Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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Zweites Buch.

I.

In der Sankt Blasienkirche in Nordhausen war das Hochamt vorüber, und der Pfarrer Georg Neckerkolb hatte die Kanzel bestiegen. Befremdet ließ er seine Augen durch das Gotteshaus schweifen. Hier saß ein altes Weiblein, dort hinten ein junges Mädchen, drei oder vier Greise mit schlohweißen Haaren drückten sich seitwärts in den Bänken herum. Das waren die Leute aus der Stadt, die zum Gottesdienst gekommen waren. Für die hätte sich's kaum gelohnt, eine Predigt zu halten. Aber vorn in den Stühlen der Stiftsherren saßen zwei, die mit gespannter Miene zur Kanzel emporblickten, der Dekan Herr Johannes Anebeutel und der junge Vikar Christian Heune, und einige Knechte des Stiftes zum Heiligen Kreuz rekelten sich auf ihren niederen Sitzen, hatten die Beine weit von sich gestreckt und blinzelten schläfrig vor sich hin. So waren denn etwa zwölf Leute in der Kirche, darunter zwei von Bedeutung, und der Pfarrer konnte seine Predigt nicht ausfallen lassen, wie er in seinem ersten Ärger beabsichtigte.

Ingrimmig öffnete er den gewaltigen Mund und tat das Dümmste, was er tun konnte: er klagte über den schlechten Kirchenbesuch, erinnerte daran, wie voll in vorigen Zeiten trotz der frühen Morgenstunde die Kirche gewesen sei und schimpfte weidlich über die Gottlosigkeit derer, die abwesend waren, es also nicht hören konnten. Das alles tat er im Anschlusse an das Evangelium vom guten Hirten, über das er heute am Sonntag Miserikordias Domini zu predigen hatte. Von da war es ihm ein leichtes, auf die Ursache der abscheulichen Unkirchlichkeit zu kommen, nämlich auf die lutherische Pest, die den Schafstall des Herrn befallen und schrecklich verwüstet habe, und damit war Herr Georg Neckerkolb in seinem Fahrwasser angelangt. Von da ab war es ihm gleich, wer und wieviel Menschen ihm zuhörten, er schüttete seine Wut aus zu seiner eigenen Befriedigung. Wie rollender Donner schallte seine Stimme durch die Halle der Kirche hin, und Herr Dekan Anebeutel stellte mit Befriedigung fest, daß nur noch einer in Deutschland so zu brüllen verstände wie dieser Mann, nämlich der große Doktor Johann Eck aus Ingolstadt, dem der Redner da droben in Wuchs, Größe und Breite, ja sogar in seinen Gesichtszügen merkwürdig ähnlich sah. Herr Anebeutel beglückwünschte sich innerlich dazu, daß er und sein Kapitel kraft ihres Besetzungsrechtes einen solchen Mann in die Pfarrstelle dieser Kirche berufen habe. Noch mehr wuchs seine Freude, als er mit fortschreitender Predigt sah, wie fest gegründet der Pfarrherr war in dem alten, allein selig machenden Glauben, und wie furchtlos er sich dazu bekannte. Es gehörte jetzt Mut dazu, in Nordhausen auf die neue Lehre zu schelten, das mußte wahr sein! Wie hatte sich die gute Stadt im Laufe der drei Jahre verwandelt! Voriges Jahr hatte er selbst es noch für ungefährlich gehalten, auf das Drängen eifriger Ratsmitglieder hin einen Anhänger der neuen Lehre in das Pfarramt der Petrikirche einzusetzen, wenigstens keinen Widerspruch gegen seine Einsetzung zu erheben. Denn dieser frühere Augustinermönch, Lorenz Süße, war ein stiller Mann, milden Sinnes und jeder Schroffheit abhold. Der mochte in seinem Predigtwinkel geduldet werden, man hatte von ihm nichts Böses zu erwarten. Aber dann war alles anders geworden. Es war einer aufgetreten in Nordhausen, der die Bürgerschaft aufregte, die Zaudernden und Schwankenden vom Rate zu Taten aufforderte und darauf hinarbeitete, der Lutherei den Sieg in der Stadt zu verschaffen. Das war der vermaledeite Michael Meyenburg, der nun seit einem Jahre einstimmig erwählter Syndikus geworden war. Schon hatte er es durchgesetzt, daß der Rat ein Edikt erließ, es solle in allen Kirchen der Stadt nun das neue Evangelium gelehrt werden, und daß er den Pfarrer Neckerkolb wegen seiner Angriffe auf dieses Evangelium ernstlich verwarnte. Aber siehe, der treffliche Pfarrer ließ sich nicht abschrecken, er achtete des Rates Verwarnung für nichts und donnerte auch heute gegen den Ketzer in Wittenberg, daß es eine Lust war, ihm zuzuhören. Mit einem wilden Eber, der den Weinberg des Herrn verwüstete, hatte er ihn schon verglichen, auch der übliche Vergleich mit dem Wolfe, der in die Herden der frommen Kirchenschafe eindringt, war schon vorüber, jetzt eben schilderte er ihn als die giftige Viper, die den in die Ferse sticht, der ahnungslos in ihre Nähe kommt. Da ereignete sich etwas Merkwürdiges: Herr Neckerkolb blieb mit weit aufgesperrtem Munde plötzlich stehen, und über das kirschrote Antlitz flog eine Blässe. Auch die beiden Herren des Domkapitels richteten sich auf und lauschten gespannt, und sogar von den vier Greisen erwachte einer, da die Stimme des Predigers mit einem Male erstarb, und schielte ängstlich nach der nahen Tür.

