Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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I.

Der Bürgermeister Michael Meyenburg stand vor einem hohen venetianischen Spiegel, einem Geschenk seines Gönners, des Grafen von Mansfeld, und betrachtete sich ernst und nachdenklich. Er hatte die Bürgerschaft in die Sankt Blasienkirche bestellt, um dort zu ihr zu reden, darum wollte er nachsehen, ob seine Krause richtig säße, und ob der güldene Pfennig, den er an der silbernen Kette trug, genau in der Mitte des seidenen Wamses hinge. Da blieb sein Blick auf seinem Antlitz haften, das ihm aus dem Spiegel entgegenschaute, und er verwunderte sich. Zum ersten Male fiel ihm auf, wie viele Falten und Fältchen die Jahre und die Sorgen in sein Gesicht eingegraben hatten und wie zahlreiche Silberfäden Haupthaar und Bart durchzogen. Er wußte es ja, daß er über die Höhe des Lebens hinaus war, und gerade in der letzten Zeit hatte er hin und wieder gefühlt, daß ihm manches schwer wurde, was er früher mit spielender Leichtigkeit hatte vollbringen können. Aber noch nie war es ihm so deutlich, so überwältigend zum Bewußtsein gekommen, wie in diesem Augenblicke: daß er an der Schwelle des Alters stand.

Sein Blick wurde düster bei diesem Gedanken, und er verdüsterte sich noch mehr, als er über die Bilder an der Wand hinglitt. Da hingen sie alle, gemalt von der Hand bedeutender Meister, die Männer, die in seinem Leben eine Rolle gespielt, die ihm etwas bedeutet hatten. Aber wo waren sie hin? Wo war Erbanus Hessus, der weinfrohe Poet? Wo war der große Glaubenskämpfer Doktor Martin Luther? Wo war Erasmus von Rotterdam? Alle dahingegangen nach dem Lande, von wo es keine Wiederkehr gibt. Nur einer von ihnen allen lebte noch, Philipp Melanchthon, aber der war ihm zur Zeit entfremdet, weil er sich allzu weich und mattherzig in Sachen des Glaubens gezeigt hatte. Das konnte er ihm nicht verzeihen, und er dachte schon daran, sein Bild zu entfernen. Aber er hatte des Erasmus Bild nicht entfernt, obwohl der wider die reine Lehre geschrieben hatte, um sich die Gunst der Pfaffen und seine Jahrgelder, die er von hohen Gönnern bezog, nicht zu verscherzen. So mochte denn auch das Bild des Mannes hängen bleiben, dessen Sünde seine Ängstlichkeit und Schwäche war.

»Die einen nimmt der Tod, die anderen nimmt das Leben,« murmelte er vor sich hin, als er die einstmals geliebten Züge des Freundes betrachtete, und seufzte tief auf.

Frau Anna, die gerade in das Gemach trat, eilte besorgt auf ihn zu. »Was ist dir, Michael?« fragte sie. »Fühlst du dich krank?«

»Nein, ich bin nicht krank und fühle mich nicht krank,« erwiderte er und strich ihr leise über die Wange. »Nur müde bin ich heute, denn ich habe wieder einmal schlecht geschlafen. Ich schlafe jetzt alle Nächte schlecht, seitdem Heune aus dem Stifte entwichen ist und uns Fehde angesagt hat.«

Anna blickte ihn verwundert an. Eine stattliche Zahl von Jahren war sie mit ihm schon verheiratet, aber jetzt geschah es zum ersten Male, daß er eine Besorgnis äußerte. Seltsam, daß er es tat einer Gefahr gegenüber, die sie selbst nicht hoch einschätzte! »Vor dem kannst du dich doch leicht schützen!« erwiderte sie. »Was kann dir das armselige Pfäfflein schaden?«

»Mir nicht viel, wenn ich vorsichtig und wachsam bin. Aber dieser boshaftige Holofernes hat nicht nur mir Fehde angesagt und Rache geschworen, sondern der ganzen Stadt. Und er hat ein paar verzweifelte Leute in seinem Dienste. Es hat einer seinen Brief mit unterschrieben, von dem ich dachte, er wäre tot, Heinz Kehner, den ich selbst habe vom Pferde geschossen vor Jahren.«

