Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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II.

Frau Katharina Reinecke aus Mansfeld saß in dem vornehm eingerichteten Gastgemache des Meyenburgischen Hauses in einem ernsten Gespräche mit ihrer Tochter. Sie hatte vor sich auf dem Tische einen mächtigen Haufen getrockneter Bohnen liegen, die sie in eine Schüssel enthülste. Denn sie konnte keinen Augenblick müßig sein, obwohl ihr Mann, mit dem sie klein angefangen hatte, im Laufe der Jahre zu einem schwerreichen Berg- und Hüttenherrn geworden war und seiner Gattin dienstbereite Hände genug zu mieten vermochte. Aber die trotz ihrer stattlichen Fülle überaus lebendige und tätige Frau besorgte in ihrer Wirtschaft außer den gröbsten Arbeiten alles selber und fühlte sich nicht glücklich, wenn sie nicht irgend etwas Nützliches unter den Händen hatte.

Sie war zu Ursulas Begräbnis herübergekommen, und nun, am Tage danach, war sie eben im Begriff, wieder abzureisen. Der Wagen war in einer Stunde zur Abfahrt bestellt, und sie erwartete mit einiger Ungeduld Michael Meyenburg zurück, der in früher Morgenstunde in das Haus der Kaufleute, der vornehmsten unter den Gilden der Stadt, gerufen worden war. Während ihre Hände nicht müßig waren, ruhte auch ihre Zunge nicht, sondern ging vielmehr wie ein Mühlwerk. Das lag so in ihrem Wesen. Einige ihrer guten Freundinnen deuteten, wenn sie unter sich waren, zuweilen an, das Mundwerk der trefflichen Frau sei doch ein allzu gesegnetes und ginge entschieden über das erlaubte Maß hinaus. Ins Gesicht hätte ihr das allerdings keine zu sagen gewagt, da wäre sie schön zugedeckt worden.

»Die arme Ursel!« sagte sie, den Kopf bedauernd hin und her wiegend. »Wie schwer muß ihr's geworden sein, so früh fort zu müssen von den kleinen Kindern! Und sie hat es genau gewußt! Herr Melanchthon hat mir's gesagt. Sie hat über ihren Tod mit ihm gesprochen, ein paar Stunden, ehe sie starb. Schade, daß der liebe Mann noch einen Tag hierbleiben muß, sonst könnte er gleich mit mir hinüberfahren nach Mansfeld, wohin er ja auch reisen will. Weißt du, was er eigentlich hier zu tun hat?«

»Der Herr Pfarrer Spangenberg will eine Lateinschule einrichten, darum hat er ihn gerufen. Die soll ins Predigerkloster kommen, das ja leer steht. Michael betreibt es auch,« erwiderte Anna.

»Dann wird sie ja wohl auch zustande kommen. Denn was Michael will, das setzt er durch beim Rate und bei der Bürgerschaft. Aber was wollte ich sagen? Ich bin ganz davon abgekommen. Ja so – die arme Ursula! Auch von ihrem Manne fortzugehen, wird ihr nicht leicht geworden sein. Sie hat doch wohl ganz glücklich mit ihm gelebt?«

»Sehr glücklich,« erwiderte Anna kurz.

»Manchmal mag sie es ja nicht ganz leicht gehabt haben,« fuhr Frau Katharina fort. Anna hob erstaunt den Kopf. »Warum?« fragte sie fast unwillig.

»Ach, sie war doch so still und fast verschlossen, und nun denke dir das unruhige Leben in diesem Hause! Heute der Gast, morgen jener. Ratsherren, Doktoren, Prediger, kaiserliche Räte, Poeten und Edelleute – alles durcheinander. Und dann der Mann so oft fort. Heute beim Grafen von Lohra, morgen beim Stolberger, übermorgen bei unserem Grafen in Mansfeld. Da ist er in letzter Zeit gerade sehr oft gewesen. Oder er zieht auf die Reichstage. Die Stadt schickt ja kaum noch einen anderen.«

»Sie weiß gar wohl, warum sie ihn schickt,« erwiderte Anna, und etwas wie ein Triumph klang aus ihrer Stimme.

