wer widerstrebt, soll seinen Kopf verlieren. Die Propheten wollen das Fähnlein wieder aufrichten, in dem der Bundschuh steht!«

Noch erschrockener als vorher blickten die beiden Stadtväter einander an. Das Gesicht des Bürgermeisters Ernst war ganz grau geworden. »Da werden sie gewißlich auch zu uns kommen,« stöhnte er. »Und sie haben Freunde in unseren Mauern! Was soll das werden?«

»Wir müssen Gewißheit haben, wie die Sache steht,« versetzte Meyenburg. »Wir müssen wissen, wohin der Aufruhr sich richten soll, auf daß wir unsere Maßregeln treffen. Wagt sich einer nach Mühlhausen, so kann er vieles erfahren, wenn er klug verfährt. Der Mann will ich sein, und ich meine, Ihr Herren, Ihr habt keinen, der dazu geschickter ist.« »Da redet Ihr recht,« rief der Bürgermeister. »Aber sollen wir unseren besten Mann in die Wolfshöhle schicken? Laßt die Hände davon, Syndikus, denn es könnte Euch an Hals und Kragen gehen, und das wäre in dieser Zeit ein absonderlicher Schade für unsere Stadt. Wir wollen einen anderen entsenden.«

»Wißt Ihr einen, so nennt mir ihn,« erwiderte Meyenburg.

Der Bürgermeister dachte nach und kratzte sich hinter dem Ohr, blickte dann fragend und ratlos zu Sack hinüber, ob der ihm einen in Vorschlag bringen könnte, aber der Altbürgermeister schwieg und wiegte den Kopf hin und her.

»Ihr wißt keinen,« sagte endlich Meyenburg. »Wem sollten wir trauen in dieser schweren Sache? Und finden wir einen verläßlichen Mann – deren gäbe es wohl – so doch keinen, der geschickt wäre, zu erkunden, was wir wollen. Und was sollte mir geschehen? Werden die Propheten meiner gewahr und fragen sie mich, was ich wolle in Mühlhausen, so sage ich den Narren, ihr großer Ruhm habe mich hingeführt, und ich sei bereit, ihnen zu helfen, das Reich Gottes aufzurichten auf Erden. Das glauben sie mir gewißlich, denn sie sind über die Maßen stolz und aufgeblasen. Bei guter Zeit und Gelegenheit mache ich mich dann davon.«

Der Bürgermeister lachte. »Das brächtet Ihr wohl fertig. Aber so recht geheuer ist mir's doch nicht, auch würde ich Euch ungern missen und möchte nicht Eures Rates entbehren. Mir schwant, die nächsten Wochen werden uns große Sorgen bringen.« »In ein paar Tagen bin ich wieder daheim,« drängte Meyenburg. »Dann habt Ihr mich wieder und wißt, wes wir uns zu gewärtigen haben.«

Herr Conrad Ernst dachte von neuem nach, und sein Nachdenken dauerte eine ganze Zeit. Dann sagte er plötzlich entschlossen: »Nun, so reitet morgen in Gottes Namen hinüber!«

»Reiten?« erwiderte Meyenburg, der mit einem Male so erfreut aussah, als wäre ihm großes Heil widerfahren. »Wo denkt Ihr hin! Ich reite nur eine Strecke weit, etwa die Hälfte des Weges, damit ich schneller hinüberkomme. Dann schicke ich den Knecht mit dem Pferde zurück und gehe zu Fuß in die Stadt, mit einem kurzen Schwert an der Seite und einem langen Spieß in der Hand wie ein Landsknecht. Wer auf hohem Roß ankommt, ist den Propheten verdächtig. Ich komme nicht als der Stadt Syndikus, ich komme wie einer, der nichts mehr hinter sich hat. Das gibt Ansehen bei diesen Leuten!«