»Nun, hat er dir in der ganzen Zeit nichts anhaben können,« fiel ihm Anna in die Rede, »so steht es wohl auch weiterhin nicht zu befürchten. Vorsichtig bist du ja, Gott sei es gedankt, geworden. Mit weniger als drei Knechten reitest du niemals aus.«

»Ich sage dir nochmals: mir ist's nicht um mich, mir ist's nur um die Stadt. Denke an das Jahr vierzig, wie da die Papisten hatten Mordbrenner ausgesandt, und wie bei uns der Königshof verbrannte und der Walkenrieder Hof und so viele andere Häuser. Von Wolfenbüttel gingen die Meuchelbrenner aus, und von Wolfenbüttel hat uns der Heune den Brief gesendet. Zu solchem Werke braucht's nicht großer Macht. Das können ein paar verzweifelte Bösewichte, die sich in die Stadt einschleichen, gar wohl vollbringen.«

»Willst du den Brief nicht an den Kaiser schicken, daß sie als Landfriedensbrecher erklärt werden in des Reiches Acht und Aberacht?«

»Noch haben sie nur Böses angedroht, nichts Böses getan. Drohungen straft der Richter nicht, es mögen vielleicht leere Worte bleiben. Auch steht Nordhausen zurzeit nicht eben gut beim Kaiser, und es kann sein, daß es bald ganz schlecht bei ihm steht.«

»Du meinst wegen des Interim?«

Meyenburg nickte. »Ich kann die Schrift nicht unterzeichnen, die Gottes Wort und Gebot zuwider ist und die Wahrheit des Evangeliums verleugnet. Mag Philippus mit seinen Helfern die Worte noch so glatt und schön drehen und wenden, daß es schillert und gleißt, als wäre Gottes Wort wohl gewahrt und als gebe man den Römlingen nur in geringen Dingen nach – es ist nicht so. Nichts hat mich in meinem Leben so erbost, als daß unser Prediger die Mähr hat aufgebracht, ich hätt' in Augsburg heimlich in das Interim gewilligt dem Kaiser zu Gefallen. Wer das sagt, der sagt eine Lüge, und die will ich ihm in seinen Hals stoßen.«

»Es haben's wohl nur wenige geglaubt in der Stadt,« begütigte Anna.

»Schlimm, wenn es auch nur etliche geglaubt haben!« rief Meyenburg heftig. »Man sollte mich besser kennen in Nordhausen, wo ich nun über vierzig Jahre wirke. Der Pfarrherr wird mir Rechenschaft geben von seinem Geschwätz. Ich werde ihm das Maul stopfen. In Sachen der Religion gibt es für mich kein Paktieren. Es käme mich sauer an, das sage ich dir ehrlich, wenn ich müßte meine Ehren und Würden und Güter im Stich lassen. Aber ehe ich abtreten würde von Doktor Luthers reiner Lehre, eher ginge ich ins Elend.«

»Da würdest du mich gewißlich an deiner Seite finden!« rief Anna und faßte seine Hand.

»Das weiß ich. Bist du doch eifriger als ich in solchen Dingen. Du bist nur ein Weib, aber von männlicherem Geist als Philippus, der sich hat vom Teufel verblenden lassen, daß er nun hinket auf beiden Seiten. Daß er abgewichen ist vom geraden Wege und einen Pakt schließt mit dem Antichristen, das tut mir weher als alles andere in dieser bösen, betrübten Zeit.«

»Ja,« rief Anna, »es reut mich fast, daß wir ihm mit allen den Seinen haben Schutz und Herberge gegeben in unserem Hause auf so viele Monate, als die Wittenberger flohen nach der Mühlberger Schlacht.«

»Laß dich das nicht gereuen! Ich hoffe immer noch und bete darum jeden Tag, daß Gott ihn möge erleuchten und zurückbringen von seinem Irrtum. So er sich bekehrt und mich dann sucht, so will ich mich von ihm finden lassen. Es wird mir mit den Jahren immer schwerer, die alten Freunde zu missen. Von denen, die mir am nächsten standen, ist er der letzte.«