»Ja, ja, er ist sehr klug,« versetzte Frau Katharina etwas spitz. »Er macht, daß alle Welt nach seiner Pfeife tanzt. Aber für eine Frau ist's nicht bequem, einen überklugen Mann zu haben. Die Ursel hat wohl darunter heimlich gelitten.«

Anna lachte etwas spöttisch. »Aber Mutter! Muß nicht eher eine Frau stolz darauf sein, wenn sie einen so klugen Mann hat? Ist denn der Vater nicht auch ein kluger Mann?«

»Jawohl. Das ist er. Aber nicht so, wie Michael. Mit deinem Vater kann man doch reden von der Leber weg, wie's einem zumute ist, und er hört einen an. Michael aber – wenn er einen nur ansieht, so möcht' man den Mund halten. Er sagt gar nichts und ist auch noch sehr höflich, aber man fühlt, er denkt bei sich: du bist mir viel zu dumm.« Um Annas Lippen erschien bei diesen Worten ein Lächeln, das mit der kindlichen Pietät nicht ganz in Einklang zu bringen war. Sie wußte ja längst, weshalb ihre Mutter keine besondere Neigung für Michael Meyenburg in ihrem Herzen trug und ihm lieber aus dem Wege ging, als daß sie ihn aufsuchte. Er hatte etwas in seinem Wesen, was ihrer unbändigen Redelust einen Zügel auflegte. Diese Redelust war dem jungen Mädchen selbst ein großer Verdruß und hatte ihr manche kummervolle Stunde bereitet, denn Menschen von guter natürlicher Art des Gemütes empfinden es leidvoll, wenn sie an ihren Eltern Fehler oder Schwächen wahrnehmen. Sie werden dadurch verhindert, die ohne Einschränkung, wie sie möchten, zu verehren, die ihnen herzlich lieb sind. Darum war das Lächeln Annas nicht frei von Bitterkeit, und deshalb vermied sie es auch, ihrer Mutter eine Antwort zu geben. Am liebsten hätte sie das Zimmer verlassen, denn sie wußte, worauf ihre Mutter hinsteuerte, und sie wäre einer Auseinandersetzung mit ihr gern ausgewichen. Aber sie wußte auch, daß es gänzlich zwecklos war. Sie wäre ihr gewiß überallhin gefolgt und hätte das Gespräch fortgesetzt, vielleicht sogar vor den Ohren einer der Mägde. Darum blieb sie lieber und wartete schweigend, aber mit Widerstreben und innerem Unwillen, was die Redselige ihr noch zu sagen hatte.

Sie brauchte nicht lange zu warten, denn mit einem tiefen Seufzer hub Frau Katharina von neuem an: »Ja was ich sagen wollte: das Leben auf den Reichstagen! Das verdirbt die Männer. Sie kommen da fast alle auf eine schiefe Bahn. Wie bin ich froh, daß mein Mann nicht muß zu den Reichstagen reisen! Es ist da ein ruchloses Leben mit gefälligen Weibern, mit Spielen und Trinken.«

Sie warf einen schnellen Blick auf ihre Tochter, aber Anna saß da und blickte gleichgültig auf das schlafende Kind, das sie in den Schlummer gewiegt hatte, als hätte sie die Rede ihrer Mutter kaum vernommen.

»Ob Michael da eine Ausnahme macht, weiß ich nicht,« fuhr die gesprächige Frau fort, etwas gereizt durch das kühle, ablehnende Wesen ihrer Tochter. »Vielleicht war die Ursel deshalb so glücklich, weil sie manches von ihrem Mann nicht wußte.«

Ein zweiter schneller Blick auf ihre Tochter zeigte ihr, daß dieser Pfeil getroffen hatte. In Annas Antlitz stieg die Röte empor, und sie versetzte kurz und scharf: »Was gibt uns das Recht, Übles von ihm zu denken? Wißt Ihr etwas, Mutter, das gegen ihn zeugt?«

»Nur weniges,« erwiderte Frau Katharina ausweichend.

»Dann bitt' ich Euch, nennt mir das Wenige!« rief Anna ungestüm und blickte ihre Mutter zornig an.

