Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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VIII.

Michael Meyenburg war auf der Rückreise von Worms im Hause des Eisenacher Ratsherrn Hans Cotta eingekehrt. Er hatte sich den Mühlhäusern angeschlossen, die vom Reichstage zurück in ihre Heimat zogen, denn es war ihm nach seiner übeln Erfahrung auf dem Hinwege rätlich erschienen, mit einem Trupp stark bewaffneter Männer durchs Land zu reiten. Seine Reisegenossen mit ihren Knechten nächtigten im benachbarten Hellgrevehof, und am nächsten Morgen wollte er mit ihnen über Mühlhausen heimreisen nach seiner Stadt.

Jetzt saß er mit seinem Gastfreunde allein beim Abendessen, denn Cottas junge Gattin lag eben im Kindbett, da sie vor fünf Tagen eines Knäbleins genesen war, und Herr Kaspar Schalbe, Cottas Vetter, hatte nicht erscheinen können, da er erst am späten Abend von Gotha zurückerwartet wurde. Trotzdem bewirtete Herr Cotta seinen Gast in der üppigsten Weise, als wäre der gebietende Bürgermeister von Nordhausen selbst bei ihm eingekehrt. denn er zeigte gern seinen Reichtum und war dem klugen und gelehrten Stadtschreiber sehr wohlgeneigt. Zudem aß und trank er selber gern etwas Gutes und bot jedem, der bei ihm zu Gaste war, ein anfeuerndes Beispiel dar.

So schmausten und zechten die beiden wacker und mannhaft und unterhielten sich dabei über die großen Ereignisse des Tages. Meyenburg hatte seinem gespannt lauschenden Wirte schon zum zweiten Male erzählt, wie Doktor Luther zu Worms vor dem Kaiser gestanden, und der Eisenacher Ratsherr ward nicht müde, immer neue Einzelheiten von ihm zu erfragen.

»Er war vorgestern in unserer Stadt,« sagte er, »aber mehr als einen Händedruck und ein paar Worte konnt' ich nicht von ihm erlangen. Die ganze Bürgerschaft hatte ihn eingeholt, er wohnte beim Schultheißen, und da war des Gedränges den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein so viel, daß mich's wundernahm, wie er es aushielt.«

»Da hättet Ihr erst sehen sollen, wie es in Worms zuging!« rief Meyenburg. »Ratsherren und Ritter, Grafen und Fürsten des Reiches zogen im Johanniterhof, wo seine Herberge war, beständig aus und ein, und das Volk hielt das Haus umlagert. Er konnte keinen Schritt gehen, ohne daß eine große Menge ihm nachfolgte.«

»Er ist nach Möhra gefahren, seine Sippe zu besuchen,« versetzte Cotta. »Ich meine, morgen kommt er zurück und wird noch einmal hier nächtigen.«

»Wie? Ihr erwartet ihn noch einmal? Ich will nicht unbescheiden sein, Herr Cotta, aber dann möcht' ich Euch herzlich bitten, behaltet mich noch einen Tag und eine Nacht bei Euch. Ich sagt' Euch schon, daß er mir geboten hat, die Schrift zu lesen. Nun habe ich mir in Worms durch Justus Jonas eine Schrift besorgen lassen und habe fleißig darin gelesen, auch auf der Reise, wenn ich in die Herberge kam. Der Mühlhäuser Bürgermeister Rodemann, der mit mir reiste, sah's mit scheelen Augen an, denn er ist der neuen Lehre feind. Da möcht' ich ihn mancherlei fragen, und er, mein' ich, wird mir die Antwort nicht weigern und mir gern Rede stehen.«

»Ihr habt's ja eilig,« erwiderte Cotta lächelnd. »Ich brauch' Euch nicht zu sagen, Herr Michael, daß Ihr mir ein lieber Gast seid. Bleibt bei mir, solange Ihr möget. Ich fürchte fast, Freund, Ihr werdet Eure Stadtschreiberei in Nordhausen aufgeben und mit Martinus gen Wittenberg ziehen, die Theologie dort zu studieren.«

»Dasselbe sagte mir schon der Frundsberger in Worms,« lachte Meyenburg. »Nein, fürchtet das nicht. Das würde sich zu meiner Natur nicht schicken, wäre ihr wohl sogar ganz zuwider. Ich bin gemacht für die Händel dieser Welt, nicht für einen Predigtstuhl. Auch mag Gott im Himmel wissen, ob Martinus in Wittenberg bleiben kann. Ich weiß es von sicherer Hand, daß der Kaiser ihn wird in des Reiches Acht erklären.«

»Ob er's wagen wird?« warf Cotta ein.