Offenbar nahte der Kirche eine große Volksmenge, aber kein Laut war hörbar außer dem Aufstampfen vieler Füße auf hartem Erdboden.

Jetzt flog die Türe auf, und ein gewaltiger Menschenstrom ergoß sich ins Innere, Männer und Frauen, nur die Kinder fehlten. Schweigsam und ernst drängten sich die Leute in die Bänke, viele fanden keinen Platz mehr und mußten stehen.

Der Pfarrer auf der Kanzel wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Gutes für ihn sicherlich nicht. Es wurde ihm schwül zumute. Sah er nicht da und dort eine Waffe blinken? Oder täuschten ihn seine Augen?

Jetzt öffnete sich die Tür noch einmal, und gefolgt von vier Stadtknechten trat Michael Meyenburg über die Schwelle. An seiner Seite schritt ein hochgewachsener Mann im schwarzen Talar.

Als Neckerkolb den Verhaßten sah, wußte er, daß ihm ein übler Possen gespielt werden sollte. Aber nun kam auch ein erbitterter Trotz über ihn. Er war ein beherzter Mann und nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen. Nein, er wollte zeigen, daß er sich ganz und gar nicht fürchte, und da nun vollends alles still und stumm blieb, so fuhr er mit einem Male in seiner Predigt fort, als wäre gar nichts geschehen und als nähme er an, alle diese Menschen seien zu ihrer Erbauung hierher gekommen.

Zu seiner eigenen großen Überraschung ließ man ihn reden. Niemand unterbrach ihn. Mit noch größerem Erstaunen sah er, daß der Erzbösewicht Meyenburg mehrmals mit dem Kopfe nickte und ihn geradezu wohlwollend anschaute. Aber mit einem Male war sein Sermon zu Ende, denn plötzlich trat der Syndikus an die Stufen des Altarraumes heran, schritt hinauf und hub an, mit schmetternder Stimme das Lied zu singen: »Es ist das Heil uns kommen her aus Gnad und lauter Güte.« Allsogleich fiel die Menge brausend ein. Die einen sangen es aus dem Gedächtnis, die anderen zogen Zettel hervor, auf denen sein Text gedruckt war. Es leuchtete ein, daß der Auftritt gut vorbereitet war.

Der Pfarrer verstummte einen Augenblick vor Ärger und Grimm. Dann versuchte er, den Gesang zu überschreien, mußte aber sofort einsehen, daß eines einzelnen Menschen Stimme, und wäre sie noch so durchdringend und machtvoll gewesen, so wenig gegen diese Flut der Töne ausrichten konnte wie gegen das Brausen der empörten Meereswellen. So schwieg er denn, und allmählich ging eine wunderliche Wandlung mit ihm vor. Er wurde blaß, sank in sich zusammen und verließ endlich die Kanzel wie ein gebrochener Mann. Es war, als läge etwas in diesem Liede, das ihn überwältigte.

