Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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V.

Etwa eine halbe Stunde lang mochte Meyenburg in seinem Gemache auf und nieder geschritten sein, langsam und schwerfällig, denn die Glieder schmerzten ihn noch gewaltig, als nach einem kräftigen Anklopfen Doktor Luther über die Schwelle trat. »Nun steh ich Euch zu Diensten, Herr,« sagte er, »und nun sprecht mit mir frei von der Leber weg.«

Er nahm Platz auf dem großen Lehnstuhl, den Meyenburg seinem Gaste hinschob, während er selbst auf einem niederen Schemel sich niederließ. Der Stadtschreiber von Nordhausen hatte schon oftmals geredet vor dem Rate seiner Stadt, wo man ihn mit Vorliebe um seine Meinung befragte und ihr häufig folgte. Auch vor Fürsten und Herren und ihren gelehrten Kanzlern und Räten hatte er oft genug als Abgesandter die Rechte seiner Stadt vertreten. Aber als er jetzt dieses Mannes Blick fest auf sich gerichtet sah, da überkam ihn wieder die Befangenheit, die ihn bei seinem ersten Anblick überfallen hatte. Er suchte nach Worten, aber er fand sie nicht.

»Unser Freund Justus,« begann Luther nach einer Weile, »hat mir gesagt, daß der Teufel Euch mit sonderlichen Zweifeln plage. Bin ich recht unterrichtet, so denkt Ihr: der Mönch ist doch allzu kühn, daß er klüger sein will als alle die tausend Doktores und Magistri, die Bischöfe und Kardinäle und die heiligen Väter der Christenheit, die vor ihm gewesen sind und mit ihm leben. Habe ich nicht recht?«

»Ja, Ihr habt recht,« erwiderte Meyenburg, und tief aufatmend setzte er hinzu: »Daß ich's Euch klar und offen sage: ich bin gelehrt von meiner Jugend an, daß der Heilige Geist die Kirche Christi regiere durch den Statthalter unseres Heilands in Rom und durch die geweihten Bischöfe. Ich weiß gar wohl, daß viele von ihnen ein unchristlich Leben führen, und daß insonderheit viele der heiligen Väter in Rom arge Schalke und Schandbuben gewesen sind. Aber bleibt Gold nicht immerdar Gold, auch wenn es einer aufhebt in schmutzigen Gefäßen? Sollte nicht also auch Gottes heiliger Geist wohnen und wirken in den sündigen Menschen, wenn es Gott so gefällt? Und es hat ihm so gefallen, auf daß die Christenheit allezeit Heiligen Geist in ihrer Mitte habe und niemals von ihm verlassen sei. Müssen da nicht zum wenigsten die Concilia unfehlbar sein, denn wo wäre der Heilige Geist, wenn sie irren könnten? Wo sollten wir ihn suchen? Wie sollte die Kirche sonst urteilen über falsche und wahre Lehre? Ihr aber sagt, die Conzilien könnten irren und hätten schon manchmal geirrt. Ist es wohl zu denken, Herr, daß der Geist Gottes aus der ganzen Kirche gewichen sei schon seit langer Zeit, und daß ein einzelner Mann allein den Heiligen Geist hat, so daß sein Wort allein Wahrheit muß sein? Seht, Herr, das leuchtet mir nicht ein, und ich weiß nicht, woher Ihr den Mut schöpft, so zu reden.«

Er hatte in einer immer mehr zunehmenden Erregung gesprochen. Seine anfängliche Befangenheit war jetzt verschwunden, aber er hatte es doch vermieden, während seiner Rede den Gegenübersitzenden anzusehen. Als er jetzt den Blick zu ihm erhob, erschrak er über den tiefen, geradezu furchtbaren Ernst, der auf Luthers Antlitz lag.