»Er wird es wagen,« erwiderte Meyenburg. »Sein Gemüt ist Luthers Sache nicht geneigt. Sie erzählten in Worms, er habe gesagt, der Mönch werde ihn nicht zum Ketzer machen. Auch wissen wir nun, daß er ganz in der welschen Pfaffen Hand ist. Ach, Herr und Freund, der deutsche Kaiser ist kein Deutscher, obschon er von deutschem Blute ist! Aber das spanische Geblüt in ihm ist übermächtig. Wie seine Sprache welsch ist, so ist auch sein Denken welsch. Er paßt nicht zu uns und wir nicht zu ihm. Da ich ihn sitzen sah auf seinem Throne, den bleichen, finsteren Knaben, da entsank mir das Herz, und ich ward erkältet gegen ihn und hatte doch so viel von ihm erhofft.«

Auch Cotta blickte jetzt sehr ernsthaft in sein Kelchglas hernieder. »Wagt er's wirklich,« sagte er nach einer Weile, »so wird das deutsche Volk den Luther schützen.«

Meyenburg machte eine wegwerfende Gebärde. »Ich hoffe nur auf einen, den Kurfürsten von Sachsen. Ritter, Bürger, Bauern sind untereinander uneins. Greifen die Ritter zu den Waffen, so bleiben die Bürger und Bauern fern, und so sich etwa das Landvolk erheben möchte, würden die Ritter helfen, es niederzuwerfen. Nur der Kurfürst hat die Macht, Martinum zu schützen, aber er muß sich dann nicht scheuen, zu den Waffen zu greifen, wenn's aufs Äußerste käme. Nun ist er ein wackerer und weiser Herr, aber er steckt auch voller Bedenken und ist alt und zum Frieden geneigt. Wird er dem Kaiser trotzen? Oder wird er nachgeben und den Luther von sich lassen? Was wird werden?«

»Ja, was wird werden?« wiederholte Cotta mit einem Seufzer. »Es wird viel davon geredet, daß der Sickingen ihn schützen wolle.«

»Das will er wohl. Aber was ist Sickingen? Ein paar feste Burgen und einen tollkühnen Mut – das hat er. Mehr nicht. Gegen des Kaisers Macht und Majestät richtet er nichts aus. Da muß ein Stärkerer heran.«

»Der alte Herr, der Kurfürst,« sagte Cotta, »hat was nicht viele haben: ein Gewissen, und sein Bruder Hans ist von der gleichen Art. Wenn die beiden die Sache für Recht erkennen, so halten sie auch fest daran und lassen sich nicht irre machen. Trinken wir auf meiner Fürsten Wohl! Ich meine, wir können uns auf sie verlassen. Aber mir schwant, es werden wilde Zeiten kommen,« fuhr er fort, indem er die Gläser von neuem füllte. »Oh, Freund Michael, wie wunderlich ist doch die Weit! Blickt dorthin! Da saß Martinus oftmals des Abends, als er noch ein Knabe war. Mein Vater und meine Mutter hörten es gern, wenn er die Laute spielte und sang, und ich, ein Kind von sechs – sieben Jahren, freute mich auch daran.«

Er ergriff den Armleuchter, der auf dem Tische stand, und hob ihn hoch empor, um ein Bild an der Wand zu beleuchten. Aus einem reichgeschnitzten Holzrahmen, dessen Gerank vergoldet war, schaute ein feines, gütiges Frauengesicht hervor. Der Künstler aus Florenz, der vor dreißig Jahren das Bild gemalt hatte, war ein Meister gewesen, denn die Züge waren so lebendig, als sollte der Mund eben anheben zu sprechen.

»Meine Mutter, wie sie als junge Frau war,« sagte der Kaufherr. »Sie hatte den Martinus fast so lieb, als wäre er ihr eigen Kind. Aber was sie wohl sagen würde, sähe sie ihn jetzt! Als er ins Kloster ging und so viele meinten, er wäre töricht und närrisch worden, da hielt sie ihm allein die Stange und meinte, er hätte recht und gut getan. Denn je älter sie wurde, desto frömmer wurde sie und betete viel zu Sankt Elisabethen, daß sie ihr einst eine Fürsprecherin sei bei dem lebendigen Gott. Noch im Sterben setzte sie auf die Heilige ihr ganzes Vertrauen. Nun will Martinus, daß niemand mehr soll zu den Heiligen beten, lehrt auch, daß kein Mensch jemals sei heilig gewesen ohne allein unser Herr Christus. Deshalb wäre sie ihm sicherlich gram geworden und hätte ihn als einen Zerstörer der Kirche geachtet, und sie hätte den Tag verwünscht, an dem sie ihn in ihr Haus genommen. Das wäre ihr ein großes Leid gewesen. Es ist wohl gut, daß sie es nicht hat erleben müssen.«