Als er drunten angekommen war, drehte sich Meyenburg nach seinen Mitbürgern um und erhob die Rechte. Sofort hörte das Singen auf. »Herr Georg Neckerkolb,« rief er dann laut zu dem Geistlichen gewendet, »ich habe Euch etwas zu künden in Vollmacht und Auftrag des ehrbaren Rates. Wir wußten, daß Ihr des Rates Botschaft an Euch nicht achten würdet, denn Ihr hattet es laut genug geäußert, daß Ihr heute, wie immer seither, schmähen wolltet auf die neue Lehre, der wir anhangen und auf den, der sie uns Deutsche gelehrt hat als ein wahrer Knecht und Prophet Gottes. Der Rat hat Euch wissen lassen, daß sein Schutz und Geleit Euch solle aufgekündigt sein, so Ihr das tätet, und ob Euch darüber etwas Tätliches begegne, könne und wolle er dazu nicht zu antworten schuldig sein. Ihr habt das alles in den Wind geschlagen, nun esset aus, was Ihr Euch eingebrockt habt. Ihr seid Eurer Pfarre verlustig und habt hier in Sankt Blasien nichts mehr zu verrichten. Der ehrbare Rat gebietet Euch durch meinen Mund, daß Ihr Euch von dannen hebet.«

Dann trat er auf Herrn Johannes Anebeutel zu, der sich, von Überraschung und Ärger übermannt, in seinen gepolsterten Stuhl zurückgelehnt hatte und keines Wortes mächtig war. »Es ist gut, daß Ihr hier seid, Herr Dechant, das erspart mir den Weg zu Eurem Stifte. Der ehrbare Rat läßt Euch sagen durch mich: Ihr Herren vom Kapitel habt das Recht mißbraucht, das Euch von alters her zusteht über dieses Gotteshaus. Ihr solltet einen Pfarrer einsetzen, der Gottes Wort dem armen Volke predigen sollte. Aber Ihr habt einen eingesetzt, der Gottes Wort schmähet und mit Füßen tritt. So seid Ihr Eures Rechtes verlustig. Der Rat erkennt Euch nicht mehr an, nicht Euch und nicht Euer Kapitel, als Patron dieser Kirche. Er setzt von heute an die Prediger von Sankt Blasien selber ein. Darüber zur Urkund überreiche ich Euch diese Schrift.«

Er nahm ein Papier, geschnürt und mit dem Siegel der Stadt versehen, aus der Tasche seines Mantels und bot es dem Dechanten dar. Der streckte die zitternde Hand danach aus, aber eine Hand legte sich hart auf seinen Arm, und eine zornbebende Stimme rief: »Nehmt es nicht an, Herr! Weist es zurück! Oder reißt es in Fetzen!«

Der junge Vikar Christian Heune hatte den Ruf ausgestoßen und stand nun hoch aufgerichtet mit sprühenden Augen zwischen dem Greise, der auf seinem Sitze nach Fassung rang, und Meyenburg, der ihn mit einem kalten Lächeln musterte. Die beiden waren einst beim Becher gute Gesellen gewesen, ja eine Zeitlang hatte eine Art von Freundschaft zwischen ihnen bestanden. Dann waren sie Feinde geworden um des Glaubens willen und hatten einander gemieden, seit Meyenburg als Anhänger Luthers aus Worms zurückgekehrt war, und mehr noch, seit er in der Stadt für die neue Lehre geworben hatte. Zum ersten Male seit fast zwei Jahren standen sie einander wieder einmal gegenüber, und wie die Gesinnung des leidenschaftlichen Heune gegen ihn sich gewandelt hatte, das konnte Meyenburg in seinen Augen lesen. Der Haß, der ihm daraus entgegenflammte, verwunderte ihn fast. Er hatte sich in seinen Gedanken um den viel jüngeren Genossen seiner früheren Freuden wenig gekümmert und hatte auch wenig Anlaß dazu gehabt, da Heune weit über ein Jahr lang von Nordhausen fern gewesen war. Daher erwiderte er ruhig und unbewegt: »Gib Raum, Christian Heune, und menge dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen. Der ehrbare Rat hat mir geboten, Herrn Anebeutel den Brief zu geben, und er ist dem Rate ebenso Achtung schuldig wie du und ich.«

Heune antwortete zuerst mit einem harten Lachen. Dann trat er noch einen Schritt näher an Meyenburg heran und sagte höhnisch: »Du und Dein Rat habt einen übeln Tag ausgewählt. Gestern am Abend ist ein Abgesandter des Kaisers in die Domfreiheit eingeritten und hat uns einen Schutzbrief der Majestät gebracht. Gefreit ist das Stift Sanktae Crucis, wie es in alten Zeiten war, niemandem Untertan, denn allein dem Kaiser. Alle seine Rechte und Privilegien stehen fest und sind bestätigt. Wehe dem, der uns in unsere Rechte greift!«

»Ich rate dir dennoch, dem Rate zu gehorchen, und Herrn Anebeutel rate ich dasselbe,« erwiderte Meyenburg ebenso kalt und gelassen wie vorher. »Der Kaiser ist in Hispanien, oder ist er zu dieser Zeit gerade in Italien oder sonstwo, hundert oder tausend Meilen von hier. Der Rat aber ist sehr nahe, und seine Knechte stehen hier.«