»So wie Ihr redet,« erwiderte der Reformator nach einer kurzen Pause, »so hat der Teufel oft zu mir geredet in vielen schlaflosen Nächten. Wenn ich ruhelos auf meinem Bette lag, dann raunte seine Stimme mir zu: Bist du allein klug? Wie, wenn du irrtest? Wie, wenn du schuldig wärst am Irrtum der vielen Tausende, die dir folgen? Und dann wollte er mich verwirren und wankend machen mit Worten weltlicher Weisheit und schrecken mit Sprüchen aus Gottes Wort, die er mir in einem falschen Lichte zeigte. Glaubt mir, zuweilen lag ich in solcher Angst und Pein, daß ich dachte, es wird dir das Herz abdrücken, und sie werden dich früh tot in deinem Bette finden. Jetzt geschieht mir das nicht mehr, denn die Weisheit dieser Welt verachte ich, und in die Schrift habe ich mich so hineingelesen und versenkt, daß mir ihr schlichter, einfältiger Sinn ganz aufgegangen ist. Auf diesem Grunde gründe ich mich, und daran messe ich alles in der Welt. Ich armer, elender Mensch, in Sünden geboren und groß geworden, ich könnte wohl irren und irrte jeden Tag, wenn ich nicht feststünde auf der Schrift. Was unser Herr geredet hat, was seine Apostel befohlen haben, das ist's, wonach ich mich richte. Was dazu stimmt, ist recht und gut, was dazu nicht stimmt, ist Trug und Alfanzerei und Menschensatzung und hat in Christi Kirche nichts zu suchen und muß ausgerottet werden.«

»Aber muß nicht einer sein in der Christenheit, der die Schrift auslegt, Herr Doktor?« fragte Meyenburg. »Und sollte das nicht der sein, den Christus eingesetzt hat zu seinem Statthalter auf Erden?«

Luther machte eine Gebärde heftiger Abwehr. »Was wir von unserem Herrn Christus wissen, das wissen wir allein aus der Heiligen Schrift. Wo stehet denn nun in den heiligen Evangelien oder in den Briefen der Apostel, daß Christus unser Herr einen Statthalter eingesetzt hat in Rom oder anderswo? Es stehet nirgends. Die Bischöfe zu Rom haben die Herrschaft in der Kirche an sich gerissen durch Gewalt und große und feine List. Jetzt geben sie vor, ihre Herrschaft sei von Christus selbst eingesetzt, können's aber mit keinem Wort der Schrift beweisen. Habt Ihr nicht gehört von der Schrift des Laurentius Valla, die Ulricus von Hutten herausgegeben hat, wie da bewiesen ist, daß die Schenkung des Kaisers Konstantin nichts ist als ein erdichtetes Lügenwerk?«

Meyenburg nickte. »Des Hutten Schrift habe ich selbst gelesen. Sie hat mich entsetzt.«

»So werdet Ihr Euch noch viel mehr entsetzen, wenn Ihr die heilige Schrift leset. Die Päpste schreien: Wir sind Christi Statthalter! In der Schrift steht nichts davon. Die Schrift sagt mit keinem Wort, daß Christus dem Petrus einen Nachfolger habe gegeben. Sie schreien: Wir allein dürfen die Schrift auslegen! Aber es steht geschrieben und sagt es derselbe Petrus: Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, und sagt es von der ganzen Christenheit, Herr! Darum darf jeder, der aus der Taufe gekrochen ist und nach der Wahrheit Gottes forschet und fragt, Gottes Wort auslegen. Keinem ist das verboten, allen geboten!«

»Wie?« rief Meyenburg. »Jeder Priester, ja jeder Laie sollte das Wort Gottes auslegen dürfen, das voll ist von dunkeln Stellen und schweren Geheimnissen?«

»Laien? Laien?« antwortete Luther heftig. »Das ist auch so eine Erfindung des Satans. Wir sind alle Priester, wenn wir es nur sein wollen. Unter Gottes auserwähltem Volke, das Christus erlöst hat durch sein teures Blut, gibt es keine Laien. Und hat die Schrift dunkle Stellen, so überlaßt sie getrost den gelehrten Doktoren. Sie mögen daran ihren Witz und Scharfsinn üben. Was unser Heiland von uns will, und was er für uns getan hat, und wessen wir uns getrösten dürfen in Tod und Leben, das sagt die Schrift klar und ohne Winkelzüge, so daß es wohl ein Kind erkennen mag. Wessen aber bedürfen wir weiter? Alles sagt uns die Schrift, was nötig ist zu unserer Seligkeit. Was aber die Schrift nicht sagt, und wovon sie nichts weiß, das hat mit Christus nichts zu schaffen und ist unserem Heil zuwider.«