Frau Katharina erschrak vor der Heftigkeit ihrer Tochter, die sie nie hatte bändigen können, und sagte kleinlaut: »Man spricht davon, daß er hier und anderswo gar manche unter den Tisch getrunken habe, und daß er hoch spiele!«

»Ach, Mutter, was reden die Leute nicht alles! Es mag ja wohl sein, daß er einen unter den Tisch getrunken hat. Ist das eine Schande? Die Männer trinken ja alle viel, wenn sie beisammen sitzen, das ist nun einmal der Welt Lauf. Sie machen sogar eine Ehre daraus, einander darin zu übertreffen. Da ist wohl einer wie der andere.« »Der Vater nicht. Der hält sich darin sehr zurück,« warf Frau Katharina ein.

»Der Vater hat die Gicht und einen kranken Magen. Er verträgt nichts, und wer keine Zähne hat, der kann nun einmal nicht beißen. Und daß er hoch spiele, sagen die Leute? Nun, verspielt hat er wohl noch wenig, denn sein Hab und Gut ist beständig gewachsen. Ursula war meine beste Freundin. Sie hat nie über ihren Mann geklagt, niemals, immer hat sie nur Liebes und Gutes von ihm gesprochen.«

»Sie war eben verliebt in ihn,« entgegnete Frau Katharina verdrießlich, dann platzte sie mit einem Male heraus: »Und du bist es auch!«

»Mutter!« rief Anna, halb zornig, halb erschrocken. »Ich bitte Euch, redet nicht weiter!«

Aber Frau Katharina fuhr mit großer Geläufigkeit fort: »Nun ist es heraus! Und Mutter und Tochter sollen offen miteinander sprechen. Warum willst du hier bleiben und sein Haus verwalten und seine Kinder warten?«

»Weil Ursula mich gebeten hat einen Tag vor ihrem Tode, und ich habe ihr's versprochen, wenn du und der Vater dreinwilligtet.«

»Ach, mache dir doch selbst nichts weis, liebe Tochter! Nicht um der Toten willen bleibst du hier, sondern um des Lebenden willen. Ich weiß ja, daß du von jeher einen Narren gefressen hast an ihm, ja, daß du richtig in ihn verliebt gewesen bist. Ich habe mich oft genug gewundert, daß die Ursula dich immer wieder einlud und nicht eifersüchtig war auf dich, und sie konnte doch in keiner Weise mit dir antreten, am wenigsten in den letzten Jahren.« Annas Antlitz hatte einen gequälten Ausdruck, und sie erwiderte herbe: »Sie war ihres Mannes so sicher, wie sie meiner sicher war. Ja, ich habe Michael immer gern gehabt. Aber nie habe ich –« sie brach plötzlich ab und sagte dann mit einem Male so weich und leise, daß ihre Mutter erstaunt aufhorchte: »Er hat mir, als ich ein Kind war, das Leben gerettet. So bin ich ihm großen, ja unendlichen Dank schuldig. Und danke ich ihm nicht am besten, wenn ich etwas für ihn tue? Soll er bezahlte Leute zu den kleinen Kindern nehmen? Der kleine Hans hängt an mir, und der kleine Christof ist ein zartes, schwaches Kind und wird vieler Pflege bedürfen, wenn er leben bleiben soll. Darum möcht ich, daß du und der Vater mich hier lassen wolltet.«

Frau Katharina seufzte: »Auf eine Zeitlang habe ich nichts dagegen, habe mich ja auch schon breitschlagen lassen, ihm das zu versprechen. Der Vater wird erst recht nichts dagegen haben, denn er ist ihm über die Maßen zugetan. Aber ob ich recht daran tue, weiß ich nicht. Du weißt, wer um dich wirbt, und wie recht mir seine Werbung ist. Er paßt auch so gut in den Jahren zu dir und in allem anderen. Ich dachte, du würdest dich ihm zuwenden, aber nun glaube ich es kaum noch. Alles in der Welt wird vergessen, auch Menschen, die man lieb gehabt hat, vergißt man mit der Zeit. Das ist nun einmal so, und es ist auch gut, denn sonst käme die Welt aus den Tränen und dem Jammer gar nicht heraus. So wird Michael wohl übers Jahr – und ich weiß nicht, ob's dein Glück sein wird – er ist so viel älter als du – fast zwanzig Jahre – und ob zwei harte Steine –« Anna erhob sich. Ihre Wangen brannten in heller Glut, und in ihren Augen funkelten Tränen. »Ach Mutter, wenn Ihr doch daran nicht rühren wolltet! Die arme Ursula ist noch nicht einen Tag unter der Erde – und Ihr sprecht schon so!«