»Ist der Kaiser weit,« rief Heune dagegen, »so ist doch ein anderer nicht allzufern, und seine Macht ist nicht gering. Herzog Georg von Sachsen meine ich. Unter seinen Schutz hat uns der Kaiser gestellt. Der dieser Stadt Schultheiß des Reiches ist, wird auch unsere Rechte achten, und er ist der Lutherei geschworener Feind.«

Meyenburg überlegte ein paar Augenblicke, dann entgegnete er kurz: »Ich bin nicht hier, mit dir zu streiten. Ich frage Herrn Anebeutel zum anderen Male, ob er des Rates Brief nehmen will oder nicht.«

Der alte Dechant erhob sich, er hatte halbwegs seine Fassung wiedererlangt. »Ich weigere mich dessen,« sagte er und atmete schwer, denn wenn er sich ärgerte, versagte ihm jedesmal die Stimme, und die Luft blieb ihm aus. Er stützte sich auf Heunes Arm. »Führt mich, Herr Konfrater, ich fürchte, die Gicht ist mir in die Füße gefahren.«

»So frage ich Euch, wie sich's gebührt, zum dritten Male!« rief Meyenburg, aber der Dechant machte nur eine unwirsche Handbewegung und humpelte, von Heune geführt und von Neckerkolb gestützt, so eilig er konnte, von dannen. Seine Knechte folgten ihnen. Sie grinsten, denn da sie im Innern auch der neuen Lehre anhingen und nur des Soldes wegen im Dienste des Stiftes verblieben, so gönnten sie dem Pfaffen diese Demütigung von Herzen.

Meyenburg steckte seinen Brief wieder in die Tasche und blickte den Abziehenden nach, denen das Volk widerwillig Platz machte. Dann reckte er sich auf und rief mit heller Stimme, indem er auf den Mann wies, der mit ihm gekommen war: ,Liebe Bürger von Nordhausen! Hier stehet Herr Magister Johannes Spangenberg, den ich mit Willen der Herren Bürgermeister und des ehrbaren Rates von Stolberg hergeholt habe, daß er ein Pfarrherr und Prediger sei an dieser unserer Kirche. Doktor Martinus Luther hat ihn uns selber empfohlen. Wollt ihr ihn als einen solchen annehmen, ihm alle schuldige Ehrerbietung und Liebe bezeugen?«

»Ja! Ja!« schrie es von allen Seiten.

»Und Ihr, Herr Magister,« fuhr Meyenburg fort, »wollt Ihr zu dieser Gemeinde stehen als ein echter Pfarrherr? Nicht so, wie die Diener des Antichrists seither gewesen, die nach nichts anderem Lust und Gier hatten, als die Schäflein zu scheren, die sie werden sollten, sondern als ein Diener unseres Herrn Jesu Christi, der nichts will und begehrt, als den ihm anvertrauten Seelen zur Seligkeit zu verhelfen durch das heilige Evangelium?«

»Das will ich, Herr Syndikus, so wahr mir Gott helfe!« erwiderte Spangenberg und ergriff Meyenburgs ausgestreckte Rechte.

»So bestelle ich Euch in Vollmacht des ehrbaren Rates, der mir das übertragen hat, im Namen des dreieinigen Gottes zu einem Pfarrherrn und Prediger dieser Gemeinde. Steiget auf unsere Kanzel, Herr, und legt uns das Wort Gottes aus, wie es uns Martinus Luther, der teure Mann, wieder ans Licht gebracht und verdeutscht hat.«

Unverzüglich klomm Johannes Spangenberg die steile Treppe empor, nahm Luthers deutsches Neues Testament, das er unter dem Arm getragen, zur Hand und las der Gemeinde das Evangelium vom guten Hirten vor. Dann begann er seine Predigt.

Unterdessen waren die beiden Priester an der Domfreiheit angelangt. Es war dem jungen Vikar nicht leicht geworden, Herrn Johann Anebeutel bis hierher zu bringen, denn dem versagten die Füße mehr und mehr den Dienst. Er war vor Ärger und Verdruß krank geworden, die Galle war ihm ins Blut getreten, so daß er mehrmals ächzte und stöhnte und sich mühsam, von Heune gestützt, vorwärts bewegte.