Meyenburg antwortete nicht sogleich. Er saß in tiefen Gedanken da und hielt das Haupt gesenkt. Endlich blickte er empor und sprach: »Herr, erlaubt mir noch eine Frage. War nicht die Kirche zu der Apostel Zeiten einem kleinen Beete vergleichbar, auf dem die Früchte des ewigen Lebens wuchsen? Jetzt ist sie ein riesengroßer Garten geworden. Muß nicht ein großer Garten nach anderen Gesetzen beackert und bestellt werden als ein kleines Beet? Müssen nicht die Gärtner mancherlei anwenden, ihn in Stand und Ordnung zu halten, was jene früheren nicht durften, wohl gar nicht kannten? Ist's nicht mit der Christenheit auch so? Geht es an, ein großes Reich nach denselben Regeln zu regieren wie ein winzig kleines? Ist's nicht also nötig und nach Gottes Willen, wenn manches Neue zum Alten hinzukommt, manches aus dem Alten neu hervorwächst?«

»Bleiben wir bei Eurem Gleichnis von Beet und Garten!« rief Luther. »Ja, es hätte gar nichts auf sich, wenn die Gärtner mit anderen Werkzeugen den Garten bestellten und wenn sie sich einen erwählten, dem sie gehorchen. Aber darauf kommt es an, daß sie dieselben Früchte ziehen wie auf dem kleinen Beete. Aber sofern sie den Weizen des göttlichen Wortes nicht geradezu ausjäten, lassen sie ihn überwuchern von allerhand Unkraut, dessen Frucht niemand sättigt, vielen aber zum Verderben wird. Dieses Unkraut säen sie und hegen und pflegen es mit allem Fleiß und sagen den Leuten: Das nehmt und sättigt euch daran. Dann hat der Garten mit dem Beet fast gar nichts mehr gemein. Wo Christi Gewächs stand, stehen jetzt andere Pflanzen und überwuchern jenes ganz und gar. In der Schrift wird geredet vom Glauben, der den Menschen rechtfertigt vor Gott, von der Versöhnung, die durch Jesus Christus geschehen ist, von der Liebe Gottes, der seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß wir sollten selig werden, von der Furcht Gottes, von der Heiligung und anderen diesen gleichen Dingen. In der Kirche wird geredet von Fasten und Kasteien, von Wallfahren und Almosengeben, von Platten und Monstranzen, vom Fegefeuer und Ablaß, von den Werken der Heiligen, von Zeremonien und Salbungen und geweihtem Wasser und geweihten Bildern und vom Beten von Paternostern zu Rosenkränzen, die als Strafe gebetet werden sollen, so einer etwas Übles getan hat, von der Ohrenbeichte, daß jeder dem Priester erzählen muß, was er gesündigt hat, vor allen Dingen aber von Zinsen und Steuern, womit die Priester im Lande und noch mehr der Papst in Rom mit seinen Kardinälen und Dienern sich mästen. Wie müßte denn die Heilige Schrift aussehen, wenn unser Herr Christus das hätte vornehmlich haben wollen von seinen Jüngern? Sie müßte voll davon sein, auf jeder Seite müßte etwas davon stehen. Statt dessen ist von vielen dieser Dinge ganz und gar nicht die Rede, von manchen nur nebenbei, das eine oder das andere quälen unsere Romanisten mühselig aus einem Worte heraus und suchen's aus einem verlorenen Satze zu beweisen. Die Kirche ist etwas anderes worden, als sie damals war, hat mit der Kirche der Apostel fast nichts gemein.«

»So meint Ihr,« fragte Meyenburg düster, »daß unter dem Papsttum niemand könne selig werden?«

»Das sage ich nicht,« rief Luther. »Mancher ist selig worden, weil er einfältig sein Vertrauen gesetzt hat auf Jesus Christus. In der Stille ging der wahre Glaube um unter frommen Leuten, daß der Mensch gerecht werde vor Gott durch Christi Verdienst. Aber niemand durfte laut davon reden und ihn verkündigen auf den Gassen und in den Kirchen. Wer es tat, den zwangen sie durch Martern zum Widerruf, oder sie warfen ihn in den Kerker, oder sie verbrannten ihn auf einem Holzstoße, wie sie vor hundert Jahren den Zeugen Christi, Johannes Huß zu Kostnitz, verbrannt haben.«

Meyenburg blickte ihn scheu an. »Schreckt Euch der Name nicht, Herr Doktor? Fürchtet Ihr nicht, sie könnten in Worms mit Euch fahren, wie sie mit jenem gefahren sind?«