»Mir würde es nicht leicht werden, ihn wieder freundlich anzusehen, obschon er mir sehr lieb und wert war,« sagte Anna. »Ging's nach mir, so fordertest du von ihm auch die fünfhundert Goldgulden zurück, die du ihm vorgestreckt hast ohne Zinsen.«

»Ich will ihn nicht ängstigen und drängen. Er hat viel Einbuße gehabt in den letzten Jahren,« erwiderte Meyenburg und wandte sich nach seinem Sohne Johannes um, der eben das Zimmer betrat. Er war ein hochgewachsener Jüngling mit seinen, bleichen Zügen, seiner verstorbenen Mutter sehr ähnlich.

»Was willst du, Hans?« fragte Meyenburg.

»Vater, ich wollte Euch nur sagen, die Herren Räte ziehen schon in die Kirche. Wird's da nicht auch Zeit für uns?«

»Gewiß. Hohe Zeit,« erwiderte Meyenburg und setzte sich schnell das Barett aufs Haupt. »Leb wohl, Anna, du weißt ja, was ich vorhabe. Bete, daß mir's gelinge!«

»Das will ich tun, Michael. Gott gebe deinen Worten Kraft!«

Meyenburg schritt rasch die Treppe hinunter. In der Hausflur gesellte sich auch sein zweiter Sohn Christof zu ihm, ein kraftvoller, untersetzter junger Mann, der mehr nach dem Vater geraten war. Daß er einst ein schwaches, zartes Knäblein gewesen war, sah ihm jetzt niemand mehr an.

Gefolgt von seinen beiden Söhnen erster Ehe, betrat der Bürgermeister das Gotteshaus, das bis auf den letzten Platz gefüllt war. Alle Männer der freien Reichsstadt, die den Bürgereid geschworen hatten und wehrhaft waren, harrten hier dessen, was ihr derzeitiges Oberhaupt ihnen künden wollte. In den Stühlen des hohen Chors, wo früher die Domherren gesessen hatten, saßen jetzt die Ratsherren und die lutherischen Geistlichen der Stadt.

Gerade vor den Stufen des Altars stellte Michael Meyenburg sich auf, und sogleich trat eine lautlose Stille ein.

»Ehrbare Ratsherren! Liebe Bürger!« rief er mit seiner markigen Stimme, die stark und voll bis in den letzten Winkel drang. »Wir haben uns hier versammelt zu einem Geschäft, das nicht weltlich ist, denn es handelt sich dabei um die Religion. So wollen wir denn tun, wie man zu tun pflegt am Anfange eines Gottesdienstes. Wir wollen unsere Tagung anheben mit einem Liede, das wir singen zum Bekenntnis unseres Glaubens.«

Er reckte sich hoch empor und hub an zu singen: Ein feste Burg ist unser Gott, und sogleich fiel die gesamte Bürgerschaft ein. Alle diese Männer wußten gar wohl, um was es sich bei ihrer heutigen Tagung handelte, und daß ihr teurer evangelischer Glaube in tödlicher Gefahr schwebte. Darum sangen sie das Lutherlied mit einer Kraft und Inbrunst, wie es in Nordhausen noch nie erklungen war. Wie Sturmesbrausen dröhnte die gewaltige Melodie durch die weite Halle der Kirche.