Sie eilte aus dem Gemache und lief in den Garten. Dort setzte sie sich in die verschwiegene Laube und erleichterte ihr Herz durch ein kurzes, aber heftiges Weinen. Mit unzarter Hand hatte ihre Mutter an Gefühle und Gedanken gerührt, die sie sich selbst vor der Hand nicht eingestehen wollte. Ja, auf dem Altare ihres Herzens stand seit Jahren Michael Meyenburgs Bild. Sie hatte ihn oftmals wiedergesehen seit jenem Tage, an dem er sie, das zehnjährige Kind, aus den Fluten der wilden Gera ans Land gezogen. Vor seiner Verheiratung war er öfters nach Mansfeld gekommen, auch in das Haus ihres Vaters zuweilen, den er aufsuchte, weil er ein Schulfreund Doktor Martin Luthers war. Damals war sie ein halbwüchsiges Mädchen gewesen, das er kaum beachtet hatte. In ihr aber war die schwärmerische Zuneigung zu ihm lebendig geblieben, und sie entsann sich sehr wohl der heißen Tränen, die sie vergossen an dem Tage, als er in Gotha mit Ursula fürs Leben verbunden wurde. Dann war sie in sein Haus gekommen und hatte sein eheliches Glück mit ihrer Base gesehen, ohne Bitterkeit, ohne Neid, nur manchmal mit Weh, daß sie selbst nicht die Glückliche war, der sein Herz gehörte. Nun mit einem Male machte Ursulas Tod es möglich, daß der Traum ihrer ersten Mädchenjahre vielleicht doch noch in Erfüllung ging. Vielleicht! Noch wagte sie kaum daran zu denken, ja sie empfand den Gedanken daran als eine Sünde, als ein Unrecht gegen die eben Verstorbene.

Erst nach einer Weile gelang es ihr, sich wieder zu fassen. Sie trocknete ihre Tränen und pflückte die letzten Blumen, die noch im Garten standen und ordnete sie zu einem Strauße. Den wollte sie hinübertragen in die Sankt Blasienkirche und auf das Grab der Toten legen, die dort ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. Es war ihr, als sei der Entschlafenen ein Schmerz zugefügt worden, und als müsse sie ihr etwas Liebes erweisen, um sie zu versöhnen.

Tief gesenkten Hauptes trat sie in den weiten Raum der Kirche und schritt auf das Grab zu, das von welkenden Kränzen überdeckt war. Aber mit einem Male hemmte sie den Schritt und blieb unschlüssig stehen, indem ihr eine Blutwelle ins Gesicht schoß. Dort kniete Michael Meyenburg vor der Stätte, die seiner Gattin sterbliche Reste barg. Er hatte die Hände gefaltet und schien tief in ein Gebet für die ewige Ruhe der Heimgegangenen versunken zu sein.

Leise wandte Anna sich ab und wollte sich unbemerkt davonschleichen, aber der kleine Hans, der ihr, ohne daß sie es wußte, gefolgt war, kam jetzt durch die Tür gelaufen und rannte mit dem jauchzenden Rufe: »Vater! Vater!« auf den Knienden zu. Der erhob sich und nahm das Kind auf den Arm, und dabei fiel sein Blick auch auf das Mädchen. Sie sah, als er sich halb nach ihr umwandte, daß seine Augen von Tränen feucht waren.