Luther bewegte abweisend das Haupt. »Ich traue dem Kaiser solche Büberei nicht zu. Er ist von edelem deutschem Blut.«

»Das war Sigismund auch und hat doch zu Kostnitz sein Wort gebrochen. Auch Kaiser Karl wird von den Priestern beraten, und sie werden ihm einschärfen, einem Ketzer brauche man sein Wort nicht zu halten.«

Luther blickte ihn durchdringend an. »Haltet Ihr mich auch für einen Ketzer?« fragte er. »Ich hab's getan, aber ich kann's nicht mehr. Es geht eine Kraft von Euch aus, die muß wohl von Gott sein! Aber ich merke wohl: will ich ganz erkennen, was an Eurer Lehre ist, so muß ich in die Schrift hinein. Denn auf die beruft Ihr Euch!«

»Ihr redet recht, Herr!« rief Luther mit kräftiger Stimme. »Einen besseren Rat kann Euch niemand geben. Ihr seid ein gelehrter Mann, Crotus rühmte mir in Erfurt Eure Gelehrsamkeit. So nehmt und leset! Seid Ihr des Griechischen kundig?

»Ich habe davon nur wenig erlernt.«

»Das ist schade. Sonst würde ich raten, leset das Neue Testament unseres Herrn so, wie es unser Erasmus herausgegeben hat. Aber dieweil Ihr das nicht könnt, so muß Euch die lateinische Schrift genügen. Lest die vier heiligen Evangelien und die Briefe Sankt Pauli, und es wird Euch ein Licht aufgehen in Eurem Herzen, und Ihr werdet inne werden, ob meine Lehre von Gott sei oder des Papstes Lehre. Ich will Euch dazu noch sagen, ich habe mir vorgenommen, die Heilige Schrift zu deutschen. Sobald ich wieder heimkomme gen Wittenberg, wird das meine vornehmste Aufgabe sein. Alles Volk in unserem lieben Deutschland soll den Herrn Christus und seine Apostel, auch Moses und die Propheten des alten Bundes reden hören in seiner Sprache.«

Während seiner letzten Worte war ein Geräusch von Tritten und Stimmen draußen auf dem Gange laut geworden. Es kam näher, und man hörte den Wirt sagen: »Heute nicht mehr, Freund. Der Herr Doktor ist schon zur Ruhe gegangen, wir wollen ihn nicht mehr stören. Wartet bis morgen.« »Mord und Brand!« erwiderte eine grobe Stimme. »Ich dacht' ihn zu finden in Oppenheim, und weil er dort noch nicht war, hab' ich die anderen zurückgelassen und bin ihm entgegengeritten hierher. Mein Herr hat mir befohlen, ihm den Brief sogleich zu geben.«

Luther erhob sich und öffnete die Tür. »Hier ist der, den Ihr sucht. Was wollt Ihr von mir?«

Die vierschrötige Gestalt eines Reiters trat auf die Schwelle und neigte sich unbeholfen. »Seid Ihr der Herr Doktor Luther?«

»Der bin ich.«

»So schickt Euch mein Herr, diesen Brief und läßt Euch grüßen.«

»Wer ist dein Herr?«

»Der gestrenge Ritter Franz von Sickingen. Ich komme von der Ebernburg.«

Über Luthers Antlitz flog ein freudiger Schimmer, und er erwiderte freundlich: »So warte eine kleine Weile, bis ich gelesen habe, was Herr Franziskus mir schreibt.«

Er trat an den Tisch und erbrach den Brief. Dann hielt er ihn nahe an das Licht heran und begann ihn zu lesen. Herr Franz von Sickingen hatte den Brief selbst geschrieben, und er besaß eine feste Reiterhand, die des Schwertes gewohnter war als der Feder. So waren seine Schriftzüge nicht eben leicht zu entziffern, und Luther brauchte ziemlich viel Zeit dazu. »Wo sind die anderen,« fragte er, »von denen dein Herr in seiner Schrift redet? Wartet Herr Bucer unten?«

»Nein, Herr,« erwiderte der Knecht. »Der sitzt in Oppenheim, meinet, Ihr werdet morgen durchkommen. Mir aber hatte mein Herr auf die Seele gebunden. Euch den Brief sofort zu geben. Darum bin ich hergeritten.«