Am Tore trafen sie den kaiserlichen Abgesandten, der gestern zu ihnen gekommen war und sich soeben zu einem Gange in die Stadt anschickte. Der machte große Augen, als er den Dechanten, mit dem er am vorigen Abend weidlich gezecht hatte, in diesem Zustande sah. Er hielt ihn zunächst für betrunken, denn er hatte schon zu jeder Stunde des Tages deutsche Prälaten des süßen Weines voll gesehen. Deshalb begann er in ganz ungeziemender Weise zu lachen und rief dem Vikar ein Scherzwort zu. Aber Heune, noch immer erregt und außer sich, klärte ihn unwillig mit fliegenden Worten über den Hergang auf.

Des kaiserlichen Rates Augen wurden noch größer, und sein Antlitz nahm einen sehr ernsten Ausdruck an. »Wie?« rief er, »stehet es auch hier also? Und Michael Meyenburg ist, wie Ihr sagt, der Anstifter und Rädelsführer dieses Handels?«

»Wie er die Grundsuppe alles Bösen, der Stein des Anstoßes, der Fels des Ärgernisses ist in dieser Stadt,« rief Heune wütend. »Seit zwei Jahren wühlt er im Dunkeln und trägt das Gift der Ketzerei in alle Häuser. Alles hört auf ihn, denn er ist ein Meister der glatten Rede. Den ganzen Rat hat er abtrünnig gemacht, es ist kaum einer der Herren, der noch festhält an unserem heiligen Glauben. Heute ist nun die Beule der Ketzerei aufgebrochen!«

Ein Stöhnen des Dechanten machte, daß er sich in seiner Rede unterbrach und den Greis fester umfaßte, der schwer, wie leblos, an seinem Arme hing.

Der kaiserliche Rat zog die Stirn bedenklich in Falten. »Ich muß dennoch zu ihm,« sagte er, »denn ich habe an ihn eine Botschaft des römischen Königs.«

Heune prallte zurück. »Des römischen Königs? An ihn persönlich?« stammelte er.

Der Rat nickte. »Ganz persönlich.«

»Und darf man wohl wissen –«

»Sie ist sekret,« schnitt ihm der Rat das Wort ab.

Ein erneutes Stöhnen Herrn Anebeutels verhinderte den Vikar, einen weiteren Versuch zur Stillung seiner Neugier zu unternehmen. Er mußte sorgen, daß der Kranke ins Bett kam und ein Medikus geholt wurde. Herr Johann von Bell, der Stadt-Physikus, wohnte in der Nähe. Zu dem mußte unverzüglich gesandt werden, daß er dem Dechanten zur Ader lasse, denn bei Herrn Anebeutels Alter und stattlichem Leibesumfange war ein Schlagfluß sehr zu befürchten.

So verneigte er sich kurz und schleppte Herrn Anebeutel dem Hause zu, indem er einem der Knechte befahl, den Erkrankten am anderen Arme zu fassen und einen zweiten aussandte, den Doktor herbeizurufen. Der Ausdruck seines Gesichts, in dem sich Ärger und Neugier stritten, war so wunderlich, daß der kaiserliche Rat ein Lachen verbeißen mußte. Als höflicher Mann wünschte er dem Dechanten schnelle Genesung und ließ sich dann von einem der Knechte des Stiftes, den er mitgenommen, das Haus des Syndikus zeigen.

So kam es, daß Michael Meyenburg, als er aus der Kirche heimkehrte, einen Gast vorfand, dessen Ankunft er nicht im Traume vermutet hätte. Er fand ihn hinter einem Bierkruge sitzend, den die Schaffnerin ihm auf den Tisch gestellt hatte, und vertieft in ein kleines dünnes Büchlein, in dem er gestern abend gelesen und das er hier hatte liegen lassen.

Freudig bewegt eilte er auf ihn zu. »Hans Obernburger!« rief er. »Wie kommst du hierher? Ach, du bist wohl der Abgesandte des Kaisers, der gestern bei den Kreuzpfaffen eingeritten? Nun, Gott willkommen!«

Der kaiserliche Rat Obernburger erwiderte seinen Gruß mit großer Herzlichkeit. »Ja, der bin ich,« sagte er dann. »Und, o Michael, was mußt' ich von den Stiftsherren hören? Du erregst Aufruhr in der Bürgerschaft dieser guten Reichsstadt gegen die Kirche?« Er hob das Buch, das vor ihm lag, und in einem Tone, als ob er einem weinerlichen Prediger nachahmen wolle, fuhr er fort: »Und hier? Was sehe ich? Und dort an der Wand? Lauter Schriften des Ketzers aus Wittenberg! Du scheinst mir auf einem übeln Wege, Freund Michael, und wirst ins zeitliche und ewige Verderben fahren, wenn du nicht umkehrst und Buße tust!«