»Liebe Bürger,« begann darauf Meyenburg von neuem. »Ihr wisset, weshalb euch der Rat hierher berufen hat. Gott hat nach seinem Ratschluß dem Kaiser den Sieg gegeben über die Fürsten und Städte des Schmalkaldener Bundes. Mit der Hilfe seiner spanischen Knechte ist er in Deutschland so mächtig geworden, wie er noch niemals war vordem. Nun will er die Kirche wieder vereinigen und hat deshalb ein Konzil ausgeschrieben nach der Stadt Trient in Italien. Das soll die Sätze des Glaubens bestimmen, die hinfüro gelten sollen in der Christenheit. Bis dahin aber sollen wir uns halten nach den Sätzen des Interims, das, Gott sei es geklagt, hochberühmte Theologen von den Unseren zusammen mit den Theologen des römischen Papstes aufgestellt haben. Ihr kennt es alle und wißt, daß darin die göttliche Wahrheit verdunkelt ist, die Doktor Luther in die Welt gebracht hat als Evangelist der Deutschen und ein Prophet des höchsten Gottes. Es werden uns zugestanden etliche Dinge, daß die Priester sollen Weiber haben dürfen und daß jedermann, auch der Laie, das Abendmahl unseres Herrn Christi solle empfangen dürfen unter beiderlei Gestalt und anderes mehr. Aber das Hauptstück unserer Religion wird nicht zugestanden, nämlich, daß wir verlorene und verdammte Menschen vor Gott gerechtfertigt werden allein durch den Glauben. Davon ist in der Schrift, genannt das Interim, kaum die Rede. Auch soll die Messe wieder lateinisch gehalten werden, und alle Christen sollen wieder dem Papste und seinen Bischöfen untertan und gehorsam sein.«

Hier erhob sich ein Gemurmel des Unwillens, das zum Brausen anschwoll. Meyenburg hielt inne, bis es verklungen war, und fuhr dann fort: »Zwar heißt es, der Papst solle nicht ein Führer und Herr sein über alle Christen, sondern nur der Erste unter den Bischöfen. Aber ihr kennt das alte Sprichwort, liebe Bürger: ›So man dem Teufel den Finger reicht, so nimmt er die ganze Hand.‹ So würde der Papst auch tun. Läßt man ihn wieder herein und gibt man ihm auch nur die geringste Macht, so würde er bald wieder alle Pfaffen und Laien beugen unter das alte Joch, und das Elend würde vielleicht größer, als es jemals war, und er würde wieder die ganze Christenheit betören mit seinen Narreteien und Fündlein.«

»Das muß wahr sein!« schrie eine mächtige Stimme aus dem Hintergründe der Kirche, und »Wir wollen keinen Papst! Nur Christus soll unser Herr sein!« erklang es von einer anderen Seite her.

»Wer das gesagt hat, der hat recht geredet!« rief Meyenburg. »Wir haben in Sachen des Glaubens und des Gewissens nur einen Herrn, das ist Christus. Darum können wir, die Bürgermeister und Räte, dieses Interim nimmermehr anerkennen und unterschreiben. Der Kaiser aber hat verlangt, wir sollten's annehmen und hat uns dreimal seinen Willen kundgetan und uns einen ungnädigen Brief geschrieben und gedroht, er wolle uns zum Gehorsam bringen, so wir uns fürderhin weigern würden. Der Brief ist gestern in unsere Hand gekommen, und wir haben beisammen gesessen die halbe Nacht und beraten, ob wir dem Kaiser, unserm Herrn, könnten zu Willen sein. Aber wir haben uns erinnert an das Wort der Schrift: Man muß Gott mehr gehorchen, denn den Menschen, und haben auch gedacht an das Wort, das Doktor Luther zu Worms gesprochen hat vor demselbigen Kaiser, daß gegen das Gewissen zu handeln unheilsam und gefährlich ist. Dann haben wir den Beschluß gefaßt, wir wollten nicht willigen in des Kaisers Verlangen und das Schriftstück, genannt das Interim, nicht unterschreiben. Da es aber bei diesem Handel gehet um Ehre und Gut und Leib und Leben aller Bürger unserer guten Stadt, so haben wir wollen hören, wie ihr gesinnt seid und ob ihr hinter dem Rate stehen wollt in dieser Sache, oder aus Furcht vor des Kaisers Macht und Gewalt das tun wollt, was er uns befiehlt. So euch das gefällt, so sucht und wählt euch andere Bürgermeister und andere Räte, denn ich unterschreibe niemals, solange ich noch ein Glied rühren kann, und meine Ratsgesellen auch nicht!«

»Nein, bei Gott nicht!« rief der alte Bürgermeister Herbitzhausen dazwischen.