»Der Ritter von Sickingen hat an dir einen getreuen Knecht,« lobte Luther. Er griff in die Tasche seiner Kutte und brachte ein ledernes Beutlein hervor. »Hier sind zween Groschen, Freund. Laß dir drunten eine Zehrung davon geben und einen Krug Bier. Dann leg dich aufs Ohr. Du kannst morgen mit mir nach Oppenheim reiten.«

»Herr Franz von Sickingen ladet mich auf seine Burg «ein,« sagte er dann zu Meyenburg, als der Knecht gegangen war. »Dort soll ich mich unterreden mit des Kaisers Beichtvater. Er meint, ich sei in Worms nicht sicher, der rote Teufel aus Rom werde des Kaisers Majestät bereden, mir das Geleit zu brechen.«

Er blickte nachdenklich auf den Brief hernieder, aber seine Züge wurden immer härter. Sie erschienen Meyenburg wie aus Stein gemeißelt. Plötzlich wandte er sich nach ihm um und sah ihm voll ins Gesicht. »Was denket Ihr über Sickingens Rat?«

»Ich fürchte, er argwöhnt das Richtige. Er kennt die Welt, und er kennt wohl auch das Gemüt des jungen Kaisers besser als einer von uns.«

»So würdet auch Ihr mir raten, fragt' ich Euch, nicht nach Worms zu fahren?«

»Nein, Herr, das rat ich Euch nicht. Ziehet Ihr nach Worms, so gefährdet Ihr Euer Leben. Zöget Ihr nicht hin, so würde das Volk allenthalben Eurer lachen und spotten und Euch für nichts mehr achten. Und so Ihr Eure Sache mehr liebet als Eure Person, so müßt Ihr hingehen. Ein Prüfstein für Euer Wort ist vielen dieser Zug nach Worms. Sie würden alle irre an Euch und auch an dem, was Ihr gelehrt habt, wenn es jetzt hieße landauf und landab: Der Luther hat es doch nicht gewagt, vor dem Kaiser und den Fürsten seine Lehre zu bekennen.«

»Ihr ratet wie ein kluger und tapferer Mann und sprecht nur aus, was ich selber denke,« erwiderte Luther. »Ich muß nach Worms um meiner lieben Deutschen willen, auf daß sie nicht irre werden an mir und meinem Werke. Und ich will auch hinein nach Worms und fürchte mich nicht, denn der Höchste ist mein Schirm und meine feste Burg. Und wären tausend Teufel drinnen, so will ich dennoch unverzagt bleiben. Ich ziehe hin auf meines Herrn Befehl, der mir solches zu tun aufgetragen hat. Meinen Leib mögen sie zu Staub verbrennen. Was liegt daran! Laß fahren dahin! Meiner Seele können sie nicht schaden mit all ihrer List und Gewalt. Sie ist in Gottes Hand, und niemand kann sie aus seiner Hand reißen!«

Es schien Meyenburg, als wüchse seine Gestalt bei diesen Worten, und als spiegele sich in seinen Augen ein Glanz, der nicht von dieser Welt war. Er war so im Innersten erschüttert von der Gottesbegeisterung und Glaubenskraft, die ihm aus der Rede des Gebannten entgegenwehte, daß er nicht zu antworten vermochte. Er wäre, das fühlte er, beim ersten Wort in Tränen ausgebrochen.

»Ihr aber, Herr,« sagte Luther, in seinen gewöhnlichen ruhigen Ton zurückfallend, »Ihr leset die Schrift. Das ist's, was Euch vorher gefehlt hat, nichts anderes. Weil Ihr die Schrift nicht kanntet, wurdet Ihr umhergetrieben und konntet zu keiner Klarheit kommen. Kennt Ihr sie, so werden Euch die Augen aufgetan werden. Ihr leset die Schrift! Das versprecht mir!«

»Ja, das verspreche ich Euch, Herr Doktor! Und Euch geleite Gott, auf den Ihr traut, auf Eurem Gange!«

Luther bot ihm die Hand. »Für heute gehabt Euch wohl. Ich muß morgen früh heraus, denn am Abend will ich in Oppenheim nächtigen. Der Herr unser Gott erleuchte Euch und gebe Euch Frieden.«

Er erhob die Hand und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann verließ er mit einem freundlichen Neigen des Hauptes das Gemach.


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