Meyenburg lachte. Er nahm ein Glas aus einem Schranke, schenkte es voll und erhob es. »Auf deine Gesundheit, lieber Freund! Ich sehe, du bist noch der Alte, immer zu Scherz und Schwank aufgelegt, obwohl du kaiserlicher Rat geworden bist, wie du mir ja geschrieben hast. Ein schönes Amt! Mögest du es noch recht lange bekleiden und immer höher steigen!«

Obernburger tat ihm Bescheid und sagte dann, plötzlich ernst werdend: »Es steht allein in deiner Hand, ob du in Bälde mein Collega sein willst, oder nicht.«

Meyenburg blickte ihn verwundert an. »Was meinst du damit?«

»Setze dich nieder, Freund!« erwiderte Obernburger nun sehr ernst. »Ich habe eine Botschaft vom römischen König Ferdinandus, dem Bruder des Kaisers, an dich.«

»An mich?«

»Es ist so. Der römische Kaiser läßt dich durch mich fragen, ob du nicht willst in seine Dienste treten.«

Meyenburg saß wie versteinert. »Ich? Wie kommt der Herr dazu?«

Obernburger blickte sich vorsichtig um und dämpfte die Stimme, als ob er einen Lauscher an der Tür vermutete. »Ich antworte dir im Vertrauen, Freund. Der Herr hat die Meinung, daß niemand ihm so treu diene als Leute, die seines Blutes sind. Es gibt deren, wie du weißt, eine ziemliche Anzahl, denn der selige Kaiser Max war kein Verächter der Weiber. Nun hat man den römischen König darauf gebracht, auch du wärest wohl einer von dem Blute seines Großvaters.«

Meyenburg lachte dröhnend. »Man hat ihn darauf gebracht?« rief er. »Du hast ihn darauf gebracht, Freund, du und kein anderer. Das sollst du mir eingestehen.«

Obernburger nickte. »Lache nicht,« sagte er. »Ich möchte beinahe meinen Hals verwetten, daß etwas an der Sache ist. Der Frundsberger hat mich auf eine Spur gebracht, der bin ich nachgezogen. Ich habe erkundet, daß dein Vater mit deiner Mutter im Winter in unser Dorf gekommen ist. Vier Monde später wurdest du geboren. Vorher war deine Mutter im Hause des Jacob Fugger in Augsburg, und Anno neunzig hat der Kaiser da geweilt. Vor Weihnachten hat ein Priester deinen Vater und sie zusammengegeben, dann sind die beiden aus der Stadt gezogen. Was meinst du dazu, Michael?«

Meyenburg antwortete nicht sogleich. Er saß in tiefes Nachdenken versunken, während ihn Obernburger schweigend beobachtete. »Woher weißt du das alles?« fuhr er plötzlich auf. »Wer kann das bezeugen?«

»Manches wußte Pater Speratus, unser alter Lehrer, den ich darüber befragte. Er schien noch mancherlei zu wissen, aber es war ihm wohl in der Beichte gesagt, und so schwieg er darüber. Aber er wies mich nach Augsburg zu einem Priester, der ihm bekannt war, und als ich mit dem römischen Kaiser in der Stadt war, hörte ich noch mancherlei. Es ist mir kaum ein Zweifel, Freund, daß der Frundsberger mit allem Rechte vermeinte, du habest Habsburgisch Blut in deinen Adern.« Zu Obernburgers Erstaunen zeigte seines Freundes Miene durchaus nicht den Ausdruck freudiger Überraschung, den er erwartet hatte. Ernst, fast finster blickte Meyenburg vor sich hin. Endlich sagte er: »Das Andenken meiner Mutter haftet verworren und trübe in meiner Seele. Aber es ist mir, als fiele ein Flecken auf sie durch diese Geschichte.«

Der kaiserliche Rat schaute ihn wie ungläubig von der Seite an. Nichts hatte er weniger erwartet als diese Auffassung. »Aber lieber Freund!« rief er. »Was ficht dich an! Wenn die Großen der Erde sich einem Weibe zuneigen, fällt da nicht immer ein Glanz auf sie?«

»Ich habe nicht viel des Glanzes gesehen, da ich ein Kind war,« entgegnete Meyenburg. »Meine Eltern waren arm, und kein Kaiser hat sich um sie gekümmert.«

»Wer weiß, wie das zugegangen ist. Wer weiß, was damals geschehen ist!« sagte Obernburger. »Wir können es nimmer wissen, warum sie aus Augsburg fortgezogen ist.«