»Komm her und lege deine Blumen auf das Grab. Sie hatte ja Blumen so gerne,« sagte er freundlich, und als sie zaghaft hinzugetreten war und ihren Strauß mit zitternder Hand niedergelegt hatte, fuhr er fort: »Wartet deine Mutter drüben auf mich? Es muß ja wohl Zeit sein, daß sie abfährt, und wir wollen gleich hinübergehen. Ich mußte nur der Toten etwas sagen, was sie hoch erfreut hätte, wenn sie es hätte erleben dürfen.« Wie im Traum wandelnd schritt er, den Knaben auf den Armen haltend, dem Ausgange zu. Dann blieb er plötzlich stehen und sagte: »Auch du sollst es wissen, und bald wird es ja die ganze Stadt erfahren: mir ist eine hohe Ehrung zuteil geworden. Der Rat von Frankfurt hat mich zum Syndikus seiner Stadt gewählt.«

Tödlich erschrocken blickte sie ihn an. Alles Blut wich ihr aus den Wangen, und sie preßte unwillkürlich die Hand auf ihr Herz. Es war ihr, als drehe sich alles um sie her und als solle sie umsinken. Zog er fort nach der fernen großen Stadt am Main, so kam er ihr ganz aus den Augen, denn schwerlich würden die Eltern ihr erlauben, so weit mit ihm zu gehen.

»Und du willst – du willst dem Rufe folgen?« stammelte sie.

Er hatte wohl gar nichts von ihrer Erregung gemerkt, denn mit derselben ruhig freundlichen Stimme, durch die eine leise Wehmut hindurchzitterte, gab er zur Antwort: »Es ist für mich eine große Verlockung, denn Frankfurt gehört ja unter die edelsten und größten und reichsten Städte des Reiches und hat eigentlich nur Nürnberg über sich. Aber die Botschaft kam zur unrechten Stunde, denn nun bindet mich außer so vielem anderem an diese Stadt auch noch ein Grab. Ich bleibe hier, und weil der Rat durchaus nicht wollte, daß ich wegzöge, so habe ich mich heute auf sein Drängen in die Gilde der Kaufherren aufnehmen lassen. Sie wollen mich mit der Zeit zum Ratsherrn und zum Bürgermeister machen. Dazu muß ich einer Gilde angehören.«

Anna jubelte innerlich und erglühte über und über. Es kam ihr sehr gelegen, daß jetzt der kleine Hans seine Ärmchen nach ihr ausstreckte und sie sich mit dem Kinde zu schaffen machen konnte. So gelang es ihr einigermaßen, ihre Verwirrung zu verbergen und ihrer Gefühle Herr zu werden. Aber ihre heiß aufquellende Freude machte sie so unbesonnen, daß sie laut ausrief: »Du bleibst? O ich danke dir! Ich danke dir!«

»Du dankst mir? Warum?« fragte er erstaunt.

Sie hob das Kind zu sich empor und preßte es fest an sich, damit er ihre brennenden Wangen nicht sähe. Dann sagte sie mit halberstickter Stimme: »Ich habe Ursula gelobt – du weißt es – daß ich ihre Kinder wolle betreuen wie eine Mutter. Das könnt' ich nicht, gingest du nach Frankfurt. Meine Eltern würden nicht leiden, daß ich mit dir und den Kindern zöge.«

Er nahm ihre Hand, und es war ihr, als durchzucke sie ein Schlag, und sie begann heftig zu zittern. Aber kühl-freundlich klang seine Stimme, als er sagte: »Du bist ein gutes Mädchen, Anna, und Gott wird dir's lohnen, was du an den Verlassenen tust. Ich müßte sie sonst in fremde Pflege geben.«

Da senkte sie das Haupt und erwiderte nichts. Aus dem Ton, in dem er das sagte, merkte sie, daß er nur für seine Kinder froh war über die Aussicht, sie in seinem Hause zu haben. Ihm selbst war sie wohl noch gar nichts als eine junge Verwandte, die er gern hatte und schätzte – mehr vielleicht als manche andere, aber vornehmlich doch wahrscheinlich nur deshalb, weil die Verstorbene sie so lieb gehabt hatte. Es mochte wohl lange währen, bis sie ihm mehr ward und sein Gemüt sich ihr zuwandte. Einstweilen, das gelobte sie, wollte sie den Kindern ihre verstorbene Mutter nach besten Kräften zu ersetzen suchen. Es waren ja seine Kinder.


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