Beide Bürgermeister lachten jetzt kräftig und aus vollem Halse. »Ihr seid ein Fuchs!« rief der alte Sack, und Ernst schüttelte ihm die Hand und sprach: »Es ist mir um Euch nicht bange. Ihr seid voller Klugheit und werdet Euch herauszuwinden wissen. Kehrt mit Gott heim und kommt so bald wie möglich wieder.«

Meyenburg erhob sich. »Ich danke Euch, Herr Bürgermeister. Ich gehe morgen aus der Stadt, noch ehe der Tag graut. Bis dahin gibt's noch mancherlei zu bestellen, auch will ich etliche Stunden ruhen. Lebt wohl, Ihr Herren. Ich will hoffen, daß ich Euch nicht allzu schlimme Kunde bringe.« Er verließ das Gemach und die Ratsapotheke und schritt auf ein großes Haus zu, das ganz in der Nähe gelegen war. Es war das Haus »Zum Riesen«, in dem vor gerade hundertundfünfzig Jahren die aufständische Bürgerschaft ihre übermütigen Geschlechterherren überfallen und gefangen genommen hatte. Jetzt ward es bewohnt von dem reichen Ratsherrn Kurt Hauschild, mit dem Meyenburg seit Jahren eng befreundet war.

Hauschild trat dem Freunde schon in der Tür entgegen; er hatte augenscheinlich auf ihn gewartet. »Nun? Ist's geglückt? Hat dir Conrad bewilligt, daß du aus der Stadt ziehst?« rief er ihm zu und zog ihn ins Haus und in das warme Zimmer.

»Er hat es getan, wiewohl mit Bedenken,« gab Meyenburg zur Antwort, indem er sich niederließ. »Hätte er's nicht getan, so wäre ich ohne seinen Urlaub entwichen, denn ich will und muß nach Mühlhausen, wie du weißt, da ich nicht nur dem Rate Kunde bringen will, wie's dort steht, sondern vielmehr noch ein ganz ander Ding zu verrichten habe.«

»Ja,« erwiderte Hauschild, »und ich habe mir dieses andere Ding, dieweilen du drüben warst, sehr durch den Kopf gehen lassen.« Er sah ihn besorgt und nachdenklich an. »Freund Michael, du läßt dich in einen gefährlichen Handel ein. Wer einer Jungfrau aus dem Kloster hilft, der verliert seinen Kopf. Das ist kaiserliches Gesetz. Mich dünkt, du hast noch gar nicht daran gedacht, denn du siehst aus, als wolltest du zu einer Kirchweih fahren.«

Meyenburg machte eine abwehrende Bewegung. »Da könnten jetzt viele ihren Hals verlieren. Hast du nicht gehört von dem torgischen Ratsherrn Koppe, der gleich neun auf einmal aus Nimbschen bei Nacht fortgeführt hat?«

»Der ist dem Kurfürsten Johann untertan und hat deshalb nichts zu befürchten. Wenn du aber verklagt wirst beim Kaiser, so mag dir's übel ergehen.«

»Ich meine, der Kaiser wird auf lange Zeit anderes zu denken haben und sich nicht viel kümmern können um so kleine Händel. Schickt er mir ein Papier, so legen wir's geruhsam in eine Truhe.«

Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus seinem Wams und sagte ernsthaft: »Seit etlichen Jahren hat mich's manchmal geträumt, solch ein Brieflein käme in mein Haus. Zuweilen träumt' ich's auch am hellen Tage. Ich konnte mir nicht denken, daß es ganz und für immer aus sollte sein zwischen ihr und mir; habe sie immer noch für meine Braut gehalten in Gedanken und habe darum kein anderes Weib angesehen, so laut mein Blut auch zu Zeiten nach einem Weibe schrie. Immer, wenn ich hörte, es ist wieder da und dort eine aus dem Kloster gelaufen, dacht' ich bei mir: kann's nicht auch einmal mit ihr so kommen? Gerade in der letzten Zeit freilich war mir der Mut fast entsunken. Da fliegt mir dieser Ruf ins Haus, und der Zettel ist schon fünf Tage alt. Wenn ich noch an sie dächte, schreibt sie mir, sollt' ich Mittel und Wege finden, ihr zu helfen, aus dem Kloster und zu ihrem Paten nach Gotha zu kommen. Oh, wohl denke ich noch an sie, und sie soll mich nicht vergeblich rufen! Ich helfe ihr heraus. Ich habe ein paar Freunde in der Stadt, die es als ein gutes Werk ansehen, eine Jungfrau aus der Zelle zu erlösen. In Mühlhausen denken ja die meisten so. Die ganze Möncherei ist ihnen ein Greuel, und mehrere Klöster hat das gemeine Volk schon geplündert. In einer solchen Stadt kann's nicht schwer sein, einer Nonne in die Freiheit zu helfen.«