»Ich meine, wir wissen aller Wege nichts Sicheres, und nichts läßt sich erweisen. Ich glaube auch nimmer, daß es wahr ist. Sage das dem römischen König.«

Obernburger schnellte empor. Er geriet jetzt in wirkliche Aufregung über diese Hartnäckigkeit seines Freundes. »Aber Michael, sei kein Narr!« rief er. »Was verschlägt es, ob die Sache wahr ist oder nicht? Genug, wenn es der König glaubt, und wenn er dich sieht und reden hört, wird er es noch fester glauben. Mach dir zunutz, was die Schickung des Lebens dir in den Schoß werfen will. Warum willst du das Glück, wenn es kommt, dich zu besuchen, vor deiner Tür stehen lassen oder gar von dir stoßen?«

»Ist es wirklich ein Glück? Ich weiß es nicht,« erwiderte Meyenburg tief nachdenklich. »Wohl weiß ich mich zu bücken und zu schmiegen, wenn's einmal sein muß. Aber immer möcht' ich's nicht.«

»Du bist nicht immer um die Majestät. Und bückst du dich vor einem, so bücken sich dann viele hundert Leute vor dir. Mußt du dich nicht auch bücken vor deinem Rate?«

»Nicht sehr,« entgegnete Meyenburg lächelnd. »Die Herren lassen mir in allen Stücken freie Hand. Sie dulden es auch, daß alle Grafen und Fürsten in weiter Runde meinen Rat suchen und meine Hilfe in allen Händeln des Rechtes. Ja, es ist ihnen sogar lieb, denn sie wissen wohl, daß ich dabei auf der Stadt Bestes sehe. Ich habe davon großen Nutzen und stehe mich gut. Du siehst das neue Haus, das ich mir gebaut habe, und es liegen keine Schulden darauf.«

»Ja,« unterbrach ihn Obernburger, »dies Haus ist schön, nur die Patrizier in Nürnberg und Augsburg haben schönere Häuser. Und daß du hier Geld und Gut gewinnst, das weiß ich schon aus deinen Briefen. Aber Freund, auch ich werde reich und wohl mit der Zeit noch viel reicher als du. Siehe zum Exempel: jetzt schickt mich die Majestät im Reiche umher, daß ich ihre Gnadenbriefe den Pfaffen überbringe. Gestern bin ich hier eingeritten, heute reite ich in Walkenried ein, dann fahre ich nach Goslar und noch in viele Orte, war auch schon in vielen. Allerorts reicht man mir ein stattlich Gastgeschenk, so daß ich wohl tausend Gulden habe und mehr, wenn ich heimkehre. Dabei werd' ich allenthalben so wohl gehalten, daß ich kaum einen Abend bin nüchtern gewesen. Und so gibt es manch schöne Gelegenheit. Nimmt man die Umstände wahr und hat man die Gnade der großen Herren, so kann man viel Geld verdienen. Sei kein Narr, zieh' mit mir. Du wirst bald neben mir stehen, und ich neide dir's nicht. Wir wollen uns vielmehr trefflich in die Hände arbeiten.«

Meyenburg schüttelte den Kopf. »Hätte ich die Gnade deiner großen Herren, ich würde sie schwerlich lange behalten.«

»Warum nicht? Du hattest doch immer die Gabe, dich allen Leuten lieb und angenehm zu machen? Du wirst dem römischen König sicherlich wohlgefallen.«

»Nicht lange,« wiederholte Meyenburg. »Denn bald würde er merken, daß ich in Sachen der Religion anders denke als alle seine Schreiber und Räte und würde mich aus seinen Diensten jagen, wenn mir nicht noch Schlimmeres begegnete.«

Obernburger lachte. »Wie meinst du denn, Freund, daß wir über die Religion denken?« fragte er.

»Hast du mir nicht Briefe geschrieben, in denen du mich batest, abzutreten von der Sache Doktor Luthers? Ich weiß also gar wohl, wie du, Gott sei's geklagt, über die Religion denkst, und die anderen werden die gleiche Meinung haben.«

Obernburger sah ihm starr ins Gesicht. Um seine Mundwinkel zuckte es, und er brach in ein lautes Lachen aus. »O Michael,« rief er. »Trätest du in den Dienst der Majestät und wolltest du mein Collega werden, so müßtest du doch noch mancherlei lernen, so klug du auch bist. Ein Mann, der die Welt kennt, schreibt nur das in Briefen, was andere Leute auch lesen dürfen, denn sie fallen ja oft in anderer Leute Hand. Aber hier, wo wir allein sind, sage ich dir: wenige unter uns zweifeln daran, daß der Wittenberger im Recht ist. Kann er doch alles, was er lehrt und predigt, aus der Schrift beweisen. Das können seine Gegner nicht. Er sitzt in der Schrift, sie sitzen daneben.«

Meyenburg blickte ihn so verblüfft an, daß Obernburger von neuem lachte. Er warf sich in den Stuhl zurück, und sein spitzes Bäuchlein schüttelte vor Lachen.