»Liebe Bürger!« fuhr Meyenburg fort, »wir haben eben gesungen ›Laßt fahren dahin‹, nun müssen wir zeigen, ob wir auch danach tun und leben können. Und es steht für euch die Frage also: Nehmet ihr das Interim an, so habt ihr einen gnädigen Kaiser, aber einen ungnädigen Gott. Nehmt ihr's nicht an, so habt ihr einen ungnädigen Kaiser, aber einen gnädigen Gott. Dazwischen wählet!«

Einen kurzen Augenblick schwieg das Volk. Dann sagte ein alter Schmied mit schneeweißem Haar, der ganz vorn stand, mit lauter, fester Stimme: »Dann wählen wir den gnädigen Gott!«

»Ja, ja! Den gnädigen Gott!« erklang es von allen Seiten.

»Wer also will, daß wir des Kaisers Verlangen sollen ablehnen und es lassen darauf ankommen, was er tut, der hebe die rechte Hand empor!« rief Meyenburg.

Alle Hände erhoben sich, denn auch die insgeheim Zaghaften wagten es nicht, sich auszuschließen.

»Ich danke euch, liebe Bürger, und so Gott will, gelingt es mir doch, das Schlimmste von unserer Stadt abzuwenden,« sprach Meyenburg. »Ihr wißt, daß ich gute Freunde habe in des Kaisers Nähe, die machen vielleicht, daß er uns nicht allzu heftig zürnt. Vermögen sie aber nicht, sein Gemüt zu besänftigen, so müssen wir des Kaisers Zorn tragen um Gottes willen. Magdeburg, die werte Stadt, hat uns ja ein Exempel gegeben, und sie trotzt seiner Macht noch ungebrochen.«

»Und dieweil wir,« rief Herbitzhausen, »unsere Versammlung angefangen haben mit einem Liede, so lasset sie uns auch mit einem Liede beschließen!« Und er stimmte an: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort.

Nachdem der Choral verklungen war, ging die Bürgerschaft still auseinander. Meyenburg aber wandte sich nach den Ratsherren und sprach: »Gefällt es euch, ihr Herren, so gehen wir sogleich auf das Rathaus und stellen die Antwort fest, die wir der kaiserlichen Majestät geben wollen. Euch, ihr Pfarrherren, bitte ich gleichfalls, mir dorthin zu folgen, denn ich habe euch vor der Sitzung etwas zu sagen.«

Ernst und schweigsam schritten die Ratsherren und Geistlichen, Meyenburg und Herbitzhausen, die beiden Bürgermeister, an der Spitze, dem uralten Gebäude am Kornmarkte zu. Als sie dort angekommen waren, lud Meyenburg die fünf Prediger ein, ihm in das kleine Bürgermeisterzimmer neben der großen Ratsstube zu folgen, und redete sie dann also an: »Würdige, achtbare und günstige Herren! Was ich euch zu sagen habe, geht zwar nur einen von euch an, doch wollen meine Herren, die Räte, daß Eure Würden alle fünf es mit anhören sollen, damit ihr dessen Zeugen seid. Ich bitte euch, derhalben kein Mißfallen zu tragen.«

Nun wendete er sich dem Pfarrer zu Sankt Nikolai zu, einem großen, starken Manne mit rötlichem, eigenwilligen Gesicht. »Meine Rede gilt Euch, Herr Magister Antonius Otho! Ihr habet, um diesen Punkt vornweg zu nehmen, Euren Amtskollegen von Sankt Blasien öffentlich beschuldigt, daß er in etlichen Stücken abgewichen sei von der reinen Lehre Doktor Martin Luthers. Ist dem so?«

Der Pfarrer zu Sankt Nikolai warf den Kopf in den Nacken und erwiderte in hochfahrendem Tone: »Es ist so, Herr Bürgermeister. Und ich habe damit getan, was meines Amtes und meine Pflicht ist. Denn ich bin bestellt, darüber zu wachen, daß der reinen Lehre kein Schaden und Abbruch geschehe.«