Hauschild nickte. »Das mag sein, und wenn du dich nicht scheust vor dem, was etwa später kommen kann, so wirst du wohl deinen Plan vollführen. Wie willst du sie aber nach Gotha bringen? Man hört wunderliche und erschreckliche Dinge. Die Straßen sind unsicher, denn der gemeine Mann soll da und dort schon auf sein. Weißt du, ob du mit ihr durchkommst? Kannst du sie nicht bei unserem Freund Schiele in Mühlhausen unterbringen? Frau Margarete würde sie sicherlich gern in ihr Haus nehmen, bis du kämst, sie heimzuholen.«

»Daran habe ich auch gedacht,« erwiderte Meyenburg. »Aber es geht nicht an. Schiele ist auf dem Wege, ein Narr zu werden. Die Propheten haben ihm den Mund voll Honig geschmiert und ihm eingeredet, er sei der klügste Mann in der Stadt. So haben sie ihn und etliche vom alten Rat für sich gewonnen. Er wird denn auch ihr Los teilen, und das wird kein liebliches sein. Aber auch bei einem anderen möchte ich sie nicht in Mühlhausen lassen. Wen man lieb hat, den soll man jetzt so eilig, wie es zu tun ist, aus dieser Stadt fortführen. Es wird wohl bald viel Blut da fließen. Ich wollte dich bitten, Kurt Hauschild, wenn ich mit ihr nicht könnte nach Gotha durchdringen, sie in dein Haus zu nehmen. Aber nun muß ich fürchten nach deinen Worten, du scheust die Gefahr.«

»Nein!« rief der Ratsherr. »Ich warnte dich nur. Was könnte mich treffen? Vielleicht eine Pön von «einigen Reichstalern!« Er öffnete die Tür zu einer Nebenstube und rief nach seiner Gattin. Frau Johanna Hauschild, eine kleine, rundliche, blühende Erscheinung, trat sofort auf die Schwelle, obwohl sie Teig an den Händen hatte, denn sie war dabei, Brot zu backen. »Eine Hand kann ich Euch nicht geben, sonst klebt Ihr fest!« rief sie Meyenburg in ihrer lebhaften Weise zu, und dann fuhr sie mit sprudelnder Lebendigkeit fort: »Aber was Ihr wollt, das tue ich gern. Mein Mann hat mir erzählt, was Ihr vorhabt, dieweil Ihr drüben waret beim Bürgermeister, und jetzt habe ich alles gehört durch die dünne Tür, denn Ihr sprecht beide nicht leise. Wir wollen die Jungfrau, die Euch lieb ist, gern aufnehmen in unser Haus, bis Ihr sie heimführt oder nach Gotha bringen könnt, um sie von dort heimzuholen, wenn ruhigere Zeiten sind. Nicht wahr. Mann?«

Meyenburg bedankte sich sehr erfreut, denn was Frau Johanna Hauschild wollte, das geschah in ihrem Hause, obwohl sie fast zwei Köpfe kleiner war als ihr Eheherr. Dann begab er sich, geleitet von den Segenswünschen des Hauschildschen Ehepaares, in sein Haus, um dort die letzten Vorbereitungen zu treffen für seinen abenteuerlichen Gang nach Mühlhausen.


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