»Und wie denkt der Kaiser und sein Bruder?« fragte Meyenburg.

»Der Kaiser ist ein Spanier, damit ist alles gesagt. Jede Neuerung in Sachen des Glaubens ist diesem Volke die schwerste Todsünde. In Herrn Ferdinandus ist das deutsche Geblüt mächtiger, aber auch er ist dem Luther feind.«

»So denkt ihr anders als eure Herren?«

»Das Denken kann uns niemand verwehren.«

»Aber sagen dürft' ihr's nicht?«

Obernburger hieb mit der Hand einen schnellen Strich durch die Luft. »Muß man denn immer sagen, was man denkt? Man fährt besser in der Welt, wenn man seine Meinung für sich behält. Solche Leute, wie Doktor Luther, sind doch, so gelehrt sie sind und ein so hohes Ingenium sie haben, am Ende nur Narren, denn sie meinen, die Welt bessern zu können. Die Welt will nicht gebessert sein und wird auch nie gebessert. Die Menschen bleiben immer, was sie sind, und was einer auch Neues aufbringt – und wenn er sich dafür rösten und kreuzigen ließe – im letzten Grunde bleibt alles beim alten. Wer das erkannt hat, der weiß, was er zu tun und zu lassen hat. Es betrübt mich, lieber Freund, daß du hier so eifrig vorgegangen bist, und daß man dich ausschreien wird als den, der diese Stadt dem Luther zuführen will. Das müßte vertuscht und bemäntelt werden vor dem römischen König, der jetzt anstatt des Kaisers das Regiment führt im Reiche, wenn du in seine Dienste treten wolltest, was ich immer noch hoffe.«

»Nein!« rief Meyenburg und erhob sich rasch. »Schilt mich einen Narren, wenn du kannst, aber verlange nicht, daß ich dir folge. Ich habe am Hofe des römischen Königs nichts zu tun und könnte nimmer dort bleiben. Die Wahrheit, die ich erkannt habe, die will ich auch bezeugen. Ich kann nicht anders. Es ist meine Natur so. Eine Zeitlang könnt' ich wohl schweigen von dem, wessen mein Herz voll ist, aber nicht auf die Dauer, sonst würd' ich ersticken. Kannst du verschweigen, was du für wahr hältst, ich kann es nicht. Die Ehren dieser Welt und ihre Freuden verachte ich nicht, aber das Licht des Glaubens, das mir aufgegangen ist, achte ich noch höher als sie und will das vor aller Welt vertreten.«

Obernburger gab keine Antwort. Er schüttelte den Kopf und schüttelte ihn immer wieder. Endlich sagte er mißmutig: »Ich hätte dich für klüger gehalten, und mich reut, daß ich den Handel angerührt habe.«

Meyenburg faßte seine Hand. »Es tut mir leid, daß ich dir nicht folgen kann. Doch ich kann nicht, ich passe nicht dorthin. Aber danken will ich dir, daß du so ohne allen Eigennutz für mich hast sorgen wollen. Du wolltest dir einen an die Seite setzen, der dich hätte beeinträchtigen können in deines Herrn Gunst. Das muß ich dir hoch anrechnen. Bleibe auch fürder mein Freund, Hans, darum bitt' ich dich.«

»Das brauchst du nicht. Wenn ich mich auch ärgere an deiner Narrheit, so bleib' ich doch dein Freund, und der römische König soll dir deine Weigerung nicht nachtragen, dafür werde ich sorgen. Weißt du noch, wie du den Hofhund würgtest, der mich zerreißen wollte bei Cöln, da wir als Schüler unsere Straße zogen? Das vergeß ich dir nimmer, und wenn ich dir nützen kann, so tue ich's. Gehab dich wohl, Michael, und Gott schütze dich, wenn es über den Luther hergehen sollte und über die, so ihm anhangen. Du gehst einen gefährlichen Weg. Gehab dich wohl. Geleite mich auch nicht. Ich muß wieder zu meinen Pfäfflein.«


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