»Jawohl,« erwiderte Meyenburg. »Dazu seid Ihr bestellt. Aber von uns bestellt, das wollen Euer Würden nicht vergessen. Und wir, Bürgermeister und Rat, sagen Euch, daß die Zeit zu solchem Gezänk übel gewählt ist. So ein Haus brennt, sollen, die darinnen sind, löschen helfen mit vereinten Kräften, nicht sich untereinander in die Haare fahren. Haben sie dazu Lust oder Ursach, so mögen sie es tun, wenn die Gefahr vorüber ist. So ermahne ich Euch auch, den Frieden dieser Stadt, die so hart bedroht ist, jetzt nicht zu stören, sondern Euren Streit, wenn Ihr ihn denn führen müßt, zu verschieben auf gelegenere Zeit.«

»In Sachen des Glaubens,« hub der Pfarrherr mit hochrotem Gesicht an, aber Meyenburg schnitt ihm mit einer gebietenden Handbewegung das Wort ab und fügte mit erhobener Stimme hinzu: »Das ist unser ernstlicher Wille, und ich rate Euer Würden, Ihr wollet dem ohne Widerstreben nachleben und die Gemüter der Leute nicht weiter ängstigen und verwirren.«

»Wir haben aber,« fuhr er fort, »noch andere Klagen wider Euch. Ihr habet in Sankt Nikolai auf der Kanzel gesagt, ich hätte auf dem Reichstage für den Rat darein gewilligt, ein päpstlich Konzil zu beschicken, das Interim anzunehmen und Geld zu geben zur Hilfe wider die gute Stadt Magdeburg. Davon ist wahr, daß wir dem Kaiser wollen den Willen tun, wenn er ein frei christlich Konzilium will berufen, dasselbe zu besuchen, nicht daß es uns nötig wäre, sondern daß wir unser freichristlich Bekenntnis tun. Daß wir ins päpstliche Konzilium gewilligt, sind wir keineswegs geständig, denn ich, Michael Meyenburg, den Papst für den Teufel halte. In das Interim haben wir so wenig gewilligt, wie in die Hilfe wider Magdeburg, haben dazu keinen Heller und Pfennig gegeben, wiewohl uns geschwinde und harte Briefe des Kaisers sind zugekommen, daß wir Zuzug, Geld, Proviant, Knechte und Geschütze schicken sollten bei Zorn und Ungnade der Kaiserlichen Majestät. Wie wir gesinnt sind, das habt Ihr jetzt in Sankt Blasien können fühlen und merken, und wo Euer Würden von diesen Sachen einen richtigen Bericht und Verstand hätten gehabt, so würdet Ihr richtiger und gescheiter gehandelt haben. Ihr hättet mich und die Räte besser kennen sollen. Die Herren haben allen Fleiß und alle Kosten darauf gewendet, daß sie möchten die besten Prediger hier haben, und ihr alle seid, nach Schickung des allmächtigen Gottes zuvürderst durch mich hierher gebracht worden. Auch Ihr, Herr Magister.«

»Zu meiner Verantwortung, Herr Bürgermeister,« begann der Pfarrherr, der merklich kleinlaut geworden war –

»Nein, zur Verantwortung seid Ihr nicht hier,« fiel ihm Meyenburg in die Rede. »Es sei denn, daß Ihr leugnen wolltet, solche Worte wider Eure Obrigkeit geredet zu haben. Wollt und könnt Ihr das, Herr Magister?«

»Nein,« erwiderte Antonius Otho nach einigem Zögern.

»So habe ich Euer Würden nur zu sagen: Der Rat erwartet von Euch, daß Ihr Euch hinfüro besser bedenken werdet. Und merket, Herr: Den Papst zu Rom haben wir uns vom Halse geschafft, will's Gott, auf immer. So werden wir erst recht nicht leiden, daß sich anstatt des Papstes zu Rom ein Päpstlein zu Nordhausen uns auf den Nacken setzet und sich anmaßet, uns zu imperieren. Das hatt' ich Euch zu sagen. Achtet mit Fleiß darauf. Und nun gehabt euch wohl, ihr Herren!«


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