Meyenburg nickte. »Wenn die Welt sich verändert von Grund aus, wie in unseren Tagen, so ist der Tod den alten Leuten zumeist eine Wohltat. Denn sie können sich nicht mitverändern, wie die jungen es vermögen, und so werden sie einsam in ihrem Herzen und kehren sich ab in ihrem Gemüte von denen, die sie lieb hatten.«

»Ja,« rief Cotta, »wir hätten unsere Gesinnung vor ihr müssen verbergen und verstecken, ich und mein Weib, sie wäre uns sonst vielleicht gram geworden. Denn das sollt Ihr wissen: meine Ursula – sie heißt, wie meine Mutter hieß – ist eine gute Lutherin!«

»Trinken wir auf ihre Gesundheit!« sagte Meyenburg verbindlich. »Und auch auf die Gesundheit des Knäbleins, das sie Euch geboren hat. Möge das Kind, wenn es zu seinen Jahren kommt, werden wie sein Vater und sein Altervater war.«

»Ich dank' Euch, werter Freund!« rief Cotta, und die Augen wurden ihm feucht, während er trank, denn er war von warmem Gemüte und wurde leicht gerührt. »Ich danke Euch,« wiederholte er dann und setzte vertraulich hinzu: »Warum seid Ihr ein Hagestolz geblieben? Ihr seid doch nur wenige Jahre jünger denn ich. Wie gern tränke ich auf die Gesundheit eines Weibes, das Euch lieb wäre!«

»Das könnt Ihr,« erwiderte Meyenburg mit einem hellen Lachen. »Und ich will Euch sagen, sie heißt ebenso wie die Eure!«

»Potz Tausend!« rief Cotta, und seine freundlichen Augen glänzten vor Teilnahme und Neugier. »Wo wohnt die Maid, und wer ist sie, die Euer sprödes Herz gewonnen hat?« Ehe Meyenburg antworten konnte, kehrte er sich auf einmal von ihm ab und lief zur Tür, denn draußen waren Stimmen laut geworden. »Es ist mein Vetter Kaspar,« sagte er. »Sonst seh' ich ihn immer gern, jetzt aber kommt er mir ungelegen, denn er stört uns. – Grüß Gott, Kaspar!« wandte er sich dem Eintretenden zu. »Haben sie dir zu Hause gesagt, daß du solltest zu mir kommen, und daß Herr Michael bei mir ist?«

Der junge Mann, der während dieser Worte ins Zimmer trat, sah erhitzt und so verstört aus, daß Cotta erschrocken rief: »Was ist dir denn? Ist dir ein Unglück zugestoßen?«

»Gib mir ein Glas Wein!« erwiderte Schalbe mit gepreßter Stimme. »Ich bin scharf geritten von Gotha her.«

Er stürzte das große Gefäß voll Wein, das sein Vetter ihm bot, auf einmal hinunter und stellte es dann mit zitternden Händen auf den Tisch. »Red! Ist ein Unglück geschehen?« drängte Cotta.

»Ja, Herr und Freund, ein großes Unglück. Martinus Luther ist von Reitern überfallen und weggeführt worden!«

Meyenburg und Cotta fuhren mit einem Schreckensruf auf und starrten dem Unglücksboten entsetzt ins Gesicht. »Woher weißt du das?« rief Cotta.

»Es war ein Mensch in Gotha, der hatte es selber mit angesehen. Petzensteiner hieß er, ein Mönch vom Augustinerorden. Er hatte Luther begleitet nach Worms und wieder zurück. Der erzählte, da sie nahe gewesen wären bei einem Dorfe mit Namen Schweina, da wären Reiter aus dem Walde herfürgebrochen, und der Oberste von ihnen hätte rauh geredet mit dem Knechte, der den Wagen führte, hätte auch eine Armbrust auf ihn angelegt. Und als dann noch einer mit seinem Knechte war auf sie zugesprengt, da wäre er, Petzensteiner, vor Angst aus dem Wagen gesprungen und habe sich ins Gebüsch geworfen. Habe aber noch gesehen, daß sie Martinum mit Gewalt auf ein Roß gehoben hätten und mit ihm davongejagt seien. So weiß denn Gott allein, wo der teure Mann jetzt ist und ob er noch sein Leben hat. Gehabt euch wohl. Freunde, ich will heim. Mich lüstet nicht danach, zu essen und zu trinken. Werde wohl krank werden vor Schrecken und Verdruß, schon ist mir's, als schüttle mich der Frost. Ich will heim zu meinem Weibe. Gehabt euch wohl!«

Er schritt aus der Tür hinaus, so schnell, wie er gekommen, und ließ die beiden in einem bedrückten Schweigen zurück. Endlich begann Cotta: »Ob die Botschaft wirklich die Wahrheit kündet? Ich mag's kaum glauben.«

»Wenn der Mönch selber dabei gewesen ist, wird sie wohl stimmen,« entgegnete Meyenburg trübe. »Ich habe mich baß verwundert, als mir in Oppenheim, da ich zurückreiste, der Ehrenhold des Kaisers begegnete. Martinus hatte ihn von sich gelassen und ihm gesagt, er brauche ihn nimmer.« »Ich kann's nicht glauben,« wiederholte Cotta nach einer Weile. »Bei uns sind die Landstraßen so sicher! Hierzulande wagt kein Ritter zu reiten wider jemanden gegen unserer Fürsten Willen. Wer sollte sich nun solcher Tat unterwunden haben!«

Meyenburg sprang so plötzlich und jäh empor, daß sein Glas vom Tische rollte und zerbrach. Seine Augen blitzten. »So sind sie vielleicht geritten nach der Fürsten Willen!« rief er. »Ja, Herr Hans, so wird's sein. Der Kurfürst läßt ihn in ein sicheres Gewahrsam bringen, um ihn zu schützen vor den Folgen der Acht! Er läßt aussprengen im Reiche, Feinde hätten ihn mit Gewalt fortgeführt, er wisse nicht, wo er sei, und der Kaiser kann nichts von ihm erlangen, wenn er den Achter fordert. Die Meißner sind von alters her kluge und listige Leute, und Brück, Feilitzsch und Thun, des Kurfürsten Kanzler und Räte, sind alle drei schlaue Füchse.«

Cotta blickte ihm zuerst verblüfft ins Gesicht, dann brach er in ein kräftiges Lachen aus. »Wahrlich, Freund Michael,« sagte er wieder ganz heiter, »Ihr wißt einem das Gemüt wieder aufzurichten. Weiß Gott, so wird es sein! Das sähe dem Kurfürsten ganz ähnlich. Er wird Martinus in Sicherheit haben bringen lassen, auf daß er seiner Feinde lachen kann.«

Der fröhliche, leichtlebige Mann war mit einem Male ganz verwandelt. Er holte ein neues Glas aus seinem Schranke und goß es bis an den Rand voll Wein, und mit seinem Glase tat er das gleiche. Dann hob er es empor und rief: »Trinken wir auf unseres Martinus glückliche Errettung! Mir ist so frei und leicht worden nach Eurer Rede – ich meine, Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen!«

Es schien ein frohes Gelage beginnen zu wollen, aber seinem Gastfreund ward's nicht so leicht wie ihm, aus einer Stimmung in die andere zu fallen. Er tat ihm zwar den Willen und leerte sein Glas bis auf den Grund, aber sein Angesicht blieb ernst und düster, und weiterem Einschenken seines Wirtes wehrend, erhob er sich.

»Verzeihet mir, werter Freund, wenn ich mein Lager aufsuche,« sagte er. »Mir ist das Herz beschwert, denn wir können wohl raten, was mit Martinum geschehen ist, wissen's aber nicht, und es kann Wochen, es kann Monde dauern, bis wir's erfahren.« Mit einer finsteren Entschlossenheit, die den fröhlichen Cotta geradezu erschreckte, setzte er hinzu: »Als ich ihn stehen sah zu Worms, da ward ich erst ganz sein Freund. Ich erkannte, daß er Gottes erwähltes Rüstzeug ist. Hier gibt es nun für mich kein Zaudern und Schwanken mehr. Haben sie ihn etwa totgeschlagen, so müssen seine Schüler vor! Er lebe oder er sei tot, wir müssen auf den Plan! Komme ich heim nach Nordhausen, so will ich die Stadt zu seiner Lehre bringen!«


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